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Titelregister zu:

Johann Wolfgang von Goethe

Johann Wolfgang von Goethe (* 28. August 1749 in Frankfurt am Main; † 22. März 1832 in Weimar), geadelt 1782, war ein deutscher Dichter. Er forschte und publizierte außerdem auf verschiedenen naturwissenschaftlichen Gebieten. Ab 1776 bekleidete er am Hof von Weimar unterschiedliche politische und administrative Ämter.

Goethes literarische Produktion umfasst Gedichte, Dramen, erzählende Werke (in Vers und Prosa), autobiografische, ästhetische, kunst- und literaturtheoretische sowie naturwissenschaftliche Schriften. Auch sein umfangreicher Briefwechsel ist von großer literarischer Bedeutung. Goethe war ein Vorreiter und der wichtigste Vertreter des Sturm und Drang. Sein Roman Die Leiden des jungen Werthers machte ihn 1774 in ganz Europa berühmt. Später wandte er sich inhaltlich und formal den Idealen der Antike zu und wurde ab den 1790er Jahren, gemeinsam mit Friedrich Schiller und im Austausch mit diesem, zum wichtigsten Vertreter der Weimarer Klassik. Im Alter galt Goethe auch im Ausland als Repräsentant des geistigen Deutschland.

Während die Wertschätzung Goethes nach seinem Tode zunächst abnahm, wurde er im Deutschen Kaiserreich ab 1871 „zum Kronzeugen der nationalen Identität der Deutschen“[2] und als solcher für den deutschen Nationalismus vereinnahmt. Es setzte nun eine Verehrung nicht nur des Werks, sondern auch der Persönlichkeit des Dichters ein, dessen Lebensführung als vorbildlich empfunden wurde. Bis heute gilt Goethe als bedeutendster deutscher Dichter, sein Werk wird zu den Höhepunkten der Weltliteratur gezählt.

Leben

Herkunft und Jugend

Johann Wolfgang von Goethe wurde am 28. August 1749 im heutigen Goethe-Haus am Frankfurter Großen Hirschgraben geboren. Der Vater Johann Caspar Goethe (1710–1782) war Jurist, übte diesen Beruf jedoch nicht aus, sondern lebte von den Erträgen seines Vermögens, das später auch dem Sohn ein Leben ohne finanzielle Zwänge ermöglichen sollte.[3] Er war vielseitig interessiert und gebildet, jedoch auch streng und pedantisch, was wiederholt zu Konflikten in der Familie führte.

Goethes Mutter, Catharina Elisabeth Goethe, geb. Textor (1731–1808), entstammte einer wohlhabenden und angesehenen Frankfurter Familie; ihr Vater war als Stadtschultheiß der ranghöchste Justizbeamte der Stadt. Die lebenslustige und kontaktfreudige Frau hatte mit 17 Jahren den damals 38-jährigen Rat Goethe geheiratet. Nach Johann Wolfgang wurden noch vier weitere Kinder geboren, von denen jedoch nur die wenig jüngere Schwester Cornelia das Kindesalter überlebte. Mit ihr stand der Bruder in einem engen Vertrauensverhältnis.

Die Geschwister erhielten eine aufwändige Ausbildung. Von 1756 bis 1758 besuchte Johann Wolfgang eine öffentliche Schule. Danach wurde er gemeinsam mit der Schwester vom Vater sowie durch Hauslehrer unterrichtet. Auf dem Stundenplan standen u. a. Französisch, Englisch, Italienisch, Latein, Griechisch, naturwissenschaftliche Fächer, Religion und Zeichnen. Außerdem lernte er Cello spielen, Reiten, Fechten und Tanzen.

Schon früh kam der Junge in Kontakt mit Literatur. Das begann mit den Gute-Nacht-Geschichten der Mutter und der Bibellektüre in der frommen, lutherisch-protestantischen Familie. Zu Weihnachten 1753 bekam er von der Großmutter ein Puppentheater geschenkt. Das für diese Bühne vorgesehene Theaterstück lernte er auswendig und führte er immer wieder mit Begeisterung gemeinsam mit Freunden auf.[4] Erste Ansätze seiner literarischen Phantasie bewies der kleine Goethe auch mit seinem (nach eigener Aussage) anmaßenden[5] Talent, wunderliche Märchen zu erfinden und seinen staunenden Freunden in der Ich-Form zur spannenden Unterhaltung aufzutischen. Gelesen wurde viel im Hause Goethe; der Vater besaß eine Bibliothek von rund 2000 Bänden. So lernte Goethe schon als Kind unter anderem das Volksbuch vom Dr. Faust kennen. Im Zuge des Siebenjährigen Krieges war von 1759 bis 1761 ein französischer Offizier im Elternhaus einquartiert. Ihm und der mitgereisten Schauspieltruppe verdankte Goethe seine erste Begegnung mit der französischen Dramenliteratur.

Studium und erstes dichterisches Schaffen

Leipzig

Auf Weisung des Vaters begann Goethe im Herbst 1765 ein Jurastudium in Leipzig. Im Gegensatz zum „altfränkischen“ Frankfurt war Leipzig eine mondäne, weltoffene Stadt. Goethe musste sich zunächst in Kleidung und Umgangsformen dem eleganten Lebensstil anpassen, um von seinen neuen Mitbürgern und -bürgerinnen akzeptiert zu werden.

Das Pflichtstudium begann er schon bald zu vernachlässigen. Er gab dem Besuch der Poetikvorlesungen von Christian Fürchtegott Gellert den Vorzug, der jedoch von den poetischen Versuchen seines Schülers wenig hielt. Der Maler Adam Friedrich Oeser, bei dem Goethe den Frankfurter Zeichenunterricht fortsetzte, machte ihn mit dem an der Antike orientierten Kunstideal seines Schülers Johann Joachim Winckelmann bekannt. Oeser förderte zudem Goethes Kunstverständnis und künstlerisches Urteilsvermögen. Bei einem Kupferstecher erlernte Goethe die Techniken des Holzschnitts und der Radierung.

Fern dem Elternhaus genoss der 16- und 17-Jährige größere Freiheiten: Er besuchte Theateraufführungen oder verbrachte die Abende mit Freunden, beispielsweise in Auerbachs Keller. In die Leipziger Zeit fiel Goethes erste Verliebtheit. Die Romanze mit der Handwerkertochter Käthchen Schönkopf wurde nach zwei Jahren im gegenseitigen Einvernehmen wieder gelöst. Die Gefühlsaufwallungen dieser Jahre beeinflussten Goethes Schreibstil; hatte er zuvor schon Gedichte im regelgerechten Stil des Rokoko verfasst, so wurde ihr Tonfall nun freier und stürmischer. Eine Sammlung von 19 Gedichten, abgeschrieben und illustriert von seinem Freund Ernst Wolfgang Behrisch, ergab das Buch Annette. Eine weitere kleine Gedichtsammlung wurde 1769 unter dem Titel Neue Lieder als erstes von Goethes Werken gedruckt.

Im Juli 1768 erlitt Goethe einen „Blutsturz“ (wahrscheinlich Tuberkulose). Wieder halbwegs reisefähig, kehrte er im August ins Elternhaus zurück.

Frankfurt und Straßburg

Die lebensbedrohliche Erkrankung erforderte eine lange Rekonvaleszenz und machte ihn empfänglich für die Vorstellungen des Pietismus, die eine Freundin der Mutter, die Herrnhuterin Susanne von Klettenberg, ihm nahebrachte. Er beschäftigte sich außerdem mit mystischen und alchemistischen Schriften, eine Lektüre, auf die er später im Faust zurückgreifen sollte. Unabhängig davon verfasste er in dieser Zeit sein erstes Lustspiel Die Mitschuldigen.

Im April 1770 setzte Goethe sein Studium in Straßburg fort. Diesmal widmete er sich zielstrebiger den juristischen Studien, fand aber auch Zeit, eine ganze Reihe persönlicher Bekanntschaften anzuknüpfen. Die wichtigste davon war die mit dem Theologen, Kunst- und Literaturtheoretiker Johann Gottfried Herder. Der Ältere öffnete ihm die Augen für die ursprüngliche Sprachgewalt von Autoren wie Homer, Shakespeare und Ossian sowie der Volkspoesie und gab so entscheidende Impulse für Goethes dichterische Entwicklung. Später sollte er auf Goethes Fürsprache hin in weimarische Dienste berufen werden.

Auf einem Ausritt in die Umgebung lernte er in Sessenheim die Pfarrerstochter Friederike Brion kennen und lieben. Bei seiner Abreise aus Straßburg beendete der bindungsscheue junge Goethe die Beziehung; die an Friederike gerichteten Gedichte, die später als Sesenheimer Lieder bekannt wurden (u. a. Willkommen und Abschied, Mailied, Heidenröslein) waren in ihrer Ausdruckskraft „der revolutionäre Beginn einer neuen lyrischen Epoche.[6]“

Im Sommer 1771 reichte Goethe seine juristische Dissertation De legislatoribus ein, die allerdings wegen einiger darin enthaltener gegen die Kirche gerichteter „Ketzereien“[7] nicht angenommen wurde und heute nicht mehr erhalten ist. Die Universität bot ihm jedoch die Möglichkeit, das Lizenziat zu erwerben. Grundlage der Disputation am 6. August 1771, die er „cum applausu“ bestand, waren 56 Thesen in lateinischer Sprache unter dem Titel Positiones Juris. In der vorletzten These spricht er die Streitfrage an, ob eine Kindsmörderin der Todesstrafe zu unterwerfen sei. Das Thema griff er in künstlerischer Form wieder in der Gretchentragödie auf.

Zeit des Sturm und Drang

Zurück in Frankfurt, eröffnete Goethe eine kleine Anwaltskanzlei, die bei bald nachlassendem Interesse und geringem Arbeitseifer des frischgebackenen Juristen vier Jahre lang bis zur Abreise nach Weimar bestehen blieb. Wichtiger als der Anwaltsberuf war Goethe die Dichtung. Ende 1771 brachte er – innerhalb von sechs Wochen – die Geschichte Gottfriedens von Berlichingen mit der eisernen Hand zu Papier. Nach einer Überarbeitung wurde das Drama 1773 als Götz von Berlichingen im Selbstverlag veröffentlicht. Das mit allen überlieferten dramatischen Regeln brechende Werk fand begeisterte Aufnahme und gilt als das Gründungsdokument des Sturm und Drang.[8]

Im Mai 1772 – also zwischen den beiden Niederschriften des Götz – schrieb Goethe sich, wiederum auf Drängen des Vaters, als Praktikant beim Reichskammergericht in Wetzlar ein. Sein dortiger Kollege Johann Christian Kestner beschrieb den damaligen Goethe: „Er besitzt, was man Genie nennt, und eine ganz außerordentliche Einbildungskraft. Er ist in seinen Affekten heftig. Er hat eine edle Denkungsart. Er ist ein Mensch von Charakter. […] Er ist bizarre und hat in seinem Betragen, seinem Äußerlichen verschiedenes, das ihn unangenehm machen könnte. Aber bei Kindern, bei Frauenzimmern und vielen andern ist er doch wohl angeschrieben. Er tut, was ihm gefällt, ohne sich darum zu kümmern, ob es anderen gefällt, ob es Mode ist, ob es die Lebensart erlaubt. Aller Zwang ist ihm verhaßt […].[9]“

Wieder schenkte Goethe den juristischen Studien wenig Aufmerksamkeit. Stattdessen befasste er sich mit den antiken Autoren und verliebte sich in Charlotte Buff, Kestners Verlobte. Als nach wenigen Monaten die Situation zu eskalieren drohte, verließ er Wetzlar fluchtartig. Anderthalb Jahre später verwob er diese Erfahrung sowie weitere eigene und fremde Erlebnisse in dem Roman Die Leiden des jungen Werther, den er Anfang 1774 innerhalb von nur vier Wochen niederschrieb. Das hochemotionale Werk machte seinen Autor binnen kurzem in ganz Europa berühmt. Goethe selbst erklärte den ungeheuren Erfolg des Buches und das von ihm ausgelöste „Wertherfieber“ später damit, dass es genau die Bedürfnisse der damaligen Zeit getroffen habe. Der Dichter selbst rettete sich mit der schöpferischen Arbeit am Werther aus einer eigenen krisenhaften Lebenssituation: „Ich fühlte mich, wie nach einer Generalbeichte, wieder froh und frei, und zu einem neuen Leben berechtigt.[10]“

Die Jahre zwischen der Rückkehr aus Wetzlar und der Abreise nach Weimar gehörten zu den produktivsten in Goethes Leben. Außer dem Werther entstanden die großen Hymnen (u. a. Ganymed, Prometheus und Mahomets Gesang), mehrere Kurzdramen (u. a. das Jahrmarktsfest zu Plundersweilern und Götter, Helden und Wieland) sowie die Dramen Clavigo und Stella. Ein Schauspiel für Liebende. Auch griff Goethe in dieser Zeit zum ersten Mal den Fauststoff auf.

Zu Ostern 1775 verlobte Goethe sich mit der Frankfurter Bankierstocher Lili Schönemann. Die Beziehung litt bald unter der Unvereinbarkeit der Familien in Milieu und Lebensstil, zudem fürchtete der Dichter, eine Ehe mit seinen Lebensplänen nicht vereinbaren zu können. Um Abstand zu gewinnen, folgte er einer Einladung der Brüder Christian und Friedrich Leopold zu Stolberg-Stolberg zu einer mehrmonatigen Reise durch die Schweiz. Im Oktober wurde die Verlobung aufgelöst. Goethe, der unter der Trennung sehr litt, nahm nun eine Einladung des 18-jährigen Herzogs Karl August zu einer Reise nach Weimar an.

Minister in Weimar

Im November 1775 erreichte Goethe Weimar. Die Hauptstadt des Herzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach zählte rund 6.000 Einwohner (das Herzogtum rund 100.000), war aber dank des Wirkens der Herzoginmutter Anna Amalia im Begriff, sich zu einem kulturellen Zentrum zu entwickeln.[11] Goethe gewann schnell das Vertrauen des zehn Jahre jüngeren Herzogs Karl August. Als dieser ihm vorschlug, bei der Leitung des Staates mitzuwirken, nahm Goethe nach einigem Zögern an. Dabei bestimmte ihn das Bedürfnis nach praktisch-wirksamer Tätigkeit: „Wär’s auch nur auf ein paar Jahre, ist doch immer besser als das untätige Leben zu Hause wo ich mit der grössten Lust nichts thun kann. Hier hab ich doch ein paar Herzogthümer vor mir.[12]“

Im Staatsdienst

Gegen den anfänglichen Widerstand des Adels wurde Goethe im Sommer 1776 Geheimer Legationsrat und Mitglied des „Consiliums“, des dreiköpfigen Beratergremiums des Herzogs. Im folgenden Jahr übertrug dieser ihm die Leitung der neugegründeten Bergwerkskommission, 1779 die der Kriegs- und der Wegebaukommission, 1782 das Finanzministerium. Goethe ging mit großem Ehrgeiz ans Werk. Sein Hauptanliegen war es, durch Einschränkung der öffentlichen Ausgaben bei gleichzeitiger Förderung der Wirtschaft den völlig verschuldeten Staatshaushalt zu sanieren. Dies gelang zumindest teilweise, vor allem die Halbierung der „Streitkräfte“ brachte deutliche Einsparungen. Andererseits erwies sich der auf Goethes Initiative sanierte Kupfer- und Silberbergbau in Ilmenau als wenig erfolgreich; die Gruben wurden nach einigen Jahren wieder aufgegeben.

Goethes Wirken im Consilium wird in der Literatur recht unterschiedlich beurteilt. Gilt er einigen Autoren als aufklärerischer Reformpolitiker, der sich u. a. um die Befreiung der Bauern von drückenden Fron- und Abgabenlasten bemühte,[13] so wird von anderen herausgestellt, dass er in amtlicher Funktion sowohl die Zwangsrekrutierung von Landeskindern für die preußische Armee befürwortete als auch Maßnahmen zur Einschränkung der Redefreiheit. In einem anderen Fall votierte er für die Hinrichtung einer ledigen Mutter, die ihr Neugeborenes aus Verzweiflung getötet hatte – im Gegensatz zu der verständnis- und mitleidsvollen Haltung, die er später in der Gretchentragödie zum Ausdruck bringen sollte.[14] Ungewiss ist, ob er dabei aus Überzeugung handelte oder sich höheren Rücksichten beugte.

Seine Hoffnung auf tätiges Wirken im Staatsdienst erfüllte sich letztlich nicht. Die Verzettelung in immer neue Schwierigkeiten wie auch die Erfolglosigkeit vieler seiner Bemühungen bei gleichzeitiger Arbeitsüberlastung führten bald in die Resignation: „Es weis kein Mensch was ich thue und mit wieviel Feinden ich kämpfe um das wenige hervorzubringen.,[15]“ notierte er 1779 im Tagebuch. Goethes amtliche Tätigkeit war mit Standeserhöhungen verbunden; er erhielt den Titel eines Geheimrats, 1782 wurde er in den erblichen Adelsstand erhoben. Zumeist im Rahmen dienstlicher Pflichten unternahm Goethe in seinem ersten Weimarer Jahrzehnt mehrere Reisen, darunter 1779 in die Schweiz sowie mehrmals in den Harz. 1785 begann mit einer Kur in Karlsbad die Gewohnheit jährlicher Badereisen.

Dichtung und Naturwissenschaften

In seinem ersten Weimarer Jahrzehnt veröffentlichte Goethe außer einigen in Zeitschriften verstreuten Gedichten nichts. Die tägliche Arbeit ließ ihm zu ernsthafter dichterischer Tätigkeit wenig Zeit, zumal er auch für die Gestaltung von Hoffesten und die Belieferung des höfischen Liebhabertheaters mit Singspielen und Theaterstücken zuständig war. Zu diesen Gelegenheitsproduktionen, die er oft als eine lästige Pflicht ansah, gehört eine Neufassung des Jahrmarktsfests zu Plundersweilern. Anspruchsvolle Arbeiten dieser Zeit waren eine erste Prosafassung der Iphigenie auf Tauris; er begann außerdem den Egmont, Tasso und Wilhelm Meister. In dieser Zeit entstanden außerdem einige der bekanntesten Gedichte Goethes; neben den Liebesgedichten für Charlotte von Stein (z. B. Warum gabst du uns die tiefen Blicke) waren dies u. a. der Erlkönig, Wandrers Nachtlied, Grenzen der Menschheit und Das Göttliche.

Um 1780 begann Goethe, sich systematisch mit naturwissenschaftlichen Fragen auseinanderzusetzen. Er führte dies später auf seine amtliche Beschäftigung mit Fragen des Berg- und Ackerbaus, der Holzwirtschaft usw. zurück. Sein Hauptinteresse galt zunächst der Geologie und der Mineralogie, der Botanik und der Osteologie. Auf diesem Gebiet gelang ihm 1784 die vermeintliche Entdeckung (in Wirklichkeit Wiederentdeckung)[16] des Zwischenkieferknochens beim Menschen. Im gleichen Jahr schrieb er seinen Aufsatz Über den Granit und plante ein Buch mit dem Titel: Roman der Erde.

Beziehung zu Charlotte von Stein

Die wichtigste und prägendste Beziehung Goethes während dieses Weimarer Jahrzehnts war die zu der Hofdame Charlotte von Stein. Die sieben Jahre Ältere hatte vier ihrer sieben Kinder verloren und lebte in einer Zweckehe. Zirka 1700 Briefe, Billette und „Zettelgen“ Goethes und zahlreiche Gedichte sind die Dokumente einer außergewöhnlich innigen Liebesbeziehung (Frau von Steins Briefe sind nicht erhalten). Es wird darin unter anderem deutlich, dass die Geliebte den Dichter als „Erzieherin“ förderte: Sie brachte ihm höfische Umgangsformen bei, besänftigte seine innere Unruhe, stärkte seine Selbstdisziplin. Die Frage, ob es sich auch um ein sexuelles Verhältnis oder um eine reine „Seelenfreundschaft“ handelte, lässt sich nicht mit Sicherheit beantworten.[17] Die Mehrzahl der Autoren geht davon aus, dass Charlotte von Stein sich den erotischen Wünschen des Geliebten verweigerte. Häufig wird die These des Psychoanalytikers Kurt Eissler[18] vertreten, wonach Goethe erste sexuelle Erfahrungen als 38-jähriger in Rom machte.

Das Verhältnis endete mit Goethes heimlicher Abreise nach Rom 1786, welche die tiefverletzte Frau von Stein ihm nicht verzeihen konnte; sein nach der Rückkehr aufgenommenes Verhältnis mit Christiane Vulpius führte zum völligen Bruch. Erst im Alter fanden beide erneut zu einer freundschaftlichen Beziehung.

Reise nach Italien

1786 geriet Goethe in eine Krise. In seiner amtlichen Tätigkeit hatte er nicht die erhoffte Erfüllung gefunden, die Beziehung zu Charlotte von Stein gestaltete sich zunehmend unbefriedigend, er litt unter den Zwängen des Hoflebens. Vor allem aber war es eine Identitätskrise: Er wusste nicht mehr, was seine eigentliche Bestimmung war und lebte nicht in Übereinstimmung mit sich selbst.[19] Dieser Situation entfloh er durch eine Reise nach Italien. Im September 1786 brach er ohne Abschied auf; nur sein Diener Philipp Seidel war informiert. Die geheime Abreise mit unbekanntem Ziel war wohl Teil einer Strategie, die es Goethe ermöglichen sollte, seine Ämter niederzulegen, das zugehörige Gehalt jedoch weiter zu beziehen.[20] Auch reiste er unter einem Pseudonym, da sich der weltberühmte Autor des Werther anders nicht ohne soziale Kontrolle in der Öffentlichkeit bewegen konnte. Nach Zwischenaufenthalten in Verona, Vicenza und Venedig erreichte Goethe im November Rom. Dort blieb er, mit einem viermonatigen Abstecher nach Neapel und Sizilien, bis Ende April 1788. Nach Zwischenstationen u. a. in Siena, Florenz, Parma und Mailand gelangte er zwei Monate später zurück nach Weimar.

In Rom wohnte Goethe bei dem deutschen Maler Wilhelm Tischbein und stand in regem Austausch mit anderen Mitgliedern der deutschen Künstlerkolonie in Rom, darunter Angelika Kauffmann, Philipp Hackert, Friedrich Bury und dem Schweizer Johann Heinrich Meyer, der ihm später nach Weimar folgen und dort unter anderem sein künstlerischer Berater werden sollte. In freundschaftlicher Verbindung stand er auch mit dem Schriftsteller Karl Philipp Moritz; im Gespräch mit diesem bildeten sich die kunsttheoretischen Anschauungen aus, die später grundlegend für Goethes „klassische“ Auffassung werden sollten.

Goethe lernte in Italien die Bau- und Kunstwerke der Antike und der Renaissance kennen und bewundern; seine besondere Verehrung galt Raffael und dem Architekten Andrea Palladio. Unter Anleitung seiner Künstlerfreunde übte er sich mit großem Ehrgeiz im Zeichnen; etwa 850 Zeichnungen Goethes sind aus der italienischen Zeit erhalten. Erst jetzt entschied er, nicht zum Künstler, sondern zum Dichter geboren zu sein. Auch mit literarischen Arbeiten beschäftigte er sich in Italien: Unter anderem brachte er die bereits in Prosa vorliegende Iphigenie in Versform, vollendete den zwölf Jahre zuvor begonnenen Egmont und setzte den Tasso fort; daneben beschäftigte er sich mit botanischen Studien. Vor allem aber „lebte“ er: „Im Schutze des Inkognitos (den deutschen Freunden war seine wahre Identität jedoch bekannt) konnte er sich in einfachen Gesellschaftsschichten bewegen, seiner Freude an Spielen und Späßen freien Lauf lassen und erotische Erfahrungen machen.[21]“

Die Reise wurde für Goethe zu einem einschneidenden Erlebnis; er selbst sprach von einer „Wiedergeburt“, die er in Italien erfahren habe. An ihrem Ende hatte er sich selber wiedergefunden und beschlossen, seine Tätigkeit künftig auf das zu beschränken, was ihm seinem Wesen gemäß schien.

Zeit der Weimarer Klassik

Beziehung zu Christiane Vulpius

Wenige Wochen nach seiner Rückkehr machte Goethe die 23-jährige Christiane Vulpius zu seiner Geliebten und bald darauf auch Lebensgefährtin. Im Dezember 1789 wurde der Sohn August geboren; vier darauffolgende Kinder sollten jeweils nur einige Tage leben. Noch im Spätsommer 1790 machte Goethe auf seiner Reise nach Schlesien der 21jährigen Henriette von Lüttwitz einen Heiratsantrag. Der wenig gebildeten, aus einfachen Verhältnissen stammenden Christiane blieb der Zugang zur Weimarer Gesellschaft, in der Goethe sich bewegte, verschlossen. Sie galt dort als ordinär und vergnügungssüchtig, erschwerend kam die Illegitimität des unstandesgemäßen Verhältnisses hinzu. Goethe schätzte ihr natürliches, fröhliches Wesen. Er hielt an der Verbindung mit seinem „kleinen Eroticon“ bis an Christianes Lebensende 1816 fest, erleichterte ihre gesellschaftliche Stellung aber erst 1806 durch eine Heirat.

Amtliche Aufgaben und Politik

Nach seiner Rückkehr ließ Goethe sich vom Herzog von den meisten seiner amtlichen Pflichten entbinden; den Sitz im Consilium und damit die Möglichkeit politischer Einflussnahme behielt er jedoch bei. Er übernahm nun eine Reihe von Aufgaben aus dem kulturellen und wissenschaftlichen Bereich, darunter die Leitung der Zeichenschule und die Aufsicht über das öffentliche Bauwesen. Von 1791 bis 1817 leitete er das Weimarer Hoftheater – eine Aufgabe, die viel Zeit in Anspruch nahm, war er doch für sämtliche Belange zuständig, von der Auswahl der Stücke über deren Inszenierung bis zur Finanzplanung. Daneben war Goethe in Angelegenheiten der zum Herzogtum gehörenden Universität Jena beratend tätig. Seiner Unterstützung ist die Berufung einer Reihe namhafter Professoren zu verdanken, darunter Johann Gottlieb Fichte, Georg Hegel, Friedrich Schelling und Friedrich Schiller. Nachdem ihm 1807 die Aufsicht über die Universität übertragen worden war, setzte Goethe sich vor allem für den Ausbau der naturwissenschaftlichen Fakultät ein.

Zu Goethes Pflichten gehörte auch eine dreimonatige Reise nach Venedig 1790, um die von ihrer Italienreise zurückkehrende Herzoginmutter abzuholen. Die Hochstimmung der ersten Italienreise wiederholte sich jedoch nicht, enttäuscht registrierte der Dichter nun auch die politischen und sozialen Missstände im Land.

1789 wurde Europa durch die Französische Revolution erschüttert, der Goethe ablehnend gegenüberstand. Er war ein Befürworter allmählicher Reformen im Sinne der Aufklärung und fühlte sich insbesondere durch die Gewaltexzesse im Gefolge der Revolution abgestoßen; andererseits sah er die Schuld dafür aber beim Ancien Régime. Rückblickend sagte er später: „Auch war ich vollkommen überzeugt, daß irgendeine große Revolution nie Schuld des Volkes ist, sondern der Regierung. Revolutionen sind ganz unmöglich, sobald die Regierungen fortwährend gerecht und fortwährend wach sind, so daß sie ihnen durch zeitgemäße Verbesserungen entgegenkommen und sich nicht so lange sträuben, bis das Notwendige von unten her erzwungen wird.[22]“ 1792 begleitete Goethe den Herzog auf dessen Wunsch in den ersten Koalitionskrieg gegen das revolutionäre Frankreich. Drei Monate lang erlebte er als Beobachter das Elend und die Gewalttaten dieses Krieges, der mit einem französischen Sieg endete. Wiederum drei Monate war der Dichter im Sommer 1793 unterwegs, um auf Wunsch des Herzogs die Belagerung von Mainz mitzuerleben.

1796 trat das Herzogtum dem preußisch-französischen Sonderfrieden von Basel bei. Die nun folgende zehnjährige Friedenszeit ermöglichte mitten im vom Kriegsgeschehen erschütterten Europa die Blüte der Weimarer Klassik.

Naturwissenschaft, Dichtung, Bund mit Schiller

In den Jahren nach seiner Italienreise beschäftigte Goethe sich zunächst vor allem mit der Naturforschung. 1790 veröffentlichte er seinen Versuch die Metamorphose der Pflanzen zu erklären, außerdem begann er mit seinen Untersuchungen zur Farbenlehre, die ihn bis ans Lebensende beschäftigen sollte.

Dagegen gelangte die dichterische Produktion zunächst zu einem gewissen Stillstand; Ursache waren seine Entfremdung vom einstigen Freundeskreis und dessen Desinteresse, die Erschütterungen durch die Revolution und der augenblickliche Publikumserfolg von Werken, die Goethes neu erworbener klassischer Kunstanschauung diametral entgegenstanden.

Zu den Werken der frühen 1790er Jahre gehören die bald nach seiner Rückkehr entstandenen Römischen Elegien, eine Sammlung erotischer Gedichte, die nicht nur die Erinnerung an die amourösen Abenteuer seiner ersten Italienreise, sondern auch den Ausdruck seiner Leidenschaft für Christiane in die Formen antiker Dichtung kleiden. Der zweiten Italienreise entsprangen die Venetianischen Epigramme, eine Sammlung von Bonmots und Spottgedichten auf die europäischen Zustände. 1792/93 setzte er das bekannte Tierepos von Reineke Fuchs in Hexameter. Unter den Eindrücken der Revolution entstand eine Reihe satirischer, antirevolutionärer, aber auch antiabsolutistischer Komödien: Der Groß-Cophta (1791), Der Bürgergeneral (1793) und das Fragment Die Aufgeregten (1793). „Sie alle dokumentieren Goethes scheiterndes Bemühen, revolutionäres Geschehen angemessen in ein Bühnenspiel umzusetzen.[24]“

Im Sommer 1794 bat der als Geschichtsprofessor im nahen Jena (ab Ende 1799 in Weimar) lebende Friedrich Schiller Goethe um dessen Mitarbeit an einer von ihm geplanten Zeitschrift für Kultur und Kunst, den Horen. Die beiden Dichter waren in der Vergangenheit bereits mehrfach zusammengetroffen, ohne dass sich daraus eine engere Beziehung entwickelt hätte. Nach der Zusage Goethes stellten sie nun fest, dass sie in der Ablehnung der Revolution ebenso übereinstimmten wie in der Hinwendung zur Antike als höchstem künstlerischen Ideal; dies war der Beginn eines intensiven Arbeitsbündnisses, aus dem zwar alles Persönlichere ausgeklammert war, das jedoch geprägt war von tiefem Verständnis für das Wesen und die Arbeitsweise des anderen.

In der gemeinsamen Erörterung ästhetischer Grundsatzfragen entwickelten beide eine Literatur- und Kunstauffassung, die als „Weimarer Klassik“ zur literarhistorischen Epochenbezeichnung werden sollte. Goethe, dessen literarisches Schaffen, ebenso wie dasjenige Schillers, zuvor ins Stocken gekommen war, betonte mehrmals die anregende Wirkung der Zusammenarbeit mit dem zehn Jahre Jüngeren: „Sie haben mir eine zweite Jugend verschafft und mich wieder zum Dichter gemacht.[25]“

Beide Dichter nahmen lebhaften theoretischen und praktischen Anteil an den Werken des anderen. So beeinflusste Goethe Schillers Wallenstein, während dieser die Entstehung von Goethes Roman Wilhelm Meisters Lehrjahre kritisch begleitete und ihn zur Fortführung des Faust ermunterte. Wichtig waren auch gemeinsame publizistische Projekte. Zwar beteiligte Schiller sich kaum an Goethes kurzlebiger Kunstzeitschrift Propyläen; dieser jedoch veröffentlichte zahlreiche Werke in den Horen und den ebenfalls von Schiller herausgegebenen Musen-Almanachen. Der Musen-Almanach für das Jahr 1797 brachte eine Sammlung gemeinschaftlich verfasster Spottverse, die Xenien. Im Musen-Almanach des Folgejahres[26] erschienen die berühmtesten Balladen beider Autoren, wie Goethes Der Zauberlehrling, Der Schatzgräber, Die Braut von Korinth, Der Gott und die Bajadere sowie Schillers Der Taucher, Die Kraniche des Ibykus, Der Ring des Polykrates, Der Handschuh und Ritter Toggenburg.

Neben den bereits genannten Werken verfasste Goethe in dieser Periode die Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten und das Versepos Hermann und Dorothea, das aktuelles Zeitgeschehen in das Gewand des klassischen Hexameters kleidet. Mit diesem Werk gelang Goethe der einzige „klassische“ Publikumserfolg.

Mit dem Tod Schillers 1805 endete die prägende Periode der Weimarer Klassik.[27]

Der späte Goethe

Den Tod Schillers im Jahr 1805 empfand Goethe als einschneidenden Verlust. In dieser Zeit setzten ihm zudem verschiedene eigene Krankheiten (Gesichtsrose, Nierenkoliken) zu. Ein tiefer Einschnitt in Goethes Leben war neben dem Verlust des Weggefährten der sich abzeichnende Krieg mit Napoleon Bonaparte. Im Geiste sah Goethe sich mit seinem Herzog bereits bettelnd und asylsuchend durch Deutschland ziehen (seine Neigung zu Pessimismus nannte er seine „schwarze Seite“).

Die feste Eheschließung mit Christiane hinderte Goethe allerdings nicht, bereits 1807 eine tiefe Neigung für Minna Herzlieb, die 18-jährige Pflegetochter des Buchhändlers Frommann in Jena, zu entwickeln. Nachklang der inneren Erlebnisse dieser Zeit ist sein letzter Roman Die Wahlverwandtschaften (1809). Charakteristisch für Goethe ist, wie er in diesem Werk Poesie und Naturforschung verknüpft: in der zeitgenössischen Chemie gebrauchte man den Begriff der „Wahlverwandtschaft“ der Elemente. Goethe wäre gern das allumfassende Universalgenie gewesen, musste aber vor der „millionenfachen Hydra der Empirie“ die Segel streichen. Die Fülle des Stoffs war nicht mehr zu erfassen. Immerhin bereitete er ab 1806 eine neue Gesamtausgabe seiner Werke (bei Cotta in Stuttgart) vor; hierfür schloss er auch endlich den ersten Teil des „Faust“ ab.

1809 begann Goethe eine Autobiographie zu verfassen. Ein Jahr später veröffentlichte er die sehr aufwendig ausgestattete Farbenlehre. Er forschte in den Literaturen des Auslands und aller Zeitalter. Als die Menschen sich gegen die französische Fremdherrschaft erhoben, flüchtete Goethe geistig in den Nahen Orient: Er begann das Studium des Arabischen und Persischen, las im Koran und Verse des persischen Dichters Hafis. Als Bettina Brentano in Weimar auftauchte, half sie mit dem von seiner Mutter erhaltenen Wissen über Goethes Jugend beim Fortgang der Lebensbeschreibung Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Diese Darstellung versah Goethe später mit zahlreichen Nachträgen, unter anderem in den Annalen und in der Italienischen Reise von 1786 bis 1788. Als Sekretär wurde ihm Friedrich Riemer (seit 1805 Erzieher seines Sohnes) bald unentbehrlich; mit Carl Friedrich Zelter, dessen Musik seinen Ohren angenehmer klang als das „Getöse“ Beethovens, begann er einen über 30 Jahre anhaltenden und ausgedehnten Briefwechsel (1799–1832), da er sich von ihm nicht nur in Fragen der Musik aufs freundschaftlichste verstanden fühlte.

1814 reiste Goethe in die Rhein- und Maingegend. In Frankfurt traf er den Bankier Johann Jakob von Willemer und dessen Partnerin Marianne Jung, die wenige Wochen später, noch während Goethes Anwesenheit und auf seinen Rat hin, heirateten. Goethe war zwar 65 Jahre, fühlte sich jedoch keineswegs zu alt und verliebte sich in Marianne. Sie wurde zur Muse und Partnerin in der Dichtung. Goethe besuchte die Willemers im folgenden Jahr wieder – ein letztes Mal sah er die Heimat. Auf die späteren Einladungen der Willemers antwortete er nicht mehr. Aber es entstanden weiter Verse von Nachtigall und Rose, Wein und Liebe, bis er den West-östlichen Divan abschloss. Im Jahre 1850 enthüllte Marianne gegenüber Herman Grimm, dass einige der Liebesgedichte in dieser Sammlung von ihr stammten.

Konzentration und Werkaufarbeitung

1816 starb Goethes Frau Christiane nach langer Krankheit. 1817 konnte er die Leitung des Hoftheaters abgeben. Die Schwiegertochter kümmerte sich fortan um sein Wohl. Das kleine Herzogtum war – entgegen Goethes Befürchtungen – unbeschadet aus den Wirren der napoleonischen Kriege hervorgegangen, Carl August durfte sich sogar „Königliche Hoheit“ nennen. Während es in den Köpfen der Studenten in Jena und anderswo brannte, schuf Goethe Ordnung in seinen Papieren. In diesen Jahren entstand Geschichte meines botanischen Studiums (1817), bis 1824 folgten in der Schriftenreihe Zur Naturwissenschaft überhaupt Gedanken u. a. zu Morphologie, Geologie und Mineralogie. (Hier findet sich auch die Darstellung der Morphologie der Pflanzen in Form einer Elegie, die er bereits um 1790 für seine Geliebte verfasst hatte.) In dieser Zeit stand er auch in Kontakt mit dem Forstwissenschaftler Heinrich Cotta, den er bereits 1813 erstmals in Tharandt aufgesucht hatte.

Er schloss Freundschaft mit Karl Friedrich Reinhard und Kaspar Maria von Sternberg. Zeitweise widmete sich Goethe mystischen Aspekten, die ihren Niederschlag in Urworte. Orphisch fanden. Die Tagebücher und lange liegengebliebene Notizen dienten ihm zur Aufarbeitung der Italienischen Reise. 1821 folgte Wilhelm Meisters Wanderjahre, eine Sammlung kleiner Novellen. Goethe wählte nun Marienbad als Kurort.

Die letzten Werke und Reisen

1823 erkrankte Goethe an einer Herzbeutelentzündung. Nachdem er sich erholt hatte, wurde er geistig lebendiger als zuvor. Der Greis hielt ernsthaft um die Hand der 19-jährigen Ulrike von Levetzow an, die er mit ihrer Mutter in Karlsbad kennengelernt hatte. Sie wies ihn jedoch ab. Auf der Heimreise schrieb er sich die Enttäuschung mit der Marienbader Elegie von der Seele. Dann wurde es immer stiller und friedlicher in ihm und um ihn. Seine Tage verbrachte er immer einsiedlerischer, „allzeit beschäftigt, die Kräfte zu nutzen, die … noch geblieben waren“. Er nahm die Arbeit am zweiten Teil des Faust wieder auf. Er schrieb kaum noch selbst, sondern diktierte. So konnte er nicht nur einen umfangreichen Briefwechsel bewältigen, sondern auch seine Erkenntnisse und Lebensweisheiten in weit ausholenden Gesprächen dem ihm ergebenen jungen Dichter Johann Peter Eckermann anvertrauen.

Im Jahr 1827 empfing Goethe in Weimar den Besuch des bayerischen Königs Ludwig I., der ihm bei dieser Gelegenheit das Großkreuz des Verdienstordens der Bayerischen Krone verlieh.[28] 1828 starb Goethes Gönner Karl August, 1830 musste er den Tod des Sohnes in Rom hinnehmen. In demselben Jahr schloss er die Arbeit am zweiten Teil des Faust ab. Es war ein Werk, an dem ihm das (jahrelange) Werden das Wichtigste war, formal ein Bühnenstück, tatsächlich kaum auf der Bühne spielbar, eher ein phantastischer Bilderbogen, vieldeutig wie viele seiner Dichtungen. Schließlich schaltete er sich noch in die Kontroverse der beiden Paläontologen Georges Cuvier und Etienne Geoffroy Saint-Hilaire (Katastrophismus vs. kontinuierliche Entwicklung der Arten) ein. Geologie und Entwicklungslehre beschäftigten ihn ebenso wie der Regenbogen, den er mittels seiner Farbenlehre nie hatte erklären können. Auch die Frage, wie Pflanzen wachsen, ließ ihn nicht los. Noch wenige Wochen vor seinem Tod diktierte er an Ferdinand Wackenroder:[29]

    „Es interessiert mich höchlich, inwiefern es möglich sei, der organisch-chemischen Operation des Lebens beizukommen, durch welche die Metamorphose der Pflanzen nach einem und demselben Gesetz auf die mannigfaltigste Weise bewirkt wird – allein mir scheint offenbar, daß die durch die Wurzel aufgesogene Feuchtigkeit schon durch sie verändert wird und, wie die Pflanze sich gegen das Licht erhebt. Daher kam der Wunsch, dem Sie so freundlich entgegenarbeiteten, die Luftart, wodurch die Schoten sich aufblähen, näher bestimmt zu sehen.“

Im August 1831 zog es Goethe nochmals in den Thüringer Wald, dahin, wo er einst seine ersten naturwissenschaftlichen Anregungen bekommen hatte, und er begab sich nach Ilmenau. 51 Jahre, nachdem er 1780 an eine Bretterwand in der Jagdhütte „Goethehäuschen“ auf dem Kickelhahn bei Ilmenau sein bekanntes Gedicht Wandrers Nachtlied („Über allen Gipfeln ist Ruh’…“) geschrieben hatte, besuchte er diese Wirkstätte 1831 kurz vor seinem letzten Geburtstag erneut. Tief bewegt las er, laut für sich wiederholend, die letzten Zeilen seiner Gedichtinschrift: „Warte nur, balde ruhest du auch.“

Tod

Am 22. März 1832 starb Goethe, vermutlich an einem Herzinfarkt.[30] Dass seine letzten Worte gelautet haben sollen: „Mehr Licht!“, ist umstritten. Die Aussage geht auf seinen Arzt Carl Vogel zurück, der sich jedoch im betreffenden Moment nicht im Sterbezimmer aufhielt.[31] Goethe wurde am 26. März in der Weimarer Fürstengruft bestattet. Sowohl sein Weimarer Wohnhaus als auch sein Gartenhaus, in denen etliche seiner Werke entstanden sind, zählen heute zum UNESCO-Weltkulturerbe.

Naturwissenschaftliche Arbeiten

Goethes Mittel der Naturerkenntnis war die Beobachtung; Hilfsmitteln, wie z.B. dem Mikroskop, stand er misstrauisch gegenüber: „Der Mensch an sich selbst, insofern er sich seiner gesunden Sinne bedient, ist der größte und genaueste physikalisch Apparat, den es geben kann, und das ist eben das größte Unheil der neueren Physik, daß man die Experimente gleichsam vom Menschen abgesondert hat und bloß in dem, was künstliche Instrumente zeigen, die Natur erkennen, ja, was sie leisten kann, dadurch beschränken und beweisen will.[32]“ Er war bestrebt, die Natur in ihrem Gesamtzusammenhang, der auch den Menschen einschloss, zu erkennen. Die Abstraktion, deren sich die Wissenschaft zu dieser Zeit zu bedienen begann, betrachtete Goethe, wegen der damit verbundenen Isolierung der Objekte vom Betrachter, mit Misstrauen. Goethes Verfahren ist mit der modernen exakten Naturwissenschaft jedoch nicht zu vereinbaren: „[…] er […] hat den Bereich des unmittelbar sinnlichen Eindrucks und der unmittelbar geistigen Anschauung nicht überschritten in Richtung auf eine abstrakte, mathematisch verifizierbare, unsinnliche Gesetzlichkeit.[33]“ stellte der Physiker Hermann von Helmholtz 1853 fest.

Goethes Beschäftigung mit der Naturwissenschaft fand vielfach Eingang in seine Dichtung, so in Teile des Faust und in die Gedichte Die Metamorphose der Pflanzen und Gingo biloba.

Die belebte Natur stellte Goethe sich als in ständigem Wandel begriffen vor. So versuchte er in der Botanik zunächst, die unterschiedlichen Pflanzenarten auf eine gemeinsame Grundform, die „Urpflanze“, zurückzuführen, aus der sich sämtliche Arten entwickelt haben sollten. Später richtete er seine Aufmerksamkeit auf die einzelne Pflanze und glaubte zu erkennen, dass die Teile der Blüte und die Frucht letztlich umgebildete Blätter darstellen. Die Ergebnisse seiner Beobachtungen veröffentlichte er in der Schrift Versuch die Metamorphose der Pflanzen zu erklären (1790).[34] In der Anatomie gelang Goethe 1784, gemeinsam mit dem Anatomieprofessor Justus Christian Loder, zu seiner großen Freude die (vermeintliche) Entdeckung des Zwischenkieferknochens beim menschlichen Embryo (ihm war entgangen, dass der Knochen in der Vergangenheit schon mehrmals beschrieben worden war).[16] Der Zwischenkieferknochen, bis dahin nur bei den Säugetieren bekannt, verwächst beim Menschen vor der Geburt mit den umgebenden Oberkieferknochen. Sein Nachweis beim Menschen galt damals als wichtiges Indiz für dessen – von vielen Wissenschaftlern bestrittene – Verwandtschaft mit den Tieren.

Seine Farbenlehre (erschienen 1810) hielt Goethe für sein naturwissenschaftliches Hauptwerk und verteidigte die darin vertretenen Thesen hartnäckig gegen zahlreiche Kritiker. Im Alter äußerte er, dass er den Wert dieses Werks höher einschätze als den seiner Dichtung. Mit der Farbenlehre stellte Goethe sich gegen diejenige Isaac Newtons, der nachgewiesen hatte, dass das weiße Licht sich aus Lichtern der unterschiedlichen Farben zusammensetzt. Goethe glaubte dagegen aus eigenen Beobachtungen schließen zu können, „daß das Licht eine unteilbare Einheit sei und die Farben aus dem Zusammenwirken von Hellem und Dunklem, Licht und Finsternis entstünden, und zwar durch die Vermittlung eines „trüben“ Mediums.[35]“ So erscheint beispielsweise die Sonne rötlich, wenn sich eine trübe Dunstschicht vor ihr ausbreitet und sie abdunkelt. Schon zu Goethes Zeiten erkannte man allerdings, dass diese Phänomene sich auch mit der Theorie Newtons erklären lassen. Wenn auch die Farbenlehre in ihrem Kern von der Fachwelt schon bald zurückgewiesen wurde, so übte sie doch auf die zeitgenössischen und nachfolgenden Maler, vor allem Philipp Otto Runge, großen Einfluss aus; zudem schuf Goethe damit die Grundlage der Farbpsychologie.

In der Geologie befasste Goethe sich vor allem mit dem Aufbau einer Mineralien-Sammlung, die bei seinem Tode auf 17.800 Steine angewachsen war. Über die Einzelerkenntnis der Gesteinsarten wollte er generelle Einsichten in die materielle Beschaffenheit der Erde und die Erdgeschichte erlangen. Die neuen Erkenntnisse der chemischen Forschung verfolgte er mit großem Interesse und begründete im Rahmen seiner Zuständigkeit für die Universität Jena den ersten Lehrstuhl für Chemie an einer deutschen Hochschule.

Nachkommen

Johann Wolfgang von Goethe und seine Frau Christiane hatten fünf Kinder. Außer August, dem ältesten, wurde eines tot geboren, die anderen starben nach Tagen oder Wochen. August hatte drei Kinder: Walther Wolfgang (* 9. April 1818; † 15. April 1885), Wolfgang Maximilian (* 18. September 1820; † 20. Januar 1883) und Alma Sedina (* 29. Oktober 1827; † 29. September 1844). August starb zwei Jahre vor seinem Vater in Rom. Seine Frau Ottilie von Goethe gebar nach seinem Tod ein weiteres (nicht von August stammendes) Kind namens Anna Sibylle, das nach einem Jahr starb. Ihre Kinder blieben unverheiratet, so dass die direkte Nachkommenslinie von Johann Wolfgang von Goethe 1885 ausstarb. Seine Schwester Cornelia hatte zwei Kinder (Nichten Goethes), deren Nachkommen (Linie Nicolovius) noch heute leben. Siehe Goethe (Familie).

Rezeption

Die Rezeption Goethes als eines Autors, „[…] der wie kaum ein anderer weltweit in alle Lebensbereiche hinein gewirkt und seine prägenden Spuren hinterlassen hat […][36]“, ist außerordentlich vielfältig und geht weit über die literarisch-künstlerische Bedeutung seines Werks hinaus. Sie kann deshalb nur punktuell beleuchtet werden.

Rezeption zu Lebzeiten

Goethe erreichte den Höhepunkt seiner Popularität bereits als 25-Jähriger mit dem Werther. Das Werk fand Zugang zu allen Leserschichten und löste eine breite Auseinandersetzung aus, behandelte es doch „[…] zentrale religiöse, weltanschauliche und gesellschaftspolitische Probleme.[37]“ Die dadurch beim Publikum geweckten Erwartungen wurden durch die nachfolgenden Publikationen jedoch nicht eingelöst. Goethes spätere Werke – mit Ausnahme von Hermann und Dorothea sowie des ersten Teils des Faust – richteten sich an literarisch gebildete Kreise, wurden aber auch dort nicht durchweg verstanden und verkauften sich schleppend. Davon unabhängig begann Anfang des 19. Jahrhunderts eine „[…] immer größere Schichten und Kreise des Publikums erfassende Kanonisierung und Mythisierung Goethes. [Er wurde nun] in der allgemeinen Einschätzung der Deutschen die alles überragende, epochebestimmende Erscheinung in der Geschichte der neueren Dichtung […].[38]“ In Goethes späteren Jahren zog sein Haus einen Besucherstrom von literarisch Gebildeten aus ganz Europa an – ein Beleg für das Interesse, das der Dichter auch im Ausland fand.

Wandel des Goethebildes

Nach des Dichters Tod nahm seine Wertschätzung zunächst ab. Er stand nun im Schatten Schillers, dessen revolutionäre Tendenzen besser in die Zeit des Vormärz passten als die politisch konservative Haltung Goethes. Neben die „Goetheaner“ traten nationale (Ludwig Börne) und kirchliche Kritiker, die ihm mangelnden Patriotismus bzw. mangelnde Religiosität und Sittlichkeit zum Vorwurf machten.

Etwa seit den 1860er Jahren gehört Goethe zum Lektürekanon an deutschen Schulen.[39]

Die Epoche relativer Goetheferne endete mit der Reichsgründung 1871. Der „Olympier“ Goethe wurde nun zum Genius des neuen Reiches erklärt. Beispielhaft dafür stehen die Goethe-Vorlesungen Herman Grimms von 1874/75: „Goethes Arbeit hat den Boden schaffen helfen, auf dem wir säen und ernten. Er gehört zu den vornehmsten Gründern der deutschen Freiheit.“[41] Eine Flut von Goethe-Ausgaben und Goethe-Sekundärliteratur erschien. Seit 1885 widmet sich die Goethe-Gesellschaft der Erforschung und Verbreitung des Goetheschen Werkes; zu ihren Mitgliedern gehörten die Spitzen der Gesellschaft im In- und Ausland, darunter das deutsche Kaiserpaar.

Charakteristisch für den Goethekult des Kaiserreiches war die Verlagerung des Interesses von Goethes Werk auf „das Kunstwerk seines wohlgeführten, bewegten und reichen, und doch durchaus in harmonischer Einheit zusammengehaltenen Lebens“,[42] hinter dem im Allgemeinbewusstsein die dichterische Produktion zu verschwinden drohte. So schrieb der Schriftsteller Wilhelm Raabe 1880: „Goethe ist der deutschen Nation gar nicht der Dichterei usw. wegen gegeben, sondern daß sie aus seinem Leben einen ganzen vollen Menschen vom Anfang bis zum Ende kennenlerne.“[43] Aus dem Studium von Goethes als beispielhaft empfundenem Leben erhoffte man sich Rat und Nutzen für die eigene Lebensführung. Es gab jedoch auch Stimmen, die die Inhaltsleere des Goethekults in Teilen der Bevölkerung herausstellten. Gottfried Keller bemerkte 1884: „Jedes Gespräch wird durch den geweihten Namen beherrscht, jede neue Publikation über Goethe beklatscht – er selbst aber nicht mehr gelesen, weshalb man auch die Werke nicht mehr kennt, die Kenntnis nicht mehr fortbildet.“[44] Und Friedrich Nietzsche schrieb 1878: „[…] Goethe ist in der Geschichte der Deutschen ein Zwischenfall ohne Folgen: wer wäre imstande, in der deutschen Politik der letzten siebenzig Jahre zum Beispiel ein Stück Goethe aufzuzeigen!“[45]

Die Weimarer Republik beschwor Goethe ausdrücklich als geistige Grundlage des neuen Staates. 1919 verkündete der spätere Reichspräsident Friedrich Ebert, jetzt gelte es, die Wandlung zu vollziehen „vom Imperialismus zum Idealismus, von der Weltmacht zur geistigen Größe.[…] Wir müssen die großen Gesellschaftsprobleme in dem Geiste behandeln, in dem Goethe sie im zweiten Teil des Faust und in Wilhelm Meisters Wanderjahren erfaßt hat.“[46] Praktische Wirkung hatte dieses Bekenntnis jedoch nicht. Von der politischen Linken wurde Goethe in der Weimarer Zeit kritisiert: „War er am Ende wirklich, wie die ihn nicht gelesen habenden, naiven Marxisten meinen, eben nur ein Heros des Bürgertums, der Mitschöpfer einer subalternen, kurzfristigen, heute längst schon wieder abgeblühten Ideologie?“,[47] fragte Hermann Hesse 1932.

Der Nationalsozialismus äußerte sich wenig zu Goethe. Dessen Humanismus, sein Kosmopolitismus und sein „Bildungsideal des auf sich selbst gestellten, sich selbst vollendenden Menschen “[48] sperrte sich der Vereinnahmung durch die faschistische Ideologie. Alfred Rosenberg erklärte 1930 in seinem Buch Der Mythus des 20. Jahrhunderts, dass Goethe für die kommenden Zeiten erbitterter Kämpfe nicht brauchbar sei, „weil ihm die Gewalt einer typenbildenden Idee verhaßt war und er sowohl im Leben wie im Dichten keine Diktatur eines Gedankens anerkennen wollte […].“[49]

In den beiden deutschen Staaten nach 1945 erfuhr Goethe eine Renaissance. Er erschien nun als Repräsentant eines besseren, humanistischen Deutschland, der über die zurückliegenden Jahre der Barbarei hinwegzutragen schien. Jedoch stand die Goethe-Aneignung in Ost und West unter unterschiedlichen Vorzeichen. In der DDR etablierte sich, inspiriert vor allem durch Georg Lukács, eine marxistisch-leninistische Interpretation. Der Dichter wurde nun zum Verbündeten der französischen Revolution und Wegbereiter der Revolution von 1848/49 erklärt, sein Faust zur „Produktivkraft für die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft“.[50] Dagegen knüpfte man in der Bundesrepublik an das traditionelle Goethebild an. Ab dem Ende der 1960er Jahre wurde hier im Zuge der „Klassikschelte“ auch Goethe als nicht mehr zeitgemäß in Frage gestellt.

Goethes intensive und fortwährende Auseinandersetzung mit dem Islam und dessen „Heiliger Schrift“, dem Koran, hat schon zu lebhaften Kontroversen geführt. Der Goethe-Forscherin Katharina Mommsen zufolge ging Goethes religiöse Affinität zum Koran sowie seine persönliche Sympathie für den Propheten Mohammed weit über das Toleranzbestreben der Aufklärungsbewegung hinaus.[51][52][53] Einer bestimmten Religionsgemeinschaft hat Goethe sich indes offenbar nie völlig anschließen können.

Einfluss auf Literatur und Musik

Goethes Einfluss auf die deutschen Dichter und Schriftsteller, die nach ihm kamen, ist allgegenwärtig,[54] sodass hier nur einige Autoren genannt werden können, die sich mit ihm und seinem Werk in besonderem Maße auseinandersetzten.

Die Dichter und Schriftsteller der Romantik knüpften an den Gefühlsüberschwang des Sturm und Drang an. Franz Grillparzer bezeichnete Goethe verschiedentlich als sein Vorbild und teilte mit diesem neben bestimmten stilistischen Gepflogenheiten die Abneigung gegen politischen Radikalismus jeglicher Art. Friedrich Nietzsche verehrte Goethe sein Leben lang und fühlte sich besonders in seiner skeptischen Haltung zu Deutschland und zum Christentum als dessen Nachfolger. „Goethe kann als Grundlage der Bildung eine ganze Kultur ersetzen,[45]“ und „Von Goethes Sprüchen in Prosa geht heute vielleicht mehr Lehrkraft aus als von sämtlichen deutschen Universitäten,[55]“ schrieb Hugo von Hofmannsthal 1922. Er verfasste zahlreiche Aufsätze zu Goethes Werk. Thomas Mann empfand für Goethe tiefe Sympathie. Er fühlte sich ihm wesensverwandt nicht nur in seiner Rolle als Dichter, sondern auch in einer ganzen Reihe von Charakterzügen und Gewohnheiten. Thomas Mann verfasste zahlreiche Essays und Aufsätze zu Goethe und hielt die zentralen Reden zu den Goethe-Jubiläumsfeiern 1932 und 1949. In seinem Roman Lotte in Weimar lässt er den Dichter lebendig werden, mit dem Roman Doktor Faustus griff er den Fauststoff erneut auf. „Unter allen deutschen Dichtern ist Goethe derjenige, dem ich am meisten verdanke, der mich am meisten beschäftigt, bedrängt, ermuntert, zu Nachfolge oder Widerspruch gezwungen hat,[56]“ schrieb Hermann Hesse, der sich immer wieder mit Goethe auseinandersetzte; so wandte er sich in einer Szene seines Steppenwolfs gegen eine Verfälschung des Goethebildes. Ulrich Plenzdorf übertrug in seinem Roman Die neuen Leiden des jungen W. das Werther-Geschehen in die DDR der 1970er Jahre.

Dem Theologen, Philosophen und Arzt Albert Schweitzer schließlich wurde Goethe „zum Vorbild eines Menschen, der Sorge um andere nicht auf sich beruhen, sondern durch Hilfeleistung fruchtbar werden ließ […].[57]“ Für Schweitzer war Goethe Mentor und Tröster in schwierigen Zeiten.

Zahlreiche Gedichte Goethes wurden – vor allem von Komponisten des 19. Jahrhunderts – vertont, wodurch der Dichter die Entwicklung des Kunstliedes förderte. Der produktivste unter den musikalischen Goethe-Interpreten war Franz Schubert mit rund 80 Goethe-Vertonungen, darunter die populär gewordenen Heidenröslein, Gretchen am Spinnrade und der Erlkönig. Felix Mendelssohn Bartholdy, mit Goethe persönlich bekannt, vertonte die Ballade Die erste Walpurgisnacht. Auch Robert Schumann hinterließ Goethe-Vertonungen, ebenso Hugo Wolf; dieser widmete sich unter anderem Gedichten aus dem Wilhelm Meister und dem West-östlichen Divan.

Rezeption als Naturwissenschaftler

Goethes naturwissenschaftliche Arbeit wurde von den zeitgenössischen Fachkollegen anerkannt und ernstgenommen; er stand in Kontakt mit angesehenen Forschern wie dem Naturforscher Alexander von Humboldt, dem Arzt Christoph Wilhelm Hufeland und dem Chemiker Johann Wolfgang Döbereiner.[58] In der Fachliteratur wurden seine Schriften, allen voran die Farbenlehre, von Beginn an kontrovers diskutiert; mit der Fortentwicklung der Naturwissenschaften wurden Goethes Theorien in weiten Teilen als überholt betrachtet. Eine vorübergehende Renaissance erfuhr er ab 1859, dem Erscheinungsjahr von Charles Darwins Werk Die Entstehung der Arten. Goethes Annahme eines ständigen Wandels der belebten Welt und der Zurückführbarkeit der organischen Formen auf eine gemeinsame Urform führte nun dazu, dass er als ein Vordenker der Evolutionstheorie galt.[59]

1883–1897 gab Rudolf Steiner Goethes naturwissenschaftliche Schriften heraus. Er erkannte in dem ganzheitlichen Erkenntnisverfahren Goethes eine Alternative zur zeitgenössischen materialistisch-mechanischen Naturauffassung, Gedanken, die er als Goetheanismus in die später von ihm begründete Anthroposophie einfließen ließ. Seither gewann Goethes ganzheitliche, den Menschen einschließende Methode der Naturerkenntnis – obwohl deren Ergebnisse im engeren Sinne dem Stand der Wissenschaft nicht mehr entsprachen – immer dann an Aktualität, wenn im öffentlichen Diskurs nach Alternativen zu dem mechanistischen Weltbild der modernen Naturwissenschaft und ihrer auf Entseelung gerichteten Technisierung gesucht wurde. So zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch den Schriftsteller Houston Stewart Chamberlain und wiederum seit den 1980er-Jahren im Rahmen der New-Age-Bewegung.

Werke (Auswahl)

Es war eine der besonderen Eigenarten Goethes, begonnene Dichtungen oft Jahre, manchmal jahrzehntelang liegen zu lassen, bereits gedruckte Werke erheblichen Umarbeitungen zu unterwerfen und manches Fertiggestellte erst nach langer Zeit in den Druck zu geben. Eine Datierung der Werke nach Entstehungszeit ist deshalb manchmal sehr schwierig. Die Liste orientiert sich am (vermuteten) Zeitpunkt der Entstehung.

Dramen

  • Die Laune des Verliebten (Schäferspiel), verfasst 1768, im Druck 1806
  • Die Mitschuldigen (Lustspiel), begonnen 1769, im Druck 1787
  • Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand (Schauspiel), 1773
  • Ein Fastnachtsspiel vom Pater Brey, 1774
  • Jahrmarktsfest zu Plundersweilern, (Farce), 1774
  • Hanswursts Hochzeit, (Farce), 1775
  • Götter, Helden und Wieland (Farce), 1774
  • Clavigo (Trauerspiel), 1774
  • Egmont (Trauerspiel), begonnen 1775, im Druck 1788. Neueste Ausgabe: S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2010. ISBN 978-3-596-90157-9
  • Erwin und Elmire (Schauspiel mit Gesang), 1775
  • Die Geschwister. Ein Schauspiel in einem Akt, 1776. Neueste Ausgabe: Dodo Press, Gloucester 2009. ISBN 978-1-4099-2326-8
  • Stella. Ein Schauspiel für Liebende, 1776. Neueste Ausgabe: Hamburger Lesehefte Verlag, Husum 2010. 978-3-87291203-9
  • Der Triumph der Empfindsamkeit (Eine dramatische Grille), verfasst 1777
  • Proserpina (Monodram), 1778/1779
  • Iphigenie auf Tauris (Drama), Prosafassung 1779, im Druck 1787. Neueste Ausgabe: Suhrkamp Verlag, Berlin 2011. ISBN 978-3-518-18903-0
  • Torquato Tasso (Drama), ab 1780, im Druck 1790. Neueste Ausgabe: S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2010. ISBN 978-3-596-90157-9
  • Faust. Ein Fragment, 1790
  • Der Groß-Cophta (Lustspiel), 1792. Neueste Ausgabe: Reclam-Verlag, Ditzingen 1989. ISBN 978-3-15-008539-4.
  • Der Bürgergeneral (Lustspiel), 1793
  • Faust. Eine Tragödie., ab 1797, im Druck unter diesem Titel zuerst 1808 erschienen. Neueste Ausgabe: Hamburger Lesehefte Verlag, Husum 2010. ISBN 978-3-87291-028-8
  • Mahomet der Prophet, Übersetzung und Bearbeitung einer Tragödie von Voltaire, 1802. Neueste Ausgabe: Das Arsenal, Berlin 2010. ISBN 978-3-931109-45-5
  • Die natürliche Tochter (Trauerspiel), 1803. Neueste Ausgabe: Reclam-Verlag, Ditzingen 1986. ISBN 978-3-15-000114-1
  • Pandora. Ein Festspiel, entstanden 1807/08, im Druck 1817. Neueste Ausgabe: Insel-Verlag, Frankfurt am Main 1992. ISBN 978-3-458-16345-9
  • Faust. Der Tragödie zweiter Teil., 1832 (postum veröffentlicht). Neueste Ausgabe: S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2010. ISBN 978-3-596-90284-2

Romane und Novellen

  • Die Leiden des jungen Werthers (Briefroman), 1774, 2. Fassung 1787
  • Wilhelm Meisters theatralische Sendung („Urmeister“, Roman), ab 1776, Im Druck 1911
  • Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten (Rahmenerzählung), 1795
  • Wilhelm Meisters Lehrjahre, 1795/96 (Text)
  • Novelle, ab 1797
  • Wilhelm Meisters Wanderjahre (Roman), ab 1807, im Druck 1821, erweiterte Fassung 1829 (Text)
  • Die Wahlverwandtschaften, 1809 (Text)

Versepen

  • Reineke Fuchs (Tierepos), 1794
  • Hermann und Dorothea (Idylle in Hexametern), 1798

Gedichte

  • 1771: Mailied
  • 1774: Prometheus
  • 1774/1775: Vor Gericht (Gedicht)
  • 1777: An den Mond
  • 1782: Der Erlkönig (Ballade)
  • 1797: Der Zauberlehrling und Der Schatzgräber (Balladen)
  • 1799: Die erste Walpurgisnacht (Ballade, von Felix Mendelssohn Bartholdy in Form einer Kantate für Soli, Chor und Orchester vertont)
  • 1815: Totentanz
  • 1828: Dem aufgehenden Vollmonde (Gedichte, Dornburg 25. August 1828)

Gedichtzyklen und Epigramm-Sammlungen

  • Römische Elegien, 1788–90
  • Venezianische Epigramme, 1790
  • Xenien (Epigramme, zusammen mit Friedrich Schiller), veröffentlicht 1796
  • West-östlicher Divan, erschienen 1819, erweitert 1827

Aufzeichnungen und Aphorismen

  • Einzelheiten, Maximen und Reflexionen, 1833 (posthum veröffentlicht)
  • Ästhetische Schriften
  • Über den Dilettantismus (Fragment, zusammen mit Friedrich Schiller), 1799
  • Über Kunst und Altertum (6 Bde., zusammen mit Johann Heinrich Meyer), 1816–32

Naturwissenschaftliche Schriften

  • Die Schriften zur Naturwissenschaft. (Im Auftrage der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina begründet von K. Lothar Wolf und Wilhelm Troll.) Vollständige, mit Erläuterungen versehene Ausgabe von Dorothea Kuhn, Wolf von Engelhardt u. Irmgard Müller. Weimar 1947ff., ISBN 3-7400-0024-4. URL
  • Über den Granit 1784
  • Über den Zwischenkiefer der Menschen und der Tiere, 1786
  • Beiträge zur Optik (Abhandlungen, 2 Bde.), 1791/92
  • Zur Farbenlehre (wiss. Abhandlung), 1810

Autobiographische Prosa

  • Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit (autobiografische Dichtung, 4 Bde.), 1811–33
  • Italienische Reise, 1816/17
  • Kampagne in Frankreich (Bericht), 1822

Literatur

Werkausgaben

  • Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche, Frankfurter Ausgabe in 40 Bänden, einschließlich der amtlichen Schriften und der Zeichnungen, mit Kommentar und Registern (die vollständigste aktuelle Gesamtausgabe der Werke Goethes), Deutscher Klassiker Verlag, Frankfurt/Main 1985 ff., ISBN 3-618-60213-8.
  • Sämtliche Werke, Münchner Ausgabe in 20 Bänden, herausgegeben von Karl Richter neueste Auflage 1986 im Carl Hanser Verlag erschienen, München, ISBN 3-446-13285-6.
  • Goethes Werke, Hamburger Ausgabe in 14 Bänden, mit Kommentar und Registern, herausgegeben von Erich Trunz, C. H. Beck, München 1982–2008, ISBN 978-3-406-08495-9.
  • Goethes Werke, Weimarer Ausgabe (oder Sophienausgabe) in 143 Bänden. Hrsg. von Paul Raabe. Deutscher Taschenbuch Verlag, ISBN 3-423-05911-7.

Sekundärliteratur (Auswahl)

Übersichten/Bibliographien

  • Literatur von und über Johann Wolfgang von Goethe im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
  • Jörg Drews: Sichtung und Klarheit – Kritische Streifzüge durch die Goethe-Ausgaben und die Goethe-Literatur der letzten fünfzehn Jahre. P. Kirchheim Verlag, München 1999, ISBN 3-87410-082-0.
  • Helmut G. Hermann (Zusammenstellung): Goethe-Bibliographie – Literatur zum dichterischen Werk. Reclam, Stuttgart 1991, ISBN 3-15-008692-2.

Lexika und Nachschlagewerke

  • Effi Biedrzynski: Goethes Weimar – Das Lexikon der Personen und Schauplätze. Artemis&Winkler, Zürich 1992, ISBN 3-7608-1064-0.
  • Richard Dobel: Lexikon der Goethe-Zitate, Deutscher Taschenbuch Vlg., München 1995, ISBN 3-423-03361-4.
  • Martin Müller: Goethes merkwürdige Wörter. 2. Auflage. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2006, ISBN 978-3-534-19078-2.
  • Rose Unterberger: Die Goethe-Chronik. Insel, Frankfurt am Main 2002, ISBN 3-458-17100-2.
  • Gero von Wilpert: Goethe-Lexikon. Kröner, Stuttgart 1998, ISBN 3-520-40701-9.
  • Bernd Witte/Theo Buck/Hans-Dietrich Dahnke/Regine Otto/Peter Schmidt (Hrsg.): Goethe-Handbuch, Sonderausgabe 6 Bände incl. Registerband, gesamt 3696 Seiten, Vlg. J. B. Metzler, Stuttgart 2004, Sammel-ISBN 978-3-476-02022-2.
  • Wolfgang Kohlhammer: Goethe Wörterbuch. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, der Akademie der Wissenschaften in Göttingen und der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart.

Einführungen

  • Peter Boerner: Johann Wolfgang von Goethe, Rowohlt Monographie 50577, Rowohlt Tb.-Vlg., Reinbek 2004 (5.überarb. Neuausgabe), ISBN 978-3-499-50577-5.
  • Dieter Borchmeyer: Goethe. Reihe DuMont Schnellkurs, DuMont Literatur und Kunst Verlag, Köln 2005, ISBN 3-8321-7628-4.
  • Peter Matussek: Goethe zur Einführung. 2. Auflage. Junius, Hamburg 2002, ISBN 3-88506-972-5.
  • Gero von Wilpert: Die 101 wichtigsten Fragen: Goethe, C.H. Beck, München 2007, ISBN 978-3-406-55872-6

Briefsammlungen

  • Hans Gerhard Gräf (Hrsg.): Goethes Ehe in Briefen. Insel, Frankfurt a. M. 1998, ISBN 3-458-33325-8.
  • Karl Robert Mandelkow, Bodo Morawe (Hrsg.): Goethe, Johann Wolfgang von: Briefe und Briefe an Goethe. 6 Bände, Beck, München 1988, ISBN 978-3-406-33048-3.

Gespräche

  • Schönberger, Otto (Hrsg.): Johann Peter Eckermann: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Reclam, Ditzingen 1994, ISBN 978-3-15-002002-9.

Leben und Werk

  • Albert Bielschowsky: Goethe, sein Leben und seine Werke. 43. Auflage. 2 Bände, Beck, München 1925.
  • Dieter Borchmeyer: Goethe. Der Zeitbürger. Hanser, München u. Wien 1999, ISBN 978-3-446-19643-8.
  • Nicholas Boyle: Goethe. Der Dichter in seiner Zeit. Aus dem Engl. übers. von Holger Fliessbach. 2 Bände, Insel, Frankfurt am Main 2004.
  • Karl Otto Conrady: Goethe – Leben und Werk. Artemis, Zürich 1994.
  • Richard Friedenthal: Goethe – sein Leben und seine Zeit. 15. Auflage. Piper, München 2005, ISBN 978-3-492-20248-0.
  • Bernd Hamacher: Johann Wolfgang von Goethe. Entwürfe eines Lebens, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2010, ISBN 978-3-534-21561-4.
  • Erich Heller: Essays über Goethe. Insel-Verlag, Frankfurt am Main 1970.

Leben und Werk im Bild

  • Jörn Göres (Hrsg.): Goethes Leben in Bilddokumenten, Bechtermünz Vlg., Augsburg 1999, ISBN 3-8289-0236-7.
  • Christoph Michel (Hrsg.): Goethe – Sein Leben in Bildern und Texten. 2. Auflage. Insel, Frankfurt am Main 1982, ISBN 3-458-04768-9.

Lebensabschnitte

  • Theo Buck: Der Poet, der sich vollendet. Goethes Lehr- und Wanderjahre. Böhlau, Köln, Weimar u. Wien 2008, ISBN 978-3-412-20091-6.
  • Sigrid Damm: Christiane und Goethe: Eine Recherche, 7. Auflage, Frankfurt am Main 2001. ISBN 978-3-458-34500-8.
  • Sigrid Damm: Goethes letzte Reise Frankfurt am Main 2007. ISBN 3-458-17370-6.
  • Rüdiger Safranski: Goethe und Schiller. Geschichte einer Freundschaft. Hanser, München 2009, ISBN 978-3-446-23326-3.
  • Johannes Urzidil: Goethe in Böhmen, 3. Aufl., Artemis Verlag, Zürich u. München 1982, ISBN 3-7608-0251-6.
  • Roberto Zapperi: Das Inkognito – Goethes ganz andere Existenz in Rom, C.H. Beck Verlag, München 1999, ISBN 3-406-44587-X.

Naturkunde und Wissenschaft

  • Aeka Ishihara: Goethes Buch der Natur. Königshausen&Neumann, Würzburg 2005, ISBN 3-8260-2994-1.
  • Otto Krätz: Goethe und die Naturwissenschaften. Callwey, München 1992.
  • Elmar Mittler, Elke Purpus, Georg Schwedt: »Der gute Kopf leuchtet überall hervor«. Goethe, Göttingen und die Wissenschaft. Wallstein Verlag, Göttingen, 1999, ISBN 3-89244-367-X.
  • Maren Partenheimer: Goethes Tragweite in der Naturwissenschaft. Duncker&Humblot, Berlin 1989.
  • Georg Schwedt: Goethe als Chemiker. Springer, Berlin 1998, ISBN 3-540-64354-0.
  • Wolfram Voigt, Ulrich Sucker: Johann Wolfgang von Goethe. Teubner, Leipzig 1987.(Biographien hervorragender Naturwissenschaftler, Techniker und Mediziner, Bd. 38).

Politik

  • Hans Tümmler: Goethe als Staatsmann, Verlag Musterschmidt, Göttingen 1976, o.ISBN.
  • Ekkehart Krippendorff: Wie die Großen mit den Menschen spielen - Versuch über Goethes Politik, Suhrkamp Verlag Frankfurt a. Main 1988, ISBN 3-518-11486-7.
  • Wolfgang Rothe: Der politische Goethe, Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1998, ISBN 3-525-01220-9.
  • W. Daniel Wilson: Das Goethe-Tabu – Protest und Menschenrechte im klassischen Weimar, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1999, ISBN 3-423-30710-2.

Psychologische Aspekte

  • Kurt R. Eissler: Goethe – Eine psychoanalytische Studie • 1775–1786, Bd.1 (Seiten 1-790), Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1987, ISBN 3-423-04457-8.
  • ders.: Goethe – Eine psychoanalytische Studie • 1775–1786, Bd.2 (Seiten 791–1802), Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1987, ISBN 3-423-04457-8.
  • Rainer J. Kaus: Der Fall Goethe – ein deutscher Fall • Eine psychoanalytische Studie, Universitätsverlag C. Winter, Heidelberg 1994, ISBN 3-8253-0241-5.
  • Josef Rattner: Goethe, Leben, Werk und Wirkung in tiefenpsychologischer Sicht. Königshausen & Neumann, Würzburg 1999, ISBN 3-8260-1660-2.

Weitere Basisliteratur

  • Peter Meuer (Hrsg.): Abschied und Übergang – Goethes Gedanken über Tod und Unsterblichkeit, Verlag Artemis & Winkler, Zürich 1993, ISBN 3-7608-1081-0.
  • Katharina Mommsen: Goethe und die arabische Welt. Insel Verlag, Frankfurt/Main 1988.
  • Katharina Mommsen: Goethe und der Islam. Insel Verlag, Frankfurt/Main & Leipzig 2001, ISBN 3-458-34350-4.
  • Hans-Joachim Simm (Hrsg.): Goethe und die Religion, Insel Vlg., Frankfurt am Main/Leipzig 2000, ISBN 3-458-33900-0.
  • Renate Wieland: Schein Kritik Utopie. Zu Goethe und Hegel. Edition text + kritik, München 1992, ISBN 3-88377-419-7.
  • Emil Schaeffer/Jörn Göres: Goethe – seine äußere Erscheinung. Insel Verlag, Frankfurt/Main 1980. ISBN 3-458-33975-2.

Filme mit Goethe als Hauptfigur

  • Goethe in Weimar. Dokumentation, 60 Min., Buch und Regie: Gabriele Dinsenbacher, Produktion: SWR, Erstsendung: 10. Juli 1999, Inhaltsangabe von Presseportal SWR-Südwestrundfunk (Wdh. v. 23. Februar 2007), abgerufen: 16. September 2009
  • Goethe!. Spielfilm (2010) von Philipp Stölzl über Goethes Zeit in Wetzlar. Hauptrolle: Alexander Fehling

Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. ↑ Es handelt sich, wie der Dichter selbst anmerkte, um eine idealisierende Darstellung. Wie Stieler berichtet, habe Goethe gesagt: „Sie zeigen mir, wie ich sein könnte. Mit diesem Manne auf dem Bilde ließe sich wohl gerne ein Wörtchen sprechen. Er sieht so schön aus, dass er wohl noch eine Frau bekommen könnte.“ Zitiert nach: Emil Schaeffer, Jörn Göres: Goethe – seine äußere Erscheinung, S. 179.
  2. ↑ Dieter Borchmeyer: Schnellkurs Goethe, S. 15
  3. ↑ Klaus Seehafer: Mein Leben, ein einzig Abenteuer – Johann Wolfgang Goethe, Biografie, S. 12.
  4. ↑ Vgl. hierzu Goethe, Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit, 1. Teil, 2. Buch, in: Goethes Werke, hg. von Gerhard Fricke, Tübingen, 7. Band, S. 38.
  5. ↑ Vgl. hierzu Goethe, Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit, 1. Teil, 2. Buch, in: Goethes Werke, hg. von Gerhard Fricke, Tübingen, 7. Band, S. 39.
  6. ↑ Dieter Borchmeyer: Schnellkurs Goethe, S. 31.
  7. ↑ Dieter Borchmeyer: Schnellkurs Goethe, S. 28.
  8. ↑ Dieter Borchmeyer: Schnellkurs Goethe, S. 35.
  9. ↑ In: Klaus Seehafer: Mein Leben, ein einzig Abenteuer – Johann Wolfgang Goethe, Biografie, S.  105.
  10. ↑ Dichtung und Wahrheit, zitiert nach: Karl Otto Conrady: Goethe – Leben und Werk, Bd. 1, S. 212.
  11. ↑ Anna Amalia gelang es nach dem frühen Tode ihres Gemahls nicht nur, ihr Herzogtum 17 Jahre lang mit großer Umsicht zu regieren, sondern auch Künstler und Wissenschaftler an ihren „Musenhof“ zu holen und nach Kräften zu fördern. Den damals schon bekannten Dichter Wieland berief sie sogar zum Erzieher ihrer beiden Söhne.
  12. ↑ In einem Brief an Johanna Fahlmer von 1776, in: Klaus Seehafer, Mein Leben, ein einzig Abenteuer – Johann Wolfgang Goethe, Biografie, S. 141.
  13. ↑ Dieter Borchmeyer: Schnellkurs Goethe, S. 52.
  14. ↑ W. Daniel Wilson: Das Goethe-Tabu – Protest und Menschenrechte im klassischen Weimar, S. 47ff, 76ff und 7f.
  15. ↑ In: Karl Otto Conrady: Goethe – Leben und Werk, Band I, S. 348.
  16. ↑ a b Klaus Seehafer: Mein Leben, ein einzig Abenteuer – Johann Wolfgang Goethe, Biografie, S. 180.
  17. ↑ Helmut Koopmann: Goethe und Frau von Stein – Geschichte einer Liebe, S. 254ff.
  18. ↑ Kurt R. Eissler: Goethe. Eine psychoanalytische Studie 1775–1786.
  19. ↑ Karl Otto Conrady: Goethe – Leben und Werk, Band I, S. 438.
  20. ↑ Roberto Zapperi: Das Inkognito – Goethes ganz andere Existenz in Rom, S. 8ff.
  21. ↑ Roberto Zapperi: Das Inkognito – Goethes ganz andere Existenz in Rom, S. 95ff, S. 133ff.
  22. ↑ Im Gespräch mit Eckermann am 27. April 1825, zitiert nach: Karl Otto Conrady: Goethe – Leben und Werk, Band II, S. 41f.
  23. ↑ „… was das Äußere betrifft, so sagen die Leute, ich sei nach und nach dick geworden …“: aus einem Schreiben Goethes an Kestner 1798, zitiert nach: Emil Schaeffer, Jörn Göres: Goethe – seine äußere Erscheinung, S. 105.
  24. ↑ Karl Otto Conrady: Goethe – Leben und Werk, Band II, S. 31f.
  25. ↑ In einem Brief an Schiller vom 6. Januar 1798, zitiert nach: Karl Otto Conrady: Goethe – Leben und Werk, Band II, S. 106.
  26. ↑ Musen-Almanach für das Jahr 1798, Wiedergabe des Inhalts.
  27. ↑ Dieter Borchmeyer: Schnellkurs Goethe, S. 130.
  28. ↑ http://www.xxx
  29. ↑ Georg Schwedt: Goethe als Chemiker. Springer, Berlin 1998
  30. ↑ Klaus Seehafer: Mein Leben, ein einzig Abenteuer – Johann Wolfgang Goethe, Biografie, S. 458.
  31. ↑ Carl Vogel: Die letzte Krankheit Goethe's (…), in: Journal der practischen Heilkunde (1833).
  32. ↑ Maximen und Reflexionen, in: Karl Otto Conrady: Goethe – Leben und Werk, Band 2, S. 265.
  33. ↑ Hermann von Helmholtz: Ueber Goethe's naturwissenschaftliche Arbeiten, 1853, in: Karl Robert Mandelkow: Goethe in Deutschland – Rezeptionsgeschichte eines Klassikers, Band I, S. 183.
  34. ↑ Versuch die Metamorphose der Pflanzen zu erklären, Wiedergabe des Textes im Projekt Gutenberg.
  35. ↑ Karl Otto Conrady: Goethe – Leben und Werk, Band 2, S. 263.
  36. ↑ Karl Robert Mandelkow: Goethe in Deutschland – Rezeptionsgeschichte eines Klassikers, Band I, S. 11.
  37. ↑ Karl Robert Mandelkow: Goethe in Deutschland – Rezeptionsgeschichte eines Klassikers, Band I, S. 41.
  38. ↑ Karl Robert Mandelkow: Goethe in Deutschland – Rezeptionsgeschichte eines Klassikers, Band I, S. 65.
  39. ↑ Wolfgang Leppmann: Goethe und die Deutschen, S. 169ff.
  40. ↑ Aus dieser extrem tiefen Perspektive scheint der Lorbeerkranz, den Goethe in der rechten Hand hält, sein Haupt einzurahmen.
  41. ↑ Zitiert nach: Karl Robert Mandelkow: Goethe in Deutschland – Rezeptionsgeschichte eines Klassikers, Band I, S. 207.
  42. ↑ David Friedrich Strauß 1872, zitiert nach: Karl Robert Mandelkow: Goethe in Deutschland – Rezeptionsgeschichte eines Klassikers, Band I, S. 262.
  43. ↑ Zitiert nach: Klaus Seehafer, Mein Leben, ein einzig Abenteuer – Johann Wolfgang Goethe, Biografie, S. 6.
  44. ↑ Zitiert nach: Karl Robert Mandelkow: Goethe in Deutschland – Rezeptionsgeschichte eines Klassikers, Band I, S. 230.
  45. ↑ a b Zitiert nach: Dieter Borchmeyer, Schnellkurs Goethe, S. 14.
  46. ↑ Zitiert nach: Dieter Borchmeyer, Schnellkurs Goethe, S. 17.
  47. ↑ Dank an Goethe, in: Hermann Hesse: Dank an Goethe, S. 18.
  48. ↑ Wolfgang Leppmann: Goethe und die Deutschen, S. 193.
  49. ↑ Zitiert nach: Karl Robert Mandelkow: Goethe in Deutschland – Rezeptionsgeschichte eines Klassikers, Band II, S. 78.
  50. ↑ Karl Robert Mandelkow: Goethe in Deutschland – Rezeptionsgeschichte eines Klassikers, Band II, S. 213.
  51. ↑ Katharina Mommsen: Gottes ist der Orient, Gottes ist der Okzident - Goethes Blick auf die islamische Welt, Vortrag am 9. Februar 2007 im Audimax der TU Clausthal in Clausthal-Zellerfeld; URL: http://video.tu-clausthal.de/film/36
  52. ↑ Katharina Mommsen: Goethe und die arabische Welt, Insel, Frankfurt am Main, 1988, 670 S., S. 166 f.
  53. ↑ Katharina Mommsen: Goethe und der Islam, Insel, Frankfurt am Main & Leipzig, 2001, 527 S., ISBN 3-458-34350-4, S. 11f., 20-25
  54. ↑ Wolfgang Leppmann: Goethe und die Deutschen, S. 206.
  55. ↑ Zitiert nach: Wolfgang Leppmann: Goethe und die Deutschen, S. 206.
  56. ↑ Dank an Goethe, in: Hermann Hesse: Dank an Goethe, S. 9.
  57. ↑ Wolfgang Leppmann: Goethe und die Deutschen, S. 246.
  58. ↑ Heinrich Arnold: Der Chemiker Doebereiner und sein Minister Goethe – Eine Rezeptionsstudie. In: Werner Köhler et al. (Hrsg.): Vitalprinzip Akademie. Festgabe der Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt zur 450-Jahrfeier der Friedrich Schiller Universität Jena. – Erfurt, Sonderschriften 38/2008, S. 211-232. ISBN 978-3-932295-72-0. URL.
  59. ↑ Karl Robert Mandelkow: Goethe in Deutschland – Rezeptionsgeschichte eines Klassikers, Band I, S. 187.

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Johann Caspar Goethe

Johann Caspar Goethe (* 29. Juli 1710 in Frankfurt am Main; † 25. Mai 1782 ebenda) war ein wohlhabender Jurist und Kaiserlicher Rat in Frankfurt am Main. Sein Sohn Johann Wolfgang gilt als der größte deutsche Dichter und ist eine herausragende Persönlichkeit der Weltliteratur.

Leben

Johann Caspar Goethe wurde in Frankfurt am Main als Sohn von Friedrich Georg Göthe (1657 bis 1730) und Cornelia Walther (1668 bis 1754) geboren. Sein Vater stammte aus Thüringen. Der gelernte Tuchmacher lebte zunächst in Lyon, musste jedoch als strenggläubiger Lutheraner nach der Aufhebung des Edikts von Nantes 1685 Frankreich verlassen. Er ließ sich in Frankfurt am Main als Schneidermeister nieder. Er heiratete 1705 die verwitwete Cornelia Walther und wurde Pächter des Weidenhofes auf der Zeil, damals eines der vornehmsten Gasthäuser Frankfurts. Zusätzlich baute er eine umfangreiche Weinhandlung auf; dies war der Grundstock des Familienvermögens, das noch seinem Enkel die finanzielle Unabhängigkeit sicherte.

Johann Caspar Goethe besuchte von 1725 bis 1730 das Casimirianum in Coburg. Ab 1730 studierte er Jura in Gießen und ab 1731 in Leipzig. 1739 wurde er wiederum in Gießen zum Doctor beider Rechte promoviert und arbeitete anschließend am Reichskammergericht in Wetzlar. 1740 unternahm er eine Bildungsreise nach Italien und schrieb darüber ein Reisebuch in italienischer Sprache (Viaggio per l’Italia).

Ende 1741 kehrte Goethe nach Frankfurt zurück, wo er schon seit 1733 gemeinsam mit seiner verwitweten Mutter zwei nebeneinanderliegende Fachwerkhäuser am Großen Hirschgraben besaß. Die Übernahme des angestrebten politischen Amtes in seiner Vaterstadt blieb ihm verwehrt, weil sein Halbbruder Hermann Jacob, ein Zinngießermeister aus der ersten Ehe seines Vaters, schon Mitglied im Rat war. Am 16. Mai 1742 erwarb er für etwa 300 Gulden den Titel eines Wirklichen Kaiserlichen Rathes unter Kaiser Karl VII., der während seiner Regierungszeit längere Zeit in Frankfurt lebte. Der Kaiser schätzte Goethe sehr, starb allerdings schon 1745, so dass Goethe auch die vielleicht erhoffte Laufbahn als kaiserlicher Diplomat verschlossen blieb.

Goethe blieb daraufhin in Frankfurt und lebte fortan als Privatmann, da ihm die Erträge seines Vermögens eine standesgemäße Haushaltsführung erlaubten und er keinem Broterwerb nachzugehen brauchte. Am 20. August 1748 heiratete der inzwischen 38-jährige Kaiserliche Rat in der Katharinenkirche Catharina Elisabeth Textor, die älteste Tochter des Stadtschultheißen Johann Wolfgang Textor.[1] Am 25. Juni 1749 erwarb er das Frankfurter Bürgerrecht. Fortan widmete er sich ausschließlich seinen privaten Studien, dem Aufbau einer Sammlung von kostbaren Büchern und Kunstwerken und der Erziehung seiner Kinder. Der älteste Sohn Johann Wolfgang wurde am 28. August 1749 geboren. Ihm folgten fünf weitere Kinder, von denen nur die 1750 geborene Cornelia das Erwachsenenalter erreichte.

Nach dem Tode seiner Mutter am 1. April 1754 ließ Goethe die Häuser im Großen Hirschgraben zu einem großzügigen Neubau mit 20 Räumen und einem repräsentativen Treppenhaus umgestalten.

Ab etwa 1770 verlor er mehr und mehr seine geistigen Fähigkeiten und wurde allmählich zum Pflegefall. 1779 erlitt er einen ersten Schlaganfall, dem im Oktober 1780 ein zweiter folgte. Johann Caspar Goethe war seitdem vollkommen gelähmt und starb am 25. Mai 1782. Sein Grab befindet sich auf dem Peterskirchhof in Frankfurt am Main. Er hinterließ seinem Sohn das beachtliche Vermögen von rund 90.000 Gulden.

Wirken

In der Literatur wird Johann Caspar Goethe zumeist als ordnungsliebender und protestantisch-steifer Pedant beschrieben. Diese Charakterisierung wird ihm wahrscheinlich nicht gerecht. Sicher ist, dass er ein ungewöhnlich gebildeter Mensch mit sehr vielseitigen Interessen war. Seine Sammlung zeitgenössischer Malerei, sein Naturalienkabinett und seine Bibliothek von über 1500 Bänden zeigen dies sehr deutlich. Er führte außerdem einen gastfreundlichen Haushalt und war aufgeschlossen gegenüber den gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungen seiner Zeit.

Obwohl ihm sein beachtliches Vermögen wirtschaftliche Unabhängigkeit verlieh, sah er sich als sozialen Außenseiter. Seinen politischen Ehrgeiz konnte er nicht verwirklichen. Aus der Aristokratie Frankfurts, dem Patriziat, blieb er ausgeschlossen, obwohl er als kaiserlicher Rat formal gleichrangig war. Dies erklärt vielleicht den Ehrgeiz, mit dem er den Lebensplan für seinen Sohn Johann Wolfgang entwarf. Diesem sollte der endgültige gesellschaftliche Aufstieg gelingen, der dem Vater noch verwehrt blieb.

Zu seinem 300. Geburtstag im Jahre 2010 wurde im Goethehaus in Frankfurt am Main die Ausstellung Johann Caspar Goethe. Vater, Jurist, Sammler, Frankfurter Bürger gezeigt.

Werke

  • Johann Caspar Goethe, Cornelia Goethe [verehelichte Schlosser], Catharina Elisabeth Goethe [geb. Textor]: Briefe aus dem Elternhaus. Hrsg. von Wolfgang Pfeiffer-Belli. mit drei Einführungen von Ernst Beutler. Zürich und Stuttgart, 1960.
  • Johann Caspar Goethe: Reise durch Italien im Jahre 1740. Viaggio per l’Italia. Herausgegeben von der Deutsch-Italienischen Vereinigung e.V. Frankfurt am Main. Aus dem Italienischen übersetzt und kommentiert von Albert Meier unter Mitarbeit von Heide Hollmer. Illustrationen von Elmar Hillebrand. DTV, München 1986, ISBN 3-423-12680-9.

Literatur

  • Reinhard Breymayer: Eine unbekannte Koranerklärung in der Bibliothek von Goethes Vater: „Elias mit dem Alcoran Mahomeds“. Über das wiedergefundene Werk des Radikalpietisten Johann Daniel Müller aus Wissenbach (Nassau). Ein Fundbericht. Heck, Tübingen 2004, ISBN 3-924249-43-1.
  • Richard Friedenthal: Goethe – sein Leben und seine Zeit. DTV, München 1980.
  • Franz Götting: Die Bibliothek von Goethes Vater. In: Nassauische Annalen. 64, 1953, S. 23–69
  • Doris Hopp/Joachim Seng (Hrsg.): Goethe Pater. Johann Caspar Goethe (1710-1782). Kaiserlicher Rat - Jurist -Sammler - Frankfurter Bürger Freies Deutsches Hochstift, Frankfurt am Main 2010
  • Wolfgang Klötzer (Hrsg.): Frankfurter Biographie. Erster Band A-L. Kramer, Frankfurt am Main 1994, ISBN 3-7829-0444-3.
  • Hellmut von Maltzahn: Bücher aus dem Besitz des Vaters in Goethes Weimarer Bibliothek. In: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts. 1927, S. 363–382.
  • (Christoph Perels:) „Bey Herrn Rath Göthe auf dem Grosen Hirschgraben: Eine zahlreiche auserlesene Bibliotheck.“ Die Büchersammlung Johann Caspar Goethes. Ausstellung des Freien Deutschen Hochstifts / Frankfurter Goethe-Museums vom 27. August bis 28. Oktober 2001. Konzeption der Ausstellung: Doris Hopp, Christoph Perels. Gestaltung: Waltraut Grabe, Heike Herrmann, Doris Hopp. Freies Deutsches Hochstift / Frankfurter Goethe-Museum, Frankfurt am Main 2001.

Anmerkungen

  1. ↑ Nach anderen Quellen fand die Hochzeit im Landhaus Auf der Windmühle vor den Toren Frankfurts statt, das damals dem Onkel der Braut, Michael von Loën, gehörte.

 

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Albrecht-Dürer-Haus

Das heutige Albrecht-Dürer-Haus in der Nürnberger Altstadt wurde gegen 1420 errichtet und war Wohn- und Arbeitsstätte Albrecht Dürers von 1509 bis zu seinem Tod 1528. Er wohnte hier mit seiner Frau, seiner Mutter und einer ungewissen Zahl von Lehrlingen, Gesellen und Hausangestellten. Das Haus ist heute Museum und gehört gemeinsam mit der Graphischen Sammlung zum Verbund der museen der stadt nürnberg.

Das Haus

Die ältesten Balken im Haus an der Ecke der ehemaligen Zisselgasse zum Platz vor dem Tiergärtner Tor konnten dendrochronologisch auf 1418 datiert werden, was die Errichtung des stattlichen Gebäudes gegen 1420 nahelegt. Heute hat es vier Geschosse, wovon die unteren beiden in Sandstein gemauert und die oberen zwei in Fachwerk gebaut sind. Das Dach ist ein Krüppelwalmdach und trägt zur Straßenseite eine große Gaube (Zwerchhaus). Sie wurde im 19. Jahrhundert rekonstruiert, weil man dort – sehr wahrscheinlich zu Unrecht – Dürers Werkstatt vermutete.

1501 erwarb es Bernard Walther, ein Kaufmann und Astronom. Die heutige Form des Hauses geht vor allem in den oberen Geschossen und im Dachbereich im Wesentlichen auf seine Umbauten zurück. Insbesondere ließ er im stadtseitigen Südgiebel mehrere kleine Fenster zum "gewergk der astronomey" anbringen. Im Nürnberger Stadtarchiv befindet sich der Vertrag mit den Nachbarn, in dem den Hausbewohnern verboten wird, aus den neuen Fenstern irgendetwas auf das Nachbardach zu schütten. Die Benutzung des Hauses als astronomisches Observatorium ist auf historischen Ansichten zu sehen.

Laut dem erhaltenen Kaufvertrag verkaufte Familie Walther das Haus 1509 für 275 Gulden an Albrecht Dürer. Obwohl es nun mindestens 24 mal den Besitzer wechselte – 1791 wohnte ein Tischler darin –, blieb es doch als Dürerhaus im allgemeinen Bewusstsein. Joachim von Sandrart, bedeutender Barockmaler, Dürer-Verehrer, Gründer der Nürnberger Akademie und Verfasser der ersten deutschen Kunstgeschichte, beschrieb 1675 in dem Abschnitt über Dürer seine Lage so genau, dass es jeder Interessierte finden konnte. Mit Blick auf die feierliche Begehung von Dürers 300. Todestag 1828 wurde das Haus im Jahr 1826 durch die Stadt Nürnberg erworben, die darin ein Gedenkzimmer einrichten ließ. 1871 – zum 400. Geburtstag des Künstlers – wurde die Nutzung und Erhaltung des Hauses dem Albrecht-Dürer-Haus-Verein übertragen, der es seither als Gedenkstätte und Museum führt.

Trotz schwerer Beschädigungen hat das Dürerhaus die fast vollständige Zerstörung der Nürnberger Altstadt am Ende des Zweiten Weltkrieges erstaunlich gut überstanden. Noch vor den großen Stadtkirchen, dem Rathaus oder der Stadtbibliothek wurde es 1949 wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Zur großen Jubiläumsausstellung anlässlich des 500. Geburtstags Albrecht Dürers erhielt das Haus 1971 an der Westseite einen modernen Anbau. Sein Kernstück bildet ein großer Ausstellungsraum, der 1996/98 zum „Kinosaal“ umfunktioniert wurde. Dieser Saal soll in nächster Zeit wieder einer vielseitigeren Nutzung für Ausstellungen, Vorträge und Diskussionen zugeführt werden.

Durch umfangreiche Sanierungsmaßnahmen seit den 1990er Jahren befindet sich das Haus in einem sehr guten konservatorischen Zustand. Seither ist auch die bauhistorische Erforschung ein großes Stück vorangekommen.

Lage

Das Albrecht-Dürer-Haus befindet sich in der Nähe der Kaiserburg in der Albrecht-Dürer-Straße 39. Es liegt direkt am Tiergärtnertorplatz, der mit seinem erhaltenen Baubestand zu den schönsten Ansichten der Innenstadt gehört. Dieser Platz wird deshalb oft auch Dürerplatz genannt, obwohl der Platz dieses Namens, den ein Standbild Albrecht Dürers schmückt, weiter südlich in Richtung St. Sebald, Dürers Pfarrkirche, liegt.

Das Museum

Das Dürerhaus in seiner Gesamtheit ist ein einzigartiger Museums- und Gedenkort für einen der herausragendsten bildenden Künstler der frühneuzeitlichen Kunstgeschichte.

Über den großen Hausflur im Erdgeschoss gelangt man in den ersten Stock, wo sich eine weitgehend originale Küche und die beiden so genannten Wandererzimmer befinden, zwei in den 1870er Jahren von Friedrich Wanderer historistisch-neugotisch nachempfundene Wohnräume mit der im Spätmittelalter typischen Abfolge von Stube und Kammer. Der größte Raum des Hauses liegt im zweiten Obergeschoss. Wegen seiner Dimensionen und dem gleichmäßigen Nordlicht könnte es die Werkstatt Albrecht Dürers gewesen sein. Dort sind Malwerkzeuge und -materialien sowie Geräte für den Druck zu sehen, wie sie bereits in der Dürerzeit gebräuchlich waren. Auch werden hier und in einem Raum gegenüber die wichtigsten dürerzeitlichen Druckverfahren – Holzschnitt und Kupferstich – vorgeführt.

Durch die lange Geschichte des Hauses als Museums- und Gedenkort ist das Nachleben Albrecht Dürers in der Kunst- und Kulturgeschichte späterer Jahrhunderte immer ein besonderes Sammlungs- und Ausstellungsthema gewesen. In den Galerieräumen des Dachgeschosses, deren Neugestaltung für die nächste Zeit geplant ist, sind Kopien wichtiger Dürerwerke sowie wechselnde Ausstellungen – auch mit originalen Werken Dürers – zu sehen. Hier ist vor allem der Ort, wo die reichen Bestände der Grafischen Sammlung der Stadt gezeigt werden können.

Gegenwärtig führt im modernen Anbau eine Multivisionsschau in Leben und Werk des Künstlers ein. Weiterhin wird das Haus durch umfangreiche Informationstafeln, Vorführungen von Drucktechniken, eine Audioguide-Führung sowie durch „Agnes-Dürer“-Führungen in historischen Kostümen museal erschlossen. Weiterhin ist das Haus der Höhepunkt des „Dürer-Weges“, der 2004 in Form einer Audio-Guide-Führung als historischer Stadtspaziergang auf den Spuren Dürers geschaffen wurde.

Leitung

Seit dem 1. August 2009 hat der Kunsthistoriker Thomas Schauerte die Leitung des Dürerhauses sowie der Graphischen Sammlung inne.

Literatur

  • Mende, Matthias: Museum Albrecht-Dürer-Haus Nürnberg (Schnell & Steiner Großer Kunstführer Nr. 158), München–Zürich 1989
  • Großmann, G. Ulrich / Franz Sonnenberger (Hg.): Das Dürer-Haus. Neue Ergebnisse der Forschung (Dürer-Forschungen Bd. 1), Nürnberg 2007

 

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Heinrich VI. (HRR)Heinrich VI. in dem Codex Manesse um 1300  -  Für eine größere Bilddarstellung klicken Sie bitte auf das Bild.

Heinrich VI. aus dem Geschlecht der Staufer (* November 1165 in Nimwegen; † 28. September 1197 in Messina) war ab 1169 römisch-deutscher König und ab 1191 Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Von 1194 bis zu seinem Tod war er zugleich König von Sizilien.

Heinrich war der zweite Sohn von insgesamt elf Kindern aus der Verbindung Friedrich Barbarossas mit Beatrix von Burgund. Er heiratete 1186 Konstanze, die als Tochter des Normannenkönigs Roger II. von Sizilien Tante und Erbin des Normannenkönigs Wilhelm II. war. In den letzten Lebensjahren seines Vaters wirkte Heinrich zunehmend eigenständig. Nach dem Tod seines Vaters war er in Konflikte mit dem Welfen Heinrich dem Löwen verwickelt. Erst 1194 gelang ein endgültiger Ausgleich mit den Welfen. In Sizilien wurde nach dem Tod Wilhelms II. unter Missachtung von Heinrichs Thronansprüchen Tankred von Lecce zum König erhoben. Der Versuch der Eroberung Siziliens auf einem Italienzug im Jahr 1191 scheiterte vor Neapel.

Einer Fürstenverschwörung, deren Anlass die Streitigkeiten um die Besetzung des Lütticher Bischofsstuhls war, konnte Heinrich erfolgreich mit der Gefangennahme des englischen Königs Richard Löwenherz begegnen. Gestützt auf eine immense Lösegeldzahlung und den Lehnseid Richards glückte Heinrich im Jahr 1194 die Eroberung Siziliens. In den Jahren 1195 und 1196 versuchte Heinrich, das Reich in eine Erbmonarchie umzuwandeln. Er scheiterte jedoch am Widerstand der Reichsfürsten. Auch die endgültige Vereinigung Siziliens mit dem Reich konnte Heinrich wegen der ablehnenden Haltung der Kurie nicht durchsetzen. Heinrich starb während der Vorbereitungen zu einem Kreuzzug, dessen Ziel in Verbindung mit der Eroberung Jerusalems womöglich auch die Eroberung des byzantinischen Reichs war.[1]

Betonte die ältere Forschung noch Heinrichs machtpolitische Erfolge und stellte seine Herrschaft als den Höhepunkt der staufischen Herrschaftsgewalt dar, so gab es in jüngerer Zeit Zweifel, ob diese Sicht gerechtfertigt ist. Neben der Überforderung der machtpolitischen Möglichkeiten eines auf persönliche Präsenz des Herrschers angewiesenen Reisekönigtums, das mit dem Zugewinn Süditaliens und der Sicherung der Reichsrechte in Oberitalien den deutschen Raum nicht mehr vollständig kontrollieren konnte, wird auch auf den Rückzug der Reichsfürsten aus dem direkten Umfeld des Herrschers und ihre Ersetzung durch die Reichministerialität verwiesen.[2]

Der Kaisersohn (1165–1185)

Heinrich wurde im Herbst (vermutlich Oktober oder November) des Jahres 1165 in der Pfalz Nimwegen geboren. Seine Eltern waren Kaiser Friedrich I. und Beatrix von Burgund.

Zu Pfingsten 1169 ließ Friedrich I. seinen Sohn Heinrich auf dem Hoftag in Bamberg durch einen Wahlakt zum römischen König bestimmen. Friedrichs Grund für das Betreiben der Wahl war wohl die Absicherung der Nachfolge. Darüber hinaus scheinen von fürstlicher Seite keine Bedingungen für die Wahl gestellt worden zu sein. Allenfalls riefen die Verhandlungen mit der Kurie Hoffnungen auf die Beendigung des seit der doppelten Papstwahl 1160 bestehenden Schismas hervor. Friedrich erkannte Papst Alexander III. nicht an, während Heinrich dies später tat, um als Thronerbe wieder in Frieden mit dem Papst regieren zu können. Zudem scheint sich Friedrich die Erhebung Heinrichs zum Mitkaiser durch papsttreue Bischöfe gewünscht zu haben. Dieses Vorhaben scheiterte aber an den weitreichenden Forderungen des Kaisers.[3] Heinrich wurde einige Zeit nach der Wahl am 15. August 1169 in Aachen zum König gekrönt.

Als erste politische Handlung Heinrichs taucht sein Name im Jahr 1173 als Zeuge in einer Urkunde auf. In den folgenden vier Jahren begleitete er seinen Vater auf dessen Italienzug. Zu dieser Zeit erhielt Heinrich wohl Unterricht vom Hofkapellan Gottfried von Viterbo.[4] Chronisten berichten, dass Heinrich lesen und schreiben konnte und auch die lateinische Sprache beherrscht haben soll. Gottfried berichtet von einer Bibliothek Heinrichs in der Pfalz Hagenau und seinem Interesse für philosophische Studien. Der König wird auch mit dem Minnesänger Kaiser Heinrich identifiziert, unter dessen Namen die Manessische Liederhandschrift sowie die Weingartner Liederhandschrift jeweils acht Minnesangstrophen überliefern. Eine endgültige Zuordnung dieser Strophen ist aber nicht möglich.[5] In der Umgebung Heinrichs befanden sich auch Dichter wie Friedrich von Hausen, Bligger von Steinach und Bernger von Horheim.

Im Jahr 1178 kehrte Heinrich mit seinem Vater über Burgund nach Deutschland zurück. Ab dieser Zeit trug er zunehmend eigene politische Verantwortung. Während sein Vater den Bayern- und Sachsenherzog Heinrich den Löwen niederwarf, war Heinrich vornehmlich im Westen des Reichs tätig. So wirkte er im Jahr 1182 als Vermittler in einem Konflikt zwischen dem französischen König und dem Grafen von Flandern.

Auf dem Hoftag in Mainz empfingen Heinrich und sein Bruder am 21. Mai 1184 die Schwertleite. Am 26. Juli desselben Jahres entging Heinrich knapp einem unrühmlichen Ende, als er beim Erfurter Latrinensturz nicht auf dem hölzernen Boden des Versammlungssaales, sondern in einer steinernen Fensternische saß und dadurch nicht mit in die Abtrittgrube stürzte. Heinrich befand sich damals auf einem Kriegszug nach Polen, um Großherzog Mieszko Hilfe gegen seinen Bruder Kasimir II. zuteil werden zu lassen. Der Feldzug, auf dem es zu keinen großen militärischen Auseinandersetzungen kam, endete kurz darauf mit der Huldigung Kasimirs.

Spätestens 1184 begann Kaiser Friedrich mit Wilhelm II. von Sizilien, einem vormaligen Parteigänger des Papstes, über eine Verheiratung Heinrichs mit Wilhelms Tante Konstanze (* 1154) zu verhandeln. Wilhelm war bis dahin kinderlos und hatte möglicherweise keine Erben mehr zu erwarten.[6] Im Heiratsvertrag wurde daher das Erbrecht Konstanzes auf Sizilien betont. Die sizilianischen Adeligen verpflichteten sich zur Anerkennung von Konstanzes und Heinrichs Thronansprüchen. Im Oktober desselben Jahres versuchte Friedrich erneut erfolglos, die Kaiserkrönung seines Sohnes zu erreichen.

Heinrich während der letzten Jahre Barbarossas (1185–1190)

Im Jahr 1185 bereitete Heinrich im Westen des Reichs einen Feldzug gegen Frankreich vor, um den Bündnispartner England zu unterstützen. Die Grafen von Hennegau und Flandern nahmen jedoch aus verschiedenen Gründen nicht am Feldzug teil, sodass mit Frankreich Frieden geschlossen wurde.

Bald darauf begab sich Heinrich nach Italien, wo er am 27. Januar 1186 in Mailand mit Konstanze vermählt wurde. Sie wurden anschließend zum König und zur Königin von Italien gekrönt. Zudem trug Heinrich ab diesem Zeitpunkt den Titel Caesar, womöglich in Anlehnung an die antike Herrschaftspraxis und die auch aus dem römischen Recht gespeiste Kaiseridee der Staufer. Die Vergabe des Titels an Heinrich ist wohl auch als Reaktion auf die abgelehnte Kaiserkrönung zu sehen.[7]

Der kaiserliche Angriff auf Cremona führte zu einer Konfrontation mit Papst Urban III. Heinrich zog in die Toskana, wo sein von Markward von Annweiler befehligtes Heer bis zum Friedensschluss im August 1186 den Kirchenstaat verwüstete. Bis Ende 1187 war Heinrich mit den Reichsangelegenheiten in Italien befasst, bevor er nach Deutschland zurückkehrte.

Im März 1188 wohnte er dem Hoftag Jesu Christi in Mainz bei, auf dem der Kaiser seinen Willen zur Durchführung eines Kreuzzugs bekundete. Als Friedrich I. 1189 zum Dritten Kreuzzug aufbrach, übertrug er Heinrich die Regierung des Reiches. Gegen Ende des Jahres belehnte der König den Grafen Balduin von Hennegau mit der neu geschaffenen Markgrafschaft Namur. In der Fortsetzung der Politik seines Vaters versuchte Heinrich mit Balduin am Niederrhein ein Gegengewicht zu den Kölner Erzbischöfen und den Großen Flanderns zu schaffen.[8] Heinrich vermittelte einen Ausgleich zwischen Balduin und Heinrich von Brabant. Der König trat ebenso in Verhandlungen mit der Kurie über seine Kaiserkrönung. Er sicherte dem Papst die Rückgabe aller von den Staufern okkupierten kirchlichen Besitzungen zu. Im Juni des folgenden Jahres starb Kaiser Friedrich während des Kreuzzuges im Fluss Saleph.

Bereits im Jahr 1189 kehrte Heinrich der Löwe, entgegen einer früheren Vereinbarung mit dem Kaiser, aus der Verbannung nach Deutschland zurück. Gestützt durch Erzbischof Hartwig von Bremen bekriegte er seine sächsischen Gegner. Im November 1189 zog König Heinrich gegen Heinrich den Löwen nach Sachsen. Die späte Jahreszeit zwang jedoch zum Abbruch des Feldzugs. Heinrich erfuhr zudem, dass in Sizilien Wilhelm II. verstorben war. Aufgrund von Unruhen und der Fürsprache des sizilianischen Vizekanzlers Matheus von Salerno wurde Tankred von Lecce von einer Mehrheit der Barone zum König erhoben. Hierdurch wurde Heinrichs und Konstanzes Erbrecht außer Acht gelassen. Nach seiner Krönung nahm Tankred Verbindung zur Kurie auf. Tankreds Krönung soll mit dem Wohlwollen des Papstes stattgefunden haben.[9] In den nun ausbrechenden Feindseligkeiten zwischen den Anhängern Tankreds und den stauferfreundlichen Kräften in Apulien unter Führung des Grafen Roger von Andria sandte Heinrich seinen Marschall Heinrich Testa zur Unterstützung Rogers nach Italien.

Im folgenden Jahr erlitt Heinrich der Löwe militärische Rückschläge durch sächsische Adlige. Mitte Juli kam in Fulda ein Friedensschluss zustande: Der Löwe erhielt die Hälfte der Reichseinkünfte in Lübeck, dafür musste er die Befestigungen Lüneburgs und Braunschweigs schleifen sowie seinen Sohn Heinrich von Braunschweig mit dem Heer des Königs nach Italien ziehen lassen.

Kaiserkrönung und Feldzug gegen das Königreich Sizilien (1190–1191)

In Augsburg ließ Heinrich seinen Italienzug vorbereiten. Dort erfuhr er wohl auch vom Tod seines Vaters und seines Bruders auf dem Kreuzzug. Während das Heer des Königs nach Italien marschierte, reiste Heinrich nach Thüringen. Landgraf Ludwig III. war im Oktober auf dem Kreuzzug verstorben und sein Bruder Hermann verlangte die Belehnung mit der Landgrafschaft. Heinrich dachte jedoch zunächst daran, Thüringen einzubehalten, gab sein Vorhaben aber nach Zugeständnissen Hermanns auf.Der König erhielt als Gegenleistung für die Belehnung mit der Landgrafschaft Thüringen zwei nicht näher bekannte Städte und eine provincia, wohl eine Herrschaft.[10] Zu Beginn des folgenden Jahres folgte er seinem Heer nach Italien. Dort war Heinrichs Ziel, neben der Krönung zum Kaiser auch die Eroberung des Königreichs Sizilien zu erreichen.[11]

Im Januar 1191 verhandelte Heinrich VI. in Lodi mit Eleonore von Aquitanien, der Witwe Heinrichs II. von England. Eleonore versuchte die seit 1169 bestehende Verlobung zwischen ihrem Sohn Richard Löwenherz und einer Halbschwester Philipp Augusts von Frankreich aufzulösen. Heinrich VI. war ebenfalls am Ende des Verlöbnisses interessiert, weil Richard sich als Unterstützer Tankreds in Messina aufhielt. Er rechnete damit, dass sich das Verhältnis zwischen England und Frankreich nach dem Lösen der Verlobung verschlechtert und Richard zum Rückzug aus Messina gezwungen wird. Damit hätte er Tankred isoliert. Im Gegenzug sicherte er Eleonore zu, dass er sich nicht in die Auseinandersetzungen des mit ihm verbündeten französischen Königs mit England einschalten würde. Kurz darauf reiste sie nach Rom weiter und erreichte dort die Auflösung der Ehe von Heinrichs VI. Bruder Konrad von Rothenburg mit Berenguela von Kastilien. Mit diesem Zug Eleonores hatten die Staufer ihre Verbindung zur iberischen Halbinsel verloren und waren so weit isoliert, dass ihnen Frankreich als einziger Verbündeter blieb, dessen Ausgleichsversuche mit England Eleonore ebenfalls vereitelt hatte.[12]

In der Lombardei bemühte sich Heinrich um Bündnispartner unter den Städten Oberitaliens, wobei er eine Bevorzugung Mailands zu vermeiden suchte. Heinrich verhandelte außerdem mit Pisa und Genua über Flottenhilfe gegen Sizilien. Im April begannen Verhandlungen mit Papst Coelestin III. über die Kaiserkrönung. Heinrich musste die verbündete Stadt Tusculum an die Römer abgeben, welche die Rivalin vollständig niederrissen. Die Übergabe des verbündeten Tusculums wurde von den Zeitgenossen als ehrloses Verhalten angesehen.[13] Am Ostermontag, dem 15. April, wurde Heinrich von Coelestin III. zum Kaiser gekrönt. Hierbei soll der Kaiser vom Papst die Investur mit dem Imperium verlangt haben. Der spätere Papst Innozenz III., möglicherweise bei der Krönung anwesend, berichtete, Heinrich habe von Coelestin nach der Krönung gefordert, durch den Reichsapfel mit dem Imperium (de imperio per pallam auream) investiert zu werden (petiit investiri). Innozenz schloss daraus auf Vorrechte des Papstes gegenüber dem Kaiser.[14]

Nach der Kaiserkrönung zog das Heer Heinrichs nach Apulien, wo im Jahr zuvor der staufertreue Graf von Andria besiegt worden war. Im Mai begann die Belagerung Neapels. Im Hochsommer brach unter den Belagerern bald eine Seuche aus, an der ein Großteil des Heeres sowie viele hohe Persönlichkeiten starben. Auch der Kaiser erkrankte. Da zudem der sizilianische Admiral Margaritus die pisanische und bald auch die Genueser Flotte vertrieb, brach man die Belagerung Ende August ab. Einen weiteren Schicksalsschlag erfuhr Heinrich, als Konstanze, die sich während der Kämpfe vor Neapel in Salerno aufgehalten hatte, gefangen gesetzt und nach Palermo gebracht wurde. In Oberitalien nahm der Kaiser noch bis Ende des Jahres die Reichsangelegenheiten wahr und schloss ein Bündnis mit Philipp II. von Frankreich gegen Richard Löwenherz. Tankred nutzte den Rückzug Heinrichs, um sich auch in den Festlandsgebieten des Normannenreiches durchzusetzen.

Die Fürstenopposition gegen Heinrich (1192)

In Deutschland hatte sich Heinrich der Löwe keineswegs bemüht, die im Frieden von Fulda getroffenen Vereinbarungen in die Tat umzusetzen. Vielmehr begannen erneut kriegerische Auseinandersetzungen zwischen ihm und seinen sächsischen Gegnern, den Askaniern und Schauenburgern. Heinrichs Sohn Heinrich von Braunschweig hatte vor Neapel das Heer des Kaisers verlassen. Während die übrigen Quellen (z. B. die Steterburger Annalen) das Entweichen Heinrichs von Braunschweig aus dem Gefolge des Kaisers für die Zeit der Belagerung von Neapel ansetzen, gibt Arnold von Lübeck an, Heinrich von Braunschweig habe den Kaiser zu Anfang des Feldzugs gegen Sizilien in Unteritalien verlassen. Heinrich von Braunschweig reiste daraufhin nach Rom, wo er und sein Vater vom Papst das Privileg erhielten, nur von ihm oder einem seiner Legaten exkommuniziert zu werden.[15] Kaiser Heinrich ächtete ihn infolgedessen an Pfingsten 1192 auf dem Hoftag zu Worms. Der Kaiser scheint jedoch eher an einer friedlichen Lösung des Konflikts interessiert gewesen zu sein, da er die antiwelfischen Kräfte in Sachsen nicht unterstützte.[16] Da auch Erzbischof Wichmann von Magdeburg, der führende Anhänger der Staufer in Norddeutschland, starb, schlossen sie einen Waffenstillstand mit Heinrich dem Löwen, der auf Bitte des Kaisers verlängert wurde.

Kaiser Heinrich erbte durch den Tod Welfs VI. dessen Besitzungen in Schwaben, womit er die staufische Hausmacht in diesem Gebiet stärken konnte. Im September 1192 begab sich Heinrich nach Lüttich, um die Stellung des dort von ihm als Bischof eingesetzten Lothar von Hochstaden zu sichern. Der Kaiser hatte Lothar im Frühjahr auf dem Hoftag zu Worms gegen den Kandidaten Heinrichs I. von Brabant, dessen Bruder Albert von Löwen, durchgesetzt. Albert empfing daraufhin mit päpstlicher Bestätigung die Bischofsweihe in Reims und schickte sich an, den Lütticher Bischofsstuhl mit Unterstützung seines Bruders für sich zu gewinnen. Der Kaiser ging militärisch gegen Lothars Opponenten vor und konnte Heinrich von Brabant schnell zu einem Friedensschluss zwingen.

Im Oktober widmete sich Heinrich der Absetzung des Bremer Bischofs Hartwig, eines Parteigängers Heinrich des Löwen. Im Osten des Reichs vermittelte er einen Frieden zwischen dem Landgrafen Hermann von Thüringen und dem Markgrafen Albrecht von Meißen. Zu dieser Zeit wurde Albert von Löwen von deutschen Rittern erschlagen. Heinrich von Brabant lastete den Mord an seinem Bruder dem Kaiser an. Diese Vorkommnisse schufen ein neues Konfliktpotenzial mit dem Adel im Westen Deutschlands. Mit der von ihm propagierten Nachfolge hatte Heinrich VI. versucht, den kaiserskeptischen Adel in dieser Region unter seine Kontrolle zu bringen.[17] Gerade dieser Versuch führte aber zu neuem Widerstand unter der Führung des Kölner Erzbischofs Bruno. Der Opposition schlossen sich die Herzöge von Brabant und Limburg an. Es soll sogar die Erhebung des Brabanters zum Gegenkönig in Betracht gezogen worden sein.[18] Außerdem bestanden Kontakte zum Mainzer Erzbischof Konrad, den Thüringer Landgrafen, dem Meißner Markgrafen, dem Herzog von Böhmen, den Königshäusern von Dänemark und England und dem Welfen Heinrich dem Löwen. Die Kurie war wegen der Besetzung des Lütticher Bischofsstuhls mit Lothar von Hochstaden verärgert und die Zähringer stellten am Oberrhein eine Gefahr für den staufischen Herrschaftsbereich dar.

Die Gefangennahme Richard Löwenherz’ (1192–1194)

In die Zeit der Bedrohung von Heinrichs Herrschaft durch die Fürstenopposition fällt die Gefangennahme Richards I. „Löwenherz“ auf der Rückreise vom Kreuzzug. Richard war in Aquileja schiffbrüchig geworden und ging in der Grafschaft Görz an Land. Im Dezember 1192 ließ ihn der Babenberger Leopold V. von Österreich, gefangennehmen und zunächst auf der Burg Dürnstein festhalten. Die Gefangennahme hatte Heinrich zuvor in Mailand mit dem französischen König Philipp August verabredet und war seine Reaktion auf das militärische Bündnis, das Richard mit Tankred von Lecce im Herbst 1190 geschlossen hatte.[17] Kreuzzugsheimkehrer standen unter besonderem Schutz der Kirche. Deshalb ging sie auch mit der Exkommunikation gegen Leopold vor. Der Gefangene wurde im März 1193 in Speyer zunächst an Heinrich selbst übergeben, der ihn unter anderem auch auf Burg Trifels in der Pfalz inhaftieren ließ.

Im Frühjahr 1193 stellte der Kaiser eine Lösegeldforderung an Richard. Dieser sollte 100.000 Mark, die zur Hälfte an Leopold gehen sollten, zahlen. Offiziell wurde das Geld als Mitgift für Richards Nichte, die einen der Söhne Leopolds heiraten sollte, deklariert. Weiterhin sollte Richard mit einem von ihm gestellten Heer an einem Feldzug gegen seinen einstigen Verbündeten Tankred teilnehmen. Für seine Freilassung hatte Richard Geiseln zu stellen.

Die Inhaftierung ihres Verbündeten Richard bedeutete eine schwere Niederlage für die Fürstenopposition. Da Heinrich sogar drohte, Richard an den franzöisischen König auszuliefern, musste dieser den Fürsten im Juni 1193 die Aufnahme von Verhandlungen mit dem Kaiser nahelegen, der sich vom Mord an Albert von Löwen distanzierte und die Mörder verbannen ließ. Die Herzöge von Brabant und Limburg sollten fortan in den Bischofswahlen in Lüttich ihre Kandidaten unterstützen dürfen. Bruno von Köln wurde mit einer Garantie seiner Herrschaftsrechte ausgestattet. Der ebenfalls zur Fürstenopposition gehörende Herzog von Böhmen wurde durch einen Angriff des Bischofs von Prag ausgeschaltet.

Obwohl sowohl Philipp August als auch Richards Bruder Johann Ohneland, der in England regierte, die Zahlung eines Lösegeldes anboten, wenn der König noch ein Jahr länger in Gefangenschaft bleiben würde, einigte sich Heinrich im Juni 1193 mit Richard. Richard, dessen Mutter Eleonore die Freilassung ihres Sohnes unterstützte, verpflichtete sich, England vom Kaiser als Lehen zu nehmen, und neben den 100.000 Mark einen Jahreszins von 5.000 Pfund zu zahlen. Damit erkannte Richard für sein Königreich England die Oberhoheit des Kaisers an. Von Philipp und Johann forderte Heinrich unter Androhung militärischer Gewalt die Rückgabe aller Besitzungen, die Richard während seiner Gefangenschaft abgenommen worden waren. Diese Lösung hatte für Heinrich den Vorteil, dass er Richard als Vasallen gewonnen hatte, also nicht mehr allein auf Frankreich angewiesen war, gleichzeitig aber Richard als unabhängiger englischer König weiter gegen Frankreich kämpfte, wodurch auch Philipp August auf Heinrich als Verbündeten angewiesen war. Der Kaiser manövrierte sich damit geschickt in eine Vermittlerposition zwischen England und Frankreich.[19] In der Karwoche 1194 kam es schließlich zur rituellen Aussöhnung zwischen dem Kaiser und dem englischen König. Auf einem Hoftag in Speyer beschuldigte Heinrich Richard, seine Ermordung betrieben zu haben und legte ihm weitere Verbrechen zur Last. Richard erklärte sich bereit, alle ihm zur Last gelegten Vorwürfe zu entkräften, beugte dann aber das Knie vor dem Kaiser, welches dieser durch das Herabsteigen von seinem Thron und dem Friedenskuss beantwortete. Daraufhin schloss man den endgültigen Vertrag über die Bedingungen zur Freilassung Richards.

Im Februar 1194 wurde der Konflikt mit den Welfen durch die Eheschließung von Heinrichs des Löwen gleichnamigem Sohn mit Agnes von Staufen, der Erbin des rheinischen Pfalzgrafen Konrad von Staufen, endgültig beigelegt. Dieses Ereignis bedeutete einen großen Erfolg der Welfen im westdeutschen Raum, da sie den territorialen Gewinn schnell fixierten, indem sie die Pfalzgrafenwürde von einem kaiserlichen Amt in eine Territorialherrschaft umwandelten. Im März schloss Heinrich VI. dann auch offiziell Frieden mit Heinrich dem Löwen.

Die Eroberung des Königreichs Sizilien (1194–1195)

Während Heinrich in Deutschland die Fürstenopposition bekämpfen musste, setzten sich die Auseinandersetzungen in Italien fort. Nach Heinrichs Niederlage vor Neapel eroberte Tankreds Schwager, Graf Richard von Acerra, den Großteil Apuliens zurück. Im Frühjahr 1192 führten Verhandlungen mit dem Papst zur Freilassung von Konstanze. Eine Anerkennung von Tankreds Königtum lehnte Heinrich aber weiterhin ab. Tankred gelang es allerdings, unter der Bedingung, dass er die Lehnsherrschaft des Papstes über Sizilien anerkannte, von Coelestin III. eine Bestätigung seines Königtums zu erhalten.[20] Im Sommer 1192 schloss Heinrich ein Bündnis mit wichtigen oberitalienischen Städten und dem Markgrafen von Montferrat, um den Frieden in der Lombardei für den geplanten Feldzug gegen Sizilien aufrechtzuerhalten. In Tuszien wurde Konrad von Lützelhardt die Reichsverwaltung übertragen.

Im Februar 1194 starb König Tankred. Sein minderjähriger Sohn Wilhelm III. wurde als Nachfolger eingesetzt. Die Regentschaft führte seine Mutter Sibylle. Der Kaiser begann im Mai 1194, finanziert mit dem Lösegeld für Richard Löwenherz, einen neuen Feldzug gegen Sizilien. In der Lombardei feierte er das Pfingstfest in Mailand und versicherte sich in den nächsten Monaten der Flottenhilfe Genuas und Pisas. Im August öffnete Neapel dem Kaiser kampflos die Tore. Salerno, das im Jahr 1191 die Kaiserin an Tankred ausgeliefert hatte, wurde im September 1194 vollständig niedergebrannt. Am 20. November 1194 zog Heinrich in Palermo ein und wurde im dortigen Dom zu Weihnachten (25. Dezember 1194) zum König von Sizilien gekrönt. Am Tag nach der Krönung zum König von Sizilien brachte Konstanze in Jesi bei Ancona das einzige Kind Heinrichs VI. zur Welt, den späteren Kaiser Friedrich II.

Wenige Zeit darauf ließ der Kaiser führende normannische Adelige unter dem Vorwand einer Verschwörung gegen ihn inhaftieren. Der normannische Königsschatz wurde nach Deutschland gebracht, ebenso die Königsfamilie, die beschuldigt wurde, Mitwisser der Verschwörung gewesen zu sein.

Auf einem Reichstag in Bari im März 1195 versuchte Heinrich VI. die Erfolge des Vorjahres politisch umzusetzen: Heinrichs Frau Konstanze sollte zur Regentin Siziliens werden, allerdings neben dem kaisertreuen Statthalter Konrad von Urslingen, einem Edelfreien. Kanzler von Sizilien wurde Walter von Pagliara. Auch in andere normannische Verwaltungsämter wurden Ministeriale eingesetzt. Markward von Annweiler wurde für seine Verdienste zum Herzog von Ravenna, Grafen von Romagna und Markgrafen von Ancona erhoben. Heinrichs Bruder Philipp wurden das Herzogtum Toskana und die Mathildischen Güter übertragen. Dieses Vorgehen sollte Sizilien mit Oberitalien verbinden und das Normannenreich unlösbar in den Reichsverbund einschließen. Darüber hinaus scheint es Heinrichs Absicht gewesen zu sein, das reiche und mit modernen Verwaltungsstrukturen versehene Sizilien als ein Zentrum des Reiches und der staufischen Hausmacht aufzubauen.

Der Kreuzzugsplan (1195)

Auf dem Hoftag von Bari gelobte Heinrich der Kurie, einen Kreuzzug durchzuführen.[21] Damit verfolgte er mehrere Ziele. So sollte der Kreuzzug Papst Coelestin III. dazu bewegen, der Vereinigung Siziliens mit dem Reich (unio regni ad imperium) zuzustimmen und die von ihm über Sizilien beanspruchte Lehnshoheit aufzugeben. Heinrich versprach der Kurie 1.500 Ritter und dieselbe Anzahl an Fußsoldaten für ein Jahr dem Kreuzzugsunternehmen zukommen zu lassen. Weitere Gespräche mit Kardinälen in Ascoli brachten jedoch keinen Fortschritt für die kaiserliche Seite.

Die zentrale ideengeschichtliche Rolle haben wohl eschatologische Vorstellungen gespielt. Dieser Auffassung zufolge verstand Heinrich sich oder zumindest einen zu erwartenden Nachfolger aus seinem Haus als den Friedenskaiser, den letzten Kaiser vor dem Jüngsten Gericht. Vorstellungen seiner Zeit zufolge sollte dieser Endkaiser den Osten und Westen vereinigen, die Juden zum Christentum bekehren und die Heiden im Heiligen Land besiegen. Mit der Eroberung Jerusalems und der Niederlegung von Krone und Zepter auf dem Hügel Golgota würde der Endkaiser danach das Jüngste Gericht einleiten. Als Ziel Heinrichs wird dementsprechend nicht der Erwerb möglichst vieler Territorien angesehen, sondern die mit der Inbesitznahme Jerusalems verbundene Erhöhung der Würde des Kaisergeschlechts der Staufer.[22] Die christlichen Kaiser des Mittelalters verstanden sich in der Nachfolge der antiken römischen Kaiser als rechtmäßige Oberherrn der gesamten Christenheit, ohne hierfür freilich eine reelle Machtgrundlage zu besitzen. Jedoch bot die Kaiserkrone den nötigen ideellen Hintergrund, um gegebenenfalls die formale Lehnshoheit über ein anderes Reich auszuüben.[23]

In der Forschung ist umstritten, ob sich Heinrichs Expansionsabsichten auch gegen das Byzantinische Reich richteten. 1194 hatten Gesandte des byzantinischen Vasallen Leo II. von Kleinarmenien vom Kaiser die Königskrone für Leo und die Belehnung mit einem Teil Syriens erlangt. 1196 empfing auch Amalrich von Zypern sein Reich als Lehen vom Kaiser.

Im Frühjahr 1195 forderten Gesandte des Kaisers in Byzanz einen Streifen von Durazzo bis Thessaloniki, der früher Wilhelm II. gehört hatte. Dies wird von Claudia Naumann als Wiederaufnahme der normannischen Politik gegenüber Byzanz gewertet.[24] Bald darauf stürzte Isaak II. seinen Bruder Alexios III.. Ende 1195 forderte eine zweite Gesandtschaft Heinrichs vom neuen byzantinischen Kaiser die Unterstützung des Kreuzzuges durch Flottenhilfe und die jährliche Zahlung von 5.000 Pfund Gold. Bei Nichterfüllung drohte Heinrich mit dem Angriff auf Byzanz. In weiteren Verhandlungen wurde die Summe auf 1.600 Pfund herabgehandelt. Dies wird durch den Bericht des byzantinischen Geschichtsschreibers Niketas Choniates bestätigt[25] Naumann sieht somit die Angriffsdrohung des Kaisers als Mittel zur Erreichung von byzantinischer Hilfe zur Durchführung des Kreuzzugs.[26]

Demgegenüber wird der Sturz Isaaks II. durch seinen Bruder Alexios III. als Möglichkeit für Heinrich gewertet, Anspruch auf ganz Byzanz zu erheben. Angeführt wird, dass Heinrichs Bruder Philipp die verwitwete Schwiegertochter Tankreds, eine Tochter Isaaks, heiratete. Dadurch habe Heinrich VI. sich zum Verteidiger der Rechte des gestürzten Kaisers machen können. Mit der Unterstützung der Reiche Zypern und Kleinarmenien hätte Heinrich so das östliche Mittelmeer unter seine Herrschaft bringen können, was womöglich in einer Eroberung des byzantinischen Reichs gegipfelt hätte.[27]

Eine weitere Stütze in der Beherrschung des Mittelmeerraums bildete die Gewinnung der alten normannischen Besitzungen in Nordafrika. Der Kalif von Tripolis und Tunis willigte angesichts der Forderungen Heinrichs und der innermuslimischen Bedrohung durch die Almohaden in Tributzahlungen ein.

Allerdings lief der Waffenstillstand zwischen Pisa, Heinrichs wichtigstem Verbündetem auf See, und Venedig im November 1195 aus. Die Pisaner drangen in die Adria ein, bemächtigten sich Polas und bedrohten damit Venedigs Machtstellung in der Adria, doch mussten sie im März 1196 eine schwere Niederlage hinnehmen. In Venedig sah man in Heinrich zudem einen Fortsetzer der normannischen Politik, auf beiden Seiten der Adria Stützpunkte zu gewinnen, was die Stadt im Interesse ihres freien Handels mit dem östlichen Mittelmeerraum stets zu verhindern suchte. Heinrich privilegierte am 23. August 1196 das bedeutende venezianische Kloster S. Ilario e Benedetto und konnte erreichen, dass die beiden Seemächte am 1. September 1196 einen für Pisa glimpflichen Frieden abschlossen. Der Kaiser bestätigte Venedig am 6. Juni 1197 alle von seinen Vorgängern zugestandenen Vorrechte im Reich, insbesondere die seines Vaters.[28]

Der Erbreichsplan (1195–1196)

Im Sommer des Jahres 1195 kehrte Heinrich nach Deutschland zurück, um Unterstützung für den Kreuzzug zu erhalten und die Nachfolge für den Fall seines Todes auf dem Kreuzzug nach seinen Wünschen zu regeln. Vorerst musste er sich aber mit den Verhältnissen in der Markgrafschaft Meißen befassen. Dort schwelte seit der Zeit seiner Thronbesteigung die Fehde zwischen den Brüdern Albrecht und Dietrich. Albrecht bedrohte das der Mark benachbarte Pleißenland, das im Besitz der Staufer war. Durch den Tod Albrechts im Juli 1195 bot sich für Heinrich die Möglichkeit, die Stellung der Wettiner zu schwächen. Er verweigerte Dietrich die Belehnung mit der Markgrafschaft Meißen und behielt sie ein.[29]

Im Oktober 1195 kam es auf dem Hoftag zu Gelnhausen zur Einigung zwischen dem in sein Erzbistum zurückgekehrten Hartwig von Bremen und dem Kaiser. Gegen Zugeständnisse in territorialer und materieller Hinsicht erhielt Hartwig die Erlaubnis, den Bischofsstuhl von Bremen wieder einzunehmen. In Gelnhausen schlossen sich dem Kaiser zahlreiche sächsische und thüringische Adelige als Begleitung auf dem Kreuzzug an. Im Dezember fand der Kreuzzugsaufruf des Kaisers auf dem Hoftag in Worms große Resonanz. Den Aufbruch zum Kreuzzug legte er auf das nächste Weihnachtsfest. Gleichzeitig designierte Heinrich seinen Sohn Friedrich zu seinem Nachfolger als deutscher König. Mit dem Versprechen der öffentlichen Kreuznahme gegenüber den Fürsten wollte er die Wahl Friedrichs sichern; dies scheiterte aber am Widerstand des Kölner Erzbischofs Adolf.[30]

Der Wunsch der Fürsten war die Möglichkeit einer Vererbung ihrer Lehen auch an illegitime Kinder und in weiblicher Linie.[31] Daraufhin scheint um die Jahreswende 1195/96 in Heinrichs Umgebung, möglicherweise in der Pfalz Hagenau, der sogenannte Erbreichsplan entwickelt worden zu sein. Es wird vermutet, dass der päpstliche Legat während der Gespräche anwesend war.[32] Im März 1196 schlug Heinrich den Fürsten in Mainz vor, das Reich zu einem Erbreich zu machen. Die Fürsten mussten diesem Vorhaben naturgemäß reserviert gegenüber stehen, da hierdurch ihr Recht zur Königswahl verloren gegangen wäre. Nach Drohungen Heinrichs stimmten die Fürsten dem Erbreichsplan zu.[33] Ende März sollten die Verhandlungen auf einem Hoftag in Würzburg zu Ende geführt werden. Dort soll Heinrich seinen Wunsch erklärt haben, Sizilien mit dem Reich zu verbinden und die Herrscher des Reichs einzig auf dem Erbweg zu bestimmen. Als Gegenleistung sollten die Fürsten ihre Lehen auch in weiblicher Linie vererben dürfen. Die Zustimmung der geistlichen Fürsten sollte durch den Verzicht auf das Regalienrecht (den Erhalt der Einkünfte einer geistlichen Besitzung während einer Sedisvakanz) gesichert werden. Die Fürsten scheinen dem Vorschlag des Kaisers wie auch der Wahl seines Sohnes zum König ihre Zustimmung gegeben zu haben.[34] Bei Teilen der Fürsten, insbesondere denen aus dem sächsischen Raum, regte sich aber Unzufriedenheit über den Plan des Kaisers. Adolf von Köln erschien gar nicht erst auf dem Hoftag.

Im Juli 1196 zog Heinrich über Burgund nach Italien. Dort verhandelte er mit Coelestin III. über die Taufe und Königssalbung seines Sohnes durch den Papst, wofür der Kaiser öffentlich das Kreuz nehmen wollte. Um einen dauerhaften Ausgleich mit der Kurie zu erzielen, machte er dem Papst ein aus seiner Sicht höchstes Angebot. Da die Quellen über die Einzelheiten dieses Angebots schweigen, wurden vielfach Vermutungen über seinen Inhalt angestellt. Der Historiker Johannes Haller verband das Angebot mit den Geschehnissen während der Kaiserkrönung Heinrichs. Er folgerte, der Kaiser habe dem Papst die Lehnsherrschaft über das Reich angeboten. Die neuere Forschung nimmt an, Heinrich habe der Kurie die wertvollste Pfründe an jeder größeren Bischofskirche im Reich als Besitz zuweisen wollen.[35] Der Papst lehnte Heinrichs Vorschläge jedoch ab, da eine Salbung Friedrichs durch den Papst auch als Akzeptanz der Herrschaft der Staufer über Sizilien hätte gewertet werden können. Dadurch wäre der Kirchenstaat von den Staufern endgültig eingekreist worden.[36] In Deutschland sammelte sich währenddessen in Thüringen und Sachsen Widerstand gegen den Erbreichsplan. Wahrscheinlich wollten die Fürsten den Kaiser durch die Verzögerung der Vorbereitungen zum Kreuzzug zur Wiederaufnahme der Verhandlungen zwingen. Nachdem Heinrich verschiedene Mahnungen an die Fürsten gesandt hatte, nahmen einige auch die Zustimmung zur Wahl Friedrichs zurück. Da der Papst unter diesen Bedingungen weitere Gespräche verweigerte, entließ der Kaiser die Fürsten aus ihren Versprechungen. Daraufhin wählten die Fürsten Friedrich um die Weihnachtszeit 1196 in Frankfurt zum römischen König.

Früher Tod und Schwächung der staufischen Macht (1197)

Von Mittelitalien aus begab sich Heinrich Ende 1196 nach Capua, wo er den vom Ministerialen Diepold von Schweinspeunt gefangenen Grafen Richard von Acerra grausam hinrichten ließ. Im März 1197 betrat er sizilianischen Boden. In Palermo nahm er eine Überprüfung der Privilegien vor, die dem sizilianischen Adel zugestanden worden waren. Im Mai begab er sich zur Vorbereitung seines Kreuzzugs nach Messina. Dort erfuhr er von einer großangelegten Verschwörung sizilianischer Adeliger, die seine Ermordung und die Machtübernahme in Sizilien planten. Die bei Catania versammelten Aufständischen wurden von Markward von Annweiler und Heinrich von Kalden niedergeworfen. Ihrem Anführer, der sich in Castrogiovanni verschanzt hatte, ließ Heinrich eine glühende Krone auf den Kopf nageln. Coelestin III. und auch Heinrichs Frau Konstanze wurden der Beteiligung an dem Aufruhr verdächtigt. Letzteres wird von der Forschung eher kritisch gesehen.[37]

Ende August soll den Kaiser auf der Jagd bei Fiumedinisi ein heftiger Schüttelfrost befallen haben. Erst gegen Ende September schien sich sein Zustand zu verbessern, doch dann verstarb er am 28. September im Alter von 32 Jahren in Messina. Es wird vermutet, dass der Kaiser letzten Endes an Malaria starb, an der er möglicherweise während der Belagerung Neapels 1191 erkrankt war. Es ging allerdings auch das Gerücht um, dass ihn seine Gattin Konstanze habe vergiften lassen.

Konstanze ließ Heinrich vorerst in Messina zu Grabe legen. Seit der Gefangennahme des englischen Königs galt Heinrich als exkommuniziert. Daher versuchte Konstanze, vom Papst eine Freisprechung des Toten vom Bann zu erreichen. Allerdings gewährte dies erst Innozenz III. im Jahr 1198. Wahrscheinlich Anfang Mai 1198 wurde Heinrich in einem Porphyrsarkophag im Dom von Palermo beigesetzt.

In seinem Testament, dessen Inhalt freilich nur durch Innozenz III. überliefert wurde, verfügte er, dass dem Papst Gebiete in Mittelitalien zugestanden werden sollten, damit dieser seinen Sohn zum Kaiser kröne. Im Fall, dass Friedrich und Konstanze ohne Nachkommen sterben sollten, sollte das Königreich Sizilien an den Papst fallen.

Nach Heinrichs Tod erfuhr das staufische Reich mehrere Krisen. In Deutschland wählten die staufischen Parteigänger Heinrichs jüngsten Bruder Philipp von Schwaben, die Welfen Otto IV. von Braunschweig, den Sohn Heinrichs des Löwen, zum König. In Rom bestieg 1198 Innozenz III. den Papstthron, der die Weltherrschaft der Staufer durch die Weltherrschaft des Papsttums ersetzen wollte. Im selben Jahr starb Konstanze, die in Sizilien die Regierung für den erst zweijährigen Friedrich übernommen hatte. In ihrem Testament setzte sie Innozenz als Vormund des jungen Friedrich ein. Der Kreuzzug erreichte ohne die Führung Heinrichs nur begrenzte Erfolge.

Herrschaftspraxis Heinrichs

Reisekönigtum

Heinrichs Herrschaft war in beständige Reiseaktivitäten eingebunden (Reisekönigtum). Als Aufenthaltsorte wählte Heinrich, entsprechend dem Herkommen, hierbei vor allem die Reichsbistümer und die Königsgüter. Hierbei überwiegt die Zahl und Dauer der Aufenthalte auf den Königsgütern im Vergleich zu denen auf Gebiet der Reichskirche. Somit wird bereits für Heinrichs Regierungszeit ein Rückgang der reichskirchlichen Servitien (Beherbergung des Königs und seines Gefolges) angenommen. Es lassen sich hier bereits für das 13. Jahrhundert typische Gegebenheiten feststellen, nämlich der Rückgang der Bedeutung der Reichskirche als Stütze der Königsherrschaft und die Verlagerung der Aufenthalte des Herrschers auf die eigenen Besitzungen.[38]

Heinrich hielt sich vor allem in den Kernlandschaften des Reiches im Mittel- und Oberrheingebiet und im Maingebiet auf. Hingegen hat er sich im Vergleich zu der Regierungszeit seines Vaters nur selten in den sächsischen, bayrischen und niederrheinischen Raum bewegt. Dies geschah stets nur aus besonderen Gründen. Die geringe Anzahl von Aufenthalten im schwäbischen Raum wird dadurch erklärt, dass in diesem als staufischem Stammland keine dauerhafte Präsenz des Königs zur Herrschaftssicherung nötig war.

Allgemein wird für Heinrichs Regentschaft eine Schwächung der Königsmacht in den Randgebieten des Reiches festgestellt. Die Gebiete im Norden und Nordwesten des Reiches wurden von Heinrich kaum mehr direkt beherrscht. Legt man den Itinerarbefund Heinrichs zugrunde, lässt sich gegenüber der Herrschaftszeit seines Vaters eine stärkere Beschränkung auf die staufischen Kernräume und somit ein Rückgang der Zentralgewalt auch im sächsischen und bayerischen Raum konstatieren.[39]

Theo Kölzer sieht in der Italienpolitik Heinrichs in Kontinuität zu der seines Vaters denn auch eine Überforderung der Möglichkeiten zur Machtausübung des Reisekönigtums der fränkisch-deutschen Herrscher. Es wäre aber ein Anachronismus, moderne Nützlichkeitserwägungen im Sinne der Sybel-Ficker-Kontroverse an die Italienpolitik anzulegen. Kölzer betrachtet das mit der Beherrschung Reichsitaliens verbundene Ziel der Erlangung der Kaiserkrone als Teil des religiös motivierten „herrscherlichen Selbstverständnisses in spätantik-karolingischer und christlicher Tradition“.[40]

Urkundenvergabe

Während der Reisen Heinrichs stellte seine Kanzlei Urkunden aus. Die Urkunden empfingen zumeist nur die Herrschaftsträger am jeweiligen Aufenthaltsort des Kaisers. Einzig im Rhein-Main-Gebiet wurden die Urkunden des Herrschers in größerem Maße überregional ausgestellt.

Von den ausgestellten Urkunden sind heute etwas mehr als 500 erhalten. 40 Prozent davon sind Originale. Zwei Drittel der Urkunden wurden an Empfänger italienischer Herkunft ausgestellt, was einen deutlichen Anstieg im Vergleich zur Herrschaft seines Vaters darstellt. Der Grund hierfür wird vor allem in dem erweiterten Empfängerkreis durch die Eroberung Siziliens gesehen. Eine Bevorzugung bei der Privilegienvergabe fand im Fall von staufischen Verbündeten am Niederrhein und in Sachsen statt, wo die Gegnerschaft zu Heinrichs Herrschaft besonders groß war. Im staufischen Kernland gab es kaum wichtige Privilegienvergaben, da der Kaiser hier darauf bedacht sein musste, seine Herrschaft möglichst nicht zu schwächen. Außerdem bevorzugte Heinrich die Städte des Reichs und den Zisterzienserorden bei der Urkundenausstellung.[41]

Personelle Stützen

Die Politik Heinrichs wurde maßgeblich im Bereich der kaiserlichen Kanzlei und Kapelle verwaltet. Die Namen der Angehörigen von Kapelle und Kanzlei sind allerdings nur in manchen Fällen bekannt, da die deutschen Notare in ihren Urkunden keinen Schreibvermerk (die Angabe des Verfassers einer Urkunde) verwendeten. So lässt sich ihre Zahl nur durch unterschiedliche Schriftbilder bestimmen.

Das Amt des Kanzlers bekleidete unter Heinrich VI. zunächst Diether von Katzenelnbogen. Nach dessen Tod während der Belagerung von Neapel 1191 blieb das Kanzleramt vorerst unbesetzt. Vermutlich wurde dessen Funktion vom Vertrauten des Kaisers dem Protonotar Heinrich von Utrecht, dem Bischof von Worms, ausgefüllt.[42] Dass Heinrich 1192 Lothar von Hochstaden mit dem Kanzleramt betraute, wird eher als Maßnahme zu dessen zusätzlicher Legitimierung für die Lütticher Bischofswürde verstanden. 1194 besetzte der Kaiser das Amt des sizilianischen Kanzlers mit dem Protonotar Sigelo, der bereits kurz darauf verstarb. Im folgenden Jahr erhob Heinrich Konrad von Querfurt zum Kanzler, der gleichzeitig auf Betreiben des Kaisers zum Bischof von Hildesheim gewählt wurde.

Im Gegensatz zu der Zeit seines Vaters, lässt sich für Heinrichs Regierung ein Absinken der Bedeutung des Kanzleramts feststellen. Erst durch Konrad von Querfurt erlangte das Amt wieder politische Bedeutung.[43]

Gesandtschaften Heinrichs wurden zumeist von hochrangigen Geistlichen geleitet. Geistliche Reichsfürsten wie die Erzbischöfe Philipp von Köln oder Konrad von Mainz wirkten in ihrer Politik eher im Sinne des Kaisers. Mit kriegerischen Aufgaben betraute Heinrich Ministeriale wie Markward von Annweiler.

Stützen von Heinrichs Herrschaft unter den Reichsfürsten waren neben den Babenbergern in Österreich in erster Linie seine Familienangehörigen. Insbesondere sein Onkel Konrad und seine Brüder Otto, Konrad und Philipp (die beiden Letzteren hatten nacheinander die Herzogswürde in Schwaben inne) waren wichtige Vertreter der kaiserlichen Machtstellung, wenn sich Heinrich in Italien aufhielt.

In Italien hatte der Kaiser vergleichsweise wenige einheimische engere Gefolgsleute.

Wirkung

Zeitgenössische Quellen und Urteile

Das Leben Heinrichs VI. erschließt sich vor allem aus zeitgenössischen Urkunden und Chroniken.[44] Heinrich ließ durch seine Kanzlei zahlreiche Urkunden ausstellen. Aus diesen Urkunden werden vor allem die Reisewege des Kaisers und die Personen, die sich in seiner Umgebung aufhielten, erkennbar. Hierdurch erhellen sie die Vorgänge bei Verhandlungen des Kaisers. Als Gegenstücke sind die Urkunden der Kurie zu betrachten, die die Vorgänge aus Sicht der anderen Vertragspartei zeigen.

Die Quellen aus dem Umfeld des staufischen Hofes werden aufgrund ihrer politischen Nähe zum Herrscherhaus teils auch als staufische Hofhistoriographie bezeichnet. An erster Stelle ist hier Gottfried von Viterbo zu nennen, der die enge Kontinuität der römischen Kaiser der Antike zu den staufischen Kaisern heraushob. Er verfasste das Speculum regum, das sich mit der Übergabe der Herrschaft von der Sintflut bis zu Heinrich befasst. Der Dichter und Theologe Petrus von Eboli widmete Heinrich seine Bilderchronik Liber ad honorem Augusti sive de rebus Siculis. Das möglicherweise um 1196 verfasste Werk beschreibt die Aktivitäten Heinrichs in Süditalien. Die Geschehnisse werden aus der Perspektive des kaiserlichen Herrschaftsanspruchs auf das Königreich Sizilien geschildert. Petrus war wohl bei vielen der von ihm berichteten Ereignisse selbst anwesend. Andere mag er durch seine Verbindung zum Hof, namentlich zum Kanzler Konrad von Querfurt erfahren haben. Mehrere weitere mit Heinrich befasste Werke des Petrus von Eboli sind verloren gegangen.

Weitere wichtige Überlieferungen stammen aus den Klöstern des süddeutschen Raumes. Ausgesprochen stauferfreundlich sind hier die Schriften Burchard von Ursbergs. Der Annalist des Klosters Marbach hat eventuell zeitweise selbst Aufträge im Dienste des Herrscherhauses ausgeführt. Distanzierter ist die Kaiserchronik des Otto von St. Blasien.

Andere Quellen haben nicht so sehr das Reichsganze im Blick, sondern berichten aus der regionalen Perspektive, wobei der Blickpunkt eher die Sichtweise der lokalen Fürsten widerspiegelt. Norddeutschland, so auch die Auseinandersetzungen mit den Welfen, werden aus der Geschichtsschreibung des Benediktiners und Welfenanhängers Arnold von Lübeck und des Chronists des Stiftes Steterburg ersichtlich. Aus Thüringen stammt die Chronik des Klosters Reinhardsbrunn, des Hausklosters der Landgrafen von Thüringen. Für die staufische Politik in Flandern ist der Bericht des Giselbert von Mons, Kanzler Balduins von Hennegau, von Bedeutung.

Ebenfalls Quellen für Heinrichs Herrschaft in Italien sind die Chroniken der ober- und mittelitalienischen Städte sowie die Werke des Bischofs Romuald von Salerno und des Notars Friedrichs II. Richard von San Germano.

Den befürwortenden Berichten aus dem deutschen Raum stehen eher negative Aussagen der englischen Chronisten gegenüber. Aus dem Bereich des englischen Hofs stammen die Schriften des Roger von Howden und des Gervasius von Tilbury. Besonders Roger von Howden nahm den Standpunkt des angevinischen Hofes ein und bewertete Heinrichs Handeln bedingt durch den Konflikt mit Richard Löwenherz eher negativ.

Zu erwähnen ist auch Joachim von Fiore, der Heinrich die Weltherrschaft prophezeite, und von diesem hierfür mit Stiftungen bedacht wurde.

Weitere Rezeption

Dante erwähnt Heinrich in seiner Göttlichen Komödie nur indirekt in Zusammenhang mit seinem Sohn Friedrich: „Es ist das Licht der mächtigen Constanza,/ Die aus dem zweiten Sturm vom Schwabenlande [Heinrich VI.]/ Den dritten schuf und letzten Herrscherglanz“.[45] Eine weitere Erwähnung Heinrichs bleibt aus, sodass unklar bleibt, ob Dante ihn in Himmel oder Hölle angesiedelt hätte.

Heinrich VI. in der Forschung

Die historische Forschung des 19. Jahrhunderts stellte Heinrichs VI. Herrschaft in vielen Punkten als den Höhepunkt der Stauferherrschaft dar und sah in ihr auch einen Höhepunkt nicht nur der deutschen mittelalterlichen Geschichte. Diese Sichtweise ist im Kontext auf die Herausbildung eines deutschen Nationalstaats zielender Wünsche zu sehen. Das Handeln der mittelalterlichen Herrscher wurde als Mehrung der „Ehre und Hoheit der deutschen Nation“ verstanden.[46] Obgleich Heinrich VI. in Hinblick auf seine Popularität in der Nationalgeschichtsschreibung stets im Schatten seines Vaters stand, sah die frühere Forschung in seinem frühen Tod und der auf ihn folgenden Doppelwahl den entscheidenden Auslöser für den Machtverlust der Zentralgewalt im Reich und die Verlagerung der Herrschaftsgewalt hin zu den Fürsten. Die folgende territoriale Zersplitterung ließ Heinrichs Tod für die frühere Forschung dadurch umso mehr zur furchtbarsten Katastrophe der mittelalterlichen Geschichte Deutschlands werden.[47] Bereits Theodor Toeche beurteilt Heinrichs Herrschaft in seinem in romantisierendem Ton 1867 verfassten Werk als Vollendung dessen, „was sein großer Vater in Jahrzehnten vergebens erstrebt hatte. […] Mit seinem frühen Tode hat die Weltgeschichte eines der großartigsten Ereignisse, die Verwirklichung und Erprobung jener mittelalterlichen Ideale, und unser Volk eine seiner ruhmreichsten Erinnerungen eingebüßt.“[48] Beispielhaft hierfür steht auch das Urteil Herbert Grundmanns: Er sieht in Heinrichs Tod einen „epochalen Einschnitt nicht nur für die Geschichte Deutschlands“, einen „entscheidenden Wendepunkt“, mit dem „in vieler Beziehung“ bereits das Spätmittelalter eingesetzt habe.[49]

Das Urteil der neueren Forschung ist in dieser Hinsicht weit differenzierter. Ingeborg Seltmann verweist auf die Beschränkung des persönlichen Aktionsraums Heinrichs im Reichsgebiet nördlich der Alpen auf die staufischen Machtzentren und wirft angesichts des Rückgangs kaiserlicher Macht im Norden und Nordwesten des Reiches die Frage auf „ob man die Regierungszeit Heinrichs VI. tatsächlich mit Recht immer wieder als den Zenit der Stauferherrschaft darstellen darf.“[50]

Die aktuelle Forschung stellt die Befähigung Heinrichs zur Herrschaft aber keineswegs in Frage. Odilo Engels sieht ihn als „politisch überragende Persönlichkeit, die mit eiserner Willenskraft die zentrifugalen Kräfte (des staufischen Herrschaftsbereichs) zusammengehalten haben muß“.[51] Allerdings wirft Theo Kölzer Heinrich vor, die Königsmacht nach außen hin zwar stark vertreten, im Innern jedoch die Stärkung der staufischen Hausmacht vernachlässigt zu haben.[52] Kölzer betont vor allem den strukturellen Aspekt der Überdehnung der römisch-deutschen Königsherrschaft, die auf Dauer den Staufern zum Verhängnis geworden sei.[53]

Heinrichs „Grausamkeit“

Ein Schwerpunkt des Heinrichbildes im Laufe der Zeit lag in der Betonung seiner angeblichen Grausamkeit, wie sie vor allem im Kontext der Bestrafung von Gegnern im Königreich Sizilien gesehen wurde. Schon Papst Innozenz III. verglich Heinrichs Herrschaft in Sizilien mit dem „Wüten des Nordwindes“.[54] Ebenso sah der Aufklärer Voltaire in Heinrichs Handeln eine Unterdrückung der mediterranen Zivilisation durch „nordische Barbarei.“[55] Heinrichs angebliche Grausamkeit, wie sie sich in einigen seiner Taten in Sizilien bei der Bekämpfung von Aufständischen widerspiegelte, wurde mit der Herkunft aus dem „barbarischen“, nördlichen Kulturkreis erklärt.

Das Urteil der Historiker des 19. und 20. Jahrhunderts war hier ebenfalls tendenziell zu Heinrichs Ungunsten aufgelegt. Milderte Theodor Toeche sein Urteil noch durch einen Hinweis auf die politische Notwendigkeit von abschreckenden Bestrafungen zum Erhalt der Königswürde in Sizilien ab, so konstatierte Dietrich Schäfer in seiner Deutschen Geschichte: „Vom Vater hatte er doch kaum etwas anderes als, krankhaft gesteigert, das Gefühl für Macht. Er entbehrte aller Eigenschaften, die Herzen gewinnen und Treue fesseln.“[56]

Karl Hampe manifestierte dieses Urteil später, indem er Heinrich als grausamen, einzig der Staatskunst zugewendetetn Herrscher beschrieb, der für „Gefühlswerte unzugänglich“ gewesen sei.[57] Die jüngere Forschung, wie z.B. Theo Kölzer oder Peter Csendes, neigte diesem Urteil teils auch noch zu.

So betrachtet Peter Csendes Heinrich als einen fähigen und pragmatischen Machtpolitiker. Sein teilweise rücksichtsloses Vorgehen, wie im Fall der Preisgabe des Verbündeten Tusculum, hat ihm Eigenschaften wie Kälte und Grausamkeit angeheftet.[58] Diese Eigenschaften stehen für Csendes durchaus im Gegensatz zu den virtutes regales, die in der typologischen Stilisierung eines mittelalterlichen Herrschers tonangebend waren.[59]

Die Ergebnisse der Konfliktforschung sehen in den Hinrichtungen gegen Ende von Heinrichs Herrschaft hingegen lediglich normannische Traditionen der Konfliktführung am Werk, die in den normannischen Reichen und insbesondere im Königreich Sizilien aufgrund der geringen Herausbildung einer festen Führungsschicht existierten. Heinrich hat demnach die örtlichen Sanktionsmechanismen übernommen. Diese setzten im Gegensatz zu dem, auch von Heinrich, im Reich nördlich der Alpen praktizierten Verfahren von Vergebung durch Erneuerung der Freundschaft oder Unterwerfung, eher auf die abschreckende Wirkung, die durch die grausame Hinrichtung eines Gegners erzielt werden sollte.[60] Gerd Althoff stellte hierzu fest: „Heinrich hat sich so wenig wie Friedrich Barbarossa oder Otto III. über alle Schranken hinweggesetzt. Er war vielmehr im Norden wie im Süden den Ritualen verpflichtet, die seine Zeit für die Führung und -beilegung von Konflikten praktizierte. [...] Wenn man also bei ihm abartige Grausamkeit konstatiert, dann sollte man wissen, dass sich dieser Vorwurf gegen eine ganze Epoche richtet, nicht gegen eine einzelne Person.“[61]

Literatur

Quellen

  • Petrus de Ebulo: Liber ad honorem Augusti (sc. Henrici VI.) sive de rebus Siculis. Codex 120 II der Burgerbibliothek Bern. Eine Bilderchronik der Stauferzeit. (Hrsg.): Theo Kölzer und Marlis Stähli. Textrevision und Übersetzung von Gereon Becht-Jördens. Jan Thorbecke, Sigmaringen 1994, ISBN 3-7995-4245-0 l
  • Richard von San Germano: Ryccardi de Sancto Germano notarii Chronica, hg. v. Carlo Alberto Garufi, 1936–38
  • Gottfried von Viterbo: Gotifredi Viterbiensis speculum regum. ed. Georg Waitz, in SS 22 (Hannover 1872), S. 21ff.

Sekundärliteratur

  • Gerd Althoff: Kaiser Heinrich VI. In: Werner Hechberger, Florian Schuller (Hrsg.): Staufer & Welfen. Zwei rivalisierende Dynastien im Hochmittelalter. Pustet, Regensburg 2009, S. 142–155, ISBN 978-3-7917-2168-2.
  • Peter Csendes: Heinrich VI. (Gestalten des Mittelalters und der Renaissance). Darmstadt 1993.
  • Joachim Ehlers: Heinrich VI.. In: Bernd Schneidmüller und Stefan Weinfurter (Hrsg.): Die deutschen Herrscher des Mittelalters. München 2003, S. 258–271 und S. 582f. (Bibliografie).
  • Odilo Engels: Die Staufer. 8. Auflage. Kohlhammer, Stuttgart 2005, S. 126–140, ISBN 3-17-017997-7.
  • Thomas Ertl: Studien zum Kanzlei- und Urkundenwesen Kaiser Heinrichs VI., Wien 2002, ISBN 978-3-7001-3071-0.
  • Gesellschaft für staufische Geschichte (Hrsg.): Kaiser Heinrich VI. Ein mittelalterlicher Herrscher und seine Zeit. Göppingen 1998. ISBN 3-929776-09-X.
  • Johannes Haller: Heinrich VI. und die römische Kirche. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1962 (zuerst erschienen in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 35 (1914), S. 385–454, 545-669).
  • Sigrid Hauser: Staufische Lehnspolitik am Ende des 12. Jahrhunderts 1180–1197. Peter Lang GmbH Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt am Main 1998. ISBN 3-631-32449-9
  • Hartmut Jericke: Kaiser Heinrich VI. – Der unbekannte Staufer. Gleichen 2008 (nicht fachwissenschaftliche Darstellung).
  • Hartmut Jericke: Imperator Romanorum et Rex Siciliae – Kaiser Heinrich VI. und sein Ringen um das normannisch-sizilische Königreich (Europäische Hochschulschriften III/765). Frankfurt am Main 1997.
  • Hartmut Jericke: Begraben und Vergessen?. DRW, Leinfelden-Echterdingen 2005, ISBN 3-87181-020-7.
  • Claudia Naumann: Der Kreuzzug Kaiser Heinrichs VI., Peter Lang GmbH Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt am Main 1994. ISBN 3-631-47001-0.
  • Ingeborg Seltmann: Heinrich VI.: Herrschaftspraxis und Umgebung. Erlangen, Palm & Enke 1983, ISBN 3-7896-0143-8.
  • Theodor Toeche: Kaiser Heinrich VI. Jahrbücher der Deutschen Geschichte. Leipzig 1867, ND Darmstadt 1965.
  • Walter Zöllner: Heinrich VI.. In: Evamaria Engel, Eberhard Holtz (Hrsg.): Deutsche Könige und Kaiser des Mittelalters. Köln, Wien 1989, S. 188–196, ISBN 3-412-03688-9.

Lexikonartikel

  • Heinrich VI. (HRR). In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL).
  • Eduard Winkelmann: Heinrich VI. (Kaiser). In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 11, Duncker & Humblot, Leipzig 1880, S. 419–433.

Anmerkungen

  1. ↑ Joachim Ehlers in Bernd Schneidmüller/Stefan Weinfurter: Die deutschen Herrscher des Mittelalters Historische Porträts von Heinrich I. bis Maximilian I., S. 267
  2. ↑ Ingeborg Seltmann: Heinrich VI. Herrschaftspraxis und Umgebung, S. 274, 275
  3. ↑ Peter Csendes: Heinrich VI., S. 38.
  4. ↑ Peter Csendes: Heinrich VI., Anmerkungen S. 222
  5. ↑ Peter Csendes: Heinrich VI., S. 204–205
  6. ↑ Peter Csendes: Heinrich VI. S. 53
  7. ↑ Joachim Ehlers in Bernd Schneidmüller/Stefan Weinfurter: Die deutschen Herrscher des Mittelalters Historische Porträts von Heinrich I. bis Maximilian I., S. 256
  8. ↑ Peter Csendes: Heinrich VI., S. 45
  9. ↑ Annales Casinenses, 314
  10. ↑ Chronica Reinhardsbrunnensis, 551
  11. ↑ Peter Csendes: Heinrich VI., S. 87–88
  12. ↑ Odilo Engels: Die Staufer, S. 130
  13. ↑ Otto von St. Blasien, Chronicon Uspergense, 71
  14. ↑ Deliberatio super facto imperii de tribus electis Regestum Innocentii III papae super negotio Romani imperii, ed. Kempfer, Nr. 29, 75 f.
  15. ↑ Karl Jordan: Heinrich der Löwe Eine Biographie, S. 226
  16. ↑ Peter Csendes: Heinrich VI., S.107
  17. ↑ a b Odilo Engels: Die Staufer, S. 132
  18. ↑ Gislebert: Chronicon Hanoniense, 282 (MGH Scriptores 21, 582)
  19. ↑ Peter Csendes: Heinrich VI., S. 128; Odilo Engels: Die Staufer, S. 133
  20. ↑ Annales Casinenses, 314; Richard von San Germano, 6; Arnold von Lübeck, 151 f.
  21. ↑ Annales Marbacenses, 479 f.
  22. ↑ Odilo Engels: Die Staufer, S. 138–140
  23. ↑ Zu den praktischen Auswirkungen der kaiserlichen Weltherrschaftsidee siehe auch: Othmar Hageneder: Weltherrschaft im Mittelalter, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 93, 1985, S. 257-278
  24. ↑ Claudia Naumann: Der Kreuzzug Kaiser Heinrichs VI., S. 99.
  25. ↑ Niketas Choniates, 630 f.
  26. ↑ Claudia Naumann: Der Kreuzzug Kaiser Heinrichs VI., S. 104
  27. ↑ Joachim Ehlers in Bernd Schneidmüller/Stefan Weinfurter: Die deutschen Herrscher des Mittelalters Historische Porträts von Heinrich I. bis Maximilian I., S. 267.
  28. ↑ MGH Const. I, S. 526–530, Nr. 378.
  29. ↑ Heinrichs Bruder Philipp von Schwaben gab Meißen während seiner Herrschaft wieder als Lehen aus, da er auf die Unterstützung der Wettiner angewiesen war. siehe Peter Csendes: Heinrich VI., S. 169
  30. ↑ Es wird berichtet, dass Erzbischof Adolf als einziger der Fürsten das Versprechen zur Wahl Friedrichs verweigerte. Annales Marbacenses, 67
  31. ↑ Chronica Reinhardsbrunnensis (MGH Scriptores 30, 556)
  32. ↑ Peter Csendes: Heinrich VI., S. 175
  33. ↑ Thüringische Chronik (MGH Scriptores 30, 557)
  34. ↑ Über Einzelheiten der Vorgänge auf dem Würzburger Hoftag berichtet die Geschichte des Bistums Lüttich (MGH Scriptores 25, 132); Peter Csendes: Heinrich VI., S. 175–176
  35. ↑ Joachim Ehlers in Bernd Schneidmüller/Stefan Weinfurter: Die deutschen Herrscher des Mittelalters Historische Porträts von Heinrich I. bis Maximilian I., S. 268; Peter Csendes: Heinrich VI., S. 185
  36. ↑ Joachim Ehlers in Bernd Schneidmüller/Stefan Weinfurter: Die deutschen Herrscher des Mittelalters Historische Porträts von Heinrich I. bis Maximilian I., S. 268
  37. ↑ Peter Csendes: Heinrich VI., S. 192
  38. ↑ Ingeborg Seltmann: Heinrich VI. Herrschaftspraxis und Umgebung, S. 52
  39. ↑ Ingeborg Seltmann: Heinrich VI. Herrschaftspraxis und Umgebung, S. 69
  40. ↑ Theo Kölzer in Gesellschaft für staufische Geschichte (Hrsg.): Kaiser Heinrich VI., 28
  41. ↑ Ingeborg Seltmann: Heinrich VI. Herrschaftspraxis und Umgebung, S. 110–111
  42. ↑ Peter Csendes: Heinrich VI., S. 207
  43. ↑ Peter Csendes: Heinrich VI., S. 206–207
  44. ↑ Zu den Quellen für Heinrichs Herrschaft siehe: Peter Csendes: Heinrich VI., S. 18–23
  45. ↑ Dante: Göttliche Komödie, Paradies 3.118-120, übersetzt von Konrad Falke
  46. ↑ So Wilhelm von Giesebrecht über Friedrich Barbarossa, zitiert nach Knut Görich: Die Staufer Herrscher und Reich, S. 13
  47. ↑ Karl Hampe: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer, 12, Aufl., Darmstadt 1969, S. 233
  48. ↑ Theodor Toeche: Kaiser Heinrich VI., S. 508, 509
  49. ↑ Herbert Grundmann: Gebhardt Handbuch der deutschen Geschichte Band 1, S. 427
  50. ↑ Ingeborg Seltmann: Heinrich VI. Herrschaftspraxis und Umgebung, S. 274
  51. ↑ Odilo Engels: Die Staufer, S. 140
  52. ↑ Walter Zöllner: Heinrich VI.. In: Evamaria Engel, Eberhard Holtz (Hrsg.): Deutsche Könige und Kaiser des Mittelalters, S. 196
  53. ↑ Theo Kölzer in Gesellschaft für staufische Geschichte (Hrsg.): Kaiser Heinrich VI., S. 30
  54. ↑ Innocentii III Romani pontificis regestorum sive epistolarum I, hg. von Jacques P. Migne (Patrologie Latina 214), Paris 1980, Nr. 413, S. 390
  55. ↑ Siehe hierzu: Arno Borst: Reden über die Staufer, Frankfurt a.M./Berlin 1978, S. 82
  56. ↑ Dietrich Schäfer: Deutsche Geschichte, Bd. 1: Mittelalter, Jena 1913, S. 304
  57. ↑ Karl Hampe: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer, Leipzig 1929, S. 184
  58. ↑ Peter Csendes: Heinrich VI., S. 215 und 222
  59. ↑ Peter Csendes in Gesellschaft für staufische Geschichte (Hrsg.): Kaiser Heinrich VI., S. 44
  60. ↑ Siehe hierzu Gerd Althoff: Die Macht der Rituale, S. 157 ff.
  61. ↑ Gerd Althoff in: Staufer und Welfen Zwei rivalisierende Dynastien im Hochmittelalter. Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2009, S.155

 

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Erfurter Dom

Der Erfurter Dom (früher auch Marienkirche oder Propsteikirche Beatae Mariae Virginis genannt) ist der wichtigste und älteste Kirchenbau in Erfurt. Er diente nur kurze Zeit in der Mitte des 8. Jahrhunderts als Bischofssitz und war das gesamte Mittelalter über bis in das frühe 19. Jahrhundert hinein Sitz des Kollegiatstifts St. Marien. Seit 1994 ist er wieder Kathedrale des neugeschaffenen Bistums Erfurt und Sitz des Domkapitels.

Geschichte Erfurts im frühen Mittelalter

Erfurt war bereits im Thüringischen und Fränkischen Reich ein wichtiges Machtzentrum. Schon Papst Gregor II. (715–731) hatte 724 die Thüringer aufgefordert, dem hier missionierenden Bonifatius ein „Haus“ zu bauen. Angeblich ist man dieser Aufforderung bereits 725 nachgekommen. 741/42 bat Bonifatius den Papst Zacharias, die Gründung eines Bistums „an dem Erphesfurt genannten Ort, der schon seit langem eine Siedlung oder Burg (urbs) heidnischer Bauern war“ zu bestätigen. Gleichzeitig wurden auch noch die Bistümer Büraburg (später Fritzlar) und Würzburg eingerichtet. Die Ersterwähnung gilt als Gründungsdatum der Stadt Erfurt, obwohl Bonifatius ja schon eine volkreiche Siedlung vorgefunden hatte, was zum einen Bedingung für die Einrichtung eines Bistums war und zum anderen die Ergebnisse der stadtarchäologischen Forschungen deutlich gezeigt haben.

Nur wenige Jahre später, wohl schon in den frühen 750er Jahren, spätestens aber nachdem Bonifatius, Adalar und Eoban 754 das Martyrium in Friesland erlitten hatten, erfolgte die Auflösung des Bistums und die Eingliederung in das Bistum Mainz. Der erste Erfurter Bischof war wohl nicht Adolar, wie in der Legende berichtet wird, sondern der seit 751/52 in Eichstätt wirkende Willibald von Eichstätt. Aus dem Jahr 802 liegt die urkundliche Nennung einer karolingischen Pfalz vor, die mit einiger Sicherheit auf dem Erfurter Petersberg zu lokalisieren ist. 805 wurde Erfurt im Diedenhofener Kapitular Karls des Großen als Grenzhandelsplatz mit den Slawen bestimmt.

Baugeschichte der katholischen Domkirche Beatae Mariae Virginis

Vorromanische und romanische Zeit

Der erste Vorgänger der heutigen Marienkirche wurde angeblich ab 752 durch Bonifatius errichtet; an welchem Ort und in welcher Form dies erfolgte, ist jedoch nicht bekannt. Bei archäologischen Untersuchungen anlässlich eines Orgeleinbaus wurde 1991 im Westen des Langhauses in 3 m Tiefe eine aus einfachem Mauerwerk errichtete Westapsis angetroffen und ins 9. Jahrhundert datiert. Der Ausgräber Wolfgang Timpel hielt es sogar für möglich, dass sie bereits zur ersten Kirche gehört und im 8. Jahrhundert errichtet worden war. Eine erneute Untersuchung ergab jedoch, dass diese Apsis erst aus jüngerer Zeit, wohl dem 12. Jahrhundert, stammt.

St. Marien wurde 1117 erstmals urkundlich bezeugt, und 1153 wurde vom Einsturz der Erfurter Hauptkirche, der major ecclesia, berichtet. 1154 erfolgte der Baubeginn einer spätromanischen Basilika auf dem Domberg. Man sollte jedoch weder als sicher annehmen, dass die Kirche des Bonifatius bis 1153 stand, noch dass der Bau tatsächlich eingestürzt war. Viel wahrscheinlicher ist, dass Domherren und Mainzer Erzbischof eine neue Kirche errichteten, weil sie hinter dem Neubau der benachbarten St. Severi-Kirche und des Petersklosters, die bei einem Brand 1142 zerstört worden waren, nicht zurückstehen wollten. Möglicherweise hatte der Brand aber auch teilweise auf St. Marien übergegriffen.

Der Bau ging schnell voran, da man bei den Bauarbeiten 1154 zwei Bestattungen aufgedeckt hatte, die als Überreste der heiligen Bischöfe Adolar und Eoban identifiziert wurden, was mit den bald darauf einsetzenden Spenden und Opfergaben wesentlich zur Baufinanzierung beitrug. Die Kirche war 1170 bereits benutzbar, da in diesem Jahr Ludwig III., der Sohn des Landgrafen Ludwig des Eisernen von Thüringen, hier von Kaiser Friedrich I. Barbarossa zum Ritter geschlagen wurde.

Auch die beiden ältesten Ausstattungsstücke des Doms stammen aus dieser Zeit: Der sogenannte Wolfram und die romanische Madonna aus Stuck, die beide um 1160 datieren. Bei dem Wolfram handelt es sich um die Bronze-Freiplastik eines Leuchterträgers, die vermutlich in der Magdeburger Gießhütte entstand und eine der ältesten freistehenden Bronzeskulpturen in Deutschland überhaupt ist. Der in einer ziselierten Inschrift auf den herabhängenden Gürtelenden zusammen mit seiner Ehefrau Hiltiburc genannte Stifter Wolfram ist sehr wahrscheinlich identisch mit einem Mainzer Ministerialen Wolframus scultetus, der 1157 zweimal in Urkunden erscheint.

Für den 20. Juni 1182 ist eine Weihe der Kirche überliefert, bei der es sich wohl um die Gesamtweihe handeln dürfte, ohne dass zu diesem Zeitpunkt jedoch schon alle Bauarbeiten abgeschlossen waren. Dies belegen Nachrichten über die Fertigstellung der Türme und eine erneute Weihe am 5. Oktober 1253, die besonders in der älteren Literatur gern als Abschluss des romanischen Baus in Anspruch genommen wurde. Es kann sich aber nur um eine Nach- oder Wiederweihe nach Um- oder Erweiterungsbauten handeln. Wahrscheinlich beziehen sie sich auf die Einwölbung des Sanktuariums, das mindestens bis 1238 flach gedeckt war.

Von dem romanischen Bau aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, einer Basilika mit kreuzförmigem Grundriss, haben sich noch die Unterbauten der Türme mit je zwei quadratischen Untergeschossen, die westlich anschließenden Chornebenräume und Teile des Querhauses erhalten. Die darüber liegenden Turmgeschosse, die in ein Oktogon übergehen, stammen aus dem späten 12. Jahrhundert und der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. 1201 wurde der Süd- und 1237 der Nordturm fertiggestellt, beide später jedoch mehrfach verändert beziehungsweise sogar im 15. Jahrhundert neu aufgebaut.

Gotische Umbauten

Wie in anderen Dom- und Stiftskirchen wuchs in der Gotik das Bedürfnis, die Kirche und besonders den Chor größer und heller zu gestalten, zumal der Platz nicht mehr für alle Domkapitulare ausreichte. Deren Zahl war durch mehrere Stiftungen beträchtlich gestiegen und über 100 Personen, an Feiertagen sogar an die 300 Kleriker nahmen am Gottesdienst teil.

Bereits in den 1280er Jahren wurde daher begonnen, einen neuen größeren Chor mit polygonalem Abschluss anzufügen. 1290 erfolgte die Weihe der ersten Chorverlängerung. Daraufhin wurde mit dem Ausbau des Mittelturms begonnen und dieser vor 1307 fertiggestellt. Er dient als Glockenhaus mit der berühmten Glocke Gloriosa, die erstmals 1251 geweiht wurde. Zwischenzeitlich wurde die Glocke mehrmals neu gegossen. Letzter Guss 1497.

Doch schon bald reichte der Platz erneut nicht mehr aus. Deshalb schuf man im 14. Jahrhundert einen noch einmal wesentlich erweiterten Chor und stellte auch umfangreiche Bauarbeiten an der restlichen Kirche an. Der 1349 weitergeführte (zu diesem Zeitpunkt standen die unteren Meter des Mauerwerks schon seit einer Generation fertig da) sogenannte Hohe Chor mit 5/8-Schluss wurde von dem Weihbischof von Constantia, Friedrich Rudolf von Stollberg, geweiht, der zwischen 1370 und 1372 amtierte.

Der Dom wurde aus Seeberger Sandstein errichtet, der vom Großen Seeberg bei Gotha stammt.

Besonders hinzuweisen ist auf den spätgotischen Glasgemäldezyklus (etwa 1370–1420) im Hohen Chor, einem der besterhaltenen in Deutschland, und die ebenfalls noch weitgehend originale Raumausstattung des Chores. Das 1329 geschaffene Chorgestühl ist eines der umfangreichsten mittelalterlichen Gestühle Deutschlands und qualitätsvoller als in mancher Bischofskirche. Die dendrochronologische Datierung des Gestühls zeigt, dass die Planungen der Bauausführung weit vorgriffen - 1329 standen erst die untersten Meter des Mauerwerks des Hohen Chors. Nach einer Bauunterbrechung wurde hier erst 1349 weitergebaut.

Der Chor steht auf gewaltigen Substruktionen, die man bis 1329 für die künstliche Erweiterung des Domhügels nach Osten schaffen musste. Diese Unterbauten werden Kavaten genannt, was sich von lateinisch cavare = aushöhlen ableiten lässt. Im Mittelalter und Neuzeit wurden hier Häuser eingebaut, die im 19. Jahrhundert jedoch beseitigt worden sind. Das heutige Bild des Chors entstammt ebenfalls erst dieser Zeit, in der die Attika auf der Mauerkrone und die Fialen, die Heiligenskulpturen vor den Strebepfeilern und weitere Ausstattungsteile neu geschaffen wurden. Noch mittelalterlich ist dagegen die Außenkanzel an einem der Kavatenpfeiler. Mit dem Bau der Kavaten ist auch die Unterkirche – die Benennung Krypta ist nicht ganz korrekt – errichtet worden, die 1353 geweiht werden konnte. Die gotische Unterkirche war Andachtsraum und Prozessionsweg zugleich. Gesichert ist die Heilig-Blut-Prozession um den Chor. In dieser Funktion bedurfte sie keines direkten Zugangs von der Kirche, wohl aber zweier gegenüberliegender Türen für die Prozession.

Zeitgleich zur Erbauung der Kavaten – um 1330 – wurde der Triangel-Portalvorbau am nördlichen Querschiffsarm als Haupteingang errichtet. Er zeigt die zwölf Apostel und den Zyklus der klugen und törichten Jungfrauen, flankiert von Ekklesia und Synagoge. Insgesamt ist diese Lösung ungewöhnlich, denn der Dom hat keine repräsentative Westfassade mit Portal, sondern man erlebt ihn von Nordosten her kommend. Dies liegt vor allem an dem begrenzten Platz auf dem Domhügel, den man sich noch mit der Severikirche teilen musste und der wichtigen mittelalterlichen Stadt östlich des Domes.

Aus dem Jahr 1452 stammt die Nachricht, dass der Einsturz des Langhauses drohte. Dies ist zwar nicht ganz unwahrscheinlich, da man ja immer noch das romanische Langhaus benutzte, aber es war wohl mehr der Wunsch nach einem ähnlichen modernen Bau wie dem der benachbarten St. Severi-Kirche, der zu einem Neubau schreiten ließ. St. Severi hatte schon in der Mitte des 14. Jahrhunderts nach einem Brand ein neues Langhaus erhalten.

1455 wurde das Langhaus endgültig abgerissen und mit dem Neubau einer spätgotischen Hallenkirche begonnen. Der Grund für den Umbau liegt offenbar darin, dass die Stiftsherren mehr Platz für die Gemeinde gewinnen wollten. Der eigenständige Anteil der bürgerlichen Bevölkerung an der Baufinanzierung wird aber auch nicht gering einzuschätzen sein. Die Kirche war bereits um 1465 wieder benutzbar, da von einer Fronleichnamsprozession durch das Westportal berichtet wird. Wann das Langhaus fertiggestellt war, ist nicht überliefert. Das spätgotische Sterngewölbe im Südarm des Querhauses stammt wohl ebenfalls aus dem letzten Drittel des 15. Jahrhunderts und zeichnete vermutlich ehemals den Standort der Reliquien-Tumba der Hl. Adolar und Eoban aus (heute in der Unterkirche).

Die Klausuranlagen

Die Klausur südlich des Doms ist heute dreiteilig und umschließt einen kleinen Kreuzhof. Der westliche und südliche sind übliche einschiffige Kreuzgangflügel, der nördliche wurde mit dem Bau des spätgotischen Langhauses niedergelegt. Dagegen ist der östliche Kreuzgangflügel als zweischiffige sogenannte Kunigundenhalle ausgebildet. Der Saal diente den Kapitelsitzungen und wurde wohl ungefähr gleichzeitig mit der Fertigstellung der Türme 1230/40 errichtet. Die übrigen Teile der Klausur wurden abschnittsweise von der Mitte des 13. Jahrhunderts bis in die Mitte des 14. Jahrhunderts errichtet und umgebaut, der Ostflügel Mitte des 14. Jahrhunderts nachträglich eingewölbt. Auch die Klausurgebäude wurden in der Folgezeit und insbesondere im 19. Jahrhundert stark verändert.

Die Clemens- und Justuskapelle am Ostflügel, ein einschiffiger, einjochiger Raum mit Sterngewölbe und 5/8-Schluss, wurde 1455 fertiggestellt und weicht ebenfalls in Achse nach Norden hin ab.

Die weitere Entwicklung des Kirchenbaus in der Neuzeit

Stadt und Kirche erlebten im Dreißigjährigen Krieg mehrfache Besitzerwechsel, zeitweise sollte das Stift sogar aufgehoben und den Jesuiten übergeben werden, was jedoch durch das Kapitel verhindert werden konnte. Zwischen 1697 und 1706 wurde der gewaltige barocke Hochaltar geschaffen und im Chor aufgestellt, um den liturgischen Feiern einen pompöseren Rahmen zu geben und den Sieg des Mainzer Erzbischofs über die evangelische Stadt nach außen zu demonstrieren. Der Mainzer Erzbischof verlor zunehmend das Interesse an dem Stift und ließ im 17. und 18. Jahrhundert kaum noch Erhaltungsarbeiten durchführen. Nachdem 1717 die Turmhelme abgebrannt waren, wurde nur ein flaches Notdach aufgesetzt. Während der napoleonischen Kriege wurde der Domberg wie auch der Petersberg in eine Festung umgewandelt und der Dom durch französische Truppen als Pferdestall missbraucht. Bei der Beschießung in den Befreiungskriegen 1813 wurde die gesamte dichte Bebauung des Domplatzes mit den Kurien zerstört. 1803 und endgültig 1837 wurde im Zuge der Säkularisierung das Domstift aufgelöst und diente fortan als Pfarrkirche. In dem nun preußischen Erfurt begann 1828 ein umfangreiches puristisches Restaurierungs- und Umbauprogramm, bei dem das spätgotische Walmdach 1868 zu einem niedrigeren Satteldach umgebaut wurde. Diese Maßnahmen waren um 1900 weitgehend abgeschlossen.

Im Zweiten Weltkrieg blieb der Dom von direkten Bombentreffern verschont. Allerdings wurden Dach und Fenster des Chores durch Detonationen in der Nachbarschaft teilweise stark beschädigt. Die Reparaturen dauerten bis 1949.

Im Jahr 1965 lag der Beginn erneuter umfangreicher Restaurierungsarbeiten. 1968, 100 Jahre nach dessen Errichtung, wurde das neogotische Dach mit dem Mosaikbild der Maria am westlichen Giebel wieder abgebaut und durch ein dem spätgotischen Zustand entsprechendes neues Dach ersetzt. In den späten 1970er und 1980er Jahren bis 1997 wurde die Restaurierung der Kirche, mit erheblicher westdeutscher Unterstützung, weiter fortgesetzt. 1994 wurde die ehemalige Marienstiftskirche zur Kathedrale des restituierten Bistums Erfurt erhoben.

Ausstattung

Glasfenster im Hochchor

Die 18,6 m hohen und bis 2,60 m breiten vierbahnigen Maßwerkfenster im Chor zeigen einen spätgotischen Glasgemäldezyklus, der von etwa 1370 bis um 1420 geschaffen wurde und zu den größten seiner Art in Deutschland gehört. 13 der 15 Fenster sind noch fast vollständig mittelalterlich erhalten, wobei von den etwa 1100 einzelnen Scheiben 895 mittelalterlich sind. Lediglich das nur in Resten erhaltene Ostfenster mit Szenen aus dem Marienleben und geringfügige Ausbesserungen der Zeit zwischen 1897 und 1911 ergänzen den Altbestand. Die beiden westlichen Fenster der Südseite sind, einem neuen Restaurierungskonzept folgend, in der Bildsprache des Mittelalters gehaltene Neuschöpfungen von Charles Crodel.[1]

Rechts neben dem Scheitelfenster werden die Schöpfung und die Urzeit bis zum Turmbau zu Babel behandelt (1. Buch Mose), links die Passion Christi bis zur Auferstehung. Die Südseite zeigt die Geschichte der Erzväter Abraham, Jakob und Josef, das letzte Fenster spätgotische heilige Jungfrauen (Tiefengrubenfenster), die Nordseite die Apostel und Apostelmartyrien sowie Heiligenlegenden der Hl. Katharina, Eustachius, Bonifatius und Helena.

Die Fenster wurden sukzessive nach dem Chorbau geschaffen und können in drei Gruppen unterschieden werden: Die ältesten acht Fenster gehören der sogenannten kleinfigurigen Gruppe an (Eustachius-, Katharinen-, Apostel-Martyrien- sowie Passionsfenster an der Nordseite, Genesis-, Abraham-, Jakob- und Josephfenster an der Südseite). Sie zeichnen sich durch vorwiegend gedrungene Figuren mit großen Köpfen und Händen aus. Die Felder sind eng gefüllt. Sie entstanden unter dem Einfluss böhmischer und süddeutscher Vorbilder und datieren zwischen etwa Ende der Chorbauzeit um 1370 und 1380. Die zweite Gruppe wird als Einzelfigurengruppe bezeichnet. Hierzu gehören das Apostelfenster an der Nordostseite des Polygons und das wahrscheinlich beim Hochaltareinbau entnommene und seitdem weitgehend verschollene zentrale Marienfenster der Ostseite. Die Gruppe wird charakterisiert durch auf einzelne Scheiben verteilte Heiligendarstellungen mit weich fallenden Gewändern unter Vernachlässigung der Körperlichkeit und kräftig ausgebildeter Binnenzeichnung. Sie entstanden zwischen etwa 1390 und etwa 1400. Zu den Fenstern der sogenannten großfigurigen Gruppe gehören das Bonifatius- und das Helenafenster (die beiden westlichen der Nordseite) und das Tiefengrubenfenster. Es nach dem gleichnamigen Domvikar benannt, der das Fenster stiftete und hierauf kniend dargestellt ist. Er ist 1403 urkundlich nachweisbar und deshalb kann auch das letzte Fenster auf diese Zeit datiert werden. Bei den beiden ersten Fenstern wird in Betracht gezogen, dass sie nach dem Dombrand 1416 vielleicht in größerem Umfang erneuert und erst etwa 1420 endgültig fertiggestellt wurden. Deutlich zeigt sich hier der über Böhmen vermittelte Einfluss des „Weichen Stils“.

Chorgestühl

Der Chor besitzt neben den Fenstern auch noch seine weitgehend originale Raumausstattung. Die hintereinander angeordneten 89 Sitze verteilen sich auf zwei Doppelreihen von 17,5 Meter Länge und je eine Reihe links und rechts an den westlichen Wänden, die den hohen Chor vom romanischen Kirchenteil trennen. Die Sitze sind aus Eichenholz. Das Erfurter Chorgestühl ist eines der umfangreichsten und am besten erhaltenen mittelalterlichen Gestühle in Deutschland, das original erhalten und qualitätvoller ist als in mancher anderen Bischofskirche. Im Jahr 1329 wurde das Holz für das Chorgestühl geschlagen und wohl bald darauf auch bearbeitet. Die bislang angenommene Datierung in die 1360/70er Jahre muss aufgrund dieser Datierung um 40 Jahre nach vorne verlegt werden. 1829/30 und 1900 erfolgten Ergänzungen vor allem im Bereich der Baldachine, so dass deren ursprüngliche Ausprägung nicht mehr rekonstruierbar ist. Außerdem wurden 36 der 50 Frauenfigürchen der Zwischenbacken und andere Details ersetzt.

Wie in jeder Stiftskirche hatte jeder Chorherr seinen eigenen festen Platz im Chorgestühl („stallus in choro“), wobei streng nach Rang unterschieden wurde. In den hinteren, höher platzierten und viel reicher ausgestatteten Stühlen hatten die maiores praebendati, die besser ausgestatteten Chorherren, ihren Platz. Darunter lagen die Plätze der minores praebendati, geringere Kleriker wie gewählte Domherren im Wartestand und Vikare sowie Schüler der Domschule. Letztere hatten oft ihre Namen eingeritzt, was in älterer Literatur hinsichtlich Datierung zu Verwirrung sorgte. Am prächtigsten und reichsten verziert ist die Gestühlsreihe an der Westseite des Chores. Auf jeder Seite liegen drei Sitze mit davorstehenden Pulten, die jedoch in der Form modern sind, nur die Wangen sind noch original. Hier saßen die Dignitäre oder Prälaten, die Würdenträger des Kapitels: der Propst, der in Personalunion auch Archidiakon war, Dekan, Kantor, Kustos, Scholaster, und auf dem sechsten Stuhl vielleicht der Senior oder Punctator oder ein Weihbischof.

Das Programm besteht aus einer typologischen Gegenüberstellung von Alten und Neuem Testament. Dazu kommen genrehafte Szenen und Fratzen und Wesen an Zwischenbänken und Handläufen. Die Stühle besitzen keine der sonst üblichen Misericordien („Erbarmen“), das heißt kleine Konsolen zum Abstützen. Besonders reich ausgebildet sind die beiden großen Westwangen. Die südliche zeigt einen rankenden, Rundformen bildenden Weinstock mit Szenen des Weinanbaus und der Weinlese über einem Christuskopf zwischen zwei Fischen. Oben in neben kleinen vollplastischen Figur von Maria mit dem Kind ist in zwei Dreipassarkaden der Sündenfall dargestellt. Der Weinstock ist als Symbol Christi zu interpretieren, da der Wein das Blut Christi versinnbildlicht. Die Medaillons mit dem Weinbau sind damit Allegorien der Überwindung der Erbsünde durch das Opfer Christi. Die nördliche Westwange zeigt den Sieg des Christentums über das Judentum im Kampf zwischen Ekklesia und Synagoge. Ein strahlender Ritter tritt gegen einen Reiter auf einer Sau an (siehe Judensau). Wahrscheinlich steht diese Darstellung auch mit den 1349/50 tobenden Pogromen gegen die Juden in Zusammenhang. Die darüber befindlichen vier musizierenden Engel mit zeitgenössischen Musikinstrumenten und der König David mit der Harfe sowie drei musizierenden Begleitern feiern offenbar den Sieg der christlichen Kirche. Bei den Ostwangen sind im Süden der heilige Christophorus als Jugendlicher und im Norden der sich erhängende Judas Ischariot und ein höhnisch grinsendes Teufelchen im Baumgeäst dargestellt. Deutlich sind ein Qualitätsabfall und mindestens zwei Hände feststellbar, wobei das Gestühl der Dignitare und hohen Prälaten den besten Bildschnitzern anvertraut war.

Hochaltar

Der 16,5 m hohe und 13 m breite barocke Hochaltar wurde zwischen 1697 und 1707 angefertigt und wohl anstelle eines großen gotischen Flügelaltars aufgestellt. Er konnte zu Beginn des 21. Jahrhunderts erfolgreich saniert werden und erstrahlt befreit von Staub und Ruß in neuem Glanz. Das Tabernakel trägt eine inschriftliche Datierung auf 1697 und wurde nach der chronikalischen Überlieferung 1706 aufgestellt. Der Meister des Altars ist unbekannt. Die Aufstellung erfolgte im Zusammenhang mit der Gegenreformation und ist als Zeichen der Herrschaft des Mainzer Erzbischofs in Erfurt zu verstehen.

Er besteht aus einem hohen, doppelgeschossigen Postament, das mehrfach verkröpft und mit seitlichen Durchgängen versehen ist. Auf dem breiten, polygonal angeordneten Untergeschoss stehen Säulenpaare, die gedreht und mit Weinlaub umwunden sind. Sie tragen ein mächtiges Gebälk mit reichem plastischen Dekor, das die Form des Postamentes wieder aufnimmt. Auf dem Postament stehen außen Plastiken der Apostelfürsten, links der Heilige Petrus, rechts der Heilige Paulus, danach links der Heilige Bonifatius und rechts St. Martin, der Patron des Mainzer Erzbistums, und an bevorzugter Stelle neben dem Altarbild die Bischöfe Adolar und Eoban. Auf dem oberen Postament stehen die vier Evangelisten. Nur in der Mittelachse besteht ein mit Sprenggiebeln versehener Aufsatz, der von einem Giebelfeld mit ovalem Medaillonbild bekrönt wird. Auf den Sprenggiebeln wiederum stehen Josef und Johannes der Täufer. Das Medaillonbild zuoberst flankieren die Erzengel Michael und Raphael.

Das untere Altarblatt zeigt die Anbetung der Heiligen Drei Könige, wobei sich die Darstellung an das gleichnamige Gemälde von Peter Paul Rubens anlehnt. Es stammt von dem in Erfurt zwischen 1736 und 1776 nachweisbaren Maler Jakob Samuel Beck und ersetzt wohl ein älteres Gemälde. Ursprünglich war auch das Gemälde der heiligen Dreifaltigkeit im Aufsatz von Beck, heute hängt hier ein barockisierendes Bild mit einer Schutzmantelmadonna von 1950, in der sich damals lebende Zeitgenossen der Domgemeinde verewigen ließen. In der Kartusche wird ein Verkündigungsbild gezeigt. Die beiden Altarbilder können den großen Kirchenfesten entsprechend gewechselt werden („Theatrum sacrum“). An der Südwand des Chores hängen „Kreuzigung“ und „Himmelfahrt Mariä“ (Anfang 18. Jahrhundert) und ein weiteres Bild von Beck, die „Anbetung der Hirten“ aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Der Altar ordnet sich trotz seiner Monumentalität dem hochgotischen Chor unter und lässt bis auf das Achsfenster den Blick auf die Chorfenster zu.

Glasfenster im Kirchenschiff

Im Westen das Cäcilienfenster (Cäcilia von Rom), im Norden: Kreuzverehrung, im Süden: Fünf Freuden Mariae (auch Wolfram-Fenster genannt), siehe auch Jakob Acker der Ältere 1961 von Charles Crodel, der auch die Fenster 14 (Hl. Elisabeth) und 15 (Apokalypse) im Hohen Chor schuf.

Domorgeln

Bis in die 1950er Jahre befand sich im Dom eine große Orgel, die 1906 von der Orgelbaufirma Johannes Klais (Bonn) erbaut worden war. Das Instrument wurde abgerissen, nicht nur wegen kriegsbedingter Wasserschäden, sondern auch wegen des damaligen nüchtern-analytischen Zeitgeschmacks, der einem solchen romantisch-orchestralem Instrument entgegenstand.[2]

Chororgel

1963 wurde dann die Chororgel eingeweiht. Sie war von der Orgelbaufirma Alexander Schuke Potsdam Orgelbau erbaut worden und befindet sich im Hohen Chor. Das Instrument hat 29 Register aus zwei Manualen und Pedal. Die Spiel- und Registertrakturen sind elektrisch.[3]

 

  •   I Hauptwerk C–a3
  • 1. Pommer 16′
  • 2. Principal 8′
  • 3. Koppelflöte 8′
  • 4. Oktave 4′
  • 5. Gemshorn 4′
  • 6. Nassat 22/3′
  • 7. Oktave 2′
  • 8. Mixtur VI
  • 9. Scharff IV
  • 10. Trompete 8′
  •   II Oberwerk C–a3
  • 11. Gedackt 8′
  • 12. Principal 4′
  • 13. Rohrflöte 4′
  • 14. Sesquialtera II-III
  • 15. Gemshorn 2′
  • 16. Quinte 11/3′
  • 17. Sifflöte 1′
  • 18. Scharff V-VII
  • 19. Dulcian 8′
  • Tremulant
  •   Pedal C–g1
  • 20. Subbaß 16′
  • 21. Oktave 8′
  • 22. Baßflöte 8′
  • 23. Baß-Aliquote IV
  • 24. Rohrpommer 4′
  • 25. Holzflöte 2′
  • 26. Mixtur V
  • 27. Posaune 16′
  • 28. Trompete 8′
  • 29. Feldtrompete 4′
  • Koppeln: II/I, I/P, II/P

Hauptorgel

Die Hauptorgel wurde 1992 von der Orgelbaufirma Alexander Schuke (Potsdam) erbaut. In dem neuen Instrument wurden einige Register aus der Vorgängerorgel von 1906 übernommen. Die Hauptorgel hat 62 Register auf drei Manualen und Pedal. Die Spieltrakturen sind mechanisch, die Registertrakturen elektrisch. Vom Spieltisch der Hauptorgel lässt sich auch die Chororgel anspielen.[4]

  •   I. Principal 8'
  • 2. Metallgedackt 8' K
  • 3. Quintadena 8'
  • 4. Oktave 4'
  • 5. Rohrflöte 4'
  • 6. Hohlquinte 22/3′
  • 7. Oktave 2'
  • 8. Waldflöte 2'
  • 9. Terz 13/5′
  • 10. Quinte 11/3′
  • 11. Oktave 1'
  • 12. Scharff V
  • 13. Cromorne 8'
  • 14. Vox humana 8'
  • Tremulant
  •   II Hauptwerk C–a3
  • 15. Prinzipal 16'
  • 16. Oktave 8'
  • 17. Rohrflöte 8' K
  • 18. Gambe 8'
  • 19. Nassat 51/3′
  • 20. Oktave 4'
  • 21. Nachthorn 4'
  • 22. Quinte 22/3′
  • 23. Oktave 2'
  • 24. Cornett V (ab f0)
  • 25. Großmixtur VI
  • 26. Kleinmixtur IV
  • 27. Trompete 16'
  • 28. Trompete 8'
  • 29. Trompete 4'
  •   III Schwellwerk C–a3
  • 30. Bordun 16' K
  • 31. Geigenprincipal 8'
  • 32. Flauto traverso 8' K
  • 33. Salicional 8'
  • 34. Schwebung (ab c0) 8'
  • 35. Holzgedackt 8'
  • 36. Oktave 4'
  • 37. Blockflöte 4'
  • 38. Viola da Gamba 4'
  • 39. Nassat 22/3′
  • 40. Piccolo 2'
  • 41. Terz 13/5′
  • 42. Septime 11/7′
  • 43. Mixtur III–VI
  • 44. Bombarde 16'
  • 45. Hautbois 8'
  • 46. Trompette harm. 8'
  • Tremulant
  •   Pedal C–g1
  • 47. Principal 32' K
  • 48. Principal 16'
  • 49. Violon 16' K
  • 50. Subbaß 16'
  • 51. Zartbaß (= Nr. 30) 16'
  • 52. Nassat 102/3′ K
  • 53. Oktave 8'
  • 54. Cello 8'
  • 55. Gedacktbaß 8' K
  • 56. Oktave 4'
  • 57. Flötenbaß 4'
  • 58. Hintersatz III
  • 59. Mixtur V
  • 60. Fagott 32'
  • 61. Posaune 16'
  • 62. Trompete 8'
  • Clairon 4'

 

  • Koppeln: I/II (elektr.), I/II (mech.), III/II, III/I, I/P, II/P, III/P.
  • Spielhilfen: Crescendo-Tritt (Walze), Crescendo-Einstellungen: Standard (fest), A, B, C (jeweils frei programmierbar), Registerfessel, Tastenfessel, Tutti, 4000 Setzerkombinationen, USB-Stick.[5]
  • Anmerkungen
  • K = Register aus der Vorgängerorgel (1906)
  • K = teilweise Pfeifenbestand von 1906

Glocken

Der Dom verfügt über einen Bestand von insgesamt 13 Glocken, die sich auf verschiedene Glockenstühle und Türme verteilen.

Das tragende Fundament des sechsstimmigen Hauptgeläuts (Glocken 1 bis 6) bildet die Gloriosa, die in der unteren Glockenstube des Mittelturmes untergebracht ist. Mit ihr steht die Glockengießerkunst auf einem absoluten Höhepunkt; ihr Meister war der aus dem niederländischen Kampen stammende Gerhardus de Wou. In der Nacht vom 7. zum 8. Juli 1497 goss er diese Glocke oberhalb der Domstufen.[6] Sie trägt die Inschrift:

    + Laude / patronos / cano / glorioſa • • Fulgur / arcens / et / demones / malignos • Sacra / templis / a / populo / ſonanda • • Carmine / pulſo • • Gerhardus / wou / de / Campis / me / fecit • Anno / D[omi]ni / M . CCCC . XCUII [.][6]

Seit ihrer Generalrestaurierung im Jahre 2004 wird vor allem aus denkmalpflegerischen Gründen ein bedachter Einsatz der Glocke angestrebt. Nach der Läuteordnung läutet sie vorwiegend zu den hohen kirchlichen Feiertagen. Obschon ihr Klang alle übrigen Glocken überragt, so entlässt sie erst dann ihr einzigartiges Klangspektrum, wenn sie für sich alleine erklingt.

In einem Holzglockenstuhl, ein Stockwerk über der Gloriosa, hängt ein kleines eigenständiges Geläut aus vier Glocken, welche Silberglocken genannt werden. Unter ihnen befindet sich die 1492 von Hans Sinderam gegossene, bienenkorbförmige Cantabona.

Die Dreifaltigkeitsglocke und die Johannesglocke des Nicolaus Jonas Sorber sind der Rest eines fünfstimmigen Geläuts, dessen vernichtete Glocken in den gleichen Tönen und unter Beibehaltung der Namen 1961 von der Glockengießerei Schilling in Apolda nachgegossen wurden.[6] Die Dreifaltigkeitsglocke trägt folgende Inschrift auf der Schulter:

    ANDREAS EWALDT HOHENGANDERANUS EICHSFELDIACUS HUIUS ECCLESIAE B.M.VIRG. CANONICUS PAITULARIS QUONDAM PAROCHUS HANC QUOQUE CAMPANAM IN HONOREM S. TRIN. SUMPTIBUS SUIS FUNDI CURAVIT. D.X.JUL. 1721.[7]

Die Johannesglocke trägt folgende Inschrift auf der Schulter:

    HAEC CAMPANA STI(sic!) JOANNIS BAPTISTAE NOMINE INSIGNITA SVMPTIBVS ETIAM DECANI CHRISTOPHORI MATTHIAS FUSA EST. 23. JVLI ANNO 1720. N.J.SORBER GOS MICH.[7]

Im Dachreiter des Hochchors hängt die derzeit nicht geläutete Wandlungsglocke.

Die beiden Uhrschlag-Glocken Martha (für die vollen Stunden) und Elisabeth (für die Viertelstunden) wurden in verkürzter Rippe gegossen und sind in der Laterne des Mittelturmes starr aufgehängt.

Nr.

  Name

 Gussjahr

  Gießer, Gussort

Durchmesser

 (mm)Masse

(kg)Schlagton

 (HT-1/16) Glockenstube

 

1

Gloriosa

1497

Gerhardus de Wou, Erfurt

2.560

11.450

e0 +3

Mittelturm, unten

2

Dreifaltigkeit

1721

Nicolaus Jonas Sorber

1.940

≈4.900

g0 +12

Nordturm

3

Joseph

1961

Glockengießerei Schilling, Apolda

1.840

≈4.600

a0 +8

Südturm

4

Andreas

1961

Glockengießerei Schilling, Apolda

1.540

≈2.600

c1 +11

Nordturm

5

Christophorus

1961

Glockengießerei Schilling, Apolda

1.360

≈1.900

d1 +10

Südturm

6

Johannes Baptist

1720

Nicolaus Jonas Sorber

1.190

≈1.000

e1 +7

Südturm

7

Cosmas und Damian

1625

Jakob König, Erfurt

750

≈200

des2

Mittelturm, oben

8

Cantabona

1492

Hans Sinderam

650

≈300

g2

Mittelturm, oben

9

Engelchenum

1475

Claus von Mühlhausen, Erfurt

550

≈125

as2

Mittelturm, oben

10

Namenlose

1475

Meister Peter

500

≈75

b2

Mittelturm, oben

11

Wandlungsglocke

1961

Glockengießerei Schilling, Apolda

550

≈100

f2

Dachreiter (Hochchor)

I

Martha

1961

Glockengießerei Schilling, Apolda

 

 

e2

Laterne

II

Elisabeth

1961

Glockengießerei Schilling, Apolda

 

 

gis2

Laterne

Literatur

  • Falko Bornschein u.a.: Die Glasmalereien von Charles Crodel im Dom zu Erfurt. Edition Leipzig, Leipzig 1999, ISBN 3-361-00502-7 (Bildband).
  • Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (Hrsg.): Historische Glasmalerei. Schutzverglasung, Bestandsicherung, Weiterbildung; ein Projekt der Deutschen Bundesstiftung Umwelt. Edition Leipzig, Leipzig 1999, ISBN 3-361-00500-0, S. 86 ff., 96 ff.
  • Johannes Cramer: Forschungen zum Erfurter Dom (Arbeitsheft des Thüringischen Landesamtes für Denkmalpflege/Neue Folge; Bd. 20). Verlag Reinhold, Altenburg 2005, ISBN 3-937940-10-3.
  • Verena Friedrich: Die Glocken der Domkirche Beatae Mariae Virginis zu Erfurt (Peda-Kunstführer; Bd. 541). Kunstverlag Peda, Passau 2001, ISBN 3-89643-541-8.
  • Edgar Lehmann, Ernst Schubert: Dom und Severikirche zu Erfurt. 2. unveränd. Aufl. Koehler & Amelang, Leipzig 1991, ISBN 3-7338-0041-9.
  • Rolf-Günthe Lucke: Der Dom zu Erfurt (Kleine Kunstführer; Bd 1874). Schnell und Steiner, Regensburg 2000. ISBN 3-7954-4039-4.
  • Klaus Mertens (Text), Klaus G. Beyer (Fotos): Der Dom zu Erfurt (Das Christliche Denkmal/Sonderheft; 4). Union-Verlag, Berlin 1975.
  • Ernst Schubert: Der Dom zu Erfurt. Union-Verlag, Berlin 1992, ISBN 3-372-00326-8.
  • Helga Wäß: Grabplatten, Heiligenschrein und Heiliges Grab in der “Domkirche St. Marien“ zu Erfurt. In: Dies.: Form und Wahrnehmung mitteldeutscher Gedächtnisskulptur im 14. Jahrhundert. Edition Tenea, Berlin 2006, ISBN 3-86504-159-0 (2 Bde., zugl. Dissertation, Universität Göttingen 2001).
    • Ein Beitrag zu mittelalterlichen Grabmonumenten, Epitaphen und Kuriosa in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Nord-Hessen, OIst-Westfalen und Südniedersachsen (inhaltliche Ausführungen).
    • Katalog ausgewählter Objekte vom Hohen Mittelalter bis zum Anfang des 15. Jahrhunderts. (zu den Monumenten im Erfurter Dom, 12.-14. Jh., siehe: S. 154-158).

Quellen

  1. ↑ Eva Fitz: Die mittelalterlichen Glasmalereien im Halberstädter Dom, 2003, S. 139
  2. ↑ Information zur Vorgängerorgel
  3. ↑ Informationen zur Chororgel
  4. ↑ Nähere Informationen zur Hauptorgel und deren Disposition
  5. ↑ Informationstabelle über die Hauptorgel des Erfurter Doms
  6. ↑ a b c Konrad Bund und Claus Peter: Die Glockengüsse des Meister Geradus de Wou zu Erfurt im Jahre 1497. In: Jahrbuch für Glockenkunde, Bd. 1−2, Greifenstein 1990, S. 37–41.
  7. ↑ a b Margarete Schilling: Glocken. Gestalt[sic!] Klang und Zier. VEB, Dresden 1988, S. 87, 89, 326.

 

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Erfurter Latrinensturz

Der Erfurter Latrinensturz war ein Unglück bei einem königlichen Hoftag in Erfurt im Jahre 1184, bei dem eine große Zahl der Anwesenden getötet oder verletzt wurde.

Im Juli 1184 kam der König und spätere Kaiser Heinrich VI. auf einem Feldzug gegen Polen nach Erfurt und hielt dort kurz Hof. Da nach dem Sturz Heinrichs des Löwen zu dieser Zeit schwerer Streit zwischen Erzbischof Konrad I. von Mainz und dem Landgrafen Ludwig III. von Thüringen ausgebrochen war, suchte er diesen zu schlichten. Am 26. Juli saß Heinrich mit großem Gefolge im oberen Stockwerk der Dompropstei des Marienstiftes zu Rat, als der alte und wohl auch morsche Boden des zweiten Geschosses plötzlich unter der außergewöhnlichen Last zusammenbrach. Dabei stürzten die meisten Anwesenden in die Tiefe, wo auch der Boden des ersten Geschosses dem plötzlichen Aufprall dieser Last nicht standhielt, sodass die Herabstürzenden noch tiefer in eine darunter liegende Abtrittsgrube fielen. Viele fanden dabei den Tod (zeitgenössische Quellen sprechen von etwa 60 Toten): ein Teil ertrank oder erstickte in der Abtrittsgrube, andere wurden durch nachfallende Balken und Steine erschlagen oder verletzt. Die Chronik von St. Peter in Erfurt erwähnt unter den Todesopfern namentlich Graf Gozmar III. von Ziegenhain, Graf Friedrich I. von Abenberg, Burggraf Friedrich I. von Kirchberg, Graf Heinrich von Schwarzburg, Burggraf Burchard von der Wartburg und Graf Beringer von Meldingen.

König Heinrich selbst saß in einer gemauerten Fensternische der steinernen Außenwand und wurde mittels Leitern in Sicherheit gebracht. Er reiste umgehend aus Erfurt ab.

Auszug aus der Chronik von St. Peter zu Erfurt

„König Heinrich kam auf dem Zuge gegen Polen nach Erfurt und fand daselbst Cunrad von Mainz in heftigem Streit mit dem Landgrafen Lodewig ob des dem Bisthum zugefügten Schadens. Als er, bemüht den Frieden zwischen denselben herzustellen, von Vielen umgeben in einer Oberstube zu Rath saß, brach plötzlich das Gebäude zusammen und Viele stürzten in die darunter befindliche Abtrittsgrube, deren einige mit Mühe gerettet wurden, während andere im Morast erstickten. Daselbst starben: Friderich, Graf von Abinberc, Heinrich, ein Graf aus Thüringen, Gozmar, ein hessischer Graf, Friderich, Graf von Kirchberg, Burchard von Wartburg und Andere geringeren Namens am 26. Juli eines kläglichen Todes.“ [1]

Einzelnachweise

  1. ↑ chronik_zu_erfurt

 

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Ludwig III. (Thüringen)

Ludwig III., genannt der Fromme oder der Milde, (* 1151/1152; † 16. Oktober 1190 östliches Mittelmeer bei Zypern) aus der Familie der Ludowinger war Landgraf von Thüringen von 1172 bis 1190.

Er war Sohn des Landgrafen Ludwig II. und dessen Gemahlin Jutta. 1172 folgte er diesem in die Landgrafenwürde. Seinem Bruder Heinrich Raspe III. (nicht zu verwechseln mit dem späteren letzten Landgrafen und Gegenkönig Heinrich Raspe IV.) überließ er dabei Hessen und die Besitzungen am Rhein als teilunabhängige Herrschaft.

Im Großen und Ganzen setzte Landgraf Ludwig III. die Politik seiner Vorgänger fort. Er kämpfte gegen die Adelshäuser Thüringens und der benachbarten Länder (wie die Schwarzburger und die Askanier) sowie gegen das Erzbistum Mainz. Als Neffe von Kaiser Friedrich Barbarossa unterstützte er dessen Politik und stand damit zu Beginn seiner Herrschaft auch auf der Seite des Welfenherzogs Heinrichs des Löwen, bis dieser sich 1179 mit den Staufern überwarf, die seitdem dessen sächsische Gegner unterstützten. Für diese Bündnistreue erhielt er vom Kaiser die Pfalzgrafschaft Sachsen. 1181 überließ er diese seinem Bruder Hermann, der später sein Nachfolger wurde. Ludwig stürzte beim Erfurter Latrinensturz 1184 zwar auch mit in die Tiefe, überlebte dieses Unglück jedoch.

Er nahm am Dritten Kreuzzug teil. Kaiser Barbarossa war mit dem Hauptheer auf dem Landweg über den Balkan und Kleinasien unterwegs, als Ludwig sich mit seinem Kontingent von Brindisi nach Tyrus einschiffte. Im heiligen Land angekommen, schloss er sich der Belagerung von Akkon an. Noch bevor das deutsche Hauptheer −oder was davon übrig war− in Akkon eintraf, trat er, von Krankheit gezeichnet, 1190 die Rückreise an, verstarb jedoch am 16. Oktober auf der Überfahrt nach Zypern. Dort wurden seine Eingeweide bestattet, seine Gebeine wurden ins Kloster Reinhardsbrunn überführt und im 14. Jahrhundert in die Georgenkirche zu Eisenach umgebettet.

Die Grabplatte Ludwigs III. von Thüringen

Das Bildnis des Landgrafen Ludwig III. wird uns auf seiner posthumen Grabplatte gezeigt. Sie stammt aus der Zeit nach dem Brand der Reinhardsbrunner Klosterkirche - entstand also nach 1292 - und kann stilistisch um 1330 datiert werden. Heute findet sie sich zusammen mit den anderen Monumenten der Grablege des Landgrafenhauses in der Georgenkirche Eisenach aufgestellt.

Die längere Inschrift spricht auch vom Begräbnisort „ANNO DOMINI MC NONAGESIMO. SEPTIMO DECIMO KALENDAS NOVE... [O. LVDEVICVS PIVS TERT]VS; ThVRINGOR° LANTGRAVIUS ET hIC SEPVLTVS +“. In einer vertieften Nische findet sich frontal ausgerichtet eine männliche Gestalt, deren Haupt in ein Kissen sinkt. Auf dem über der rechten Schulter (mit vier Schmuckspangen) geschlossenen Mantel findet sich außerdem (auf der Brust) eine Pilgermuschel angebracht, die den Landgrafen als Wallfahrer auszeichnet. Mit der Rechten hält der Ludwig III. eine Stange, die neben im aufsteht und deren Banner zwischen Kopf und Kissen einsinkt. Mit der anderen Hand werden Schild und Schwert an die Hüfte gedrückt. Sie wird zusammen mit den anderen Monumenten des Hauses abgebildet und beschrieben in Wäß 2006, Bd. 2, S. 532 f.

Literatur

  • Walter Heinemeyer: Ludwig III. der Fromme, Landgraf von Thüringen. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 15, Duncker & Humblot, Berlin 1987, S. 421 f.
  • Karl Robert Wenck: Ludwig III. der Fromme, Landgraf von Thüringen. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 19, Duncker & Humblot, Leipzig 1884, S. 593 f.
  • Helga Wäß: Die Figurengrabplatte für Landgraf Ludwig III. Form und Wahrnehmung mitteldeutscher Gedächtnisskulptur im 14. Jahrhundert. Band 2: Katalog ausgewählter Objekte vom Hohen Mittelalter bis zum Anfang des 15. Jahrhunderts. Tenea Verlag, Berlin 2006, ISBN 3-86504-159-0, Bd. 2, Kat. Nr. 798 mit Abb., alle Landgrafengrabplatten, S. 531-542 mit Abb. 798.
  • Friedrich Heinrich von der Hagen: Des Landgrafen Ludwig's des Frommen Kreuzfahrt. Heldengedicht der Belagerung von Akkon am Ende des zwölften Jahrhunderts. F. A. Brockhaus, Leipzig 1854, Nachdruck: Elibron Classics, 2005, ISBN 1-4212-0687-0.

 

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Konrad I. von Wittelsbach

Konrad von Wittelsbach (* etwa 1120/1125; † 25. Oktober 1200 in Riedfeld bei Neustadt an der Aisch) war Erzbischof von Mainz (Konrad I.) und Salzburg (Konrad III.) und Kardinalbischof

Der Sohn des Pfalzgrafen Otto V. von Scheyern-Wittelsbach studierte in Salzburg und Paris. Auf dem Konzil von Lodi 1161 ernannte ihn Friedrich I. Barbarossa zum Erzbischof von Mainz und zum Erzkanzler des Reiches. Zuvor hatte der Kaiser bei Papst Viktor IV. die Absetzung der 1160 gewählten Erzbischöfe Christian I. von Buch und Rudolf von Zähringen betrieben. Unter dem Kaiser hatte das Ringen zwischen Imperium und Sacerdotium wieder schärfere Züge angenommen. Auch die Amtszeiten Konrads wurden von diesem Konflikt geprägt. Denn Viktor IV. war keineswegs unumstrittener Inhaber des Papstamtes, sondern fungierte als Gegenpapst zu Alexander III. War dieses Schisma zu Lebzeiten Viktors noch erträglich, so verschärfte es sich nach dessen Tod. Gegen die Warnung Konrads betrieb der Erzbischof von Köln, Rainald von Dassel, die Wahl Paschalis' III. zum erneuten Gegenpapst gegenüber Alexander III. Dieser wurde wiederum von Erzbischof Konrad unterstützt. 1165 leistete er ihm den Treueid, brach mit Barbarossa und floh anschließend nach Frankreich, ein Schritt, der damals mit Verwirrung aufgenommen wurde. Barbarossa erklärte den Erzbischof daraufhin für abgesetzt und ließ erneut Christian vom Buch zum Erzbischof wählen. Dieser wurde von den Reichsfürsten auch anerkannt.

Papst Alexander III. erkannte die Wahl jedoch nicht an und betrachtete weiterhin Konrad als rechtmäßigen Erzbischof von Mainz. Am 18. Dezember weihte er ihn zum Bischof und machte ihn anschließend zum Kardinalpriester mit der Titelkirche San Marcello und schließlich zum Kardinalbischof von Sabina. Später machte ihn der Papst außerdem noch zum Bischof von Sora in Kampanien. 1165 erreichten die kaiserlichen Truppen, unter denen sich auch Christian I. von Buch befand, die Stadt Rom und nahmen sie ein. Konrad war jedoch schon vorher aus der Stadt geflohen.

1176 erlitt Kaiser Barbarossa eine schwere Niederlage gegen das Heer Mailands und Alexanders III., worauf sich 1177 auf dem Frieden von Venedig die Parteien versöhnten. Alexander III. erkannte Christian von Buch daraufhin als rechtmäßigen Erzbischof von Mainz an. Konrad wurde mit dem Erzbistum Salzburg abgefunden. Allerdings betrachtete er sich selbst weiterhin auch als Erzbischof von Mainz.

Konrad erhielt vom Papst 1179 einen vererbbaren Titel auf Lebenszeit eines Legaten über ganz Deutschland. Die Würde eines geborenen, also ständigen apostolischen Legaten (legatus natus) kommt seit dieser Zeit jedem Salzburger Erzbischof ohne gesonderte Verleihung zu. Seither tragen die Erzbischöfe bei besonderen feierlichen Anlässen in ihrer Diözese den Legatenpurpur, eine feierliche Purpurkleidung, die wesentlich älter ist als das Purpurgewand der Kardinäle. Die Salzburger Erzbischöfe sind die einzigen, die seit dem 19. Jahrhundert sogar an der römischen Kurie im Legatenpurpur auftreten dürfen.

Nach dem Tod Christians von Buch trat Konrad, seit 1181 Kardinaldekan, 1183 seine zweite Amtsperiode als Erzbischof von Mainz an. Er erneuerte den Dom und die Stadtmauer (die Friedrich Barbarossa 1160 nach dem Mord der Bürger an Erzbischof Arnold von Selenhofen hatte schleifen lassen). In seine Ägide fiel auch das als „größtes des Mittelalters“ bezeichnete Fest 1184 auf der Maaraue, und der so genannte Hoftag Jesu Christi 1188 in Mainz, auf dem der Aufbruch zum Dritten Kreuzzug verkündet wurde.

1197 brach Konrad selbst an der Spitze der Vorhut des Kreuzzugs Heinrichs VI. auf. Im selben Jahr starb Kaiser Heinrich VI. Seinen zweijährigen Sohn Friedrich hatte Konrad mit den Fürsten 1196 noch zum König gewählt. Der frühe Tod des Kaisers machte eine direkte Amtsübernahme des Thronerben nicht möglich, weswegen in der Folge Kriege um die Thronfolge ausbrachen. Diese leiteten das Ende des universalen Kaisermacht und damit letztendlich auch des Imperiums ein. Statt einer erblichen Zentralmacht wie in Frankreich und England bildete sich die Vorherrschaft der Fürsten heraus.

In dem Streit um die Thronfolge in Antiochia stellte sich Konrad, wie auch die lateinischen Patriarchen der Stadt, auf die Seite von Raimund Ruben gegen Bohemund den Einäugigen und brachte die Barone dazu, Raimund Ruben feierlich als Nachfolger Bohemunds II. anzuerkennen.

Während Konrad in Palästina weilte, kam es 1198 zur verhängnisvollen Doppelwahl Philipps von Schwaben und Ottos von Braunschweig. Erst 1199 kehrte der von Papst Innozenz III. mit einer Vermittlerrolle ausgestattete Erzbischof ins Reich zurück. In dieser Funktion bewirkte er im April 1200 einen befristeten Waffenstillstand. Im selben Jahr starb der Erzbischof auf der Rückreise vom Kreuzzug in Ungarn. Er wurde im Mainzer Dom begraben.

Literatur

  • Stefan Burkhardt: Mit Stab und Schwert. Bilder, Träger und Funktionen erzbischöflicher Herrschaft zur Zeit Kaiser Friedrich Barbarossas. Die Erzbistümer Köln und Mainz im Vergleich. Thorbecke, Ostfildern 2008, ISBN 978-3-7995-4273-9 (Mittelalter-Forschungen 22), (Zugleich: Heidelberg, Univ., Diss., 2006–2007).
  • Friedhelm Jürgensmeier: Das Bistum Mainz. Von der Römerzeit bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil. Knecht Verlag, Frankfurt am Main 1988, ISBN 3-7820-0570-8 (Beiträge zur Mainzer Kirchengeschichte 2).
  • Christoph Waldecker: Vom Rhein zum Tiber und zurück. Die Beziehungen Erzbischof Konrads von Mainz zu Papst Alexander III. bis zum Frieden von Venedig. In: Sabine Happ, Ulrich Nonn (Hrsg.): Vielfalt der Geschichte. Lernen, Lehren und Erforschen vergangener Zeiten. Festgabe für Ingrid Heidrich zum 65. Geburtstag. wvb, Berlin 2004, ISBN 3-86573-003-5, S. 141–152.
  • Cornelius Will: Konrad von Wittelsbach. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 16, Duncker & Humblot, Leipzig 1882, S. 593–595.

 

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Bursprake

Eine Bursprake bezeichnet im Spätmittelalter in verschiedenen norddeutschen Städten eine Bürgerversammlung (Bur = Bürger) auf der Vorschriften beschlossen wurden, im engeren Sinn ist eine Bursprake auch die bei dieser Gelegenheit verlesene Sammlung von ordnungspolitischen Vorschriften und Anweisungen des Rates der Stadt. Später wurden auf den Versammlungen nur noch die Texte des Rates zur Kenntnis genommen. Neben dem Stadtrecht und den Rezessen waren Burspraken das dritte Element der städtischen Rechtsordnung, die als Teil der bürgerlichen Selbstverwaltung angesehen werden.[1]

Die Burspraken wurden in den Hansestädten meist im Winter abgehalten, wenn möglichst viele Bürger vor Ort anwesend waren. In Hamburg waren dies die Termine Thomae Apostoli (21. Dezember) und Cathedra Petri (22. Februar), in Bremen Laetare (3. Sonntag vor Ostern), in Lübeck wiederum Cathedra Petri, Jacobi (1. Mai), Martini (11. November) und Thomae Apostoli.

In Bremen umfassten die Sammlung schließlich 225 Artikel in der kundigen Rolle.

Die Beschlüsse der Hansetage wurden ebenfalls durch Burspraken, meist mit lokalen Ergänzungen, bekannt gemacht.

Überliefert sind in Hamburg verschiedene Burspraken, die älteste ist die Petri-Bursprake von 1346. Die Verlesung fand zu festen Terminen und bei Bedarf auch an zusätzlichen Terminen statt. Der Termin Cathedra Petri war gleichzeitig das Ende der seit Martini bestehenden Winterpause in der Schifffahrt, außerdem fand in Hamburg im Mittelalter an diesem Tag die Wahl des Bürgermeisters statt.

Auch nach ihrer Veröffentlichung in Buchform (1479/1480) wurde das Prinzip der Verlesung in Lübeck und Hamburg bis in das 19. Jahrhundert beibehalten.

An der Veröffentlichung der hamburgischen Burspraken von 1346 bis 1594 durch das hamburgische Staatsarchiv war Jürgen Bolland maßgeblich beteiligt.

Die Burspraken sind wichtige Quellen über den Aufbau und die Ordnung der Zünfte und Bruderschaften und verschiedener Berufe. Sie enthalten teilweise auch Angaben über Zölle und Gebühren für städtische Leistungen: Nutzung von Kränen und Waagen, Zölle und Lotsgebühren. Die hamburger Burspraken standen teilweise im Widerspruch zu den Regelungen der Hanse, beispielsweise in der Bevorzugung der eigenen Bürger im Fernhandel.[2]

Literatur

  • Jürgen Bohmbach und Jochen Goetze: Quellen zur Hansegeschichte, herausgegeben von R. Sprandel, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 1982
  • Jürgen Bolland: Hamburgische Burspraken 1346 - 1594, 2 Bände, Christians Verlag Hamburg 1960

Quellen

  1. ↑ Rainer Postel: Beiträge zur hamburgischen Geschichte der Frühen Neuzeit, ausgewählte Aufsätze, herausgegeben zum 65. Geburtstag von Lars Jockheck, LIT-Verlag, Hamburg 2006, ISBN 3-8258-9263-8; S.138 ff
  2. ↑ Ulla Reiß: Mehr als Koggen und Kaufleute. Übersicht eines Workshops. H-Net Reviews, Juli 2010, abgerufen am 12. November 2010.

 

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Programmierter Zelltod

Programmierter Zelltod ist der physiologischerweise ablaufende Tod von Zellen in einem mehrzelligen Organismus. Dieser dient in der Regel dazu, für die Entwicklung oder den Fortbestand des Organismus unnötige oder hinderliche Zellen gezielt zu entfernen.

Der programmierte Tod von Zellen ist wie die Proliferation für die Selbstregulation eines mehrzelligen Organismus unabdingbar. Störungen des geordneten Zusammenwirkens von Zellproliferation und -tod, z. B. ein Ausfall oder eine Verminderung des programmierten Zelltods, kann zur Tumorbildung führen. Aber auch eine verstärkte Zelltodrate kann negative Auswirkungen haben, z. B. durch die Ausbildung degenerativer Erkrankungen wie z. B. Chorea Huntington oder Amyotropher Lateralsklerose. Speziell im Immunsystem spielt der programmierte Zelltod eine wichtige Rolle. So eliminieren Cytotoxische T-Zellen virusinfizierte oder entartete Zellen durch die Induktion von programmiertem Zelltod. Auch bei der Reifung von T-Lymphozyten und B-Lymphozytn werden im Thymus bzw. im Knochenmark potenziell autoreaktive Zellen durch programmierten Zelltod beseitigt. Dabei auftretende Fehler können Autoimmunkrankheiten wie z. B. Multiple Sklerose oder rheumatoide Arthritis zur Folge haben. Des Weiteren werden nach einer erfolgreichen Immunantwort aktivierte T-Zellen, die nicht mehr benötigt werden, durch programmierten Zelltod entfernt.

Der programmierte Zelltod wurde 1842 bei der Beobachtung der Ontogenese von Wirbeltieren zum ersten Mal beschrieben.[1] Vogt beobachtete, dass während der Entwicklung von Amphibien unerwünschte Gewebe, wie etwa Schwanz oder Schwimmhäute durch Zelltod gezielt abgebaut werden. Dieser „normale“ Zelltod wurde bald auch in der Ontogenese anderer Wirbeltiere und bei Wirbellosen (Invertebrata) nachgewiesen. Der oft benutzte Begriff Apoptose wurde 1972 eingeführt[2] und sollte den natürlichen Zelltod während der Ontogenese vom traumatischen Tod einer Zelle (Nekrose) abgrenzen.

Nekrose

Das Gegenteil zum programmierten Zelltod stellt die Nekrose dar. Häufige Auslöser sind beispielsweise Schäden, hervorgerufen durch Detergenzien, Oxidanzien, Ischämien, Traumata oder Pathogene. Im Verlauf des nekrotischen Zelltods kommt es durch einen Ausfall der zellulären Ionenpumpen zu einem Einstrom von Calcium- und Natriumionen. Der daraus resultierende osmotische Einstrom von Wasser führt zur Schwellung der Zelle und der Organellen und schließlich zum Platzen der Zelle. Durch den hierbei austretenden Zellinhalt werden Zellen des Immunsystems aktiviert, die eine entzündliche Reaktion auslösen. Die Nekrose kann nur durch die Entfernung des auslösenden Stimulus verhindert werden und nicht wie bei der Apoptose durch Blockierung eines Signals.[3]

Typen programmierten Zelltods

Apoptose

Im Gegensatz zur Nekrose kommt es bei der Apoptose nicht zum Zerplatzen der Zelle, sondern zu einem Schrumpfen von Zytoplasma und Zellkern. Dazu pumpen die Zellen aktiv Ionen, vor allem Kaliumionen, nach außen und kontrahieren ihr Zytoskelett. Das Chromatin kondensiert und zerfällt in Fragmente. Es kommt zu keiner Schwellung der Organellen, und diese verlieren erst spät ihre Integrität. Des Weiteren bilden sich Ausstülpungen der Plasma- und der Kernmembran, die sich als sogenannte apoptotische Körperchen abschnüren. Diese durch sogenanntes blebbing abgeschnürten Vesikel und die geschrumpften Zellkörper werden dann von phagozytierenden Zellen beseitigt. Durch diese Vorgänge werden die Zellen gerichtet degradiert, und es kommt im Gegensatz zur Nekrose nicht zur Freisetzung des Zellinhalts, so dass keine entzündliche Reaktion induziert wird. Durch das Zerfallen und Schrumpfen der sterbenden Zelle ist es für phagozytierende Zellen leichter, deren Reste aufzunehmen. Die Phagozyten erkennen ihre Ziele an Membranveränderungen, wie z. B. der Umlagerung von Phosphatidylserin von der Innen- auf die Außenseite der Plasmamembran („eat me“-Marker). Die Zellfragmente werden dann von den Phagozyten innerhalb von Vesikeln, den Phagolysosomen, abgebaut.

Apoptose kann durch unterschiedliche Stimuli ausgelöst werden. So können z. B. Chemikalien je nach Konzentration und Zelltyp Apoptose induzieren. Glukokortikoide binden an intrazelluläre Rezeptoren und induzieren in Thymozyten Apoptose. Die Schädigung der DNA durch Strahlung oder Chemikalien führt in vielen Fällen zu apoptotischem Zelltod. Auch ein Entzug von Überlebens-, Wachstumsfaktoren und Zytokinen, die an Oberflächenrezeptoren binden und Signale zum Überleben geben, kann Apoptose auslösen. Todesfaktoren bewirken dagegen das Gegenteil. Wenn sie an ihre Rezeptoren binden, lösen sie Apoptose aus. In der Zelle werden durch die obengenannten Stimuli die Caspasen (Cystein Aspartat-spezifische Proteasen) aktiviert. Diese für die Apoptose bedeutsame Proteinfamilie wurde Anfang der 1990er Jahre beschrieben[4] und stellt den zentralen Teil der Apoptose-Maschinerie dar.[5] Die Bindung von Liganden an Todesrezeptoren führt in einer Zelle zur Aktivierung der Caspase-Kaskade, wobei Initiator-Caspasen nachgeschaltete Effektor-Caspasen aktivieren, die dann durch die Spaltung wichtiger Zellproteine den Tod und die Degradation der Zelle herbeiführen. Zurzeit sind 280 Proteine bekannt, die durch Caspasen gespalten werden.[6] Dazu gehören u. a. Regulatoren der Apoptose, Rezeptoren und Proteine vieler Signalwege, Zelladhäsionsproteine, Proteine des Kern- und Zytoskeletts, Regulatoren des Zellzyklus und der DNA-Synthese, -Degradation und -Reparatur, Zytokine, Proteine und Regulatoren der Transkription und Translation. Anhand des Ortes ihrer Initiation lässt sich die Apoptose in zwei Typen einteilen. Die Apoptose des Typs I ist durch die Todesrezeptor-vermittelte Initiation der Caspase-Kaskade und die direkte Aktivierung der Caspase-3 durch die Caspase-8 charakterisiert.[7] Die Typ-II-Apoptose wird dagegen mitochondrial vermittelt und führt zur Aktivierung der Caspase-9.

Caspaseunabhängiger programmierter Zelltod

Im Verlauf der Evolution haben sich aufgrund der zunehmenden Komplexität und Lebensspanne der Organismen möglicherweise mehrere den programmierten Zelltod vermittelnde Signalwege entwickelt. Die Beteiligung von Caspasen im programmierten Zelltod konnte bis jetzt nur bei höher entwickelten tierischen Organismen wie den Wirbeltieren, Insekten und Nematoden sicher nachgewiesen werden. In Pflanzen, Pilzen und Protozoen wurden die sogenannten Metacaspasen und in den Metazoen und dem Schleimpilz Dictyostelium discoideum die Paracaspasen beschrieben.[5] Ob diese zur Caspase-Familie gehörenden Proteine auch in den Signalwegen des programmierten Zelltods eine Bedeutung haben, ist noch Gegenstand der Forschung. Es konnte aber gezeigt werden, dass sich die Caspasen aus den Paracaspasen entwickelt haben.[8] In Hydra, einem Angehörigen des basal stehenden Stamms der Nesseltiere, konnte Apoptose[9] und die Expression zweier Caspase-3-homologer Gene gezeigt werden.[10] Alternative Caspase-unabhängige Formen des programmierten Zelltods findet man noch heute in primitiveren Organismen. So wird z. B. bei dem Bakterium Bacillus subtilis nach der Sporenbildung die Mutterzelle aktiv lysiert.[11][12] Escherichia coli reagiert auf zu starke Schädigung der DNA mit deren Degradation[13] und zeigt wie Streptococcus pneumoniae eine programmierte Zelllyse.[14][15] Auch in eukaryotischen Einzellern konnte programmierter Zelltod beschrieben werden. So zeigen Trypanosoma cruzi und T. brucei rhodesiense, D. discoideum und Tetrahymena thermophila einige apoptotische Merkmale wie zytoplasmatisches blebbing und Vakuolisierung, DNA-Fragmentation und Chromatin-Kondensation als Antwort auf Umweltstress oder extrazelluläre Signale.[16][17] In Hefen konnte ein Protein der Familie der Metacaspasen,[18] aber keine homologen Proteine zu den im Caspase-System wichtigen Proteinen der Bcl-2, CARD-, DD- oder DED-Familien gefunden werden. Aber auch ohne diese Proteine wurde programmierter Zelltod in diesen Zellen nachgewiesen. Dabei zeigen die Hefen apoptoseartige Merkmale wie DNA-Fragmentierung und -Kondensation, Zeiose (blebbing) und die Externalisierung von Phosphatidylserin.[19][20] Diese Merkmale konnten selektiv durch Bax-artige Proteine ausgelöst oder zu CED-9 verwandte Genprodukte blockiert werden. Die Befunde aus Prokaryoten und niederen Eukaryoten zeigen, dass es schon vor der Entwicklung des Caspase-Systems entwicklungsgeschichtlich ältere Signalwege des Zelltods gegeben haben muss. Diese könnten in modernen Eukaryoten neben dem dominierenden Caspase-System existieren und im Falle dessen Versagens als Absicherung den programmierten Zelltod garantieren.

Nach der Endosymbionten-Theorie zur Entstehung der eukaryotischen Zelle wurden ein Urahn der Bakterien (oder mehrere) von anderen ursprünglichen Einzellern aufgenommen und entwickelte sich im Verlauf der Evolution zu den heutigen Mitochondrien und anderen Organellen. Moderne Bakterien können Substanzen ausscheiden, die in den Zellmembranen anderer Zellen Poren bilden und diese dadurch abtöten (Colicin K, Colicine 5 und 10) oder die ribosomale RNA der Zielzellen angreifen (Colicin E3). Für viele Proteine und Proteindomänen, die in modernen Zellen eine Funktion im Zelltod haben, konnten in Bakterien homologe Proteine gefunden werden.[8] Es ist bezeichnend, dass in den Mitochondrien proapoptotische Faktoren (z. B. Cytochrom c, AIF, Endonuklease G, Smac/DIABLO und Omi/HtrA2) lokalisiert sind, die auf bestimmte Signale ins Zytoplasma gelangen und Zelltod auslösen.[21][22] Für das mitochondriale Protein AIF (Apoptose induzierender Faktor) wird beschrieben, dass seine Überexpression eine Caspase-unabhängige DNA-Degradation auslöst.[23] Auch die Endonuklease G soll wie AIF im Zusammenspiel mit anderen DNasen für den Caspase-unabhängigen Abbau der DNA verantwortlich sein.[24] Einen anderen Wirkmechanismus haben Smac/DIABLO[25][26] und die Serin-Protease Omi/HtrA2.[27][28][29] Sie inhibieren antiapoptotische Proteine wie XIAP und andere IAP Proteine und erlauben dadurch die Aktivierung des Apaf/Cytochrom c-Komplexes und der Caspase-3. Die Serin-Protease Omi/HtrA2 verstärkt den Zelltod auch durch deren Protease-Aktivität. Omi/HtrA2 ist homolog zur bakteriellen Hitzeschock-Protease HtrA2 und zeigt, dass in den heutigen Eukaryoten immer noch Komponenten ursprünglicher prokaryotischer Zellproteine vorhanden sind.

Programmierter Zelltod ohne Beteiligung der modernen Caspasen ist auch in heutigen Organismen von Bedeutung. Er wurde im Säugetier in vivo bei der negativen Selektion von Lymphozyten,[30][31] beim Abbau der embryonalen interdigitalen Häute,[32] bei der Tumornekrosefaktor (TNF)-vermittelten Leberschädigung[33] und beim Zelltod von Chondrozyten[34] beobachtet. Auch im Nervensystem wurde neuronaler Caspase-unabhängiger Zelltod beschrieben.[35][36] Die unterschiedlichen Ausprägungen des Caspase-unabhängigen Zelltods sind aufgrund ihrer Zelltodmorphologien nicht mehr der klassischen Apoptose zuzuordnen. Aufgrund morphologischer Veränderungen lassen sich drei Typen des programmierten Zelltods unterscheiden:[3]

  1. Bei der klassischen Apoptose kondensiert das Chromatin zu kompakten und geometrischen Formen (kugelförmig, sichelförmig). Andere typische Merkmale sind die Phosphatidylserin-Externalisierung („eat me“-Signal für Makrophagen), Schrumpfung des Zytoplasmas und die aktive als Zeiose oder blebbing bezeichnete Abschnürung von Membranvesikeln. Diese typischen Merkmale werden fast ausschließlich beobachtet wenn Caspasen, insbesondere die Caspase-3, aktiviert werden.
  2. Der Begriff „apoptoseartiger programmierter Zelltod“ wird benutzt, um Formen des caspaseunabhängigen Zelltods mit einer Chromatin-Kondensation zu beschreiben, die in ihrem Grad geringer ausgeprägt ist und weniger komplexe geometrische Formen hervorbringt als die klassische Apoptose. Die Zelle zeigt apoptotische Merkmale wie z. B. die Externalisierung von Phosphatidylserin oder eine Schrumpfung des Zytoplasmas.
  3. Der nekroseartige programmierte Zelltod beschreibt Formen, bei denen keine oder im besten Falle eine fleckige Chromatin-Kondensation ohne geometrische Strukturen zu beobachten ist. Andere Merkmale des apoptoseartigen Zelltods wie z. B. eine Externalisierung von Phagozytose-Markern können in variablen Ausmaßen auftreten. Einige Formen des nekroseartigen programmierten Zelltods werden auch als abgebrochene Apoptose bezeichnet. Dabei wird die klassische Apoptose initiiert aber auf Ebene der Caspase-Aktivierung blockiert. Anschließend werden caspaseunabhängige Signalwege beschritten, um die Zelle zu töten.

Einzelnachweise

  1. ↑ Carl Vogt: Untersuchungen über die Entwicklungsgeschichte der Geburtshelferkroete (Alytes obstetricans). Jent und Gassman, Solothurn 1842 (Volltext in der Google Buchsuche).
  2. ↑ J. F. Kerr, A. H. Wyllie, A. R. Currie: Apoptosis: a basic biological phenomenon with wide-ranging implications in tissue kinetics. In: British Journal of Cancer. Nr. 26, 1972, S. 239-257, PMID 16313474.
  3. ↑ a b M. Leist, M. Jäättelä: Four deaths and a funeral: from caspases to alternative mechanisms. In: Nature Reviews Molecular Cell Biology. Nr. 2, 2001, S. 589-598, PMID 11483992.
  4. ↑ M. Miura, H. Zhu, R. Rotello, E. A. Hartwieg, J. Yuan: Induction of apoptosis in fibroblasts by IL-1 beta-converting enzyme, a mammalian homolog of the C. elegans cell death gene ced-3. In: Cell. Nr. 75, 1993, S. 653-660, PMID 8242741.
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Nekrose

Unter einer Nekrose (auch Nekrobiose) (gr. νέκρωσις nékrosis „Absterben“) wird in der Biologie und Medizin der am lebenden Organismus stattfindende pathologische Untergang einzelner oder mehrerer Zellen verstanden. Der Begriff der Apoptose wird dagegen als physiologischer Untergang einzelner Zellen oder bestimmter Zellpopulation definiert und darum auch als programmierter Zelltod bezeichnet. Nekrosen werden nicht nur beim Menschen und bei Tieren, sondern ebenso bei Pflanzen beobachtet.

Schädigende Einflüsse wie Gifte, Bakterien, Nährstoff- und Sauerstoffmangel, Radioaktivität und vieles mehr können unter Umständen zum Zelltod führen. Die Folge ist eine Entzündungsreaktion des umliegenden Gewebes. Durch die Entzündungsreaktion werden Fresszellen (Makrophagen) angelockt, die entzündliche Botenstoffe wie Tumornekrosefaktor (TNF) ausschütten. Dadurch entsteht im Bereich der Nekrose auch Apoptose. Die Apoptose kann pharmakologisch blockiert werden, dies kann auch zur Therapie von Nekrosen eingesetzt werden. Je nach Gewebeart heilt die Nekrose durch Nachwachsen der Zellen komplett ab (beispielsweise Darmzellen nach einer Virusinfektion) oder der nekrotische Gewebeteil wird durch eine bindegewebige Narbe ersetzt (beispielsweise Herzmuskel nach einem Herzinfarkt – mit entsprechenden Funktionseinschränkungen). Durch Entzündungsreaktion können auch Gewebestammzellen zur Vermehrung gebracht werden, aus diesen entstehen dann wieder die entsprechenden Gewebezellen.

Nekroseformen

Koagulationsnekrose

Gerinnungsnekrose in Geweben mit hohem Eiweiß- und geringem Fettanteil, durch Eiweißgerinnung beispielsweise bei Ischämie, Säure-, Salz- oder Hitzeeinwirkung.

  • Ischämiebedingte Nekrose: bei arteriellen Verschlüssen (z.B. Mesenterialinfarkt, Myokardinfarkt)
  • Hämorrhagische Nekrose (Nekrose und Einblutung): bei Venenverschlüssen (Nierenvenenthrombose).
  • Fibrinoide Nekrose: beispielsweise beim Herzinfarkt oder beim peptischen Magen-/Duodenalulkus.
  • Käsige Nekrose: Nekrotisches Gewebe ist von weißlich-krümeligem Aussehen, das an Quark (Topfen) erinnert (z. B. bei Tuberkuloseinfektion).
  • Gangränöse Nekrose: Nekrotisches Gewebe ist trocken.

Kolliquationsnekrose

Verflüssigungsnekrose entweder in Geweben mit hohem Fettanteil und geringem Eiweißanteil zum Beispiel im Gehirn bei Sauerstoffminderversorgung oder in Geweben mit hohem Eiweißanteil durch Laugeneinwirkung, zum Beispiel in der Speiseröhre, Selbstverdauung (Autolyse) durch Freisetzen von Verdauungsenzymen (Lipase) beispielsweise bei der Pankreatitis oder durch lysierende Bakterien (zum Beispiel A-Streptokokken, Staphylococcus aureus). Des Weiteren finden sich Kolliquationsnekrosen der Haut infolge Verätzungen mit starken Laugen (z. B. konzentrierte Natron- oder Kalilauge). Die Folge sind tiefgreifende Gewebezerstörungen.

Fettgewebsnekrose

Durch Frakturen, Fettgewebstraumen mit Ölzysten, örtlicher Fettgewebstod, zum Beispiel als Folgegeschehen nach Quetschung, Erfrierung, Injektion nekrotisierender Medikamente, vor allem aber als Nekrose infolge Lipase-Aktivierung bei der akuten Pankreasnekrose.

Panzernekrose

Darunter versteht man absterbendes Panzergewebe bei Schildkröten, beispielsweise durch Nässe, Pilze oder Entzündungen.

Tumornekrose

Im Zentrum größerer Tumoren oder Metastasen herrscht oft eine Mangelversorgung mit Blut, so dass der Tumor zentral einschmilzt.

Verkäsung

Sonderform von Granulomen mit zentraler Nekrose mit weißlich-krümeligem Aussehen; gilt im Allgemeinen als spezifisch für die Tuberkulose (Tbc), kann aber auch bei verschiedenen Pilzinfektionen (Mykosen) vorkommen, zum Beispiel bei Histoplasmose, Blastomykose oder Kokzidoidomykose.

Phosphornekrose

Eine nekrotische Zerstörung des Unterkieferknochens; Berufskrankheit bei Zündholzherstellern, bis ins frühe 20. Jahrhundert verbreitet und erst durch Verbot der Herstellung von Zündhölzern aus weißem Phosphor 1907 verschwunden.

Nekrosevorkommen

Im orthopädischen Bereich kann die Hüftkopfnekrose eine Arthrose als Spätfolge haben.

 

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Apoptose

Die Apoptose (altgriech. ἀπόπτωσις von ἀποπίπτειν (apopiptein) 'abfallen') ist eine Form des programmierten Zelltods. Es ist ein „Selbstmordprogramm“ einzelner biologischer Zellen. Dieses kann von außen angeregt werden (etwa durch Immunzellen) oder aufgrund von zellinternen Prozessen ausgelöst werden (etwa nach starker Schädigung der Erbinformation). Im Gegensatz zum anderen bedeutenden Mechanismus des Zelltodes, der Nekrose, wird die Apoptose von der betreffenden Zelle selbst aktiv durchgeführt und ist somit Teil des Stoffwechsels der Zelle. Dadurch unterliegt diese Form des Zelltods strenger Kontrolle und es wird gewährleistet, dass die betreffende Zelle ohne Schädigung des Nachbargewebes zugrundegeht. Die Apoptose unterscheidet von den anderen Formen des programmierten Zelltods, dass bei ihr eine Gruppe von Enzymen, die proteolytische Aktivität aufweisen, sogenannte Caspasen, eine zentrale Rolle spielen.

Apoptose und Nekrose lassen sich schon optisch leicht unterscheiden. Während bei der Apoptose ein Schrumpfen der Zelle einsetzt und ein Abbau der DNA durch Endonukleasen in definierte Stücke stattfindet (als DNA-Leiter bekannt und mittels Elektrophorese und sog. TUNEL-Methode nachweisbar), schwillt bei der Nekrose die Zelle an, wobei deren Plasmamembran zerstört wird. Als Folge kommt es zu lokalen Entzündungen, da Cytoplasma und Zellorganellen in den Extrazellularraum freigesetzt werden, welche durch Makrophagen (Fresszellen) beseitigt werden müssen. Im Vergleich zur Nekrose ist die Apoptose die häufigere Form des Zelltods.

Vorkommen

Während der Entwicklung eines Organismus ist Apoptose essentiell:

  • bei der Metamorphose von der Kaulquappe zum Frosch oder der Degeneration der Häute zwischen den Fingern/Zehen (Interdigitalhäute) werden gezielt Zellen zur Apoptose angeregt
  • durch apoptotischen Zelltod der Zellen von Glaskörper und Linse des Linsenauges wird die Lichtdurchlässigkeit der Augenlinse erreicht
  • zur Gewährleistung der richtigen „Verschaltung“ von Hirnstrukturen sowie einzelner Nervenzellen sterben bis zur Hälfte aller ursprünglich entstandenen Nervenzellen noch vor der Geburt wieder ab

Aber auch im adulten Organismus ist sie unerlässlich:

  • zur Kontrolle der Zellzahl und der Größe von Geweben
  • bei der Verjüngung von Geweben (z. B. beim Riechepithel der Nase)
  • bei Selektion und Abbau unnötiger oder potentiell schädlicher Zellen des Immunsystems
  • zur Eliminierung entarteter Zellen
  • zur Gewährung der Plastizität im zentralen Nervensystem
  • zur Selektion von Keimzellen (ca. 95 % der Keimzellen werden vor dem Erreichen ihrer Reife apoptotisch getötet)
  • bei der holokrinen Sekretion, d. h. bei den Talgdrüsen des Menschen

Gegenwärtig wird die Apoptose besonders im Zusammenhang mit der Krebsentstehung und verschiedenen Autoimmunerkrankungen erforscht. Ein Ziel der Krebsforschung ist es, kontrollierte Apoptose bei entarteten Zellen auszulösen. Doch auch die Krebszellen nutzen den Apoptosemechanismus, um menschliche Abwehrzellen, sogenannte tumorinfiltrierende Lymphozyten (TILs), auszuschalten. So findet man an der Oberfläche verschiedener Tumorzelllinien ein Apoptose-auslösendes Protein, den CD95-Liganden (Fas Ligand). Diesen Mechanismus bezeichnet man als „Tumor counterattack“.

Die Frage, welche Rolle Apoptose bei neurodegenerativen Krankheiten (wie z. B. Morbus Alzheimer, Chorea Huntington, Morbus Parkinson, ALS) spielt, ist heutzutage ebenfalls heftig diskutiert, und auf diesem Gebiet laufen verschiedenste Forschungen.

Auch in einzelligen Organismen wurden Anzeichen von Apoptose gefunden. In Saccharomyces Cerevisiae werden – besonders in alten Zellen – verschiedene Marker von Apoptose (DAPI, TUNEL-Färbung) sichtbar. Über evolutionäre Gründe für das Vorhandensein von Apoptose in Einzellern wird spekuliert. Eine Theorie besagt, dass sich einzelne schadhafte Zellen opfern und zum Wohle des Kollektivs „Selbstmord“ begehen. Dadurch werden Nährstoffe eingespart, die somit den anderen Zellen zu Verfügung stehen. Ziel ist es schließlich, das Genom zu erhalten, welches ja auch in den anderen Zellen praktisch identisch vorhanden ist.

Histologie

Der Ablauf der Apoptose lässt sich lichtmikroskopisch verfolgen. Zuerst löst sich die betreffende Zelle aus dem Gewebsverband. Im weiteren Verlauf färbt sich die Zelle mehr und mehr eosinophil an und wird zunehmend kleiner. Außerdem bilden sich an der Zellmembran sichtbare Bläschen. Der Zellkern wird kleiner und dichter gepackt. Er kann im Verlauf der Apoptose auch in mehrere Teile zerfallen. Am Ende des Vorgangs bleibt ein homogen eosinophiles Apoptosekörperchen. Dieses wird dann durch Phagozytose abgebaut. Der programmierte Zelltod löst dabei keine Entzündungsreaktion aus.[1]

Bildgebende Verfahren

Die Apoptose lässt sich mittels bildgebender Verfahren, wie beispielsweise Positronen-Emissions-Tomographie oder Fluoreszenzbildgebung (fluorescence imaging) makroskopisch in vivo nachweisen. Als Tracer werden modifizierte Aminosäuren, wie (5-Dimethylamino)-1-napththalinsulfonyl-α-ethyl-fluoralanin (NST-732) oder N,N′-Didansyl-L-cystin, verwendet.[2][3]

Signaltransduktionswege

Der Vorgang der Apoptose lässt sich in zwei Phasen unterteilen: Initiations- und Effektorphase.

Initiationsphase

Bei der Initiationsphase unterscheidet man zwei Vorgänge: Den extrinsischen und den intrinsischen Weg. Man unterscheidet hiernach auch in Apoptose Typ I und Typ II.

extrinsischer Weg – Typ I

Der extrinsische Weg wird eingeleitet durch Ligandenbindung an einen Rezeptor der TNF-Rezeptorfamilie (z. B. CD95). Diese sogenannten Todesrezeptoren besitzen in ihrem zytoplasmatischen Teil eine Todesdomäne (DD, „death domain“). Liganden sind zum Beispiel der Tumornekrosefaktor (TNF) und andere Zytokine, die beispielsweise von T-Lymphozyten abgesondert werden.

Durch die induzierte Trimerisierung des Rezeptors bilden die Todesdomänen eine Struktur, an die nun Adaptermoleküle mit eigener Todesdomäne durch homotypische Interaktionen binden können. In einem ersten Schritt wird das „TNF-Rezeptor assoziierte Protein“ (TRADD) rekrutiert. Anschließend bindet an die DD des TRADD das „Fas assoziierte Protein mit Todesdomäne“ (FADD). FADD besitzt neben der DD auch eine Todeseffektordomäne (DED, „death effector domain“), über die die proCaspase 8 mit ihrer DED an den Komplex bindet. Diese kann sich nun durch die entstandene hohe lokale Konzentration autokatalytisch aktivieren. Die aktive Caspase 8 löst ihrerseits die sogenannte Caspase-Kaskade aus, wodurch in einer signalverstärkenden Rückkopplung weitere Caspase-8-Moleküle aktiviert werden.

Über diesen Mechanismus sterben beispielsweise bei AIDS-Patienten auch zahlreiche nicht infizierte Leukozyten ab: Das HI-Virus regt mittels des Proteins Nef noch nicht erkrankte Abwehrzellen zum programmierten Zelltod an. Der Hemmstoff Fasudil kann diesen Mechanismus unterbinden.

intrinsischer Weg – Typ II

Beim intrinsischen Weg oder der Apoptose des Typs II kommt es durch noch nicht genau bekannte Mechanismen zur Freisetzung von Cytochrom c und anderen pro-apoptotischen Faktoren wie Smac/DIABLO aus den Mitochondrien in das Zytoplasma. Dieser Weg kann ausgelöst werden durch Tumor-Suppressoren, wie beispielsweise p53, einem Transkriptionsfaktor, der durch Schädigung der DNA aktiviert wird. p53 stimuliert die Expression pro-apoptotisch wirkender Mitglieder der Bcl-2 Familie (z. B. Bax, Bad). Diese führen dann zur Freisetzung der pro-apoptotischen Faktoren – wie etwa Cytochrom c – aus dem mitochondrialen Intermembranraum. Es wirken jedoch viele toxische Substanzen wie z. B. Chemotherapeutika auch direkt auf die Mitochondrien und können so die Typ II Apoptose induzieren. Durch die Bindung von Cytochrom c und dATP an Apaf-1 (apoptotischer Protease-Aktivierungsfaktor-1) wird eine Konformationsänderung des Proteins verursacht. Durch diese Konformationsänderung wird die Proteinbindedomäne CARD (Caspase-Rekrutierungs-Domäne) von Apaf-1 zugänglich, so dass sie an die CARD Domäne der Procaspase 9 binden kann. Die Bildung dieses Heterodimers ist eine Voraussetzung für die autolytische Aktivierung der Caspase 9. Dieser Komplex wird Apoptosom genannt und stellt die aktive Form der Caspase 9 dar. Analog zu Caspase 8 initiiert aktive Caspase 9 die Caspase-Kaskade. Eine Signalverstärkung dieses Weges wird innerhalb der Caspase-Kaskade durch Caspase 7 vermittelt, welche nicht nur Substrate spaltet, die an der Ausführung der Apoptose beteiligt sind, sondern ihrerseits auch die Caspase 9 aktiviert.

Zellen, die vielleicht auf Grund einer zu geringen intrazellulären Menge an Caspase 8 nicht die Typ I Apoptose zu initiieren vermögen, können den mitochondrialen Weg zur Signalverstärkung aktivieren. Dazu spaltet die Caspase 8 das zytosolische Protein Bid („BH3 interacting domain death agonist“). Das entstehende C-terminale Spaltprodukt tBid („truncated Bid“) vermittelt nach der Translokation in die Mitochondrien die Freisetzung von pro-apoptotischen Faktoren und führt zur Aktivierung der Caspase 9.

Endoplasmatisches Reticulum stressinduzierter Weg – Typ III

Stressreaktionen des Endoplasmatischen Retikulums, die beispielsweise durch deregulierte Entleerung des ER-Calciumspeichers, Glucosemangel, Hypoxie oder missgefalteten Proteinen („unfolded protein response“) hervorgerufen werden können, können Apoptose initiieren. Es gibt dabei einen Transkriptionsfaktor- und einen Caspase-abhängigen Signalweg.[4][5][6][7]

Ausführungsphase und Caspase-Kaskade

Sogenannte Effektorcaspasen, vornehmlich Caspasen 3, 6 und 7 führen zum apoptotischen Tod der Zelle. Sie sind selbst aktiv am Abbau von Lamin (in der Zellkernmembran) und Actin (Teil des Zytoskeletts) beteiligt. Andererseits aktivieren sie sekundäre Zielproteine (z. B. Caspase aktivierte DNase, CAD, oder andere Caspasen) durch limitierte Proteolyse. Die DNase spaltet genomische DNA an internukleosomalen gekennzeichneten Regionen (linker region) und produziert 180–185 bp Fragmente. Dieses charakteristische Längenmuster lässt sich in einer Agarose-Gel-Elektrophorese als „Apoptoseleiter“ darstellen. Die Darstellung der „Apoptoseleiter“ ist deshalb eine sensitive Methode um Apoptose vom ischämischen oder toxischen Zell-Tod abzugrenzen. Ein weiterer Aspekt ist die caspasevermittelte Unterdrückung der DNA-Reparatur.

Letztlich schnürt sich die Zelle nach und nach in kleinen Vesikeln ab, die wiederum durch spezialisierte „Fresszellen“ (Phagozyten) aufgenommen werden. Im Gegensatz zur Nekrose bleibt hierbei die Zellmembran intakt.

Der Austritt von Cytochrom c aus Mitochondrien ins Zytoplasma, der ein allgegenwärtiges Anzeichen für Apoptose ist, tritt beim extrinsischen Weg erst spät während der Apoptose auf und ist eher Resultat der Apoptose als ihr Auslöser.

Beim extrinsischen Weg unterscheidet man ferner zwischen aktiver (durch Aktivierung von Rezeptoren induziert) und passiver (ausgelöst durch Entzug von Wachstumsfaktoren, z. B. Neurotrophine) Apoptose.

Die wichtigsten bei der Unterdrückung der Apoptose beteiligten Proteine sind die anti-apoptotischen Mitglieder der Bcl-2 Familie (Bcl-2 und Bcl-xL) und die IAPs (Apoptose-inhibitorische Proteine, engl. inhibitor-of-apoptosis proteins), wie beispielsweise Survivin. Weiter stromaufwärts liegen die Proteinkinase B (Alternativbezeichnung: Akt), z. B. in Zusammenhang mit Rezeptoren der Trk-Familie (siehe Neurotrophin) und Transkriptionsfaktoren der FOXO-Familie, und der Transkriptionsfaktor NF-κB.

Nobelpreis für Medizin

Für ihre Entdeckungen, die genetischen Regulation der Organentwicklung und des programmierten Zellsterbens betreffend, erhielten die Wissenschaftler Sydney Brenner (Großbritannien), H. Robert Horvitz (USA) und John E. Sulston (Großbritannien) im Jahre 2002 den Nobelpreis für Medizin.

Einzelnachweise und Quellen

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  • Fritz Höffeler: Die Maschinerie der Apoptose: Chronik eines angekündigten Todes. In: Biologie in unserer Zeit. Band 34(1), 2004, S. 1623, ISSN 0045-205X.
  • Hengartner MO: The biochemistry of apoptosis. In: Nature. 407, Nr. 6805, Oktober 2000, S. 770–6. doi:10.1038/35037710. PMID 11048727.
  • Yuan J, Yankner BA: Apoptosis in the nervous system. In: Nature. 407, Nr. 6805, Oktober 2000, S. 802–9. doi:10.1038/35037739. PMID 11048732.

 

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Erregerreservoir

Ein Erregerreservoir ist eine ökologische Nische, in der sich Krankheitserreger sammeln, vermehren und von der eine erneute Infektion ausgehen kann. Zum natürlichen Erregerreservoir gehören je nach Krankheitserreger der Mensch, Tiere (Reservoirwirt; analog für Pflanzen) oder Biotope.

Erregerreservoir Mensch

Ein Erregerreservoir sind Erkrankte, asymptomatisch Infizierte und in Ausheilung begriffene Personen. Ferner gibt es asymptomatische Besiedelungen, z. B. des Nasen-Rachenraumes, mit virulenten Erregern, ohne dass der Betroffene erkrankt. Dauerausscheider, z. B. von Salmonellen, stellen dabei ein länger überdauerndes Reservoir für den Erreger dar und können die Infektionsquelle für größere Krankheitsausbrüche sein (z. B. in Kantinen-Küchen).

Erregerreservoir Tier

Tiere können ein natürliches Erregerreservoir für sog. Anthropozoonosen sein.

Erregerreservoir Biotop

Es gibt auch Erreger, die weder auf den Menschen, noch auf Tiere als Reservoir angewiesen sind, wie z.B. der Erreger der Legionärskrankheit, dessen bevorzugtes Reservoir sanitäre Anlagen und Klimaanlagen darstellen.

 

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Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme

Die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD, engl.: International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) ist das wichtigste, weltweit anerkannte Diagnoseklassifikations- und Verschlüsselungssystem der Medizin. Es wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) herausgegeben. Die aktuelle, international gültige Ausgabe (engl. revision) ist ICD-10, Version 2011.

In Deutschland sind die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und ärztlich geleiteten Einrichtungen laut § 295 Absatz 1 Satz 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (Abrechnung ärztlicher Leistungen) verpflichtet, Diagnosen nach ICD-10 GM zu verschlüsseln. Verbindlich für die Verschlüsselung in Deutschland ist die ICD-10-GM Version 2011.[1]

Geschichte der ICD

Die Ursprünge des ICD-Systems gehen auf die 1850er Jahre zurück. 1893 wurde die von Jacques Bertillon erarbeitete Bertillon-Klassifikation beziehungsweise das Internationale Todesursachenverzeichnis eingeführt. Nach und nach entstand aus älteren internationalen Klassifikationen, die ursprünglich ausschließlich zur Erfassung von Todesursachen dienten, das ICD-System, das 1938 bereits in der 5. Ausgabe vorlag. Seit seiner Einführung wird das Klassifikationssystem von der WHO weiterentwickelt, die 1948 die 6. Ausgabe vorlegte. Bis zur ICD-9 (1976) erfolgten etwa alle zehn Jahre weitere revidierte Ausgaben, da aufgrund der Fortschritte in der Medizin Änderungen und Ergänzungen erforderlich wurden. Die Arbeit an der letzten, der zehnten Ausgabe begann 1983 und wurde 1992 abgeschlossen. Die derzeit gültige Ausgabe ist die ICD-10 in der Version von 2011.[2] Im Frühjahr 2007 wurde mit den ersten Arbeiten zur ICD-11 begonnen.[3]

Deutschland

In der DDR erfolgte ab 1952 die Kodierung der Diagnosen sowohl bei stationärer als auch bei ambulanter Behandlung nach jeweils gültiger ICD als Eintrag in das SV-Heft.

In der Bundesrepublik Deutschland wurde 1986 erstmals die ICD-9 zur Diagnosenverschlüsselung in Krankenhäusern verpflichtend eingesetzt. Eine deutschlandspezifische, von der WHO-Version abweichende Version (ICD-10-SGB-V) wurde seit 2000 eingesetzt. Ab 2004 ist eine deutsche Fassung, die so genannte German Modification (GM), im Einsatz; ab dem 1. Januar 2010 ist die ICD-10-GM 2010 (10. Ausgabe, German Modification, Version 2010) gültig, die zur Verschlüsselung von Diagnosen in der ambulanten und stationären Versorgung anzuwenden ist. Für die Todesursachenverschlüsselung gilt in Deutschland weiterhin die ICD-10-WHO-Version 2006.

Länderspezifische Ausgaben und Spezialausgaben

Einige Staaten wie Deutschland, Österreich, die USA und Australien verwenden länderspezifische ICD-Erweiterungen. In den USA ist eine an klinische Bedürfnisse angepasste Version ICD-9-CM (clinical modification) populär. In Österreich wird die Version ICD-10 BMSG 2001 verwendet. Die deutsche ICD-Ausgabe heißt ICD-10-GM (German modification) und wird vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) gepflegt und herausgegeben. Dort sind auch ältere, in Ost- und West-Deutschland verwendete ICD-Versionen archiviert und einsehbar. Darüber hinaus gibt es in Deutschland ein alphabetisches Verzeichnis zur ICD-10-GM, den sogenannten Diagnosenthesaurus.

Für verschiedene Fachbereiche (Pädiatrie, Neurologie) existieren Spezialausgaben.

In Deutschland wird die ICD-10 im ambulanten Bereich durch einen angefügten Buchstabencode erweitert:

  • A = Ausschluss einer solchen Erkrankung
  • V = Verdacht auf
  • G = gesicherte Diagnose
  • Z = symptomloser Endzustand nach Überstehen einer Erkrankung
  • R = rechts
  • L = links
  • B = beidseits

Nach den § 295 und 301 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch sind in Deutschland Ärzte und Krankenhäuser zur Diagnoseverschlüsselung nach ICD verpflichtet. Wurde dies in der Anfangszeit meist durch Ärzte gemacht, wird diese Aufgabe heute häufig von Kodierfachkräften wahrgenommen. Aus dem ICD- und dem OPS-Code wird eine Diagnosis Related Group (DRG, Diagnosebezogene Fallgruppe) errechnet, so dass eine fall- und diagnosebezogene Abrechnung möglich wird. Die ICD sind zusammen mit der OPS-Verschlüsselung für Krankenhäuser Grundlage des DRG-Systems, das seit 2003 als Berechnungsgrundlage für Leistungsvergütung in Deutschland eingeführt wird. Ziel dieses neuen Systems ist es, trotz zunehmender Belastung des Gesundheitswesens durch die demographische Entwicklung eine Steuerungsmöglichkeit der Kostenentwicklung zu erhalten.

Bände

Die ICD-10 liegt in 3 Bänden vor:

  • Band I: Systematisches Verzeichnis
  • Band II: Regelwerk
  • Band III: Alphabetisches Verzeichnis

Aufbau

Die ICD-10 ist ein einachsiges und monohierarchisches Klassifikationssystem. Sie gliedert sich in:

  • eine dreistellige allgemeine Systematik (zum Beispiel A95: Gelbfieber)
  • eine vierstellige ausführliche Systematik (zum Beispiel A95.0: Buschgelbfieber)
  • gelegentlich fünfstellige Verfeinerungen (zum Beispiel M23.31: Sonstige Meniskusschädigungen, vorderes Kreuzband oder Vorderhorn des Innenmeniskus)

Die Notation ist alphanumerisch. Die erste Stelle ist ein Buchstabe, die Stellen zwei bis fünf enthalten Ziffern, die vierte Stelle ist durch einen Punkt abgetrennt. Die Bereiche U00–U49 bzw. U50–U99 sind für Erweiterungen bzw. Forschungszwecke reserviert. ICD-10 enthält:

  • 21 Krankheitskapitel
  • 261 Krankheitsgruppen (zum Beispiel E10–E14: Diabetes mellitus)
  • 2.037 dreistellige Krankheitsklassen (Kategorien) (zum Beispiel E10.-: Primär insulinabhängiger Diabetes mellitus [Typ-I-Diabetes])
  • 12.161 vierstellige Krankheitsklassen (Subkategorien) (zum Beispiel: E10.1: Primär insulinabhängiger Diabetes mellitus [Typ-I-Diabetes] mit Ketoazidose)

Die Einteilungs-Kriterien wechseln zwischen Topographie, Ätiologie und Pathologie.

Das systematische Verzeichnis enthält eine Zusatzklassifikation (M-Achse), mit der Neubildungen histologisch klassifiziert werden können. Hierbei handelt es sich um einen sechsstelligen Schlüssel, der mit dem Buchstaben „M“ beginnt. Darauf folgen vier Ziffern zur Codierung der Neubildung, gefolgt von einem Schrägstrich (/) und einer Ziffer zur Codierung des pathologischen Verhaltens (zum Beispiel: M8051/3: verruköses Karzinom o. n. A.). Der Aufbau der M-Achse entspricht weitgehend der Klassifikation nach ICD-O bzw. nach SNOMED.

Krankheitskapitel

Kapitel

Notation

Bezeichnung

 

I

A00–B99

Bestimmte infektiöse und parasitäre Krankheiten

II

C00–D48

Neubildungen (beispielsweise Tumore u. Ä.)

III

D50–D89

Krankheiten des Blutes und der blutbildenden Organe sowie bestimmte Störungen mit Beteiligung des Immunsystems

IV

E00–E90

Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten

V

F00–F99

Psychische und Verhaltensstörungen

VI

G00–G99

Krankheiten des Nervensystems

VII

H00–H59

Krankheiten des Auges und der Augenanhangsgebilde

VIII

H60–H95

Krankheiten des Ohres und des Warzenfortsatzes

IX

I00–I99

Krankheiten des Kreislaufsystems

X

J00–J99

Krankheiten des Atmungssystems

XI

K00–K93

Krankheiten des Verdauungssystems

XII

L00–L99

Krankheiten der Haut und der Unterhaut

XIII

M00–M99

Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes

XIV

N00–N99

Krankheiten des Urogenitalsystems

XV

O00–O99

Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett

XVI

P00–P96

Bestimmte Zustände, die ihren Ursprung in der Perinatalperiode haben

XVII

Q00–Q99

Angeborene Fehlbildungen, Deformitäten und Chromosomenanomalien

XVIII

R00–R99

Symptome und abnorme klinische und Laborbefunde, die anderenorts nicht klassifiziert sinde

XIX

S00–T98

Verletzungen, Vergiftungen und bestimmte andere Folgen äußerer Ursachen

XXV

01–Y98

Äußere Ursachen von Morbidität und Mortalität

XXI

Z00–Z99

Faktoren, die den Gesundheitszustand beeinflussen und zur Inanspruchnahme des Gesundheitswesens führen

XXII

U00–U89

Schlüsselnummern für besondere Zweck

Doppelklassifikation von Erkrankungen

Einige Erkrankungen werden in ICD-10 mit einer Doppelklassifikation abgebildet. Die primäre Einteilung erfolgt nach der Ätiologie, die sekundäre nach der Organmanifestation. In der Systematik wird der Primärschlüssel mit einem Kreuzzeichen (+) abgebildet, der Sekundärschlüssel mit einem Sternzeichen (*). Diese Notation wird als Kreuz-Stern-System bezeichnet.

Beispiel: Der ICD-10-Code A17.0+ (tuberkulöse Meningitis) ist bezüglich der Ätiologie eine Infektionskrankheit, und bezüglich der Organmanifestation eine Krankheit des Nervensystems (G01*).

Beispiel: Ein Augenarzt, der eine diabetische Retinopathie behandelt und nicht die Grunderkrankung (Diabetes mellitus), ist vorrangig am klinischen Sekundärschlüssel interessiert:

  • Ätiologie: E10.30+ Diabetes mellitus Typ I mit Augenkomplikation, nicht als entgleist bezeichnet.
  • Organmanifestation: H36.0* Retinopathia diabetica.

Die Kreuz-Notation wird für statistische Zwecke verwendet. Die Stern-Notation hat einen größeren klinischen Bezug und wird u. a. für die Leistungsverrechnung verwendet.

Kritik an der ICD

In Deutschland hätte bereits 1996 die vertragsärztliche Abrechnung ausschließlich auf Basis der Verschlüsselung nach ICD-10 erfolgen sollen. Nach massivem Widerstand aus der Ärzteschaft wurde die ICD-10 zunächst als freiwillige Option eingeführt, die Verwendung einer überarbeiteten Version ist seit 2000 Pflicht.

Hauptkritikpunkte an der ICD sind:

  • Es wurde befürchtet, dass durch datentechnische Auswertungsverfahren die ärztliche Schweigepflicht ausgehöhlt werden könnte („gläserner Patient“).
  • Durch die Möglichkeit einer maschinellen Auswertung der Abrechnungsdaten solle die ärztliche Tätigkeit in unzulässigem Maß transparent und kontrollierbar gemacht werden („gläserner Arzt“).[4]
  • Die Gliederung entspricht nicht medizinischen oder praktischen Gesichtspunkten, sondern folgt lediglich statistischen Erfordernissen. So werden etwa unter K alle Krankheiten des Verdauungssystems zusammengefasst (von den Zähnen bis zum Darmausgang), die in der ärztlichen Praxis ganz verschiedene Fachgruppen betreffen. Andererseits fehlen dort wichtige gastrointestinale Krankheiten wie Karzinome, die allgemein unter C eingeordnet sind.
  • Die nationalen Anwendungen der ICD sind unvollständig. So waren zeitweise in der Bundesrepublik Deutschland Codes ausgeschlossen. Die internationale Vergleichbarkeit von Krankheitsursachen ist damit eingeschränkt.
  • Die Verwendung mancher Diagnosen, speziell unter Z, könnte eine unzulässige Offenlegung der persönlichen Situation und Umgebung des Patienten sein, z. B. Angaben über Einflüsse aus dem familiären oder beruflichen Umfeld.
  • Nicht jede Symptomatik entspricht einem Krankheitsbild nach ICD; das erschwert dem Arzt klare Angaben, wenn zunächst kein Krankheitsbild hundertprozentig passt.
  • Auch unter statistischen Gesichtspunkten ist die ICD fragwürdig, weil sie nicht klar zwischen Diagnosen und Symptomen unterscheidet. (Hämaturie [ICD-10: D68.3] ist ein Symptom, das verschiedene Ursachen haben kann. Dies führt zu Ungenauigkeit, weil formal immer das Symptom und die Ursache codiert werden sollten, aber in der Praxis selten beides codiert wird.)

Andere Klassifikationssysteme

In den USA ist in der Psychiatrie das DSM-IV-Klassifikationssystem verbreitet (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders), welches einen völlig anderen Ansatz verwendet.

Literatur

  • Bettina Busse: ICD-10 und OPS. Books on Demand, 2005

Quellen

  1. ↑ http://www.xxx
  2. ↑ Geltungszeiten der Klassifikationen ICD-10, OPS und ATC/DDD sowie von MeSH in Deutschland (Stand 1. Dezember 2008)
  3. ↑ [1]ICD-11
  4. ↑ Vgl. WELT-Online Artikel Der „gläserne Patient“ wird zum Zankapfel

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Weltgesundheitsorganisation

Die Weltgesundheitsorganisation (engl. World Health Organization, WHO) ist eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen mit Sitz in Genf (Schweiz). Sie wurde am 7. April 1948 gegründet und zählt 194 Mitgliedsstaaten. Sie ist die Koordinationsbehörde der Vereinten Nationen für das internationale öffentliche Gesundheitswesen.

Mission

Die Verfassung der Weltgesundheitsorganisation konstatiert, dass ihr Ziel die Verwirklichung des bestmöglichen Gesundheitsniveaus bei allen Menschen ist. Ihre Hauptaufgabe ist die Bekämpfung der Erkrankungen, mit besonderem Schwerpunkt auf Infektionskrankheiten, sowie Förderung der allgemeinen Gesundheit unter Menschen auf der Welt.[1]

Für ihre Erfolge seit Gründung erhielt die WHO 2009 den Prinz-von-Asturien-Preis in der Kategorie Internationale Zusammenarbeit.

Entstehung

Am 22. Juli 1946 wurde die Verfassung[2] der Weltgesundheitsorganisation in New York verabschiedet und von 61 Staaten unterzeichnet. Sie trat am 7. April 1948 nach der Ratifikation des 26. Unterzeichnerstaates in Kraft.

Mitgliedschaft

Die Mitgliedschaft in der WHO steht allen Staaten offen. Mit Ausnahme des Fürstentums Liechtenstein sind alle Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen auch Mitglieder der WHO. Hinzu kommen zwei Nicht-Mitgliedstaaten, Niue und die Cookinseln. Die Länder, die keine Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen sind, können zur WHO als assoziierte Mitglieder beitreten. Sie werden ausführlich informiert und haben ein beschränktes Teilnahme- und Abstimmungsrecht. Zu den assoziierten Mitgliedern gehören Puerto Rico und Tokelau.

Die Republik China (Taiwan), die 1971 aus den Vereinten Nationen ausgeschlossen wurde, stellte ein Gesuch um Beitritt zur WHO im Beobachterstatus. Die Weltgesundheitsorganisation lehnte dies 2004 wegen der Ein-China-Politik ab.

Organe

Die Geschäfte der WHO werden durch deren Hauptorgane, die Weltgesundheitsversammlung, den Exekutivrat sowie das Sekretariat wahrgenommen.

  • Die Weltgesundheitsversammlung (engl. World Health Assembly, WHA) ist das höchste Entscheidungsorgan. Alle WHO-Mitglieder treten jedes Jahr im Mai in Genf zusammen, um die finanziellen und organisatorischen Geschäfte vorzunehmen und die künftigen Programme festzulegen.
  • Der Exekutivrat setzt sich aus 34 Gesundheitsexperten der Mitgliedstaaten zusammen. Sie werden für drei Jahre von der Weltgesundheitsversammlung gewählt. In der Zeit zwischen den jährlichen Sessionen der WHA ist der Exekutivrat für die Führung zuständig. Die Hauptaufgaben des Exekutivrates bestehen in Ausführung der Beschlüsse und Richtlinien der Versammlung.
  • Das Sekretariat der WHO mit dem Hauptbüro in Genf und sechs Regionalbüros setzt die Aktivitäten der WHO um. Es wird seit dem 4. Januar 2007 von der WHO-Generaldirektorin Margaret Chan geleitet.

Die Regionalbüros

Die sechs Regionalbüros der WHO haben ihren Sitz in folgenden Städten:

  • Brazzaville (Region Afrika)
  • Washington, D.C. (Region Amerika)
  • Neu-Delhi (Region Südostasien)
  • Kopenhagen (Region Europa)
  • Kairo (Region Östliches Mittelmeer)
  • Manila (Region Westlicher Pazifik)

Jedes Regionalbüro ist von einem Regionaldirektor geleitet, der vom Regionalausschuss für den Zeitraum von fünf Jahren gewählt wird. Der Name des Kandidaten zum Posten des Regionaldirektors wird dem Exekutivrat vermittelt, der die Ernennung bestätigt.

Die WHO ist bestrebt, ihre Präsenz in den Mitgliedstaaten selbst zu verstärken. Etwa 200 Kooperationszentren und Forschungseinrichtungen unterstützen durch ihre Tätigkeiten die laufenden Programme der WHO.

Finanzierung

Im Zweijahresbudget der WHO für die Jahre 2008–2009 betrugen die Einnahmen 3,759 Milliarden US-Dollar und die Ausgaben 3,941 Milliarden US-Dollar. [3]

Die ordentlichen Beiträge der WHO-Mitgliedstaaten beliefen sich auf 940 Millionen US-Dollar. Sie werden nach einem Schlüssel bemessen, wobei sich die Höhe des Beitrags nach der Zahlungsfähigkeit des jeweiligen Landes richtet. Die freiwilligen Beiträge in der Höhe von 2,745 Milliarden US-Dollar wurden zu 52 % von den WHO-Mitgliedstaaten, vor allem den USA, Großbritannien, Kanada, Norwegen und der Niederlande entrichtet. Der Rest der freiwilligen Beiträge stammte hauptsächlich von Stiftungen (21 %), von internationalen Organisationen (17 %) sowie zu je 5 % von NGOs und dem privaten Sektor. Die restlichen Einnahmen stammten aus Dienstleistungen der WHO oder aus der Nachzahlung ausstehender Beiträge.

Die Ausgaben des WHO-Hauptbüros (insbesondere zur Finanzierung der laufenden Programme) beliefen sich auf 1,412 Milliarden US-Dollar. Von den 6 Regionalbüros hatte dasjenige in Afrika mit 1,007 Milliarden US-Dollar die höchsten Ausgaben.

WHO-Projekte werden teilweise als Public Private Partnership finanziert. Darunter fallen:

  • Die Globale Allianz für Impfstoffe und Immunisierung (Global Alliance for Vaccines and Immunization; GAVI), welche zu 75 % (750 Mio. US-Dollar) von der Bill and Melinda Gates Foundation finanziert wird.
  • Die Globale Allianz für verbesserte Ernährung (GAIN), die 2003 gegründet wurde. Sie bezweckt mittels partnerschaftlichen Projekten, unter anderen mit der WHO und der Nahrungsmittelindustrie, die Mangelernährung vor allem in den Entwicklungsländern zu verhindern.

Nicht mehr im Programmbudget der WHO figuriert der Globale Fonds zu Bekämpfung von AIDS, Malaria und Tuberkulose (GFATM), der 2002 von der G8 gegründet wurde. Die WHO hat 2005 ihre Zusammenarbeit mit dem GFATM in einer Handlungsempfehlung umschrieben.[4] Ebenfalls außerhalb der WHO führen UNAIDS, UNITAID oder das IARC eine eigene Rechnungslegung.

Aufgaben

Auftrag

Die Verfassung der WHO statuiert, dass ihr Zweck darin liegt, allen Völkern zur Erreichung des bestmöglichen Gesundheitszustandes zu verhelfen. Zur Verwirklichung dieses Zweckes dient die WHO-Strategie „Gesundheit für alle im 21. Jahrhundert“, die 1998 von der Weltgesundheitsversammlung verabschiedet wurde und die auf der 1978 verabschiedeten „Alma-Ata-Deklaration“ beruht. Es soll ein Grad an Gesundheit erreicht werden, der es allen Menschen ermöglicht, ein sozial und wirtschaftlich produktives Leben zu führen. Gesundheit wird als ein wesentlicher Bestandteil der menschlichen Entwicklung wahrgenommen.

Die Gesundheit wird in der Verfassung der WHO definiert, als „ein Zustand vollständigen physischen, geistigen und sozialen Wohlbefindens, der sich nicht nur durch die Abwesenheit von Krankheit oder Behinderung auszeichnet“. Dieser Gesundheitsbegriff wurde durch das Konzept der Gesundheitsförderung in der Ottawa-Charta von der WHO 1986 weiterentwickelt. Darin wird postuliert, dass zur Erreichung dieses Zustandes sowohl Einzelne als auch Gruppen ihre Bedürfnisse befriedigen, ihre Wünsche und Hoffnungen wahrnehmen und verwirklichen sowie ihre Umwelt meistern bzw. verändern können. In diesem Sinne wird Gesundheit als Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens definiert und als ein wesentlicher Bestandteil des alltäglichen Lebens verstanden – und nicht als vorrangiges Lebensziel.

Ausgewählte Tätigkeitsbereiche

  • Weltweite Koordination von nationalen und internationalen Aktivitäten beim Kampf gegen übertragbare Krankheiten wie AIDS, Malaria, SARS und Grippe
  • Lancierung globaler Impfprogramme und Programme gegen gesundheitliche Risikofaktoren wie Rauchen oder Übergewicht
  • Regelmäßige Erhebung und Analyse weltweiter Gesundheits- und Krankheitsdaten
  • Unterstützung beim Aufbau von möglichst wirksamen und kostengünstigen Gesundheitssystemen in Entwicklungsländern (z. B. Bamako-Initiative in Afrika)
  • Erstellung einer Modellliste von unentbehrlichen Arzneimitteln
  • Der Weltgesundheitsbericht (engl: World Health Report) über die weltweite Gesundheitsversorgung bzw. die bestehenden Krankheitsprobleme, der jährlich von der WHO herausgegeben wird

Regulierungsaufgaben

Eine zentrale Aufgabe der WHO ist es, Leitlinien, Standards und Methoden in gesundheitsbezogenen Bereichen zu entwickeln, zu vereinheitlichen und weltweit durchzusetzen. Die Verfassung der WHO sieht dafür drei Instrumente vor: Völkerrechtliche Verträge, Regelungen unmittelbar gestützt auf die WHO-Verfassung und nicht-verbindliche Empfehlungen.

  • Der einzige unter der Ägide der WHO erarbeitete und am 21. Mai 2003 von der WHA angenommene völkerrechtliche Vertrag ist das WHO-Rahmenübereinkommen zur Eindämmung des Tabakgebrauchs (engl. WHO Framework Convention on Tobacco Control, FCTC). Das Rahmenübereinkommen ist entstanden aus der Erkenntnis, dass die weltweite Ausbreitung des Tabakkonsums schwerwiegende Folgen für die öffentliche Gesundheit hat. Deshalb ist eine weitest mögliche internationale Zusammenarbeit in der Tabakprävention und bei der Bekämpfung des illegalen Handels mit Tabakprodukten notwendig.
  • Regelungen unmittelbar gestützt auf die WHO-Verfassung gibt es nur in zwei Bereichen. Die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD) wurde zum ersten Mal 1949 als ICD 6 erlassen und seither mehrmals revidiert, zum letzten Mal 1999 (ICD 10). Ebenfalls bereits in den Anfangszeiten der WHO wurden die Internationalen Gesundheitsvorschriften (engl. International Health Regulations, IHR) erlassen. Sie wurden 1951 unter dem Namen „Internationales Sanitätsreglement (ISR)“ verabschiedet und sind seither dreimal revidiert worden, zuletzt 2005. Beide Regelungswerke können mittels einer Mehrheit der WHA-Mitglieder für alle Mitgliedstaaten als rechtsverbindlich erklärt werden. Die einzige Möglichkeit für einen Mitgliedstaat sich der Verpflichtung zu entziehen besteht darin, innerhalb einer bestimmten Frist bekannt zu geben, er lehne die Regelung ab oder mache Vorbehalte (sog. opting out).
  • Die WHA oder andere Organe der WHO haben unzählige nicht-verbindliche Empfehlungen, Resolutionen, Standards oder Methoden verabschiedet. Trotz mangelnder Rechtsverbindlichkeit sowie Sanktionslosigkeit bei Verstößen, werden sie in der Regel von den WHO-Mitgliedstaaten befolgt. Dies gilt zumindest für Normen mit technischem oder wissenschaftlichem Charakter. Andere nicht-verbindliche Empfehlungen, wie etwa der 1981 angenommene Internationale Kodex für die Vermarktung von Ersatzprodukten für Muttermilch (engl. International Code of Marketing of Breast-Milk Substitutes), sind politisch umstritten. Die Umsetzung in den einzelnen Staaten und die Beachtung des Kodex durch die Babynahrungsindustrie erfolgte teilweise überhaupt nicht oder nur zögerlich.

Zusätzlich werden der WHO durch völkerrechtliche Verträge Regelungsaufgaben übertragen, beispielsweise durch das Einheitsabkommen über die Betäubungsmittel von 1961 und die Konvention über psychotrope Substanzen von 1971. Diese werden häufig durch die dafür von der WHO eingesetzte Expertenkommission erfüllt.

Erfolge

Die größten Erfolge hat die WHO bei der Bekämpfung von Infektionskrankheiten erzielt. Dank weltweiter Impfprogramme kann jährlich der Tod oder die Behinderung von mehreren Millionen Menschen verhindert werden.

Nachdem jahrelang die Pocken bekämpft worden waren, erklärte die Weltgesundheitsversammlung der WHO im Mai 1980 auf Empfehlung einer Expertenkommission vom Dezember 1979 die Krankheit für ausgerottet.

Die Entwicklung von Impfstoffen gegen Malaria und Schistosomiasis nähert sich einem Erfolg und die Ausrottung der Kinderlähmung (Polio) in den nächsten Jahren wird angestrebt.

Kritik

Zusammenarbeit mit IAEO

Am 28. Mai 1959 wurde auf der 8. Weltgesundheitsversammlung zwischen der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) und der WHO die Resolution (WHA12-40) verabschiedet.[5][6] Der Vertrag legt u. a fest, dass die Verantwortung für Untersuchungen, Entwicklungen und Anwendungen auf dem Gebiet der Kernenergie primär bei der IAEO liegt und die WHO bei entsprechenden Aktivitäten die IAEO zu konsultieren habe und diese einvernehmlich zu regeln seien. Diese Abhängigkeit der WHO von der IAEO, die laut Satzung den friedlichen Einsatz der Kernenergie weltweit fördern soll, wird vielfach kritisiert, [7] da dadurch z. B. die Zahl der weltweiten Opfer der Katastrophe von Tschernobyl von der WHO und der IAEO gemeinsam als viel zu niedrig beziffert würden. Von verschiedenen Seiten, u. a. von der Europaabgeordneten Rebecca Harms, wird deshalb die Auflösung der Resolution WHA12-40 gefordert.[8][9][10][11]

Grippe

Die WHO stand und steht wegen ihres Verhaltens bei der Pandemiebekämpfung in der Kritik. So wurden nach dem Auftreten des H5N1-Virus (sogenannte Vogelgrippe) im Mai 2005 - aufgrund der Warnung des damaligen Impfdirektors Klaus Stöhr vor einer möglichen weltweiten Grippeepidemie („bis zu 7 Millionen Tote“) - von Regierungen für Millionen die Grippemittel Tamiflu und Relenza angeschafft. Zwar verbreitete sich das Virus weltweit, jedoch kam es nur selten zu Erkrankungen beim Menschen, sodass weltweit nur 152 Menschen an der „Vogelgrippe“ verstarben, weit weniger als bei einer saisonalen Grippe. 2007 wechselte Klaus Stöhr von der WHO zum Pharmakonzern Novartis.[12]

Nach dem Auftreten des A/H1N1-Virus (sogenannte Schweinegrippe) erhöhte die WHO mit der Verbreitung der Krankheit die Epidemiewarnstufe schrittweise bis zur höchsten Stufe 6 (Pandemie). Die Regierungen bestellen daraufhin Impfstoffe (alleine in Deutschland für ca. 450 Mio Euro) und Grippemittel. Kritik löste dabei vor allem aus, dass die derzeitige Direktorin der WHO-Impfstoffabeiltung - Frau Marie-Paule Kieny - vor ihrer Tätigkeit bei der WHO beim französischen Pharmaunternehmen Transgene S.A. beschäftigt war, der strategische Partnerschaften zur Impfstoffherstellung mit dem Schweizer Pharmakonzern Roche unterhält.[12] Der Europarat ging dem Verdacht nach, dass es ein enges Zusammenspiel zwischen WHO und Pharmaindustrie gab.[13]

Aktionstage

Die WHO beziehungsweise die WHA hat im Laufe der Zeit zahlreiche Welttage mittels Resolutionen beschlossen oder bereits von anderen internationalen Organisationen initiierte Welttage unterstützt. Weitere Aktionstage mit Bezug zu Gesundheitsthemen finden sich in der Liste der Gedenktage und Aktionstage.

  • 24. März: Der Welttuberkulosetag (World Tuberculosis Day) wurde von der WHO 1996 unterstützt.
  • 7. April: Der Weltgesundheitstag (World Health Day) wurde von der WHO 1948 beschlossen.
  • 25. April: Der Weltmalariatag (World Malaria Day) wurde von der WHO 2007 beschlossen.
  • 31. Mai: Der Weltnichtrauchertag (World No Tobacco Day) wurde von der WHO 1987 beschlossen.
  • 14. Juni: Der Weltblutspendetag (World Blood Donor Day) wurde von der WHO 2005 unterstützt.
  • 10. September: Der Welt-Suizid-Präventionstag (World Suicide Prevention Day) wurde von der WHO 2003 unterstützt.
  • Letzter Sonntag im September: Der Weltherztag (World Heart's Day) wurde von der WHO unterstützt.
  • 28. Oktober: Der Welt-Polio-Tag (World Polio Day) wurde von der WHO unterstützt.
  • 14. November: Der Weltdiabetestag (World Diabetes Day) wurde von der WHO 1991 unterstützt.
  • 1. Dezember: Der Welt-Aids-Tag (World AIDS Day) wurde von der WHO 1988 beschlossen.

Generaldirektoren der WHO

Name

Land

Dienstdauer

 

Brock Chisholm

Kanada

1948–1953

Marcolino Gomes Candau

Brasilien

1953–1973

Halfdan T. Mahler

Dänemark

1973–1988

Hiroshi Nakajima

Japan

1988–1998

Gro Harlem Brundtland

Norwegen

1998–2003

Jong-wook Lee

Südkorea

2003–2006 († 22. Mai)

Anders Nordström

Schweden

2006-2007

Margaret Chan

China

2007–2012

Quellen

  1. ↑ Verfassung der WHO
  2. ↑ SR 0.810.1 Verfassung der Weltgesundheitsorganisation vom 22. Juli 1946
  3. ↑ Financial report and audited financial statements for the period 1 January 2008 – 31 December 2009. WHO, S. 39, abgerufen am 10. Januar 2011 (pdf, engl.).
  4. ↑ Guidance Paper on Global Fund to fight AIDS, TB and Malaria related activities within WHO, March 2005
  5. ↑ AGREEMENTS WITH OTHER INTERGOVERNMENTAL ORGANIZATIONS. S. 25 ff., abgerufen am 28. April 2011 (PDF-Datei, englisch).
  6. ↑ Abkommen zwischen der IAEA und der WHO (en) http://www.xxx
  7. ↑ [1] Le Monde diplomatique 14. März 2008
  8. ↑ http://www.xxx Pharmazeutische Zeitung, 12.April 2011
  9. ↑ http://www.xxx Stern, 12. April 2011
  10. ↑ http://www.xxx Rhein-Zeitung, 12. April 2011
  11. ↑ http://www.xxx Zeit-Online 12. April 2011
  12. ↑ a b Cicero, Ausgabe 10/2009
  13. ↑ Anhörung der Verantwortlichen im Europarat: Schweinegrippe - ein großer Bluff? (nicht mehr online verfügbar), Tagesschau.de am 26. Januar 2010

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Antibiogramm

Das Antibiogramm ist ein Labor-Test (Plattendiffusionstest/Agardiffusionstest) zur Bestimmung der Empfindlichkeit bzw Resistenz von Krankheitskeimen gegenüber Antibiotika. Ein Antibiogramm wird vor jeder Antibiotikatherapie empfohlen, falls möglich. Dazu werden die zu testenden Bakterien auf einem speziellen Nährboden netzartig ausgestrichen und mit verschiedenen Antibiotikaplättchen beimpft. Nach der 18–24-stündigen Bebrütung werden die Hemmhöfe ausgemessen und auf Resistenz oder Sensibilität hin ausgewertet.

Das Maß für die Wirksamkeit eines Antibiotikums gegenüber einem Bakterium ist die minimale Hemmkonzentration (MHK), also die Mindestkonzentration einer Substanz, die gerade noch ausreicht, das Bakterienwachstum zu hemmen.

Die minimale bakterizide Konzentration (MBK) ist die Konzentration, die ausreicht, um 99,9 % des inokulierten Keimes abzutöten.

Wirkungsspektrum Antibiotika:

  1. Schmalspektrum, wirksam im Wesentlichen nur gegenüber grampositiven oder gramnegativen Bakterienspezies
  2. Breitspektrum, Breitbandantibiotika wirken gegen grampositive und gramnegative Bakterienspezies (Universalantibiotika)

 

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Chinolone

Chinolone sind eine chemisch verwandte Stoffgruppe von Antibiotika, die als Wirkprinzip die Hemmung des Gyrase-Enzyms nutzen (sogenannte Gyrasehemmer). Strukturell leiten sich die Chinolone von Chinolin ab, welches am stickstoffhaltigen Ringsystem eine Carbonylgruppe sowie eine Carbonsäuregruppe trägt. Ein Fluoratom am Benzol-Ring führt zu den Fluorchinolonen. Sehr oft enthalten Chinolone auch einen Piperazin-Substituenten.

Chinolone binden in der Bakterienzelle an den Komplex des Enzyms Gyrase und DNA. Sie verhindern dadurch das Wieder-Zusammenfügen eines geschnittenen DNA-Strangs durch das Enzym, welches für das Supercoiling (die Verdrillung) der DNA verantwortlich ist.

Das Verändern des Verdrillungszustandes ihrer DNA ist für Bakterien zum Kopieren des Erbguts während der Zellteilung unverzichtbar. Die Bakterien sind deshalb nicht mehr in der Lage sich zu vermehren, die bewirkten DNA-Strangbrüche haben wahrscheinlich direkt tödliche Wirkung.

Vertreter

Die Chinolone der ersten Generation (60er/70er Jahre) wurden schlecht resorbiert und hatten ein enges Wirkspektrum. Sie sind heute kaum noch von Bedeutung, während die Gyrasehemmer der zweiten Generation vor allem dann von Bedeutung sind, wenn Resistenzen gegen andere Mittel beobachtet werden. Die Standardchinolone basieren auf der wichtigsten Verbesserung, welche chemisch an den Chinolonen der ersten Generation vorgenommen wurde: Es wurde ein Fluoratom eingebaut. Später wurden dann Wirkungsselektivität und Wirkungsspektrum (zunächst gegen Chlamydien, Pneumokokken, Mykoplasmen, später gegen anaerobe Bakterien) verbessert.

  • Cinoxacin (untergeordnete Rolle, Nalidixinderivat)
  • Ciprofloxacin (Standard)
  • Clioquinol
  • Danofloxacin
  • Difloxacin
  • Enrofloxacin
  • Fleroxacin (Standard)
  • Flumequin
  • Gatifloxacin
  • Grepafloxacin (erweitertes Wirkspektrum)
  • Ibafloxacin
  • Levofloxacin (Standard)
  • Marbofloxacin
  • Moxifloxacin (sehr weit entwickeltes Chinolon)
  • Nalidixinsäure (erstes Chinolon, das als Antibiotikum genutzt wurde, heute bedeutungslos)
  • Norfloxacin
  • Ofloxacin (Standard)
  • Orbifloxacin
  • Oxolinsäure
  • Pipemidinsäure (untergeordnete Rolle, Nalidixinderivat)
  • Sarafloxacin
  • Sparfloxacin (erweitertes Wirkspektrum)
  • Temafloxacin
  • Nadifloxacin

 

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Ciprofloxacin

Ciprofloxacin ist ein Antibiotikum mit breitem Wirkspektrum aus der Gruppe der Fluorchinolone. Die Substanz wurde 1981 von der Firma Bayer entwickelt und 1983 patentiert. Antibiotika dieser Gruppe hemmen die Gyrase von Bakterien und damit ihre DNA-Replikation und ihre Zellteilung. Sie wirken dadurch bakterizid, und zwar vor allem gegen gramnegative Keime.

Spektrum

Ciprofloxacin eignet sich gut gegen alle bakteriellen Erreger einer infektiösen Darmerkrankung. Außerdem ist es wirksam gegen den Problemkeim Pseudomonas aeruginosa. Bei Harnwegsinfektionen, die auch von Darmbakterien oder unter Umständen von Pseudomonaden ausgelöst werden, gilt es als Reserveantibiotikum. Weitere Anwendungsgebiete sind Infektionen der Gallenwege, Atemwege, der Bauchhöhle (Peritonitis) und viele andere Infektionskrankheiten bei Nachweis eines entsprechend empfindlichen Erregers. Ciprofloxacin ist auch zur Behandlung des Milzbrands zugelassen. Ciprofloxacin kann wie andere moderne Chinolone neben Makroliden und Rifampicin zur Behandlung der Pneumonie durch Legionellen eingesetzt werden.

Nebenwirkungen

Häufigste Nebenwirkungen (jedoch unter 10 %) sind Übelkeit, Durchfall und Hautausschläge. Fluorchinolone haben im Tierversuch bei jungen Hunden Störungen des Knorpelwachstums verursacht, deshalb sollen sie nicht in der Schwangerschaft, Stillzeit und nicht bei Kindern eingesetzt werden. Davon abweichend ist Ciprofloxacin aufgrund seiner Wirksamkeit gegen Pseudomonas jedoch zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen (5–17 Jahre) mit akuten, durch P. aeruginosa verursachten Infektionsschüben einer zystischen Fibrose zugelassen. Weitere Nebenwirkungen sind Neurotoxizität, Lebertoxizität und allergische Reaktionen, auch das Red man syndrome wurde beschrieben. Des Weiteren gibt es mehrere Studien, die den Nachweis erbrachten, dass Ciprofloxacin die Krampfschwelle senken kann: Ein Einsatz bei Patienten mit Anfallsleiden sollte daher nur unter strenger Indikationsstellung erfolgen.[3][4]

Es können Schmerzen, Schwellungen, Risse und Entzündungen der Sehnen aufkommen, einschließlich der Rückseite des Knöchels (auch Schulter-, Hand-, oder andere Sehnensysteme). Dies gilt für Menschen aller Altersgruppen, die Fluorchinolon-Antibiotika einschließlich Ciprofloxacin einnehmen. Die häufigste Bereich der Schmerzen und Schwellungen ist die Achillessehne. Sehnenrupturen können während oder auch noch mehrere Monate nach der Einnahme von CIPRO erfolgen. Das Risiko von Sehnen-Schäden ist bei Patienten über 60 J. höher, vor allem bei Einnahme von Steroiden (Kortikosteroide) oder nach Nieren-, Herz- oder Lungentransplantation. Sehnenschwellungen (Tendinitis) und -risse (Bruch) wurden auch bei Patienten, die Fluorchinolone einnahmen, aber keine der übrigen v.g. Risikofaktoren aufwiesen, festgestellt. Nach einer Feststellung besagter Folgen sollen Bewegungen vermieden werden.[5] Erklärt wird die Nebenwirkung mit einer erhöhten Wirksamkeit von Matrix-Metalloproteinasen, die die Festigkeit der Sehnen herabsetzen können.[6]

Wechselwirkungen

Patienten mit Herzrhythmusstörungen oder Krampfanfällen in der Vorgeschichte sollten coffeinhaltige Lebens- (z.B.: Kaffee, Cola, schwarzer Tee, grüner Tee) und Arzneimittel (häufig Schmerzmittelkombination, Erkältungsmittel) vermeiden. Der Abbau von Coffein wird durch Cytochrom P450 (Isoenzym 1A2) katalysiert. Einige Gyrasehemmer greifen in den Coffeinmetabolismus ein und blockieren das Cytochrom P450, wodurch der Hauptabbauweg der N-Demethylierung zum Paraxanthin betroffen ist. Dadurch kommt es zu einer Wirkverstärkung des Coffeins. Eine vergleichbare Wechselwirkung tritt mit dem strukturähnlichen Methylxantin Theophyllin auf.

Da Ciprofloxacin zu den Fluorchinolonen gehört, könnte es wie andere Antibiotika dieser Gruppe die Wirksamkeit hormoneller Kontrazeptiva herabsetzen. Für den speziellen Fall von Ciprofloxacin hat sich ein solcher Verdacht jedoch bisher nicht bestätigt. In der aktuellen Packungsbeilage von Ciprofloxacin (Stand 2006) wird eine Wechselwirkung zwischen diesem Antibiotikum und hormonellen Kontrazeptiva nicht erwähnt. Mindestens zwei klinische Studien belegen, dass Ciprofloxacin die Wirksamkeit der Antibabypille nicht beeinträchtigt.[7][8] Die Nicht-Beeinträchtigung hormoneller Kontrazeptiva war auch der Grund, dass Ciprofloxacin statt Rifampicin an 4253 Student(inn)en der Universität Oxford ausgegeben wurde, um die Ausbreitung einer Meningokokken-Meningitis zu verhindern.[9]

Anwendung

Die Dosierung und Anwendung von Ciprofloxacin ist abhängig von der zu behandelnden Erkrankung / Infektion. Allgemein wird Ciprofloxacin zweimal täglich verabreicht, vorzugsweise in peroraler Form (p.o.) als Tablette. Zur Gonorrhoe (Tripper) - Therapie ist schon eine einmalige Gabe von 500 mg Ciprofloxacin p.o. in Tablettenform ausreichend. Es sind auch Zubereitungen für die intravenöse Gabe sowie die örtliche Anwendung als Ohren- und Augentropfen erhältlich.

Handelsnamen

Monopräparate

Agyr (A), Ciloxan (D, A, CH), Ciprobay (D), Ciproxin (A, CH), InfectoCipro (D), Keciflox (D), Otanol (A), Panotile Cipro (D), Quinox (T) zahlreiche Generika (D, A, CH)

Kombinationspräparate

Ciproxin HC (CH) [10][11][12]

Weiterführende Literatur

  • P. C. Scholten, R. M. Droppert u.a.: No interaction between ciprofloxacin and an oral contraceptive. In: Antimicrobial agents and chemotherapy. Band 42, Nummer 12, Dezember 1998, S. 3266–3268, ISSN 0066-4804 . PMID 9835524 . PMC 106032 .
  • R. Davis, A. Markham, J. A. Balfour: Ciprofloxacin. An updated review of its pharmacology, therapeutic efficacy and tolerability. In: Drugs. Band 51, Nummer 6, Juni 1996, S. 1019–1074, ISSN 0012-6667 . PMID 8736621 . (Review).

Einzelnachweise

  1. ↑ a b c Datenblatt Ciprofloxacin BioChemika, ≥98.0% (HPLC)  bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 20. Juli 2008.
  2. ↑ The Merck Index. An Encyclopaedia of Chemicals, Drugs and Biologicals. 14. Auflage, 2006, S. 386−387, ISBN 978-0-911910-00-1.
  3. ↑ J. M. Kushner, H. J. Peckman, C. R. Snyder: Seizures associated with fluoroquinolones. In: Ann Pharmacother. Band 35, 2001, S. 1194–1198.
  4. ↑ T. O. Grøndahl, I. A. Langmoen: Epileptogenic effect of antibiotic drugs. In: J Neurosurg. Band 78, 1993, S. 938–943.
  5. ↑ CIPRO Medication Guide - Reference ID: 2910764; BAYER Health Care Pharmaceuticals Inc, Wayne, NJ 07470 3/2011
  6. ↑ H. Vyas, G. Krishnaswamy: Quinolone-associated rupture of the Achilles' tendon. In: New England Journal of Medicine 2007. Artikel 357 (20): 2067.
  7. ↑ F. Maggiolo, G. Puricelli, M. Dottorini, S. Caprioli, W. Bianchi, F. Suter: The effect of ciprofloxacin on oral contraceptive steroid treatments, Drugs under Experimental and Clinical Research 17 (1991) 451-454.
  8. ↑ P. C. Scholten PC, Droppert RM, Zwinkels MGJ, Moesker HL, Nauta JJP, Hoepelman IM: No Interaction between Ciprofloxacin and an Oral Contraceptive. In: Antimicrobial Agents and Chemotherapy 42(12), 1998: 3266-3268.
  9. ↑ P. Burke, S. R. Burne: [www.xxx.full Allergy associated with ciprofloxacin.] In: BMJ. Band 320, Nummer 7236, März 2000, S. 679, ISSN 0959-8138 . PMID 10710576 . PMC 27310 .
  10. ↑ Rote Liste online, Stand: September 2009.
  11. ↑ AM-Komp. d. Schweiz, Stand: September 2009.
  12. ↑ AGES-PharmMed, Stand: September 2009.

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Enrofloxacin

Enrofloxacin ist ein Antibiotikum aus der Wirkstoffgruppe der Fluorchinolone.

Eigenschaften

Enrofloxacin ist ein Gyrasehemmer und wirkt bakterizid. Sowohl nach oraler und parenteraler Verabreichung liegt eine hohe Bioverfügbarkeit vor. Die Elimination erfolgt vorwiegend über die Niere. Die Halbwertszeiten liegen je nach Tierart zwischen 2 bis 7 Stunden, Hauptmetabolit ist das Ciprofloxacin.

Anwendungsgebiete

Enrofloxacin wird als Antiinfektivum zur Therapie von Infektionskrankheiten bei Hunden, Hühnern, Kälbern, Katzen, Rindern, kleinen Heimtieren, Puten, Mastkaninchen und Schweinen eingesetzt. Es hat eine gute Wirkung gegen eine Vielzahl von gramnegativen und grampositiven Bakterien, u. a. Escherichia coli, Erysipelothrix rhusiopathiae (Schweinerotlauf), Haemophilus spp., Salmonella spp., Mykoplasmen (M. bovis & M. hyopneumoniae), Pasteurella spp. und Staphylokokken. Je nach Tierart steht die Behandlung spezifischer Krankheiten im Vordergrund:

  • Hunde / Katzen: Infektionen des Atmungs- und Verdauungstraktes, des Harnapparates und der Haut
  • Hühner / Puten: ansteckender Schnupfen der Hühner (Coryza contagiosa avium), Salmonellose, Geflügelcholera, Infektionen mit E. coli
  • Kälber / Rinder: Infektionen des Atmungs- und Verdauungstraktes und Coliseptikämie, Euterentzündungen (Mastitis)
  • Schweine: Erkrankungen des Verdauungstraktes (Colidiarrhoe, Coliseptikämie), enzootische Pneumonie und MMA-Syndrom der Sauen

Wechselwirkungen

Bei gleichzeitiger Anwendung von Chloramphenicol, Tetracyclinen oder Makrolidantibiotika kann es zu antagonistischen Effekten kommen. Bei vorliegenden Resistenzen gegen Chinolone besteht keine Wirksamkeit, da gegenüber allen Fluorchinolonen eine Kreuzresistenz besteht. Bei nachgewiesener Streptokokkeninfektion sollte aufgrund der geringen Wirksamkeit auf eine Anwendung verzichtet werden.

Applikationsformen

Enrofloxacin kann intravenös, subcutan oder oral als Lösung bzw. Tablette verabreicht werden.

Nebenwirkungen

Eine besondere Sensitivität gegenüber Enrofloxacin weisen vor allem wachsende Hunde und Puten auf. Hier kommt es zu starken Schädigungen des Knorpelwachstums, so dass ein Einsatz bei dieser Altersgruppe grundsätzlich nicht zulässig (kontraindiziert) ist. Als weitere Nebenwirkungen können gastro-intestinale Störungen und (bei hoher Dosierung) lokale Reaktionen an der Injektionsstelle auftreten.

Handelsnamen

Baytril, Enro-K, Enro-Sleecol, Enrostar, Enrotab, Enroxil, Fenoflox, Powerflox, Unisol , Ursofloxacin, Xeden, Enrotril

Einzelnachweise

  1. ↑ a b Datenblatt Enrofloxacin  bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 15. Juni 2011.

 

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Grepafloxacin

Grepafloxacin ist ein Breitbandspektrum-Antibiotikum aus der Gruppe der Fluorchinolone. Antibiotika aus der Gruppe der Fluorchinolone sind eine Untergruppe der Chinolone, sie wirken als Gyrasehemmer gegen grampositive Bakterien (Hämophilus, Legionellen, Mykoplasmen, Chlamydien u. a), insbesondere bei Atemweginfektionen.

Grepafloxacin wurde 1989 vom Pharmaunternehmen Warner-Lambert (heute Pfizer) patentiert. Nachdem bei einigen Patienten als Nebenwirkung das QT-Syndrom, eine Herzrhythmusstörung mit sieben Todesfällen im Zusammenhang mit der Einnahme des Arzneistoffs auftraten, wurde es vom Hersteller Ende Oktober 1999 weltweit vom Markt genommen.[3]

Literatur

  • W. Forth, D. Henschler, W. Rummel: Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie. 9. Auflage. URBAN & FISCHER, München 2005, ISBN 3-437-42521-8.

Einzelnachweise

  1. ↑ a b Thieme Chemistry (Hrsg.): RÖMPP Online - Version 3.4. Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart 2009.
  2. ↑ In Bezug auf ihre Gefährlichkeit wurde die Substanz von der EU noch nicht eingestuft, eine verlässliche und zitierfähige Quelle hierzu wurde noch nicht gefunden.
  3. ↑ WEITERE ABSTURZKANDIDATEN? KARDIOTOXIZITÄT VON GYRASEHEMMERN  S. 120. Arznei-Telegramm (November 1999). Abgerufen am 4. Juni 2009.

 

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Levofloxacin

Levofloxacin ist ein antibiotisch wirksamer Arzneistoff. Chemisch handelt es sich um ein Fluorchinolon fortgeschrittener Generation.

Levofloxacin kam 1992 in Japan[2] und 1998 in Deutschland auf den Markt, in den USA wurde es 1996 durch die FDA zugelassen.[3]

Chemische Informationen

Levofloxacin ist das (S)-Enantiomer (L-Isomer) von Ofloxacin (ein Racemat) und stellt die pharmakologisch aktive Form dar. Levofloxacin hat in vitro etwa die doppelte Wirksamkeit von Ofloxacin.

Die vielstufige Synthese von Levofloxacin ist in der Literatur[4] beschrieben.

Wirkungsmechanismus und Wirkspektrum

Levofloxacin wirkt bakterizid. Wie andere Fluorchinolone hemmt es das Enzym Gyrase, welches für DNA-Supercoiling in Bakterien während deren Vermehrungszyklus verantwortlich ist. Die Wirksamkeit gegenüber Haemophilus influenzae und Moraxella catarrhalis ist wie bei allen Chinolonen sehr gut. Auch Pneumokokken und Chlamydien sind empfindlich gegenüber Levofloxacin.

Anwendungsgebiete

Die Anwendungsgebiete gleichen weitgehend denen des Ofloxacins. Da Levofloxacin gegenüber Ofloxacin über eine höhere antibakterielle Aktivität verfügt und auch höher dosiert werden kann, ist es zusätzlich angezeigt bei der durch Pneumokokken verursachten Lungenentzündung.

Nebenwirkungen

Wie bei allen Fluorchinolonen können auch bei Levofloxacin unerwünschte Wirkungen auftreten. Selten kann es zur Achillessehnenruptur kommen. Dies betrifft eher ältere Personen und Patienten, die Corticoide einnehmen. Erklärt wird das mit einer erhöhten Expression von Matrix-Metalloproteasen, welche die Festigkeit der Sehnen vermindern.[5][6] Häufigste Nebenwirkungen sind erhöhte Leberenzymwerte sowie Übelkeit und Durchfall.

Handelsnamen

  • Tabletten, Infusionslösung : Tavanic (EU), Levaquin (USA, CND), Cravit (J), verschiedene Generika
  • Augentropfen: Oftaquix (D, A)

Einzelnachweise

  1. ↑ a b c d e f Datenblatt Levofloxacin  bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 7. April 2011.
  2. ↑ Unternehmensgeschichte von Daiichi-Sankyo
  3. ↑ http://www.xxx
  4. ↑ Pharmaceutical Substances, Axel Kleemann, Jürgen Engel, Bernd Kutscher und Dieter Reichert, 4. Auflage (2000) 2 Bände erschienen im Thieme-Verlag Stuttgart, siehe dort Seiten 1165–1168, ISBN 978-1-58890-031-9; seit 2003 online mit halbjährlichen Ergänzungen und Aktualisierungen.
  5. ↑ Vyas et al. Quinolone-associated rupture of the Achilles' tendon. New England Journal of Medicine 2007; 357 (20): 2067.
  6. ↑ McGarvey et al. Partial Achilles tendon ruptures associated with fluoroquinolone antibiotics: a case report and literature review. Foot Ankle Int. 1996 Aug;17(8):496-8. PMID 8863030
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Marbofloxacin

Marbofloxacin ist ein Antibiotikum aus der Gruppe der Fluorchinolone. Es findet vor allem in der Veterinärmedizin Verwendung.

Pharmakologie

Marbofloxacin ist ein Gyrasehemmer, es hemmt also ein für den DNA-Stoffwechsel notwendiges Enzym, das spezifisch für Bakterien ist. Das Medikament reichert sich in den weißen Blutkörperchen an.

Marbofloxacin wirkt bakterienabtötend (bakterizid) gegen gramnegative und grampositive Erreger. Es zeigt eine gute Wirkung gegen Enterobakterien, Pasteurellen, Pseudomonaden und Staphylokokken.

Marbofloxacin wird in der Leber zu den inaktiven Metaboliten N-Desmethylmarbofloxacin und N-Oxidmarbofloxacinin abgebaut und über die Niere ausgeschieden.

Anwendung

Marbofloxacin kann sowohl oral als auch parenteral eingesetzt werden.

Es wird vor allem bei Infektionen der Haut (Pyodermie), der Atemwege und der Milchdrüse (MMA-Komplex) eingesetzt. Bei Hunden findet es auch bei Infektionen der Harnwege Einsatz. Das Kombinationspräparat Aurizon wird bei Ohrentzündungen beim Hund eingesetzt.

Die Behandlungsdauer beträgt mindestens fünf Tage.

Kontraindikationen und Nebenwirkungen

Marbofloxacin sollte nicht bei wachsenden Jungtieren eingesetzt werden, da es zu Knorpelschäden führen kann. Auch während der Trächtigkeit, zentralnervösen Anfallsleiden oder bei bestehender Niereninsuffizienz sollte das Mittel nicht eingesetzt werden.

Chinolone passieren die Blut-Hirn-Schranke und hemmen dosisabhängig die Rezeptorbindung des Neurotransmitters Gamma-Aminobuttersäure (GABA). Dies kann zu Krämpfen führen, die aber mit Valium behandelbar sind.

Harmlosere Nebenwirkungen sind Erbrechen, Durchfall und Fressunlust (Anorexie).

Handelsnamen

Monopräparate: Marbocyl

Kombinationspräparate: Aurizon (mit Clotrimazol und Dexamethason)

Einzelnachweise

  1. ↑ a b c d e Datenblatt Marbofloxacin  bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 29. Mai 2011.

 

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Moxifloxacin

Moxifloxacin ist ein Antibiotikum aus der Gruppe der Fluorchinolone (Gyrasehemmer) und unterliegt der ärztlichen Verschreibungspflicht.

Wirkungsweise

Der Wirkmechanismus von Moxifloxacin ist mit dem anderer Fluorchinolone identisch, es bindet jedoch an zwei Topoisomerasen und hat so zwei Angriffspunkte. Chinolone allgemein binden an die Gyrase, wodurch diese gehemmt wird. Durch die Bindung der Fluorchinolone an die Gyrase entstehen stabile Komplexe, die eine Vielzahl von enzymatischen Reaktionen auslösen, die letzten Endes zum Tod der Bakterienzelle führen.

Anwendung

Moxifloxacin wird therapeutisch verwendet bei einer Verschlimmerung einer bereits länger bestehenden (chronischen) Bronchitis, bei Lungenentzündungen und bei akuten Entzündungen der Nasennebenhöhlen. Außerdem ist es bei komplizierten Haut- und Weichgewebsinfektionen (etwa beim diabetischen Fuß) zugelassen.

In einer Studie konnte gezeigt werden, dass eine Behandlung mit Moxifloxacin den Zeitabstand zwischen zwei Schüben (Exazerbationen) einer chronischen Bronchitis bzw. den akuten Verschlechterungen einer COPD im Vergleich zur Standardtherapie verlängert.[4] Nach einer Empfehlung der europäischen Arzneimittelbehörde EMEA vom Juli 2008 sollte Moxifloxacin jedoch aufgrund ungünstiger Risiko-Nutzen-Abwägung (s. Nebenwirkungen) für die akute Sinusitis, die chronische Bronchitis und die ambulant erworbene Lungenentzündung nur noch eingesetzt werden, wenn andere Antibiotika nicht wirksam sind oder nicht angewandt werden können.[5]

Eine Anwendung bei Chlamydieninfektionen wird immer häufiger empfohlen und zeigt sich als recht effektiv. Auch bei Infektionen mit anderen atypischen Keimen, wie Mykoplasmen und Legionellen ist es gut wirksam. Die Wirksamkeit gegenüber Haemophilus influenzae und Moraxella catarrhalis ist wie bei allen Chinolonen sehr gut, gegenüber Pneumokokken ausgezeichnet.

Nebenwirkungen

Sehr häufige Nebenwirkungen von Moxifloxacin sind nicht bekannt. Am häufigsten (≥1 %, <10 %) werden Störungen des Magen-Darm-Traktes, insbesondere Übelkeit, Durchfall, Erbrechen und Verdauungsstörungen, ferner QT-Syndrom bei bekannter Hypokaliämie sowie veränderte Leberwerte beobachtet.[6] Sehr selten (< 1/10.000), aber besonders schwerwiegend, sind fulminante Hepatitis bis hin zu lebensbedrohlichem Leberversagen und bullöse Hautreaktionen wie Stevens-Johnson-Syndrom oder möglicherweise lebensbedrohliche toxische epidermale Nekrolyse.[7] Ebenfalls wurden Fälle von Tendinitis nach der Gabe von Moxifloxacin und anderen Fluorchinolonen beschrieben.[8][9]

Handelsnamen

Monopräparate

Actira (A), Avalox (D, CH), Avelox (A), Octegra (A), Vigamox (D, CH), Avelon (SouthAfrica) sowie Generika (D, A)

Einzelnachweise

  1. ↑ a b The Merck Index. An Encyclopaedia of Chemicals, Drugs and Biologicals. 14. Auflage, 2006, S. 1087, ISBN 978-0-911910-00-1.
  2. ↑ Datenblatt Moxifloxacin hydrochloride  bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 5. Mai 2011.
  3. ↑ a b Datenblatt MOXIFLOXACIN HYDROCHLORIDE CRS  beim EDQM, abgerufen am 14. Juni 2009.
  4. ↑ R. Wilson, L. Allegra u. a.: Short-term and long-term outcomes of moxifloxacin compared to standard antibiotic treatment in acute exacerbations of chronic bronchitis.  In: Chest. Band 125, Nummer 3, März 2004, S. 953–964, ISSN 0012-3692 . PMID 15006954 .
  5. ↑ Bericht im Deutschen Ärzteblatt  vom 25. Juli 2008.
  6. ↑ Fachinformation Avalox aus Arzneimittelkompendium Schweiz, abgerufen am 12. Februar 2008.
  7. ↑ BfArM Risikohinweise zu Moxifloxacin vom 12. Februar 2008 .
  8. ↑ O. Burkhardt, T. Köhnlein u.a.: Recurrent tendinitis after treatment with two different fluoroquinolones. In: Scandinavian journal of infectious diseases. Band 36, Nummer 4, 2004, S. 315–316, ISSN 0036-5548 . PMID 15198194 .
  9. ↑ A. De Sarro, G. De Sarro: Adverse reactions to fluoroquinolones. an overview on mechanistic aspects. In: Current medicinal chemistry. Band 8, Nummer 4, März 2001, S. 371–384, ISSN 0929-8673 . PMID 11172695 . (Review).

 

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Nalidixinsäure

Nalidixinsäure (Handelsname: Wintomylon® (BR)) ist das erste Antibiotikum aus der Gruppe der Chinolone. Der Wirkstoff hemmt das Enzym Gyrase in Bakterien. Nalidixinsäure wurde 1962 als hauptsächlich gegen Gram-negative Bakterien wirksames Antibiotikum mit niedriger Toxizität entdeckt (LD50 bei oraler Gabe in Mäusen von ca. 3g/kg) [2]. Von Nalidixinsäure ausgehend wurde nach ähnlichen, aber wirksameren Antibiotika gesucht. Im folgenden wurde es durch die wesentlich wirksameren Fluorchinolone verdrängt. Nalidixinsäure ist gegen Gram-positive und Gram-negative Bakterien wirksam. In geringer Konzentration wirkt es bakteriostatisch, das heißt verhindert die Vermehrung von Bakterien, während es in höheren Konzentrationen bakterizid wirkt, das heißt diese abtötet.[3]

Eingesetzt wird es hauptsächlich, um Infektionen der Harnwege zu behandeln, die von Escherichia coli, Proteus, Shigellen, Enterobacter oder Klebsiella verursacht werden.

Einzelnachweise

  1. ↑ a b c d Datenblatt Nalidixic acid  bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 12. April 2011.
  2. ↑ Lesher, G. Y., Froelich, E. J., Gruett, M. D., Bailey, J. H. & Brundage, R. P.: 1,8-Naphthyridine Derivatives. A New Class of Chemotherapeutic Agents, J. Med. Chem. 1962; 5(5) S. 1063–1065;. doi:10.1021/jm01240a021 .
  3. ↑ R K Hamatake, R Mukai, and M Hayashi: Role of DNA gyrase subunits in synthesis of bacteriophage phi X174 viral DNA März 1981; PMID 6262812 ; PMC 319165 .

 

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Norfloxacin

Norfloxacin ist ein synthetisches Breitband-Antibiotikum aus der Gruppe der Gyrasehemmer zur oralen Einnahme. Es gehört zur Substanzklasse der Fluorchinolone. Das farblose bis blassgelbe, kristalline Pulver[1] ist unbegrenzt löslich in Eisessig[3] und in sehr geringen Mengen löslich in Wasser, Ethanol und Methanol.[1]

Es zeigt eine hohe in vitro Aktivität gegenüber einem weiten Bereich von grampositiven und gramnegativen, aeroben Bakterien.

Norfloxacin wird hauptsächlich zur Behandlung von Harnwegsinfektionen und Gonorrhoe verschrieben. Die wichtigsten Nebenwirkungen sind typisch für die Substanzklasse der Fluorchinolone. Dazu gehören Übelkeit, Appetitlosigkeit, Erbrechen, Schwindel und neuropsychiatrische Reaktionen. Sehr selten kann es bei allen Gyrasehemmern – auch nach kurzzeitiger Einnahme – zur Ruptur großer Sehnen, z. B. zur Achillessehnenruptur kommen.[5] Zu beachten ist die beim Ciprofloxacin beschriebene Wechselwirkung mit Coffein. Es ist auf jeden Fall verboten (Kontraindikation) Norfloxacin in der Schwangerschaft und Stillzeit zu verabreichen. Weiters darf Norfloxacin bis zum Ende der Wachstumsperiode nicht verabreicht werden (Ausnahme: Mukoviszidose).

Basierend auf der Empfehlung der Europäischen Arzneimittelagentur[6] hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte im Februar 2009 die Indikationen aufgrund ungünstiger Risiko-Nutzen-Abwägung und nicht ausreichend nachgewiesener Wirksamkeit dahingehend geändert, dass Norfloxacin-haltige Arzneimittel nicht mehr für die Behandlung der komplizierten Nierenbeckenentzündung/Pyelonephritis zugelassen sind.[7]

Handelsnamen

Monopräparate

Bactracid (D), Barazan (D), Chibroxin (D), Firin (D), Floxacin (A), Norfluxx (D), Noroxin (CH), Norsol (CH), Zoroxin (A), diverse Generika (D, A, CH)

Einzelnachweise

  1. ↑ a b c d Europäische Arzneibuch-Kommission (Hrsg.): EUROPÄISCHE PHARMAKOPÖE 6. AUSGABE. 6.0–6.2, 2008.
  2. ↑ a b Norfloxacin  bei ChemIDplus.
  3. ↑ a b D. B. Troy: Remington: The Science and Practice of Pharmacy, S. 1658, 21. Auflage, Lippincott Raven, 2005, ISBN 0-7817-4673-6.
  4. ↑ Datenblatt Norfloxacin  bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 13. März 2009.
  5. ↑ R. Stahlmann, H. Lode, Chemotherapie Journal 1998, 7(3), 107–116 (http://www.xxx ).
  6. ↑ http://www.xxx.
  7. ↑ Bescheid des BfArM betreffend die Zulassungen von Humanarzneimitteln mit dem Wirkstoff Norfloxacin [1] .

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Ofloxacin

Ofloxacin ist ein Antibiotikum aus der Gruppe der Fluorchinolone.

Klinische Angaben

Anwendungsgebiete (Indikationen)

Allgemeinmedizin

Ofloxacin wird bei bakteriellen Infektionen der Atemwege, des Hals-Nasen-Ohren-Bereichs, des Magen-Darm-Trakts einschließlich der Gallengänge, der Geschlechtsorgane (auch bei Gonorrhoe), der Niere und ableitenden Harnwege, der Haut, Weichteilgewebe und Knochen eingesetzt.[3]

Ophthalmologie

In der Augenheilkunde wird Ofloxacin als Augensalbe oder Augentropfen bei bakteriellen Infektionen des vorderen Augensegmentes, wie der Hornhaut oder bei Hornhautgeschwüre, und der weichen okulären Anhänge (Adnexe), wie der Bindehaut (Konjunktivitis), des Lidrandes (Blepharitis, Gerstenkorn) oder bei in einander übergehenden Infektionen (Blepharokonjunktivitis) bis hin zu Infektionen am Tränensack angewendet.[4]

Wichtige empfindliche Erreger (Auswahl)

  • Aerobe Gram-positive Mikroorganismen
    • Staphylococcus aureus (Methicillin-sensibel); Streptococcus pyogenes;
  • Aerobe Gram-negative Mikroorganismen
    • Enterobacter aerogenes; Enterobacter cloacae; Haemophilus influenzae; Klebsiella oxytoca; Moraxella catarrhalis; Proteus mirabilis; Proteus vulgaris; Serratia marcescens;

Art und Dauer der Anwendung

Allgemeinmedizin

Die Behandlungsdauer mit Ofloxacin und die Dosierung richten sich nach Art, Lokalisation und Schwere der Infektion, wobei 3 bis 10 Tage Behandlungsdauer üblich sind. Bei schweren Infektionen ist eine Behandlung auch über 1-2 Monate möglich. Die ofloxacinhaltigen Tabletten werden oral mit reichlich Flüssigkeit eingenommen, wobei zu Antazida und Mineralstoffpräparaten eine zeitlicher Abstand von zwei Stunden einzuhalten ist. Als weitere Arzneiform ist eine Infusionslösung im Handel, die meist ihren Einsatz in der Klinik findet.[3]

Ophthalmologie

Für die Behandlung am Auge sind ofloxacinhaltige Augentropfen und Augensalben verfügbar, die sowohl im Auge als auch am Lid und am Lidrand Anwendung finden.[4]

Gegenanzeigen (Kontraindikationen)

Der Wirkstoff darf nicht eingesetzt werden bei[3]

  • Patienten mit Epilepsie oder erniedrigter Krampfschwelle, da es unter Therapie zur Herabsetzung der Krampfschwelle im ZNS kommt
  • Kindern und Jugendlichen bis zum Alter von 18 Jahren, da Gelenkknorpelschäden nicht mit Sicherheit auszuschließen sind
  • in der Schwangerschaft und der Stillzeit (Begründung siehe dort)
  • Sehnenerkrankungen/-schäden, die im Zusammenhang mit einer früher erfolgten Ofloxacinbehandlung aufgetreten sind

Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten

Eine gravierende Wechselwirkung stellt die gleichzeitige Einnahme mit Antazida oder Mineralstoffräparaten dar, da diese den Wirkstoff komplexieren und somit die Aufnahme und Verfügbarkeit nicht mehr gewährleistet ist. Bei einer Vorbehandlung mit Cumarinderivaten kommt es zu einer Verstärkung der Blutungsneigung, was eine engmaschige Gerinnungskontrolle notwendig macht. Ähnlich verhält es sich bei der parallelen Einnahme von Glibenclamid, wodurch das Hypoglykämierisiko erhöht wird und so die Notwendigkeit zur häufigen Blutzuckermessung gegeben ist. In Zusammenhang mit der Verabreichung von Arzneimittel, die das QT-Intervall verlängern, wie z. B. bestimmte Antiarrhythmika, Antidepressiva, Neuroleptika, Makrolide, Antimalariamittel, u. a. ist eine Therapie nur nach strenger Indikationsstellung und großer Vorsicht zu starten.[3]

Anwendung während Schwangerschaft und Stillzeit

Tierversuche haben keine Hinweise auf teratogene Wirkungen ergeben, es wurde jedoch eine Schädigung des Gelenkknorpels in der Wachstumsphase nachgewiesen. Ausreichende Erfahrungen über die Anwendung beim Menschen liegen nicht vor. Ofloxacin passiert die Plazentaschranke und kann im maternalen Serum nachgewiesen werden. Es ist nicht bekannt, ob Ofloxacin in die Muttermilch übergeht. Aus diesen Gründen sollen Arzneimittel, welche Ofloxacin enthalten, schwangeren und stillenden Frauen nicht verabreicht werden.[3]

Besondere Patientengruppen (Diabetiker, Nierenkranke und Leberkranke)

Da Ofloxacin hauptsächlich durch die Nieren ausgeschieden wird, muss die Dosierung bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion angepasst werden. Entsprechend ist bei schweren Störungen der Nierenfunktion grundsätzlich Vorsicht geboten. Nieren- und Leberfunktion sowie die Blutwerte sollten während einer Langzeittherapie regelmäßig kontrolliert werden. Der Qo-Wert von Ofloxacin ist niedrig (Qo=0,1). [5] Bei Patienten mit Einschränkung der Leberfunktion kann die Biotransformation und anschließende Elimination von Ofloxacin vermindert sein, so dass die Tagedosis entsprechend anzupassen ist. Für Diabetiker und Herz-Kreislauf-Patienten gilt es besonders auf Wechselwirkungen zu achten.[3]

Unerwünschte Wirkungen (Nebenwirkungen)

Neben den unerwünschten Reaktionen, wie Allergien, Schläfrigkeit, Übelkeit und Erbrechen, kann es in schweren Fällen zu epilepsieähnlichen Anfällen kommen, die dann einen Notfall darstellen. Des Weiteren sind auch kreislaufbezogene Probleme, wie Schwindel, Blutdruckabfall und Kopfschmerzen möglich. Da die Möglichkeit von UV-Licht bedingten Reaktionen besteht, ist eine übermäßge Sonnenexposition zu vermeiden.[3] In seltenen Fällen kann es zur Achillessehnenruptur kommen. Dies betrifft eher ältere Personen und Patienten, die Corticoide einnehmen.[6][7]

Darreichungsformen

Der Wirkstoff steht in Form von Tabletten in den Stärken 100 mg, 200 mg und 400 mg sowie als Infusionslösung zur Verfügung. Für die Therapie direkt am Auge gibt es Augentropfen und Augensalbe.

Pharmakologische Eigenschaften

Wirkungsmechanismus (Pharmakodynamik)

Ofloxacin stört bei der Replikation der Bakterien-DNA die Topoisomerasen II & IV (Gyrasen) und macht somit eine Vermehrung unmöglich und wirkt damit bakterizid. [3]

Aufnahme und Verteilung im Körper (Pharmakokinetik)

Der Wirkstoff wird schnell aus dem Magen-Darm-Trakt resorbiert und liegt dann zu 25 % an Plasmaproteine gebunden vor. Die Halbwertszeit im Organismus beträgt ca. 5-7 Stunden und das scheinbare Verteilungsvolumen 120 Liter.[8][3]

Toxikologie

Bei Überdosierungen und Vergiftungen können die zu erwartenden Wechsel- und Nebenwirkungen verstärkt auftreten, so dass eine intensivmedizinische Betreuung oder Überwachung angezeigt sein kann. Ein spezielles Antidot ist nicht verfügbar.[3]

Sonstige Informationen

Chemische und pharmazeutische Informationen

Durchgeführte Opiattests können falsch positiv ausfallen.[3]

Handelsnamen

Monopräparate

Floxal (D, A, CH), Gyroflox (D), Tarivid (D, A, CH), Uro-Tarivid (D), diverse Generika (D, A)

Literatur

  • Hermann J. Roth: Medizinische Chemie : Targets und Arzneistoffe ; 157 Tabellen. Dt. Apotheker-Verlag, Stuttgart 2005, ISBN 3-7692-3483-9
  • W. Forth, D. Henschler, W. Rummel: Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie. 9. Auflage. URBAN & FISCHER, München 2005, ISBN 3-437-42521-8.
  • Vyas et al. Quinolone-associated rupture of the Achilles' tendon. New England Journal of Medicine 2007; 357 (20): 2067.
  • McGarvey et al. Partial Achilles tendon ruptures associated with fluoroquinolone antibiotics: a case report and literature review. Foot Ankle Int. 1996 Aug;17(8):496-8. PMID 8863030

Einzelnachweise

  1. ↑ a b Thieme Chemistry (Hrsg.): RÖMPP Online - Version 3.4. Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart 2009.
  2. ↑ a b c Datenblatt Ofloxacin  bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 29. Mai 2011.
  3. ↑ a b c d e f g h i j k Fachinformation zu Tarivid der Firma Sanofi-Aventis
  4. ↑ a b Fachinformation zu Floxal der Firma Bausch & Lomb.
  5. ↑ Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz bei Dosing .
  6. ↑ Vyas et al. Quinolone-associated rupture of the Achilles' tendon. New England Journal of Medicine 2007; 357 (20): 2067.
  7. ↑ McGarvey et al. Partial Achilles tendon ruptures associated with fluoroquinolone antibiotics: a case report and literature review. Foot Ankle Int. 1996 Aug;17(8):496-8. PMID 8863030 .
  8. ↑ Ruß, Endres, Arzneimittelpocket Plus 2008, 4. Auflage Okt. 2007, ISBN 978-3-89862-287-5.

 

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Nadifloxacin

Nadifloxacin (Handelsname: Nadixa®) ist eine antimikrobielle Substanz (Antibiotikum), die zur Gruppe der Fluorchinolone (Gyrasehemmer) gehört. Nadifloxacin liegt als Racemat vor und hat ein Benzo-(ij)-Chinolizin-Gerüst mit einem Fluor-Atom an der 9. Position und einem N-Hydroxypiperizinmolekül an der 8. Position.

Wirkmechanismus

Nadifloxacin verursacht eine Hemmung der DNA-Faltung durch die DNA-Gyrase. Die Gyrase ist ein Enzym und ermöglicht die geordnete Unterbringung des gesamten DNA-Stranges eines Bakteriums in einer Bakterienzelle. Die Gyrase erledigt dabei die Verdrillung des DNA-Stranges durch Öffnen und Schließen des Stranges, so dass nicht der ganze Strang rotieren muss. Bei einer Gyrasehemmung kann sich der zur Verdrillung geöffnete Strang nicht wieder schließen. Die Replikation der Zelle ist gestört. Das Bakterium stirbt.

In diversen Studien zeigt Nadifloxacin in vitro und in vivo gegen einen breiten Bereich von Grampositiven und Gramnegativen Bakterien einschließlich Anaerobiern (Propionibacterium acnes) seine Wirksamkeit.[3] Das genaue Ausmaß der Resorption von Nadifloxacin-Creme nach topischer Applikation auf an Akne erkrankte Haut variiert. Eine Einzeldosis von 10 g einer 1 %-Nadifloxacin-Creme, die auf die Rücken gesunder Probanden aufgetragen wurde, ergab eine mittlere maximale Plasmakonzentration von 0,54 ng/ml. Die mittlere Plasmahalbwertszeit von Nadifloxacin betrug 12,7 Stunden. Nach wiederholter Applikation von zweimal täglich 5 g einer 1 %-Nadifloxacin-Creme an gesunden Probanden über einen Zeitraum von 7 Tagen wurde die steady-state-Plasmakonzentration am 5. Tag erreicht. Die maximale Plasmakonzentration vom 1,34 ng/ml wurde 8 Stunden nach der letzten Applikation erreicht. Über einen Zeitraum von 192 Stunden wurden durchschnittlich 0,013 % der applizierten Dosis von Nadifloxacin im Urin wiedergefunden.

Nach erfolgter Resorption wurden sowohl unverändertes Nadifloxacin als auch Metaboliten in Urin und Faeces gefunden. Der Grad der Absorption ist abhängig vom Zustand des Stratum corneum.

Anwendung

In der Medizin wird Nadifloxacin bei Acne vulgaris,[4] Follikulitis, Sykosis vulgaris, atopischer Dermatitis und Impetigo[5] eingesetzt. Nadifloxacin wird ausschließlich topisch angewendet.

Nebenwirkungen

Bekannte Nebenwirkungen von Nadifloxacin sind Juckreiz, Papeln, Kontaktdermatitis, Hautreizung, Wärmegefühl, Flushing (anfallsweise Hautrötung mit Hitzegefühl), Erythembildung, Urtikaria, Hypopigmentierung der Haut.

Resistenzen

In verschiedenen Studien zeigte Nadifloxacin nur eine geringe Rate an spontanen Resistenzbildungen im Vergleich mit älteren topischen Antibiotika.

Literatur

Hermann J. Roth: Medizinische Chemie : Targets und Arzneistoffe ; 157 Tabellen. Dt. Apotheker-Verlag, Stuttgart 2005, ISBN 3-7692-3483-9

Einzelnachweise

  1. ↑ a b c The Merck Index: An Encyclopedia of Chemicals, Drugs, and Biologicals, 14. Auflage (Merck & Co., Inc.), Whitehouse Station, NJ, USA, 2006; ISBN 978-0-911910-00-1.
  2. ↑ In Bezug auf ihre Gefährlichkeit wurde die Substanz von der EU noch nicht eingestuft, eine verlässliche und zitierfähige Quelle hierzu wurde noch nicht gefunden.
  3. ↑ Alba V, Urban E, Angeles Dominguez M, et al.: In vitro activity of nadifloxacin against several Gram-positive bacteria and analysis of the possible evolution of resistance after 2 years of use in Germany. In: Int. J. Antimicrob. Agents. 33, Nr. 3, März 2009, S. 272–275. PMID 19095414 . Abgerufen am 7. August 2009.
  4. ↑ Murata K, Tokura Y: Anti-microbial therapies for acne vulgaris: anti-inflammatory actions of anti-microbial drugs and their effectiveness. In: Journal of UOEH. 29, Nr. 1, März 2007, S. 63–71. PMID 17380730 . Abgerufen am 7. August 2009.
  5. ↑ Nakaminami H, Noguchi N, Ikeda M, et al.: Molecular epidemiology and antimicrobial susceptibilities of 273 exfoliative toxin-encoding-gene-positive Staphylococcus aureus isolates from patients with impetigo in Japan. In: Journal of Medical Microbiology. 57, Nr. Pt 10, Oktober 2008, S. 1251–1258. doi:10.1099/jmm.0.2008/002824-0 . PMID 18809554 . Abgerufen am 7. August 2009.

 

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Ampicillin

Ampicillin ist ein halbsynthetischer, antibiotisch wirksamer Arzneistoff aus der Gruppe der β-Lactam-Antibiotika (Aminopenicilline). Aufgrund seiner Wirksamkeit gegen grampositive Erreger (sowie einiger gramnegative Stäbchen) wird es als Breitbandantibiotikum bezeichnet.

Chemisch zählt Ampicillin zu den Aminopenicillinen.

Pharmakologie

Anwendungsgebiete

Breitbandpenicilline werden eingesetzt bei Infektionen aller Art, gegen die „herkömmliche“ Penicilline unwirksam sind. Dazu zählen u. a. bestimmte Infektionen des Magen-Darm-Traktes, der Atemwege, des Mittelohres, der Gallenwege und der Harnwege. Insbesondere sind sie geeignet zur Behandlung von Infektionen mit gramnegativen Stäbchen, die über eine natürliche Resistenz gegen Standardpenicilline verfügen.

Wirkungsmechanismus

Die bakteriostatische Wirkung von Ampicillin beruht wie bei allen β-Lactam-Antibiotika auf der Blockierung eines für die Ausbildung einer neuen Zellwand bei in der Teilungsphase befindlichen Bakterien notwendigen Enzyms, der D-Alanin-Transpeptidase, durch Anlagerung ihres β-Lactamrings. Dies verhindert die Neusynthese der Zellwand, die Zellen sind somit teilungsunfähig, leben aber weiter. Die Teilung menschlicher Zellen wird nicht behindert, da menschliche Zellen nur eine Zellmembran aber keine Zellwand besitzen und daher auch keine D-Alanin-Transpeptidase.[3]

Das β-Lactam-Antibiotikum Ampicillin blockiert nicht nur die Teilung von Bakterien, inklusive der Cyanobakterien, sondern auch die Teilung der Cyanellen, der photosynthetisch aktiven Organellen der Glaucocystaceae, sowie der Chloroplasten von Blasenmützenmoosen[4], Lebermoose (Marchantia polymorpha[5]) und Moosfarne (Selaginella nipponica[6]). Auf die Teilung der Plastiden der höher entwickelten Gefäßpflanzen wie beispielsweise bei Tomaten haben sie jedoch keinen Effekt. Dies ist ein Hinweis darauf, dass bei höheren Pflanzen durch erfolgte, evolutionäre Veränderungen der Plastidteilung β-Lactam-Antibiotika im Allgemeinen auf Chloroplasten keine Wirkung mehr zeigen.[4]

Verträglichkeit, Nebenwirkungen

Ampicillin ist gegenüber anderen Breitbandpenicillinen wie dem Amoxicillin bei peroraler Einnahme schlechter verträglich, da es von der Darmwand relativ schlecht aufgenommen wird, wodurch ein hoher Anteil des Wirkstoffes im Darm verbleibt und dort die verdauungsfördernde mikrobakterielle Besiedlung (Darmflora) schädigt.

Wie alle Penicilline kann auch Ampicillin eine Allergie auslösen, die bis zu einem (allerdings sehr selten auftretenden) anaphylaktischen Schock führen kann. Häufig - und nicht mit einer Allergie zu verwechseln - ist ein Masern-ähnliches Arzneimittelexanthem („Ampicillinexanthem“), das wenige Tage nach der ersten Einnahme auftritt. Dieses ist besonders ausgeprägt im Zusammenhang mit einer Mononukleose. Ein Auftreten dieses Exanthems spricht nicht gegen die spätere Einnahme von Penicillin oder seinen Derivaten (wie Ampicillin).

Weitere mögliche Nebenwirkungen sind Durchfälle, Übelkeit und Erbrechen. Selten wurde von Blutbildveränderungen, entzündlicher Reaktion der Blutgefäße (Vaskulitis), interstitieller Nephritis (Nierenentzündung) und Larynxödem an den Atemwegen berichtet.

Wechselwirkungen mit anderen Mitteln

Bei oralen Kontrazeptiva (Verhütungsmitteln in Tablettenform; „Pille“) kann es durch die Beeinflussung der Darmflora zu einer herabgesetzten Aufnahme der Kontrazeptiva in das Blut kommen und damit zu einer verminderten Wirksamkeit.

Bakteriostatische Antibiotika (Antibiotika, welche die Erreger an der Vermehrung hindern), dürfen grundsätzlich nicht mit Penicillinen kombiniert werden, da sie deren Wirksamkeit einschränken. Der Grund dafür ist, dass Penicilline in der Teilungsphase der Bakterien eingreifen und somit keinen Angriffspunkt finden, wenn die Teilung durch bakteriostatische Mittel verhindert wird.

Indometacin, Phenylbutazon, Probenecid, Salicylate und Sulfinpyrazon führen zu einer verlängerten und erhöhten Konzentration von Penicillinen im Blut und sollten daher nicht zusammen mit Penicillinen eingenommen werden.

Gegenanzeigen

Penicillinallergie, Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff Ampicillin.

Anwendung

Aufgrund der primären Aminogruppe ist Ampicillin im Gegensatz zu Benzylpenicillin (Penicillin G) auch oral einnehmbar. Die Einnahme von Ampicillin erfolgt oral oder parenteral mehrfach täglich über einen Zeitraum von mehreren Tagen.

Molekularbiologie

Ampicillin ist eines der in der Molekularbiologie am weitesten verbreiteten Selektionsmittel. Es wird bei der Transformation von Vektoren in Bakterienzellen dem Nährmedium beigegeben, in dem die Zellen vermehrt werden sollen. Nur diejenigen Zellen können überleben, die bei der Transformation den Vektor aufgenommen haben, der die Ampicillin-Resistenz trägt. Um solche transgene E. coli Bakterien in z. B. LB-Medium selektiv zu kultivieren, wird eine Endkonzentration von bis zu 0,2 mg/ml Medium verwendet. Auch andere Antibiotika wie z. B. Kanamycin oder Tetracycline werden für Selektionsmedien eingesetzt.

Einzelnachweise

  1. ↑ a b The Merck Index: An Encyclopedia of Chemicals, Drugs, and Biologicals, 14. Auflage (Merck & Co., Inc.), Whitehouse Station, NJ, USA, 2006; ISBN 978-0-911910-00-1.
  2. ↑ a b c Datenblatt Ampicillin  bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 9. März 2011.
  3. ↑ Fachinformation (Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels) Ampicillin-ratiopharm® von ratiopharm GmbH - Stand: Juli 207.
  4. ↑ a b Kasten, Britta und Reski, Ralf (1997): β-lactam antibiotics inhibit chloroplast division in a moss (Physcomitrella patens but not in tomato (Lycopersicon esculentum). In: J. Plant Physiol. 150, 137–140; PDF  (freier Volltextzugriff, engl.).
  5. ↑ Tounou, E. et al. (2002): Ampicillin Inhibits Chloroplast Division in Cultured Cells of the Liverwort Marchantia polymorpha. In: Cytologia 67; 429–434; doi:10.1508/cytologia.67.429 .
  6. ↑ Izumi, Y. et al. (2003): Inhibition of plastid division by ampicillin in the pteridophyte Selaginella nipponica Fr. et Sav. In: Plant Cell Physiol. 44(2):183–189; PMID 12610221 ; PDF  (freier Volltextzugriff, engl.).

Handelsnamen

Monopräparate

Standacillin (A), Unacid (D), Generika (D)

Kombinationspräparate

Unasyn (A) Generika + Sulbactam (D, A)

 

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Azithromycin

Azithromycin ist eine organische chemische Verbindung aus der Gruppe der Glycoside, der als antibiotisch wirkender Arzneistoff der Gruppe der Makrolid-Antibiotika eingesetzt wird. Mittlerweile klassifiziert man den Wirkstoff auch als ersten Vertreter der Azalide.

Anwendung

Azithromycin findet Anwendung bei Infektionen der Atemwege einschließlich Lungenentzündungen, akuter Exazerbation der chronischen Bronchitis, Nasennebenhöhlenentzündungen, Entzündungen im Rachenbereich und Mandelentzündungen. Weiterhin wird Azithromycin bei akuten Mittelohrentzündungen, Haut- und Wundinfektionen, Lyme-Borreliose, bakterieller Konjunktivitis, bei Urethritis durch Chlamydien und zur Prophylaxe sogenannter MAK-Infektion (Mycobacterium-avium-intrazellulare-Komplex-Infektion) bei immungeschwächten Patienten verwendet.

Bei Hunden hat der Wirkstoff eine gute Wirksamkeit gegen die Canine Papillomatose.[3]

Wirkmechanismus

Makrolid-Antibiotika behindern den Prozess der Proteinbiosynthese während der Verlängerungsphase der Proteinkette am Ribosom durch Bindung an die 50S-Untereinheit der bakteriellen Ribosomen. Durch ihre Bindung blockieren sie die Translokation, also die Verlagerung der Peptidyl-t-RNA von der Akzeptorstelle zur Donorstelle. Dadurch kommt es zu einer vorzeitigen Unterbrechung der Proteinbiosynthese und somit zur bakteriostatischen Wirkung. Azithromycin wirkt etwas schlechter gegen grampositive, aber etwas besser gegen gramnegative Bakterien als andere Makrolide. Besonders an diesem Wirkstoff ist seine hohe Verweildauer in den betroffenen Geweben, also Hals, Rachen, Atemwege. So wird er auch in den körpereigenen Abwehrzellen stark angereichert, aber nur sehr langsam abgebaut. Der Vorteil dieser Eigenschaft: Das Medikament muss nur drei Tage vom Patienten eingenommen werden, wirkt aber durch den verzögerten Abbau bis zu vier Tage nach. Dadurch wird die negative Wirkung auf den Verdauungsapparat vermindert. Der Nachteil ist eine lange Verweildauer in zu geringer Konzentration im Körper. Hierdurch wird die Resistenzbildung begünstigt, da das Keimwachstum nicht mehr gehemmt wird, die Erreger aber immer noch der Substanz ausgesetzt sind.

Unerwünschte Wirkungen

Häufig (unter 10 % der Patienten): Störungen im Magen-Darm-Trakt wie Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, weicher Stuhl, Bauchschmerzen sowie Bauchkrämpfe, Verdauungsstörungen und Verstopfung.

Gelegentlich (unter 1 % der Patienten): Blähungen, Störungen des Geschmacksinns, Pilzinfektionen, Scheidenentzündungen, allergische Reaktionen mit Hautausschlag, Juckreiz und Nesselfieber, Nervosität, Benommenheit, Schläfrigkeit, Kopfschmerzen, Missempfindungen (Parästhesien) und Müdigkeit.

Selten (unter 0,1 % der Patienten): Schwindel, Krämpfe, Krampfanfälle, Hyperaktivität, aggressive Reaktionen, Unwohlsein, Schwäche, Erregung, Angst, tiefer Blutdruck, Herzklopfen, Herzrhythmusstörungen, schwere anhaltende Durchfälle, Lichtempfindlichkeitsreaktionen (Hautreaktionen in Zusammenhang mit Sonnenlicht), Gelenkschmerzen und Zungenverfärbung. Sehr selten sind schwere allergische Reaktionen beobachtet worden.

Unter einer Therapie mit Azithromycin kann es zu einem Anstieg der Transaminasen kommen. Bei schweren Leberfunktionsschäden ist Azithromycin daher kontraindiziert. Eine weitere Kontraindikation sind bekannte allergische Reaktionen gegen Azithromycin oder andere Antibiotika aus der Gruppe der Makrolide.[4]

Einzelnachweise

  1. ↑ a b Datenblatt Azithromycin  bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 9. März 2011.
  2. ↑ a b Datenblatt AZITHROMYCIN CRS  beim EDQM, abgerufen am 3. August 2008.
  3. ↑ B.B. Yagci et al.: Azithromycin therapy of papillomatosis in dogs: a prospective, randomized, double-blinded, placebo-controlled clinical trial. In: Vet. Dermatol. 19 (2008), S. 194–198.
  4. ↑ D. Schneider, F. Richling: Checkliste Arzneimittel A–Z. 2006–2007. 4. Auflage. Thieme, Stuttgart 2006. S.180. ISBN 3-13-130854-0.

Handelsnamen

Monopräparate

Azyter (D), Ultreon (D), Zithromax (D, A CH), Azi-Teva (D), zahlreiche Generika (D, A, CH)

 

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Doxycyclin

Doxycyclin ist ein Antibiotikum aus der Klasse der Tetracycline. Es besitzt ein breites Wirkspektrum und zeigt eine bakteriostatische Wirksamkeit auf grampositive, gramnegative und zellwandlose Keime.[5] Ebenso wirkt es gegen Plasmodium sp.[6], zeigt aber nur geringe tuberkulostatische Wirksamkeit. Entsprechend seinem Wirkspektrum wird Doxycyclin zur Behandlung von Atemwegserkrankungen, Infektionen des Urogenitaltrakts, Infektionen des Magen-Darm-Trakts, Gallenwegsinfektionen, Akne, Rosazea, Chlamydien-Infektionen, Borreliose sowie bei zahlreichen seltenen Infektionen, wie zum Beispiel Pest und Milzbrand eingesetzt.[6] Ebenso wird Doxycyclin von der WHO und der Deutschen Gesellschaft für Tropenmedizin und Internationale Gesundheit e. V. (DTG) zur Malaria-Prophylaxe empfohlen[7], allerdings gibt es in Deutschland für diese Indikation keine zugelassenen Fertigarzneimittel.

Nebenwirkungen

Während der Einnahme von Tetracyclinen, einschließlich Doxycyclin, wurde bei einigen Patienten eine Photosensibilisierung beobachtet. Es entsteht nach Sonnen- oder UV-Strahlung ein ausgeprägter Sonnenbrand. Patienten, die sich eventuell direkter Sonnen- oder UV-Bestrahlung aussetzen, sollten über diese typische Tetracyclin-Reaktion informiert werden. Die Behandlung ist bei den ersten Anzeichen einer Hautrötung abzubrechen.[8] Darüber hinaus können akute Überempfindlichkeitsreaktionen mit Zungen- und Kehlkopfschwellung auftreten, die zu Atemnot und unter Umständen zu einem lebensbedrohlichen Schock führen.

Seltene Nebenwirkungen sind Entzündungen der Mund- und Rachenschleimhaut, Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und (nicht immer rückbildungsfähig) Verlust oder Veränderung des Geruch- und Geschmacksinns. Vor allem bei Überdosierung können Leber- und Nierenschädigungen auftreten. Eine gleichzeitige Einnahme mit Milch und Milchprodukten, sowie anderen calcium- oder magnesiumhaltigen Arznei- oder Lebensmitteln kann die Aufnahme von Doxycyclin aus dem Magen-Darm-Trakt vermindern (Bildung von schwerlöslichen Komplexen) und somit die therapeutische Wirkung reduzieren.[9]. Bei gleichzeitiger Einnahme von Alkohol wird durch die erhöhte Stoffwechselrate der Leber das Medikament schneller abgebaut. Eine wirksame Konzentration wird hierdurch nicht mehr erreicht. Das Medikament unterliegt der ärztlichen Verschreibungspflicht.

Während der Schwangerschaft, Stillzeit und bei Kindern unter 8 Jahren ist Doxycyclin kontraindiziert, da bei Föten vom 4. Monat an sowie bei Säuglingen und Kindern bis zum 8. Lebensjahr durch die Einlagerungen von Doxycyclin Zahnverfärbungen, Zahnschmelzschäden und eine Verzögerung des Knochenwachstums auftreten können.

Bei gleichzeitiger Verwendung von oralen Kontrazeptiva kann deren Wirkung aufgehoben werden.

Handelsnamen

Monopräparate

Aknefug Doxy (D), Antodox (D), Atridox (A), Doxakne (D), Dotur (A), Doxyclean (CH), Doxyderma (D), DoxyHexal (D), Doxylag (CH), Doxymono (D), Doxysol (CH), Oraycea (D, A), Periostat (A), Rudocyclin (CH), Supracyclin (CH), Tasmacyclin (CH), Vibramycin (A, CH), Vibravenös (A, CH), Zadorin (CH), diverse Generika (D, A, CH)

Kombinationspräparate

Ambrodoxy (D), Ambroxol comp. (D),

Einzelnachweise

  1. ↑ The Merck Index: An Encyclopedia of Chemicals, Drugs, and Biologicals, 14. Auflage (Merck & Co., Inc.), Whitehouse Station, NJ, USA, 2006; S. 582, ISBN 978-0-911910-00-1.
  2. ↑ a b Doxycyclin  bei ChemIDplus.
  3. ↑ a b Datenblatt Doxycycline hyclate  bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 28. März 2011.
  4. ↑ Datenblatt DOXYCYCLINE HYCLATE CRS  beim EDQM, abgerufen am 26.
  5. Februar 2009.
  6. ↑ Wissenschaft-Online-Lexika: Eintrag zu Doxycyclin im Lexikon der Biologie. Abgerufen am 2. September 2009
  7. ↑ a b G. Füllgraf, Björn Lemmer: Pharmakotherapie: Klinische Pharmakologie. 13. Auflage, Springer, 2006, ISBN 978-3-540-34180-2, S. 135–136.
  8. ↑ Deutsche Gesellschaft für Tropenmedizin und Internationale Gesundheit e.V. (DTG): Medikamente zur Malaria-Prophylaxe .
  9. ↑ Fachinformation aus dem Arzneimittelkompendium der Schweiz.
  10. ↑ Rote Liste

 

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Tetracyclin

Tetracyclin ist ein Antibiotikum und zählt zur Gruppe der Tetracycline. Tetracyclin ist ein Breitbandantibiotikum, welches von Streptomyceten (Streptomyces aureofaciens) produziert wird und gegen viele bakterielle Infektionen angewandt wird. Es wird häufig gegen Akne eingesetzt.

Wirkungsmechanismus

Es verhindert die Anlagerung von Aminoacyl-tRNA an die rRNA in der 30-S-Untereinheit des Bakterien-Ribosoms. Dadurch wird die Translation und letztlich die Proteinbiosynthese gestoppt.

Die Toxizität könnte auf eine Inaktivierung der 30-S-Ribosomen der in den eukaryotischen Wirtszellen vorhandenen Mitochondrien zurückzuführen sein.

Geschichte

Die Tetracycline sind eine große Familie von Antibiotika, die von Benjamin Minge Duggar im Jahre 1948 beschrieben worden sind. Tetracyclin wurde damals von Lloyd Conover in der Forschungsabteilung von Pfizer entdeckt. Das Patent für Tetracylin wurde im Jahre 1955 genehmigt.[4] Jedoch wurde in den 1990er-Jahren Tetracyline in nubischen Mumien entdeckt, so dass das damals gebraute Bier eine Quelle für Tetracyclin gewesen sein könnte.[5] Tetracyclin wirkt auf viele gram-negative, gram-positive und nicht nach Gram färbbare Bakterien bakteriostatisch.

Kontraindikationen und Nebenwirkungen

  • kann sich entwickelnde Zähne färben (sogar bei Einnahme während der Schwangerschaft)
  • wird vor allem von Aluminium, Eisen und Calcium durch Chelatbildung inaktiviert, daher keine Einnahme mit Antacida, Eisenpräparaten oder Milchprodukten
  • phototoxisch, daher keine starke Sonnenbestrahlung unter Tetracyclin
  • keine Einnahme während der Schwangerschaft
  • nicht für Kinder unter 8 Jahren
  • keine Einnahme bei Tetracyclinallergie

Indikation

  • Infektionen der Atemwege (etwa: atypische Pneumonien, Mittel der Wahl nur beim Q-Fieber)[6]
  • Infektionen des Urogenitalsystems (etwa: Prostatitis)
  • Infektionen der Haut (etwa: Acne vulgaris)
  • Infektionen des Darms (etwa: Cholera)
  • aber auch Pest, Brucellose und Tularämie etc.

Andere Anwendungen

Da Tetracyclin im Knochen aufgenommen wird, wird es als ein Marker für Knochenwachstum in menschlichen Biopsien benutzt. Das Vorhandensein von Tetracyclin im Knochen wird durch Fluoreszenz festgestellt.[7] In der Gentechnik wird Tetracyclin bei der Transkriptionsaktivierung bzw. -deaktivierung benutzt bei dem von Hermann Bujard entwickelten Tet-System eingesetzt. Dadurch können Gene gezielt aktiviert und ihre Funktion untersucht werden.

Resistenzmechanismen

Aus Fäkalien isolierte Bakterien sind zu über 80% resistent gegen Tetracyclin.[8] Dies ist auf folgende Mechanismen zurückzuführen:

  • Verschiedene Resistenzplasmide codieren eine Tetracyclin-Effluxpumpe, die das Antibiotikum aktiv (d.h. unter ATP-Hydrolyse) aus der Zelle transportiert
  • Ribosome Protecting Proteins wie Tet(O) können Resistenzen bedingen, indem sie Tetracyclin aktiv (unter GTP-Hydrolyse) vom Ribosom entfernen.
  • Genomische Tetracyclin-Resistenzen kommen durch Mutationen im Wirkort des Antibiotikums, der 16S-rRNA zustande.

Handelsnamen

Monopräparate

Actisite-Dental (A), Imex (D), Tefilin (D), sowie ein Generikum (D)

Kombinationspräparate

Fluorex Plus (A), Mysteclin (D, A)

Tiermedizin

Cyclutrin, Tetrabiotic, Tetran, Utroletten

Einzelnachweise

  1. ↑ a b c d Datenblatt Tetracycline  bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 24. April 2011.
  2. ↑ a b c Tetracyclin  bei ChemIDplus
  3. ↑ a b Roempp Online - Version 3.5, 2009, Georg Thieme Verlag, Stuttgart.
  4. ↑ Patent US2699054 .
  5. ↑ Take Two Beers and Call Me in 1,600 Years - use of tetracycline by Nubians and Ancient Egyptians
  6. ↑ S3-Leitlinie Epidemiologie, Diagnostik, antimikrobielle Therapie und Management von erwachsenen Patienten mit ambulant erworbenen tiefen Atemwegsinfektionen  der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin. In: AWMF online (Stand Juli 2009)
  7. ↑ Cathy Mayton: Tetracycline labeling of bone
  8. ↑ Madigan: Brock Biology of Microorganisms

 

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Rektumprolaps

Der Rektumprolaps („Mastdarmvorfall“, engl. prolapse of the rectum) ist ein Vorfall des Mastdarms bzw. eine Invagination der gesamten Mastdarmwand oder nur der Mastdarmschleimhaut in die Mastdarmlichtung und durch den After nach außen. Es handelt sich hier um den Prolaps aller Schichten des Rektums. Der Rektumprolaps tritt eventuell kombiniert mit dem Afterprolaps, genannt Analprolaps oder Prolapsus ani et recti auf. Als teilweise begrenzter Schleimhautvorfall, z.B. nach Verödung von Hämorrhoiden, wird er als Rektummetropium bezeichnet. Im weiteren Sinne spricht man auch von einer Gleithernie des Beckenbodens. Der Rektumprolaps kommt häufig bei Frauen und Mehrgebärenden vor.

Symptome

  • Darmvorfall
  • Nässen
  • Blutverlust
  • Schleimabgang

Mögliche Therapieformen

  • abdominale Rektopexie
  • bei Inkarzeration: Resektion des Invaginats
  • bei Risikopatienten: sublevatorische eines Drahtrings nach Tiersch

Innerer Rektumprolaps

Der innere Rektumprolaps ist eine zylindrische Einstülpung der Schleimhaut oberer Mastdarmabschnitte in die Mastdarmlichtung ohne Vortreten aus dem After. Er führt zur Obstipation aber auch zu flüssigen fetthaltigen eventuell auch blutigen Stühlen.

Quellen

  • Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch. 257. Auflage. Verlag Walter de Gruyter, Berlin/New York 1994, ISBN 3-11-014183-3.

Weiterführende Literatur

  • S. Tou, S. R. Brown, A. I. Malik, R. L. Nelson: Surgery for complete rectal prolapse in adults. In: Cochrane database of systematic reviews (Online) Nummer 4, 2008, S. CD001758, ISSN 1469-493X . doi:10.1002/14651858.CD001758.pub2 . PMID 18843623 . (Review).
  • E. L. Marderstein, C. P. Delaney: Surgical management of rectal prolapse. In: Nature clinical practice. Gastroenterology & hepatology Band 4, Nummer 10, Oktober 2007, S. 552–561, ISSN 1743-4386 . doi:10.1038/ncpgasthep0952 . PMID 17909532 . (Review).
  • K. E. Matzel, S. Heuer, W. Zhang: Rektumprolaps – Abdominelles oder lokales Vorgehen.  In: Der Chirurg Band 79, Nummer 5, Mai 2008, S. 444–451, ISSN 0009-4722 . doi:10.1007/s00104-008-1546-2 . PMID 18418563 . (Review).

 

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Analprolaps

Unter einem Analprolaps wird in der Medizin der Vorfall (Prolaps) der Haut des Analkanals vor die äußere Haut bezeichnet. Die Ursache ist in den meisten Fällen ein Hämorrhoidalleiden 3. oder 4. Grades.

Diagnostik

Wichtig ist die Abgrenzung zum Rektumprolaps, bei dem nicht nur die Schleimhaut, sondern alle Schichten des Enddarms aus dem Anus austreten. Die Abgrenzung bereitet aufgrund des unterschiedlichen Aussehens des vorgefallenen Gewebes (radiäre Faltung beim Analprolaps, zirkuläre Faltung beim Rektumprolaps) in der Regel keine Probleme.

Da eine Einflussstauung infolge eines tiefsitzendes Rektumkarzinom die seltene Ursache eines Analprolaps sein kann, muss durch eine entsprechende endoskopische Untersuchung (Rektoskopie, Koloskopie) ein Karzinom ausgeschlossen werden.

Therapie

Der Analprolaps wird chirurgisch versorgt. Die Hämorrhoidektomie in ihren verschiedenen Ausführungsmöglichkeiten ist Mittel der Wahl.

Quellen

  • D. Henne-Bruns u.a.: Duale Reihe Chirurgie. Thieme, Stuttgart 2008, S. 443 ff. ISBN 978-3-13-125293-7

 

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Dickdarm

Der Dickdarm (lat. Intestinum crassum) ist der letzte Teil des Verdauungstraktes beim Menschen und vielen Tieren. Er ist Teil des Darms, beginnt nach dem Dünndarm und endet am Mastdarm bzw. Analkanal.

Aufbau, Funktion und Milieu

Die Teile des Dickdarms sind:

  • Ileozäkalklappe (auch: Bauhin-Klappe)
  • Blinddarm (lat. Caecum) mit dem Wurmfortsatz (lat. Appendix vermiformis, oft fälschlicherweise mit dem Blinddarm gleichgesetzt)
  • Grimmdarm (gr./lat. Colon), untergliedert in
    • Colon ascendens (aufsteigender Teil)
    • Colon transversum oder Querdarm bzw. Quercolon (querverlaufender Teil)
    • Colon descendens (absteigender Teil)
    • Colon sigmoideum (von gr. Sigma) (s-förmig verlaufender Teil)
  • Mastdarm (lat. Rectum).

Der äußere Schließmuskel am Ende des Darms (Anus) ist nicht mehr Teil des Dickdarms.

Aufbau

Der Dickdarm hat einen Durchmesser von etwa sechs Zentimetern und ist ungefähr 1,5 Meter lang. Er besitzt keine Zotten. Bei einigen Säugetieren (einschließlich des Menschen) finden sich Aussackungen des Dickdarms, die sogenannten Poschen (Haustra, Haustra coli), unterteilt durch Plicae semilunares coli. Gemäß dem allgemeinen Wandaufbau des Verdauungssystems besitzt der Dickdarm eine Längs- und eine Ringmuskulatur. Die Längsmuskulatur ist bei einigen Säugetieren zu Bandstreifen (Tänien) verdickt.

Funktion

Funktionen des Dickdarms:

  • Rückresorption von Wasser
  • (v. a. Grimmdarm, insgesamt etwa 1,5 Liter pro Tag mit der Möglichkeit einer Steigerung um den Faktor zwei bis drei)
  • Speicherung des Stuhlinhaltes bis zur Entleerung
  • (v. a. Mastdarm),
  • Resorption von Elektrolyten ins Blut,
  • Sekretion von Schleim,
  • Abwehr von Bakterien und Krankheiten.

Milieu

Der pH-Wert im Dickdarm nimmt in aboraler Richtung zu, er beträgt:

  • grob 5,5 im vorderen Abschnitt,
  • über 6,2 im mittleren Bereich,
  • 6,8 im Endabschnitt.

Erkrankungen des Dickdarms

  • Reizdarmsyndrom (RDS; Syn.: Colon spasticum, Colon irritabile)
  • Divertikel
  • Diverticulitis
  • Entzündung des Wurmfortsatzes (lat. Appendizitis)
  • Morbus Crohn
  • Colitis ulcerosa
  • Morbus Hirschsprung
  • Andere Entzündungen des Dickdarms wie z. B. Tuberkulose
  • Pseudomembranöse Colitis
  • Dickdarmpolypen
  • Dickdarmkrebs (Colonkarzinom)
  • Ischämische Darmerkrankungen
  • Ischämische Colitis
  • Kollagene Colitis

 

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Darm

Der Darm (lateinisch intestinum, griech. ἔντερον, enteron) ist der wichtigste Teil des Verdauungstraktes von höheren vielzelligen Tieren einschließlich des Menschen. Er erstreckt sich vom Magenpförtner bis zum After, davor liegen der Magen, die Speiseröhre und die Mundhöhle. Der Darm ist beim erwachsenen Menschen zirka acht Meter lang und besitzt wegen der feinen Darmzotten eine Oberfläche von etwa 400 bis 500 m². Die Gesamtheit der Mikroorganismen im Darm ist die Darmflora.

Länge

Die Länge des Darmes bei verschiedenen Tierarten – besonders im Verhältnis zur Körperlänge – hängt hauptsächlich von der prinzipiellen Ernährung der Art ab. Fleischfresser (Carnivoren) haben einen sehr kurzen Darm, da Fleisch leicht verdaut werden kann. Allesfresser (Omnivoren) haben einen längeren Darm, da pflanzliche Nahrung langsamer verdaut wird. Die längsten Därme haben Pflanzenfresser (Herbivoren), da das Verdauen von Pflanzenfasern (meist indirekt mit Hilfe von einzelligen Symbionten) viel Zeit benötigt.

Das Verhältnis von Darmlänge zu Körperlänge beträgt beim Menschen (ein Allesfresser) etwa 6:1 und liegt damit zwischen dem eines reinen Fleischfressers wie der Katze (3:1) und dem eines Pflanzenfressers wie dem Schaf (24:1). Dieses Verhältnis (neben den Zähnen, dem Magen und dem Blinddarm) deutet darauf hin, dass der Mensch zu leichter verdaulicher, tierischer Nahrung tendiert.

Unterteilung des Darmes

Der Darm ist unterteilt in den

  • Dünndarm (lat. Intestinum tenue), bestehend aus
    • Zwölffingerdarm (lat. Duodenum),
    • Leerdarm (lat. Jejunum) und
    • Krummdarm (lat. Ileum),
  • sowie den Dickdarm (lat. Intestinum crassum), bestehend aus
    • Blinddarm (lat. Cæcum) mit dem Wurmfortsatz (lat. Appendix vermiformis, umgangssprachlich fälschlich als „Blinddarm“ bezeichnet),
    • Grimmdarm (griechisch/lat. Colon) mit aufsteigendem (Colon ascendens), querverlaufendem (Colon transversum) absteigendem (Colon descendens) und S-förmig verlaufendem (Colon sigmoideum) Teil und
    • Mastdarm (lat. Rectum) auch als Enddarm bezeichnet.

An den Mastdarm, aber feingeweblich kein Darmbestandteil im engeren Sinn, da von äußerer Haut und nicht von Schleimhaut ausgekleidet, folgt der Analkanal, der mit dem endständigen Venengeflecht des Mastdarmes und dem inneren und äußeren Schließmuskel zusammen das Kontinenzorgan bildet.

Darmwand

Die Darmwand zeigt den typischen dreischichtigen Aufbau eines häutig-muskulösen Schlauches. Der Innenraum wird durch eine Schleimhaut (Mukosa) ausgekleidet. Ihr liegt außen eine zweischichtige Tunica muscularis an, die aus einer inneren Ring- und äußeren Längsmuskelschicht besteht. Zwischen Mukosa und Muskelschicht befindet sich der Plexus submucosus, zwischen den beiden Muskelschichten der Plexus myentericus – beides Anteile des darmeigenen Nervensystems. Außen grenzt – je nach Lage des Darmabschnitts – entweder eine Tunica serosa oder eine Tunica adventitia das Organ ab.

Untersuchungsmöglichkeiten des Darmes

Der Darm ist zum Teil abtastbar und abhörbar. Weitergehende diagnostische Möglichkeiten bieten die Ultraschalluntersuchung (Sonografie), Kontrastmitteluntersuchungen, Darmspiegelung (Koloskopie) und Computertomografie (CT) bzw. Magnetresonanztomografie (MRT). Zusätzlich kann durch eine zu schluckende Endokapsel mit einer Minikamera der Dünndarm und auch der Dickdarm untersucht werden.

Weitere diagnostische Hinweise bietet die Untersuchung des Stuhlgangs, Gewebeprobenentnahme und Blutuntersuchung.

Trivialnamen

In der Jägersprache wird der Darm als (kleines) Gescheide oder auch Geschlinge bezeichnet. Ein weiterer Trivialname ist der Begriff Kaldaunen.

Darmkrankheiten und -störungen

  • Fehlbesiedelung des Dünn- oder Dickdarms
  • Reizdarm
  • Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen
    • Morbus Crohn
    • Colitis ulcerosa
  • Nahrungsmittel-Intoleranzen
    • Laktoseintoleranz
    • Fruktosemalabsorption
    • Nahrungsmittel-Intoleranz
    • Zöliakie
  • Blähungen (Flatulenz)
  • Verstopfung (Obstipation)
  • Durchfall (Diarrhoe)
  • Familiäre adenomatöse Polyposis (FAP)

Diese Liste versteht sich ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Literatur

  • Franz-Viktor Salomon: Darm, Intestinum (Enteron). In: Salomon u. a. (Hrsg.): Anatomie für die Tiermedizin. Enke-Verlag Stuttgart, 2. erw. Aufl. 2008, S. 293–311, ISBN 978-3-8304-1075-1

 

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Dünndarm

Der Dünndarm (lat. Intestinum tenue) ist der Teil des menschlichen Verdauungstraktes, der zwischen Magen und Dickdarm liegt. Der Dünndarm ist der längste Teil des Verdauungstraktes.

Anatomie

Der Dünndarm gliedert sich in drei Teile:

  • Zwölffingerdarm (lat. Duodenum)
  • Leerdarm (lat. Jejunum)
  • Krummdarm (lat. Ileum)

In der Viszeralchirurgie werden meist nur Leer- und Krummdarm zum Dünndarm gezählt.[1] In der Anatomie werden die letzten beiden Darmabschnitte auch als Intestinum tenue mesenteriale (Dünndarm mit Gekröse) zusammengefasst.

Die Gesamtlänge des Dünndarms variiert sowohl zwischen den Arten als auch innerhalb einer Art deutlich. Außerdem ist sie sehr stark vom Spannungszustand (Tonus) abhängig, im erschlafften Zustand (beispielsweise nach dem Tod) ist sie deutlich erhöht. Je nach Tonus schwankt die Dünndarmlänge des Menschen bei Erwachsenen zwischen 3 und 6 Metern.[2] Der Zwölffingerdarm ist rund zwölf Fingerbreiten lang (ungefähr 24 cm). Der Leerdarm nimmt beim Menschen etwa 60 %, der Krummdarm etwa 40 % der Gesamtlänge ein.[1]

Um Nahrungsbestandteile gut resorbieren zu können, ist die innere Oberfläche durch Falten (Kerckring-Falten, auch Plicae circulares), Zotten und Mikrovilli enorm vergrößert. Die Falten vergrößern die Oberfläche schon um das dreifache, die Zotten um einen zusätzlichen Faktor von 7 bis 14, die Mikrovilli wiederum um einen Faktor von 15 bis 40. Daher hat der Dünndarm letztendlich eine Resorptionsoberfläche von rund 180 m². Zwischen den Zotten liegen die Krypten des Dünndarms (Glandulae intestinales), die weiterhin zur Oberflächenvergrößerung und Sekretion dienen.

Als Besonderheit des Zwölffingerdarms sind die Brunner-Drüsen (Glandulae duodenales) zu nennen. Sie liegen in der Tela submucosa der Wand des Duodenums und dienen der Sekretion von Muzinen, einem Trypsinaktivator und von Bikarbonat (zur Neutralisierung des sauren Magensaftes).

Arteriell wird der Dünndarm größtenteils von der Arteria mesenterica superior (u. a. über Arteriae jejunales und ileales) versorgt; lediglich der Abschnitt des Duodenums kranial (kopfwärts) des Mesocolon transversum wird von der Arteria pancreaticoduodenalis (über Truncus coeliacus und dann Arteria hepatica communis) versorgt.

Der venöse Abfluss geschieht vollständig über die Pfortader in die Leber.

Der Dünndarm wird parasympathisch (ausgehend von den Nervi vagales) und sympathisch über den Plexus aorticus abdominalis innerviert.

Der Lymphabfluss geschieht vollständig über den unpaaren Truncus intestinalis. Von dort gelangt die Lymphe in die Cisterna chyli und den Ductus thoracicus (Milchbrustgang). Die Lymphe transportiert die im Darm resorbierten Lipide (Fette) in den linken Venenwinkel, von dort gelangen sie über die rechte Herzhälfte zuerst in die Lunge, was sich dort zur Synthese der Surfactants als sinnvoll erweist.

Funktion

Insbesondere der Zwölffingerdarm dient der Neutralisierung des durch den Magen angesäuerten Chymus (Speisebrei; pH-Wert im Zwölffingerdarm: 5 bis 8,3).

Der gesamte Dünndarm ist der Hauptort der Verdauung und Aufnahme der Nahrungsbestandteile (Kohlenhydrate, Eiweißstoffe, Fette, Vitamine, Salze und Wasser), für das Ileum kommt noch die Aufgabe der Immunabwehr hinzu.

Am Anfang des Dünndarms wird die Nahrung enzymatisch verdaut (dies wurde durch Verdauungsenzyme im Mund – z. B. Amylase – und Magen – die Pepsine – bereits begonnen). Durch die Sekrete des Pankreas (Bauchspeicheldrüse) werden dabei die Kohlenhydrate, Proteine und Fette in ihre Bestandteile aufgespalten (Proteine jedoch bevorzugt nicht in einzelne Aminosäuren, sondern in Di- und Tripeptide – Moleküle aus zwei oder drei Aminosäuren).

Die Pankreasenzyme gelangen durch den Ductus pancreaticus – meist nach der Vereinigung mit dem zentralen Gallengang, dem Ductus choledochus – über die Papilla duodeni major (auch: Vatersche Papille, siehe Bild) in das Duodenum. Die Galle dient der Emulgierung der Fette. Zusätzlich wird der Galle das Bilirubin (ein Abbauprodukt des Häms) beigemischt und damit ausgeschieden. Die Gallensäure dagegen wird zu rund 95 % rückresorbiert und wieder der Leber zur Verfügung gestellt.

Die Nahrungsbestandteile werden von der Darmwand resorbiert und – mit der erwähnten Ausnahme der Lipide – in der Leber weiterverarbeitet (gespeichert, umgewandelt etc.).

Im terminalen (Endabschnitt) Ileum wird mithilfe des aus dem Magen stammenden Intrinsic-Faktor Vitamin B12 (Cobalamin) resorbiert und weiter verdaut.

Wasser und Elektrolyte

Täglich werden im Dünndarm zirka neun Liter Flüssigkeit resorbiert, wobei davon rund 1,5 Liter aus der Nahrung bzw. der getrunkenen Flüssigkeit stammen oder stammen sollten. Der Rest gelangt mit den Sekreten aus Verdauungsdrüsen und Drüsenzellen in den Verdauungstrakt. Dabei liefern die Speicheldrüsen einen Anteil von zirka 1 Liter, der Magen mit seinen Sekreten ca. 1,5 Liter, der Dünndarm selbst zirka 3 Liter und die Galle etwa 0,6 Liter.

Die Aufnahme von Wasser erfolgt entlang eines osmotischen Druckgradienten, was vom Dünndarm verlangt, diesen Druckgradienten aufrechterhalten zu können. Dabei stellen zwei Mechanismen diese Funktion sicher:

  • Die Fähigkeit zur Aufnahme von Natriumchlorid: Im Jejunum ist diese an die Aufnahme von Glukose und Aminosäuren gekoppelt, ein Mechanismus, der als Symport bezeichnet wird. Im Ileum ist ein Na+/H+-Austauschcarrier dafür verantwortlich.
  • Die Sekretion von Cl- und HCO3-: Diese stellt den zweiten Mechanismus zur Aufrechterhaltung des Ungleichgewichts der Konzentration von Elektrolyten zwischen Darmzellen und Darmlumen dar.

Es findet sich auch ein dritter Transportmechanismus im Dünndarm. Durch die basale (dem Darminneren nicht zugewandte) Na-K-ATPase wird ein Natriumgradient geschaffen: Natrium strömt nun im Austausch gegen H+ von der luminalen (dem Darminneren zugewandten) Seite in die Dünndarmzelle. Der Protonengradient, der daraufhin entsteht, wird für die Rückresorption (Cotransport) von Tri- und Dipeptiden genutzt, und zwar mittels des H+-Symportcarriers.

Die Absorption von Ca2+-Ionen wird dagegen nicht durch eine aktive Aufnahme, sondern die aktive Entfernung mittels des Ca2+-Bindungsproteins aus den Schleimhautzellen des Duodenums in das Interstitium gewährleistet.

Untersuchungsmöglichkeiten des Dünndarmes

  • Anamnese (Beschwerden erfragen)
  • Auskultation (Darm abhören), Palpation (Bauch abtasten)
  • Ultraschall des Dünndarmes, des Mesenteriums und seiner Gefäße
  • Biopsie aus dem Zwölffingerdarm
  • Blutuntersuchungen
    • Entzündungszeichen
    • Resorptionsmangelzeichen
  • Stuhluntersuchungen
    • auf Keime
    • auf Chymotrypsin
    • auf Stuhlfettgehalt
  • Röntgen – Abdomenübersicht (des Bauches)
  • Röntgen mit Kontrastmittelpassage (zur besseren Darstellung des Darms)
  • Röntgen – Dünndarmdoppelkontrastuntersuchung nach Sellink
  • CT oder MRT des Abdomens (Bauches)
  • Spiegelung des Zwölffingerdarmes
  • Kapselendoskopie
  • Koloskopie des terminalen Ileums (Ileoskopie)
  • orale Push-Enteroskopie
  • Doppel- oder Einzelballon-Enteroskopie des Dünndarmes (Push-and-Pull)

Krankheiten des Dünndarmes

  • Durchfall (keine eigene Krankheit, sondern häufiges Symptom vieler Darmerkrankungen)
  • Morbus Crohn
  • Meckel-Divertikel
  • Ulcus duodeni (Zwölffingerdarmgeschwür)
  • Dünndarmatresie
  • Dünndarmileus (Darmverschluss)
  • Dünndarmfehlbesiedlung
  • Morbus Whipple
  • Tumore des Dünndarmes
  • Volvulus
  • Invagination
  • Duodenaldivertikel
  • Nahrungsmittelunverträglichkeiten (z. B. Zöliakie, Laktoseintoleranz, Weizenallergie)
  • Pilze (z. B. Candida albicans)
  • Parasiten

Behandlungsmethoden des Dünndarmes

  • Ausreichender Flüssigkeits-, Salz- und Zuckerersatz bei Durchfall
  • Nahrungskarenz
  • parenterale Ernährung
  • Spülung mit physiologischer Kochsalzlösung
  • Antibiotikumtherapie
  • Operation
  • Cortison
  • Diät ohne bestimmte Nahrungsbestandteile (Gluten, Laktose etc.)
  • Viszerale Osteopathie

Literatur

  • Franz-Viktor Salomon: Darm, Intestinum (Enteron). In: Salomon u. a. (Hrsg.): Anatomie für die Tiermedizin. Enke-Verlag Stuttgart, 2. erw. Aufl. 2008, S. 293–311, ISBN 978-3-8304-1075-1

Fußnoten

  1. ↑ a b Kuno Weise (Hrsg.): Chirurgie: Schnitt für Schnitt. Georg Thieme Verlag 2004, ISBN 9783131308412, S. 582.
  2. ↑ Renate Lüllmann-Rauch: Taschenlehrbuch Histologie. Georg Thieme Verlag, 2. Aufl. 2006, ISBN 9783131292421, S. 375.

 

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Peritoneum / Bauchfell

(Weitergeleitet von Bauchfell)

Das Peritoneum (von griech. peritonaion „das Ausgespannte“) oder Bauchfell kleidet als seröse Haut den Bauchraum aus. Es umgibt die meisten inneren Organe unterhalb des Zwerchfells bis zum Eingang des kleinen Beckens. Es ist durch ein einschichtiges, flaches Epithel gekennzeichnet.

Die Auskleidung der Innenseite der Bauchwand nennt man Peritoneum parietale (parietales Peritoneum), den Überzug der Organe Peritoneum viscerale (viszerales Peritoneum), wobei nur das Peritoneum parietale sensibel innerviert wird, d. h. empfindlich für Schmerzen ist.

Das Peritoneum viscerale umschließt Leber, Gallenblase, Milz, Magen, den größten Teil sowohl des Dünn- (Intestinum tenue) und Dickdarms (Intestinum crassum).

Die Harnblase (Vesica urinaria) und bei der Frau die Gebärmutter (Uterus), der Eileiter (Tuba uterina, „Tube“) und die Eierstöcke (Ovarien) befinden sich im sogenannten Subperitonealraum. Diese Organe „buckeln“ sich von unten her in das parietale Blatt des Bauchfells ein, welches an dieser Stelle auch als Peritoneum urogenitale (respektive Perimetrium im Falle der Pars uterina) bezeichnet wird. Durch das Einwachsen der weiblichen Genitalorgane in das Peritoneum bilden sich als Bauchfellduplikaturen deren Gekröse.

Das Peritoneum sezerniert und absorbiert Peritonealflüssigkeit, ein Sekret, das als „Schmiermittel“ die Reibung (Viskosität) an seiner Oberfläche herabsetzt und so Bewegungen der Organe gegeneinander (z. B. bei Magenfüllung oder Schwangerschaft) erleichtert. Die Flüssigkeitsmenge ist normalerweise mit 50 ml gering; jede größere Ansammlung ist pathologisch (krankhaft) und wird als Aszites bezeichnet. Eine mangelhafte Produktion der Peritonealflüssigkeit kann bei Bewegung der Organe wegen der erhöhten Reibung zu Schmerzen oder sogar zu Verwachsungen des Bauchfells führen. Eine Entzündung des Bauchfells (Peritonitis) ist eine lebensgefährliche Komplikation von Verletzungen der Bauchwand oder des Darms, von Krebserkrankungen sowie des „Blinddarmdurchbruchs“ als Folge einer "Blinddarmentzündung" (Entzündung des Blinddarmfortsatzes (Appendizitis)).

Die Gesamtfläche des Bauchfells beträgt beim Menschen etwa 1,6-2,0 m². An der Vorderwand der Bauchhöhle unterhalb des Nabels finden sich fünf Längsfalten (lat. Plicae). Die drei medialen sind Rudimente der embryonalen Entwicklung. Die unpaare, innerste Aufwerfung enthält den zum Ligamentum umbilicale medianum obliterierten Urachus, daneben verlaufen pränatal die beiden Aa. umbilicales, welche nach der Geburt zu den Ligamenta umbilicalia medialia degenerieren. Die lateralen Falten des Bauchfells enthalten (auch postnatal) die Arteriae und Venae epigastrica inferiores. In der Chirurgie dienen diese Falten als wichtige anatomische Leitstrukturen.

 

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Peritonitis / Bauchfellentzündung

(Weitergeleitet von Bauchfellentzündung)

Die Peritonitis ist eine Entzündung des Bauchfells (Peritoneum). Ist die Peritonitis örtlich begrenzt, spricht man von einer lokalen Peritonitis. Betrifft sie das gesamte Peritoneum, handelt es sich um eine diffuse (generalisierte) Peritonitis. Nach der Ursache unterscheidet man außerdem die primäre von der sekundären Peritonitis.

Eine Pseudoperitonitis, auch Scheinperitonitis oder Abdominalsyndrom genannt, tritt häufig im Krankheitsverlauf des diabetischen Komas, der akuten intermittierenden Porphyrie oder der Addison-Krise auf. Die Ursache ist weitestgehend ungeklärt.

Symptome, Befund und Diagnostik

Eine lokale Peritonitis verursacht einen starken, aber örtlich begrenzten Bauchschmerz (z. B. akute Appendizitis).

Charakteristisch für eine diffuse Peritonitis ist neben starken Bauchschmerzen eine zunehmende Abwehrspannung der gesamten Bauchmuskulatur, die sich bis zum brettharten Bauch steigern kann.

Die Peritonitis ist nur selten eine eigenständige Erkrankung, sondern ein Leit-Symptom. Die akute generalisierte Peritonitis äußert sich in einem akuten Abdomen mit paralytischem Ileus. Außerdem werden die Bauchbeschwerden aus unterschiedlichen Ursachen von Allgemeinbeschwerden begleitet. Diese können von Fieber, Übelkeit, Brechreiz, Erbrechen bis zur Schocksymptomatik ausgeprägt sein.

Ursachen

Die häufigste Ursache der Peritonitis ist auch heute noch die akute Appendizitis. Die hierbei freigesetzten Keime sind meist Escherichia coli, Enterokokken, seltener Salmonellen, Strepto- oder Staphylokokken. Die Gallenkolik wird von vielen Patienten immer noch als lästiges Symptom ihres bekannten Gallensteinleidens hingenommen, dabei ist die akute Cholezystitis heute der häufigste Grund für eine Oberbauch-Peritonitis. Differentialdiagnostisch muss bei diesem Krankheitsbild auch an eine akute Entzündung der Bauchspeicheldrüse gedacht werden.

Die Perforation eines Zwölffingerdarmgeschwürs ist durch die Behandlung dieser Erkrankung (Helicobacter-Eradikation) eher selten geworden.

Die Divertikulitis ist, nach der Appendizitis, zur zweithäufigsten Ursache einer Unterbauch-Peritonitis aufgerückt. Auch schwere Entzündungen der inneren Geschlechtsorgane der Frau (eitrige Eileiterentzündung) können dieses Krankheitsbild auslösen.

Eine Peritonitis kann auch infolge eines unbehandelten Darmverschlusses entweder aufgrund des Keimaustritts aus der dünnen, mechanisch geschädigten Serosa (Durchwanderungsperitonitis) oder aufgrund der Ruptur des aufgestauten Darmes eintreten. Eine Durchwanderungsperitonitis kann auch Folge der Nekrose des Darms beim Mesenterialinfarkt sein.

Weitere Ursachen einer Peritonitis können perforierende Darmverletzungen infolge von Fremdkörpern oder perforierende Bauchverletzungen (Stich- und Schussverletzungen) sein. Darüber hinaus kann das in Mitteleuropa seltene Familiäre Mittelmeerfieber u.a eine Peritonitis hervorrufen.

Die Peritonitis tritt außerdem als häufigste Komplikation der Bauchfelldialyse auf. Auch unter aseptischen Bedingungen kommt es circa einmal in 16 bis 24 Behandlungsmonaten zu einer Peritonitis[1]. Diese kann durch unsteriles Arbeiten am Peritonealkatheter, eine Leckage am Katheter, unsterile Spüllösung oder einen Infekt am Katheteraustritt verursacht sein.

Die Peritonealkarzinose wird im klinischen Sprachgebrauch auch als Peritonitis carcinomatosa bezeichnet: Die ausgedehnte Tumoraussaat auf das Bauchfell führt hier zu einer nicht bakteriellen entzündlichen Reaktion, oft mit ausgeprägter Aszitesbildung.

Differenzialdiagnose

Einige Erkrankungen können klinisch eine Peritonitis vortäuschen.

Die Vorstufe des Mesenterialinfarkts, die so genannte Angina abdominalis führt häufig zum Bild des akuten Abdomens, ohne dass eine Peritonitis vorliegt.

Das beginnende ketoazidotische Koma beim (meist jungen) Diabetiker kann ebenfalls eine akute Peritonitis vortäuschen (Pseudoperitonitis diabetica).

Klinische Symptome

Bei einer lokalen Peritonitis (z. B. akute, nicht perforierte Appendizitis) findet sich in der Regel ein lokaler Druckschmerz der Bauchdecke, eventuell zusätzlich ein Loslassschmerz und eine lokale Abwehrspannung, hinzu kann ein durch Anspannung bestimmter Muskeln ausgelöster Schmerz (Psoas-Dehnungsschmerz) kommen; Spontanschmerz kann fehlen („So im Liegen tut mir gar nichts weh.“). Der Allgemeinzustand ist oft nur gering beeinträchtigt, Fieber kann vorliegen, aber auch fehlen. Die Darmgeräusche sind allenfalls gering vermindert.

Bei der generalisierten Peritonitis wirkt der Patient bereits auf den ersten Blick schwer krank (Facies hippocratica). Das Gesicht wirkt eingefallen, grau, die Atmung ist flach, der Puls beschleunigt, der Blutdruck niedrig, manchmal aber auch stark erhöht. Die Beine werden im Liegen angezogen. Die Bauchdecke ist stark angespannt („bretthartes Abdomen“), jede Berührung, selbst leichtes Klopfen, bereitet starke Schmerzen. Darmgeräusche sind kaum bis gar nicht hörbar. Meist besteht hohes Fieber. Dieses Krankheitsbild wird auch unter dem Begriff Akutes Abdomen zusammengefasst.

Bei sehr alten, hinfälligen Patienten kann ein großer Teil dieser Symptome fehlen, beispielsweise durch verkümmerte (atrophe) Bauchmuskulatur, die keine Anspannung mehr leisten kann.

Bei der Bauchfelldialyse fällt neben Bauchschmerzen als erstes Symptom die Trübung des Dialysats auf, die durch die erhöhte Leukozytenzahl verursacht wird. Außerdem kann die Ultrafiltrationsmenge deutlich abnehmen, so dass zusätzlich noch eine Überwässerung droht.

Diagnostik

Laborchemische und apparative diagnostische Methoden helfen bei der Diagnosestellung und geben oft auch Hinweise auf den Grund der Peritonitis. Im weiteren beschränkt sich die Aufstellung auf die akute, generalisierte Peritonitis.

Laborchemische Untersuchungen

Im frühen Stadium der akuten Peritonitis sind vor allem die zwei wichtigsten Entzündungsparameter auffällig: Im Blutbild findet sich eine deutliche Erhöhung der Leukozytenzahl, das CRP ist ebenfalls stark erhöht. Die BSG (Blutsenkung) ist ebenfalls stark beschleunigt, im Bereich der Chirurgie wird dieser Parameter wegen seiner geringen Spezifität mittlerweile allerdings nicht mehr routinemäßig genutzt.

Im fortgeschrittenen Stadium findet man laborchemisch weitere pathologische Befunde: Veränderungen der Gerinnungsparameter (Abfall der Thrombozytenzahl, Erhöhung der Fibrinogenkonzentration, Verlust von Prothrombin und Thromboplastin) sind Zeichen einer Verbrauchskoagulopathie; Verschlechterung der Nierenfunktionswerte (Anstieg von Harnstoff und Kreatinin im Blut), der Leberwerte (Anstieg der Transaminasen, Abfall der Cholinesterase) und Abfall des Hämoglobinwertes sind Anzeichen für ein beginnendes Multiorganversagen.

Sonografie

Die Ultraschalluntersuchung des Bauches erbringt meist freie Flüssigkeit und/oder freie Luft in der Bauchhöhle. Sichtbar wird hierbei auch die verminderte Motilität (Eigenbewegung) des Darmes. In vielen Fällen gelingt es mit der Sonografie die Ursache der Peritonitis (Gallenblasenperforation, Dickdarmileus mit Perforation, Pankreatitis etc.) einzugrenzen.

Röntgenuntersuchung

Die radiologische Untersuchung des Bauches – meist eine einfache Leeraufnahme des Abdomens ohne Kontrastmittel im Stehen oder in Linksseitenlage kann freie Luft (als Zeichen einer Hohlorganperforation) und/oder das Vorliegen eines Darmstillstandes zeigen. Eine Computertomografie oder Magnetresonanztomographie kann zusätzlich Hinweise auf die Ursache der Peritonitis geben.

Therapie

Operative Behandlung

Die Therapie der akuten Peritonitis ist immer operativ. Der Zeitpunkt der Operation wird so früh wie irgend möglich angesetzt, da das Krankheitsbild meist einen rasch progredienten, oft sogar foudroyanten Verlauf nimmt. Die Grundprinzipien der chirurgischen Therapie sind:

  1. Elimination des Entzündungsherdes, also definitive operative Behandlung der Grunderkrankung oder Verletzung
  2. Entfernung von Nekrosen, Eiter und Fibrinbelägen (Debridement und Peritoneallavage)
  3. Vollständige Sekretableitung aus allen Bereichen der Bauchhöhle (Drainage)

Als operative Therapie der Grunderkrankung kommen – je nach Ursache der Peritonitis – in Frage: Die Appendektomie, die Cholezystektomie, die Sigmaresektion oder entsprechende Resektion anderer Darmabschnitte, die Exzision und Übernähung eines perforierten Ulcus duodeni und einige andere. Im Rahmen einer Peritonitis wird einer notwendigen Anastomose in aller Regel ein Enterostoma („künstlicher Darmausgang“) vorgeschaltet, da die Gefahr einer Anastomoseninsuffizienz in entzündlich veränderter Umgebung immer deutlich erhöht ist. Das Enterostoma verhindert durch Gasbildung entstehenden Druck auf die Anastomose und schützt im Falle einer Insuffizienz die Bauchhöhle vor dem Austreten von Darminhalt.

Je nach Zeitpunkt der ersten Intervention finden sich Nekrosen z. B. des großen Netzes, des Mesenteriums oder anderer Gewebe. Diese müssen so vollständig wie möglich entfernt werden (Debridement), da sie ein idealer Nährboden für Bakterien sind, durch die die Entzündung aufrechterhalten wird. Auch der meist in großen Mengen vorhandene eitrige Aszites muss durch Spülung mit physiologischer Kochsalzlösung oder Ringerlösung vollständig entfernt werden (Lavage). Abschließend wird die Bauchhöhle mit einer antiseptischen Lösung, meist Taurolidin, gespült.

Da das entzündete Peritoneum auch nach der Operation noch reichlich Exsudat produziert, welches ebenfalls ein guter Nährboden für Keime ist, wird dieses durch großlumige Drainagen aus allen vier Quadranten der Bauchhöhle abgeleitet.

Intensivmedizinische Begleittherapie

Da die akute eitrige Peritonitis ein schweres septisches Krankheitsbild mit entsprechend vielfältigen Komplikationen (s. u.) darstellt, erfolgt die postoperative Behandlung immer auf der Intensivstation.

Oft wird der Patient so lange nachbeatmet, bis der klinische Zustand und die laborchemischen Untersuchungsergebnisse eine eindeutige Besserung zeigen. Die Nachbeatmung erleichtert die erforderliche hochdosierte Analgesie, da auf atemdepressive Nebenwirkungen der eingesetzten Analgetika, meist Opiate und Opioide wie Fentanyl oder Hydromorphon, die intravenös mittels Spritzenpumpe verabreicht werden, keine Rücksicht genommen werden muss. Außerdem unterstützt die optimale Oxygenierung (Sauerstoffanreicherung) des Blutes den Organismus bei der körpereigenen Infektabwehr, die unter Hypoxie deutlich reduziert ist.

Die systemische Therapie erfolgt durch hochdosierte Gabe einer geeigneten Kombination von Breitspektrum-Antibiotika und Antimykotika (z. B. Piperacillin+Metronidazol+Fluconazol), die der Resistenzlage der vorgefundenen Keime angepasst werden.

Prognose

Je nach Ausprägung und Begleiterkrankungen reicht die Sterblichkeit (Letalität) von nahezu 0 bis über 50 %. Zur Abschätzung der Letalität steht der Mannheimer Peritonitis-Index zur Verfügung.

Peritonitis bei Tieren

Häufige Ursachen für eine Peritonitis bei Tieren sind Verletzungen der Bauchwand, Rupturen der Gallenblase durch stumpfe Traumen (Pferdetritt) oder schwere Erkrankungen der Gallenblase (biliäre Peritonitis), die Darmwand perforierende Fremdkörper oder Tumore, Verletzungen und Rupturen der Gebärmutter bei der Geburt oder nach einer Pyometra, Rupturen der Harnblase und Verletzungen des Mastdarms bei unsachgemäßer rektaler Untersuchung. Bei Katzen gibt es mit der FIP eine Virusinfektion, die sich vor allem als Bauchfellentzündung manifestiert. Bei Rindern sind vor allem in den Netzmagen perforierende Fremdkörper Ursache für eine Peritonitis.

Klinisches Bild, Diagnostik und Behandlung entsprechen weitgehend der Peritonitis des Menschen, lediglich für die FIP gibt es keine Behandlung.

Literatur

R.W. Nelson und C.G. Couto: Innere Medizin der Kleintiere. Elsevier Urban & Fischer. ISBN 3-437-57040-4

Einzelnachweise

  1. ↑ Dialyse für Pflegeberufe, Hrsg. Hans E. Franz, Thieme, 1996; S. 175

 

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Leberabszess

Ein Leberabszess ist eine abgegrenzte Eiteransammlung (Abszess) im Lebergewebe. Er kann primär durch Bakterien (z. B. Escherichia coli, Staphylococcus aureus), andere parasitische und einzellige Infektionerreger (z. B. Entamoeba histolytica) oder sekundär nach einem operativen Eingriff entstehen. Die Erreger können über das Blut (hämatogen), die Lymphe (lymphogen) oder die Gallengänge (cholangitisch) in die Leber vordringen.

Die Symptome eines Leberabszesses sind meist hohes Fieber, Leberdruckschmerz, Übelkeit und Erbrechen, Gelbsucht und Anämie. Die Diagnose wird mittels Ultraschalluntersuchung und einer CT-Aufnahme gesichert. Die Therapie erfolgt medikamentös oder durch chirurgische Entfernung der Abszesshöhle eventuell einer Segmentresektion. Als Komplikationen eines Leberabszesses gelten eine Sepsis oder Ruptur der Abszesshöhle mit nachfolgender Bauchfellentzündung.

 

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Ulcus duodeni - Zwoelffingerdarmgeschwuer

Das Ulcus duodeni (eingedeutscht auch Duodenalulkus oder Zwölffingerdarmgeschwür) ist ein Geschwür (Ulcus) im Zwölffingerdarm (Duodenum). Kriterium für die Klassifikation als Ulcus ist ein Substanzdefekt, der die Lamina muscularis mucosae, d. h, die unter der eigentlichen Schleimhaut liegende Muskelschicht, überschreitet. Oberflächlichere Läsionen werden als Erosion bezeichnet.

Das Ulcus duodeni ist seit 1824 bekannt.

Epidemiologie

Duodenalulzera sind etwa viermal häufiger als Magengeschwüre. Sie treten gehäuft im jüngeren bis mittleren Lebensalter vorwiegend bei Personen männlichen Geschlechts (mehr als doppelt so häufig wie bei Frauen [1]) und bei Personen mit Blutgruppe 0 auf. Das Auftreten wird vermehrt im Frühling und im Herbst beobachtet. Im Laufe seines Lebens erkrankt etwa jeder Zehnte an einem Ulcus duodeni. Die Inzidenz liegt bei 0,1-0,2 % und ist insgesamt leicht rückläufig. [2]

Ursachen

An der Entstehung eines Ulcus duodeni scheinen mehrere Faktoren beteiligt zu sein. Allgemein gesprochen liegt jedem Zwölffingerdarmgeschwür ein Missverhältnis von schleimhautschützenden Faktoren (Schleim, Bikarbonat, Prostaglandin) und aggressiven Faktoren wie Magensäure, Proteasen und entzündlichen Reaktionen zugrunde. Eine chronische Infektion mit dem Bakterium Helicobacter pylori ist seit den 1980er Jahre als einer der wichtigsten Auslöser gesichert. Weitere additiv wirkende Mechanismen sind Hyperazidität (zu niedriger pH-Wert), Durchblutungsstörungen der Darmwand und die Dauereinnahme von Medikamenten, die die Prostaglandinsynthese hemmen (z. B. Acetylsalicylsäure). Auch psychosomatische Faktoren spielen eine Rolle. Atypisch lokalisierte, multiple (mehrfache) und rezidivierende (nach Ausheilung wiederkehrende) Ulzera weisen auf ein Zollinger-Ellison-Syndrom hin.

Morphologie

Der sich unmittelbar an den Magenausgang (Pylorus) anschließende Bereich (etwa 2 cm) wird bevorzugt befallen. Akute Ulzera sind meist kreisrund, liegen im Niveau der Schleimhaut und haben eingezogene Ränder. Chronische Geschwüre sind scharf begrenzt und zeigen oft nach oral (mundwärts) einen überhängenden Rand, während der Rand nach aboral treppenartig abgetragen ist.

Symptome

Allgemeinsymptome wie Übelkeit, Erbrechen, Druck- und Völlegefühl sowie unregelmäßiger Stuhlgang stehen oft am Anfang. Häufig kann ein ungewollter Gewichtsverlust beobachtet werden. Anders als beim Magengeschwür ist beim Ulcus duodeni der „Nüchternschmerz“ typisch, der sich erst etwa zwei Stunden nach Nahrungsaufnahme bzw. nachts bemerkbar macht und in der mittleren Oberbauchregion (epigastrisch) oder um den Bauchnabel herum (periumbilikal) angegeben wird. Die Symptomatik ist nicht spezifisch, andere Krankheitsprozesse im Bauchraum müssen ausgeschlossen werden. Manchmal verursacht ein manifestes Ulcus auch überhaupt keine Beschwerden und wird erst bei Routineuntersuchungen oder unter anderen Fragestellungen entdeckt.

Therapeutische Prinzipien

Bei der in den meisten Fällen gefundenen Helicobacter-pylori-Infektion wird eine antibakterielle Eradikation des Keimes durchgeführt. Eine Kombination von zwei Antibiotica und einem Protonenpumpenhemmer hat sich bewährt und führt nach einwöchiger Behandlung in über 90% der Fälle zum Erfolg. Wichtig für die Therapie ist weiterhin eine Vermeidung von auslösenden Medikamenten wie ASS (Aspirin) oder bestimmten Rheumamedikamenten. Die sonstige konservative Behandlung versucht, das Gleichgewicht von schleimhautprotektiven und -aggressiven Faktoren wiederherzustellen. Neben Diät, Nikotin- und Alkoholkarenz und Stressvermeidung werden heute vor allem gut verträgliche Protonenpumpenhemmer wie Omeprazol oder Pantoprazol verordnet. Sie hemmen die Säureproduktion im Magen und reduzieren somit deren aggressives Potential. Konservativ nicht zufriedenstellend behandelbare Geschwüre werden heute nur noch selten operiert, da mit der Helicobactereradikation in den meisten Fällen eine Heilung zu erzielen ist. Heute nur noch selten durchgeführt wird die Vagotomie. Durch Magenteilresektionen nach Billroth (Typ I und II) wird das Produktionsgewebe für Magensäure und Pepsin überwiegend entfernt und das Ulcus kann abheilen.

Komplikationen

Das Ulcus duodeni ist eine der Hauptursachen für die gefürchtete obere gastrointestinale Blutung, ein Viertel bis ein Drittel der Fälle gehen darauf zurück. [3] [4] Selten ist die Perforation, die zur lebensbedrohlichen eitrigen Peritonitis führen kann. Ursache für die Ulcusblutung können auch NSAR sein. Die gesetzlichen Krankenversicherungen wenden jährlich fast 125 Mio. Euro für die Behandlung gastrointestinaler Nebenwirkungen der NSAR auf. 1.100 bis 2.200 Menschen sterben in Deutschland jährlich an gastrointestinalen Komplikationen, u. a. Duodenalblutungen (Schätzungen). Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen. [5][6]

Literatur

  • Yvonne Syha, Laura Popescu, Mario Wurglics, Manfred Schubert-Zsilavecz: Geschichte der Ulcustherapie. In: Pharmazie in unserer Zeit. Wissenaschaft, Bildung, Weiterbildung, Jg 34 (2005), Heft 3, S. 188–192, ISSN 0048-3664.

Einzelnachweise

  1. ↑ G. Lindell G. et al.: On the natural history of peptic ulcer. In: Scandinavian Journal of Gastroenterology, Jg. 29 (1994). Heft 11, S. 979–982, ISSN 0085-5928. PMID 7871377.
  2. ↑ Gotthard Schettler, Heiner Greten: Innere Medizin. Verstehen, Lernen, Anwenden. 9. Aufl. Thieme, Stuttgart 1998, ISBN 3-13-552209-1.
  3. ↑ Peter Schemmer et al.: The vital threat of an upper gastrointestinal bleeding. Risk factor analysis of 121 consecutive patients. In: World Journal of Gastroenterology, Jg. 12 (2006), Heft 22, S. 3597–3601, ISSN 1007-9327. PMID 16773718.
  4. ↑ Gregorios A. Paspatis et al.: An epidemiological study of acute upper gastrointestinal bleeding in Crete, Greece. In: European Journal of Gastroenterology and Hepatology, Jg. 12 (2000), Heft 11, S. 1215–1220, ISSN 0954-691X. PMID 11111778.
  5. ↑ Zitiert nach Reduziert den Schmerz, schont die Organe. In: Der Allgemeinarzt, Jg. 28 (2007), Heft 9, S. 39, ISSN 0172-7249.
  6. ↑ Zitiert nach tNSAR versus Coxibe: Was ist gesichert? - Rund 2.200 Tote jährlich durch Komplikationrn im GI-Trakt. In: Ärztliche Praxis, Bd. 22 vom 29. Mai 2007, ISSN 1867-125X, S. 8.

 

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Kalomel - Calomel

Kalomel (auch Calomel), veraltet auch als Hornquecksilber oder unter seiner chemischen Bezeichnung Quecksilber(I)-chlorid bekannt, ist ein selten vorkommendes Mineral aus der Mineralklasse der Halogenide. Es kristallisiert im tetragonalen Kristallsystem mit der chemischen Zusammensetzung Hg2Cl2 und entwickelt entweder kleine, durchsichtige bis durchscheinende, flächenreiche Kristalle mit prismatisch-tafeligem Kristallhabitus und Diamantglanz oder krustenförmige bzw. erdige Mineral-Aggregate.

Besondere Eigenschaften

Reiner Kalomel ist farblos. Er kann jedoch durch Verunreinigungen oder Beimengungen formelfremder Ionen von weißer, weißgelber bis graugelber oder brauner Farbe sein, die bei längerem Kontakt mit Luft allmählich nachdunkelt. Seine Optische Dispersion reicht an die des Diamanten und seine Doppelbrechung übertrifft die des gerade für diese Eigenschaft bekannten Calcits bei weitem.

Gegenüber Salz- und Salpetersäure ist Kalomel relativ unempfindlich, in Königswasser ist er jedoch löslich. Mit Sodalösung, Ammoniaklösung oder anderen alkalischen Lösungen behandelt fällt metallisches Quecksilber aus.

Beim Erhitzen auf 400 °C geht das Mineral direkt vom festen in den gasförmigen Zustand über.

Etymologie und Geschichte

Erste Erwähnung fand Calomel bereits in den Aufzeichnungen von 1608 durch Beguin und 1609 durch Oswald Croll. Er soll jedoch schon den alten Tibetern bekannt gewesen sein. Wissenschaftlich beschrieben wurde das Mineral aber erst 1612 durch Theodor Turquet de Mayenne († 1655), der dem Mineral die Bezeichnung „schönes Schwarz“ gab. Der Name ist eine Zusammensetzung der altgriechischen Worte καλός [kalos] für „schön“ und μέλας [melas] für „schwarz“, angeblich inspiriert durch seinen schwarzen Sklaven, der Präparate dieser Substanz gut zu bereiten wusste. [4] [5]

Tatsächlich rührt der Name daher, dass das Quecksilber(I) im Kalomel leicht in elementares Quecksilber und Quecksilber(II) disproportioniert. Das sich bildende Quecksilber ist fein verteilt und sorgt dadurch für die schwarze Farbe. Die Disproportionierung kann durch Licht oder in wässrigen Lösungen durch Anheben des pH-Wertes geschehen. Zum Beispiel fällt in eine Lösung des Minerals durch Zugabe von Ammoniaklösung feinverteiltes, schwarzes Quecksilber und weißes Quecksilber(II)-amidochlorid aus[6]:

  • Hg2Cl2 + 2 NH3  → Hg + [Hg(NH2)]Cl ↓ + NH4Cl
  • Kalomelreaktion mit Ammoniak

Als Typlokalität gilt der Moschellandsberg bei Obermoschel (Rheinland-Pfalz).

Klassifikation

In der mittlerweile veralteten, aber noch gebräuchlichen 8. Auflage der Mineralsystematik nach Strunz gehörte der Kalomel zur Mineralklasse der „Halogenide“ und dort zur Abteilung der „Einfachen Halogenide“, wo er zusammen mit Kuzminit und Moschelit eine eigenständige Gruppe bildete.

Die seit 2001 gültige und von der International Mineralogical Association (IMA) verwendete 9. Auflage der Strunz'schen Mineralsystematik ordnet den Kalomel ebenfalls in die Klasse der „Halogenide“ und dort in die Abteilung der „Einfachen Halogenide ohne H2O“ ein. Diese Abteilung ist allerdings weiter unterteilt nach dem Stoffmengenverhältnis von Kationen (M) zu Anionen (X), so dass das Mineral entsprechend seiner Zusammensetzung in der Unterabteilung „M : X = 1 : 1 und 2 : 3“ zu finden ist, wo es ebenfalls zusammen mit Kuzminit und Moschelit die nach ihm benannte „Kalomelgruppe“ mit der System-Nr. 3.AA.30 bildet.

Auch die vorwiegend im englischen Sprachraum gebräuchliche Systematik der Minerale nach Dana ordnet den Kalomel in die Klasse der „Halogenide“ und dort in die gleichnamige Abteilung ein. Hier ist er ebenfalls als Namensgeber der „Kalomelgruppe“ mit der System-Nr. 09.01.08 und den weiteren Mitgliedern Kuzminit und Moschelit innerhalb der Unterabteilung der „Wasserfreien und wasserhaltigen Halogenide mit der Formel AX“ zu finden.

Bildung und Fundorte

Kalomel bildet sich als Sekundärmineral durch Verwitterung primärer Quecksilberminerale.

Als seltene Mineralbildung konnte Kalomel nur an wenigen Fundorten nachgewiesen werden. Bisher (Stand: 2011) sind etwa 80 Fundorte bekannt.[7] Neben seiner Typlokalität Moschellandsberg trat das Mineral in Deutschland noch im „Daimbacher Hof“ (ehemals „Alte Grube“ in Daimbach) bei Mörsfeld, am Potzberg, in der Grube „Frischer Mut“ bei Stahlberg und in der Grube „Christiansglück“ am Königsberg bei Wolfstein in Rheinland-Pfalz.

Weitere Fundorte sind unter anderem die „Chatsworth Mine“ bei Grassington in der britischen Region England, die „La Coipa Mine“ bei Diego de Almagro in Chile, die „Guilaizhuang Mine“ bei Pingyi in China, Hérault in Frankreich, San Quirico in der Region Parma und die „Levigliani Mine“ bei Stazzema in Italien, die „Ainoura Mine“ in der japanischen Präfektur Nagasaki, an mehreren Stellen im Alai-Gebirge im kirgisischen Gebiet Osch, in einigen Regionen von Mexiko; am Fluss Kelyana im Nördlichen Mujagebirge und am Ujuk in Ostsibirien sowie am Mutnovskoe auf Kamtschatka im Fernen Osten Russlands, die „Avala Mine“ in Serbien, an mehreren Stellen in der Region um Košice in der Slowakei, bei Almería und Almadén in Spanien, Neřežín im tschechischen Böhmen sowie in mehreren Regionen der Vereinigten Staaten von Amerika (US).[8]

Kristallstruktur

Kalomel kristallisiert im tetragonalen Kristallsystem in der Raumgruppe I4/mmm mit Gitterparametern a = 4,45 Å und c = 10,89 Å sowie zwei Formeleinheiten pro Elementarzelle. [1]

Verwendung

Größere, abbauwürdige Vorkommen von Kalomel sind nicht bekannt. Aus diesem Grund ist es als Quecksilbererz von untergeordnetem Interesse. Anwendungen des Minerals sind eher von historischen Interesse. Historische, medizinische Anwendungen finden sich unter → Quecksilber(I)-chlorid.

Einzelnachweise

  1. ↑ a b Webmineral - Calomel (englisch)
  2. ↑ Mineraldatenblatt - Calomel (englisch, PDF 60,8 kB
  3. ↑ MinDat - Calomel (englisch)
  4. ↑ Elias Altschul: Real Lexicon für Homöopathische Arzneimittellehre, Therapie u. Arznei-Bereitungskunde (S. 225, 226)
  5. ↑ archive.org - Full text of Notes and Queries (1874)
  6. ↑ Thieme Chemistry (Hrsg.): Eintrag zu Kalomel im Römpp Online. Version 3.19. Georg Thieme Verlag, Stuttgart 2011, abgerufen am 16. September 2011.
  7. ↑ Mindat - Anzahl der Fundorte für Kalomel
  8. ↑ MinDat - Localities of Calomel

Literatura

  • Petr Korbel, Milan Novák: Mineralien Enzyklopädie. Nebel Verlag GmbH, Eggolsheim 2002, ISBN 3-89555-076-0, S. 72.
  • Paul Ramdohr, Hugo Strunz: Klockmanns Lehrbuch der Mineralogie. 16. Auflage. Ferdinand Enke Verlag, 1978, ISBN 3-432-82986-8, S. 487.

 

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Quecksilber(I)-chlorid

Quecksilber(I)-chlorid (Kalomel, „schönes Schwarz“ von altgriechisch kalos=„schön“ und melas=„schwarz“, früher auch süßes Quecksilber, Quecksilberchlorür oder Quecksilberhornerz) ist eine weiße, kristalline Verbindung, die sich in Wasser nur sehr wenig löst und bei ca. 380 °C sublimiert. Die Verhältnisformel lautet Hg2Cl2.

Im Licht verfärbt es sich allmählich dunkel bis schwarz (daher der Name Kalomel), weil es unter Disproportionierung zu elementarem Quecksilber und Quecksilber(II)-chlorid zerfällt.

Vorkommen

Quecksilber(I)-chlorid kommt in der Natur als seltenes Mineral Kalomel vor, ein dunkelgraues Mineral, das bei höheren Quecksilber(I)-chlorid-Anteilen auch graugelb bis hellgelb sein kann. Noch seltener findet man sehr kleine reine Quecksilber(I)-chlorid-Kristalle in Drusen.

Verwendung

Quecksilber(I)-chlorid wird in Kalomelelektroden zur Potentiometrie, zur Schädlingsbekämpfung, in der Pyrotechnik für grünleuchtende Fackeln, in der Porzellanmalerei zum Auftrag von Gold und als Katalysator verwendet.

Medizin

Da es wegen seiner äußerst geringen Wasserlöslichkeit vom Körper kaum resorbiert wird, fand es vielfältige Anwendung in der Medizin: gegen Entzündungen in Nase und Rachen, als Abführmittel, zur Anregung der Gallenfunktion, gegen Brechdurchfall, bei Wassersucht, Milz-, Leber-, Lungenleiden und gegen Syphilis, sowie äußerlich gegen Hornhautflecken, Geschwüre und Feigwarzen.

Außerdem wurde es bis in die 1990er-Jahre als Spermizid in chemischen Verhütungsmitteln eingesetzt.

Einzelnachweise

  1. ↑ a b c d e Datenblatt Quecksilber(I)-chlorid  bei AlfaAesar, abgerufen am 9. Februar 2010 (JavaScript erforderlich).
  2. ↑ a b Datenblatt Quecksilber(I)-chlorid  bei Merck, abgerufen am 9. Februar 2010.
  3. ↑ a b Eintrag zu CAS-Nr. 10112-91-1  in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA, abgerufen am 22. April 2011 (JavaScript erforderlich).
  4. ↑ Eintrag zu CAS-Nr. 10112-91-1  im European chemical Substances Information System ESIS

Literatur

  • Holleman, Wiberg: Lehrbuch der anorg. Chemie. 91.–100. Auflage, deGruyter 1985, S. 1046, ISBN 3-11-007511-3.
  • Fachlexikon ABC Chemie, Band 2, 3. Auflage, Harri Deutsch Frankfurt 1987, S. 957, ISBN 3-87144-899-0.
  • J. G. Krünitz: Oeconomischen Encyclopädie . Berlin : Pauli, S. 1773–1858.

 

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Brechwurzel

Die Brechwurzel (Carapichea ipecacuanha), auch Ruhrwurzel genannt, ist eine Pflanzenart in der Familie der Rötegewächse (Rubiaceae). Sie ist auch unter ihrem portugiesischen Trivialnamen Ipecacuanha oder spanisch Ipecacuana bekannt. Ihr „Wurzelstock“ wird in der Medizin verwendet, um Ipecacuana-Sirup – ein starkes Brechmittel – herzustellen.

Beschreibung

Die Brechwurzel wächst als Strauch bis auf Wuchshöhen von etwa 0,5 Meter. Er hat ledrige, ganzrandige Laubblätter. Die zierliche Blüte besitzt eine weiße Farbe. Die blauschwarze Steinfrucht ist fleischig.

Verbreitung

Die Brechwurzel kommt in den tropischen Tieflandregenwäldern Mittel- und Südamerikas von Nicaragua bis Brasilien vor. Sie wächst langsam, so dass sie für eine Plantagenkultur eigentlich nicht geeignet ist. Gelegentlich ist sie jedoch in Südamerika, aber auch in Indien in Kultur genommen worden. Fundorte gibt es in Costa Rica, im südöstlichen Nicaragua, Panama, Kolumbien sowie in Ecuador (nur in Napo) und in Brasilien[1].

Verwendung

In der Medizin wird der „Wurzelstock“ verwendet, der sich einige wenige Male verzweigt. Auf dem Markt werden verschiedene Sorten angeboten (grau, rot, braun), die von derselben Art stammen. Unterschiede im Aussehen gehen auf das Alter und die Bewässerung zurück.

Ipecacuana ist sehr giftig und führt zu blutigen Durchfällen und Krämpfen bis zum Schock bzw. Koma. Es enthält die Alkaloide Emetin und Cephaelin; aus der Brechwurzel bereitete Medikamente sind deshalb in Deutschland verschreibungspflichtig. Das Arzneimittel ist nützlich, wenn es darum geht, Erbrechen auszulösen. Es wurde früher auch als Hustenmittel im Anfangsstadium einer Bronchitis verwendet, doch gibt es dafür bessere Alternativen. Als Darreichungsform wird ein Sirup gewählt., z. B.: der Brechwurzelsirup (Sirupus Ipecacuanhae) aus der 6. Ausgabe des deutschen Arzneibuchs (DAB 6) oder auch der Brustsirup (Ipecacuanhae sirupus compositus, Sirupus Ipecacuanhae compositus) aus dem schweizer Arzneibuch (Ph. Helv.).

Pflanzenarten mit ähnlicher Verwendung

Auf dem Markt finden sich auch zahlreiche Ersatzmittel für die Brechwurzel:

  • „Wilde Brechwurzel“ (Euphorbia ipecacuanhae) aus Nordamerika
  • Sarcostemma glacum aus der Familie der Asclepiadaceae aus Venezuela
  • Tylophora asthmatica wird in Indien verwendet
  • „Amerikanische Brechwurzel (Gillenia stipulata)
  • Richardsonia pilosa, Richardsonia rosea, Psychotria emetica und verschiedene Arten von Ionidium

Geschichtliches und Namensgebung

Carapichea ipecacuanha wurde 1672 von einem Südamerikareisenden namens Legros nach Paris gebracht. Ein Händler namens Garnier erwarb 1680 rund 68 kg davon und berichtete dem Arzt Helvetius von ihren Qualitäten in der Behandlung der Ruhr. Helvetius erhielt von Ludwig XIV. das Alleinvertriebsrecht gewährt, verkaufte dann aber das Rezept an die französische Regierung, die es 1688 veröffentlichte.

Das Artepitheton ipecacuanha und die Trivialnamen stammen aus der Tupí-Sprache, in der i-pe-kaa-guéne so viel bedeutet wie „Pflanze vom Wegesrand, die einen krank macht“. In der Geschichte der Botanik wurde die Brechwurzel noch unter zahlreichen weiteren wissenschaftlichen Bezeichnungen geführt, u. a. als Cephaelis acuminata (Kolumbianische Brechwurzel, Cartagena- oder als Panama-Ware) und Cephaelis ipecacuanha (Brasilianische B, Rio- oder Mato Grosso-Ware), ein weiteres Synonym ist Uragoga ipecacuanha. Weitere Bezeichnungen aus der Umgangssprache lauten „Ipecac“ oder „Brasilianische Wurzel“.

Taxonomie

Die Erstveröffentlichung dieser Art erfolgte 1802 unter dem Namen (Basionym) Callicocca ipecacuanha durch Felix de Silva Avellar Brotero in Transactions of the Linnean Society of London, 6, S. 137–141, Tafel 11. Die Gattung Carapichea wurde 2002 durch Bengt Lennart Andersson in Re-establishment of Carapichea (Rubiaceae, Psychotrieae), In: Kew Bulletin, Volume 57, 2002, S. 363-374 reaktiviert, seither heißt diese Art Carapichea ipecacuanha. Weitere Synonyme für Carapichea ipecacuanha (Brot.) L.Andersson sind: Cephaelis acuminata H.Karst., Cephaelis ipecacuanha (Brot.) Tussac,Cephaelis ipecacuanha (Brot.) A.Rich., Psychotria ipecacuanha (Brot.) Stokes, Evea ipecacuanha (Brot.) Standl., Uragoga acuminata (H.Karst.) Farw., Uragoga ipecacuanha (Brot.) Baill.. [1][2]

Einzelnachweise

  1. ↑ a b Eintrag bei GRIN.
  2. ↑ Eintrag bei Tropicos.

 

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Granatapfel

Der Granatapfel oder Grenadine (Punica granatum) ist eine Pflanzenart, die heute bei weiter Fassung der Familie der Weiderichgewächse (Lythraceae) zugerechnet wird. Die aus zwei Arten bestehende Gattung Punica bildet alleine die Unterfamilie Punicoideae (Horan.) S.A.Graham, Thorne & Reveal, manche Autoren führen sie auch noch als eigene monotypische Familie Punicaceae Horan. Ihre rote Frucht wird als Obst gegessen. Die Heimat des Granatapfels liegt in West- bis Mittelasien; heute wird er unter anderem im Mittelmeerraum angebaut.

Die Bezeichnung des Granatapfels ist in vielen Sprachen auf das lateinische Wort für Kerne oder Körner, granae, bzw auf deren große Zahl (lat. granatus = körnig, kernreich) zurückzuführen. Den lateinischen Namen Punica bekam er im Römischen Reich, da die Phönizier (auch Punier genannt) diese Pflanze, zum Teil aus religiösen Gründen, verbreiteten.

Verbreitung

Das Verbreitungsgebiet des Granatapfels liegt im westlichen bis mittleren Asien; die Heimat des Baumes erstreckt sich von der Türkei über den Kaukasus (Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Südrussland) sowie Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan östlich bis nach Iran, Afghanistan und Pakistan.

Im Mittelmeerraum und im Nahen Osten, beispielsweise im Iran, in Armenien, Ägypten, Spanien, Marokko, Tunesien, Syrien, Palästina, Israel und in Anatolien, wird der Granatapfel seit Jahrhunderten kultiviert (siehe auch Gartenkunst). In Indien wird der Granatapfel auch als Gewürz angebaut. Aber auch in Fernost-Asien tritt der Granatapfel auf. In Indonesien ist er bekannt als delima.

Einige Selektionen des Granatapfels können auch in wintermilden Regionen Mitteleuropas ausgepflanzt werden. Ein Strauch blüht jährlich zum Beispiel im Vorgarten des Museums für Kunstgewerbe in Budapest.

Im Zuge des spanischen Kolonialismus gelangte der Granatapfel auch in die Karibik und nach Lateinamerika.

Beschreibung

Habitus und Blätter

Der Granatapfel wächst als sommergrüner kleiner Baum und wird oft als Strauch kultiviert; er erreicht Wuchshöhen bis zu fünf Metern, wird bis zu drei Meter breit und kann einige hundert Jahre alt werden. Die Rinde ist rotbraun bis grau. Die jungen Zweige sind oft vierkantig. Die Blattstiele sind zwei bis zehn Millimeter lang. Seine überwiegend gegenständigen, glänzenden, ledrigen Laubblätter sind etwa zwei bis zehn Zentimeter lang (je nach Sorte) und ein bis zwei Zentimeter breit. Nebenblätter fehlen.

Blüten

Im Frühjahr und Sommer trägt er an den Zweigenden große, urnen- bis glockenförmige Blüten. Die zwittrigen Blüten sind fünf- bis neunzählig mit doppelten Perianth. Ihre Farbe reicht von orangerot bis hellgelb. Es sind viele Staubblätter vorhanden.

Frucht

Die von der Form apfelähnliche, anfangs grüne, später orangerote Frucht, ist als Grenzfall einer Beere anzusehen, da das Fruchtfleisch nicht fleischig ist, allerdings auch nicht verholzt. Sie hat einen Durchmesser von bis zu etwa zehn Zentimetern und ist durchzogen von vielen Wänden. Dadurch entstehen Kammern, in denen sich zahllose bis zu 15 Millimeter große kantige Samen befinden, die jeweils umgeben sind von einem glasigen, saftig-prallen, tiefrot bis blassrosa gefärbten Samenmantel (Arillus), der auf Druck leicht zerplatzt. Insgesamt sind etwa 400 Samen in der Frucht enthalten.

Granatäpfel zeichnen sich durch einen hohen Gehalt bioaktiver Inhaltsstoffe aus. Der Granatapfel enthält größere Mengen Flavonoide wie Anthocyane und Quercetin, Polyphenole vor allem Ellagitannine wie Punicalagin sowie Phenolsäuren wie Ellagsäure und Gallussäure. Er ist reich an Kalium und enthält unter anderem Vitamin C, Calcium und Eisen. Die Früchte reifen nach der Ernte nicht nach, sie zählen zu den nichtklimakterischen Früchten.

Die fleischig ummantelten Samen kann man entweder mit den Fingern oder mit der Hilfe eines Löffels gut herauslösen und sogleich verzehren oder Süßspeisen und Eis damit dekorieren. Eine weitere Methode zum Herauslösen der Samen: Frucht horizontal halbieren, die Schale an den dünnen Häutchen einritzen und die Frucht sternförmig zerbrechen. Ferner ist es möglich, die Kerne herauszulösen, indem man eine Schüssel mit Wasser füllt, den Strunk abschneidet und den Granatapfel in der Schüssel aufbricht. Die essbaren Kerne werden zu Boden sinken, während die Schale und die weißen Häutchen auf dem Wasser schwimmen und leicht zu separieren sind. Außerdem lassen sich die Kerne durch Schlagen auf die Außenschale der halbierten Frucht (etwa mit einem Holzlöffel) lösen; hierzu bietet es sich an, die Granatapfelhälften mit der Schnittkante nach unten in eine kleine Schüssel o.ä. zu legen, damit die Kerne herausfallen können.

Nutzung

Die Früchte werden in den Monaten September bis Dezember geerntet.

Schale und Saft des Granatapfels sind seit Jahrhunderten Farbstoffe für Orientteppiche. Durch das Kochen der Frucht erhält man eine pechschwarze Tinte. Die Fruchtschale des Granatapfels wurde in Indien zum Färben von Wolle in Gelb- und Schwarztönen verwendet. Mit einem Extrakt aus der Wurzel des Granatapfelbaumes können mit Hilfe einer Eisenbeize tief dunkelblaue Farbtöne erzeugt werden.

Die Wurzel, die Rinde und die gekochte Schale wurden bis ins Mittelalter als Wurmmittel auch gegen Bandwürmer eingesetzt.

Grenadinesirup, also Sirup, der einst ausschließlich aus Granatäpfeln der Karibikinsel Grenada hergestellt wurde, gibt dem Tequila Sunrise und verschiedenen anderen Cocktails seinen fruchtigen Geschmack und seine rote Färbung.

Granatäpfel und der aus den ganzen Früchten gepresste Granatapfelsaft sind weltweit, insbesondere im Mittelmeerraum, im Nahen Osten, in den USA, in Südeuropa und seit einigen Jahren auch in Mittel- und Nord-Europa als Nahrungsmittel weit verbreitet. Durch Vergärung kann aus dem Saft auch Granatapfelwein gewonnen werden, der vor allem von Armenien und Israel exportiert wird. Er ähnelt süßlichen Dessertweinen oder Südweinen wie Portwein oder Sherry.

Granatapfelsaft wird aber auch zu medizinischen Zwecken fermentiert. Denn vor allem durch Fermentation mit lebendenden Mikroorganismen (Lebendfermentation) wird die Bioaktivität und Bioverfügbarkeit der im Granatapfel enthaltenen Polyphenole durch fermentative Vorverdauung gesteigert.[1]

Das Fruchtfleisch oder der Saft des Granatapfels werden in der feinen Küche gerne zur Verfeinerung von Wild- oder Geflügelgerichten oder in Obstsalaten verwendet.

Medizinische Bedeutung

Über 250 wissenschaftliche Studien[2] zeigen, dass der Granatapfel eine positive Wirkung bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen[3], Krebs und Arthritis[4] haben könnte. Allerdings sind die meisten Studien nur auf Versuche mit Zellkulturen oder Tieren beschränkt. Die Übertragbarkeit auf den Menschen bleibt deshalb bis jetzt oft fraglich und muss in entsprechenden Studien belegt werden. Bisher wurden sieben klinische Studien (zum Teil randomisierte Doppelblind-Studien) zur Wirkung des Granatapfelsafts veröffentlicht, und eine Phase-3-Studie mit 250 Patienten mit Prostatakrebs ist noch nicht abgeschlossen.[5][6][7][8][9][10][11][12]

Der Granatapfel verfügt, selbst im Vergleich zu Rotwein und Blaubeeren, über besonders viele und stark wirksame Polyphenole[13], welche vermutlich für die positiven gesundheitlichen Effekte verantwortlich sind. Bei Granatapfelprodukten gibt es beträchtliche Unterschiede bezüglich Qualität und Gehalt an wirksamen Polyphenolen.[14]

In einer In-Vitro-Studie konnte eine Schutzwirkung durch Granatapfelsaft vor Brustkrebszellen festgestellt werden. Sie hemmen die Bildung von körpereigenen Östrogenen und führen bei östrogenrezeptor-positiven Brustkrebszellen zu einer Wachstumshemmung von 80 Prozent - ohne das Wachstum der gesunden Zellen zu beeinträchtigen. Fermentierter Granatapfelsaft ist dabei doppelt so wirksam wie frischer Saft.[15]Auch auf Leukämiezellen wirken die Polyphenole aus fermentiertem Granatapfelsaft: Die Zellen bilden sich entweder zu gesunden Zellen zurück (Redifferenzierung) oder werden in den programmierten Zelltod (Apoptose) getrieben. Außerdem verhindern die Polyphenole, dass sich neue Blutgefäße bilden (Neoangiogenese) - das erschwert die Ausbreitung des Tumors.[16]

Auch gegen Prostatakrebs scheinen die Polyphenole aus fermentiertem Granatapfelsaft besonders wirkungsvoll zu sein, wie eine Reihe von präklinischen Studien zeigen.[17][18] In einer Studie konnten Prostatakrebs-Patienten durch den täglichen Konsum von Granatapfelsaft (570 mg Polyphenole) ihren PSA-Wert, den zentralen Biomarker bei Prostatakrebs, viermal länger konstant halten als vor der Behandlung: In der sechsjährigen Nachbeobachtungsphase stieg die PSA-Verdopplungszeit von 15,4 auf 60 Monate.[19] Nach diesem Erfolg wird die Studie nun ausgeweitet.[20] In einer Zellkultur-Studie aus dem Jahr 2008 konnte außerdem gezeigt werden, dass auch im Spätstadium des Prostatakrebses Granatapfelsaft noch einen positiven Effekt auf die Zellstruktur haben kann - die Übertragung der Ergebnisse auf den Krankheitsverlauf eines Menschen ist allerdings ohne weitere Untersuchungen nicht möglich.[21] Ähnliche positive Effekte mit hormonunabhängigem Prostatakrebs traten in Tierstudien auf.[22][23]

In einer doppelblinden, placebo-kontrollierten Studie an 45 Patienten mit koronarer Herzkrankheit erhöhte die tägliche Gabe von 240 ml des Saftes des Granatapfels die Herzmuskeldurchblutung signifikant.[24]Positive Effekte zeichneten sich auch bei einer Studie mit Patienten mit verengter Halsschlagader ab: Nach einem Jahr Granatapfelverzehr verminderten sich die Ablagerungen an der Halsschlagader um 35 %, während sie in der Kontrollgruppe deutlich zunahmen.[25]

Zuchtformen

Es ist eine Vielzahl von Formen gezüchtet worden, wobei teils die Blütenpracht, teils die Früchte das Zuchtziel darstellten.

Der Zwerggranatapfelbaum (als natürliche Zwergform Punica granatum var. nana, als Zuchtform Punica granatum 'Nana') bleibt ein kleiner Strauch und erreicht bis etwa einen Meter Wuchshöhe.

Der Granatapfel in den Religionen

Der Granatapfel ist das Symbol der syrischen Göttin Atargatis.

Griechische Mythologie

Im antiken Griechenland wurde der Granatapfel den Gottheiten der Unterwelt, Hades und Persephone, zugeschrieben. Der Unterweltgott Hades entführte Persephone ihrer Mutter Demeter und nahm sie mit in die Unterwelt. Göttervater Zeus beschloss, das Mädchen dürfe zurück zu ihrer Mutter, wenn sie in der Unterwelt nichts gegessen habe. Kurz vor ihrer Rückkehr drückte Hades sechs Granatapfelkerne in ihren Mund. Da sie nun doch etwas in der Unterwelt gegessen hatte, musste sie ein Drittel des Jahres in der Unterwelt mit Hades regieren und durfte die anderen zwei Drittel mit ihrer Mutter Demeter verbringen.

Den Streit der drei griechischen Göttinnen Hera, Athene und Aphrodite, wer die Schönste von ihnen sei, beendete der Trojaner Paris, indem er Aphrodite einen Apfel (Granatapfel) überreichte (siehe Urteil des Paris).

Erwähnung in der Bibel

Die Frucht wird auch mehrfach im Alten Testament der Bibel erwähnt. Der Granatapfel soll 613 Kerne haben, genauso viel wie das Alte Testament Gesetze enthält. Granatäpfel waren laut der Schilderung in 2 Mos 28,33f. Lut  Teil des Efods des Hohepriesters, dessen Anfertigung Gott den Israeliten befohlen

haben soll. Die abschließenden Knäufe der beiden erzernen Säulen Jachin und Boas vor dem Salomonischen Tempel wurden laut 1 Kön 7,18 Lut  von

zwei Reihen Granatäpfeln geschmückt. Der erste König Israels, Saul, wohnte nach 1 Sam 14,2 Lut  zeitweilig unter einem Granatapfelbaum. Im

Hohelied Salomos wird das Wort Granatapfel mehrere Male verwendet, um die Schönheit einer Frau zu untermalen (4,3 Lut , 4,13 Lut , 6,7 Lut ). Schließlich findet sich der Granatapfelbaum noch bei den Propheten Joel 1,12 Lut und Hag 2,19 Lut.

Erwähnung im Koran

Die Frucht wird auch im Koran erwähnt:

Das Vieh (6. Sure), 99: „Und Er ist es, Der Wasser niedersendet aus der Wolke, damit bringen Wir alle Art Wachstum hervor; mit diesem bringen Wir dann Grünes hervor, daraus Wir gereihtes Korn sprießen lassen, und aus der Dattelpalme, aus ihren Blütendolden, (sprießen) niederhängende Datteltrauben, und Gärten mit Trauben, und die Olive und den Granatapfel - einander ähnlich und unähnlich. Betrachtet ihre Frucht, wenn sie Früchte tragen, und ihr Reifen. Wahrlich, hierin sind Zeichen für Leute, die glauben.“

Das Vieh (6. Sure), 141: „Er ist es, Der Gärten wachsen lässt, mit Rebspalieren und ohne Rebspalieren, und die Dattelpalme und Getreidefelder, deren Früchte von verschiedener Art sind, und die Olive und den Granatapfel, einander ähnlich und unähnlich. Esset von ihren Früchten, wenn sie Frucht tragen, doch gebet Ihm die Gebühr davon am Tage der Ernte und überschreitet die Grenzen nicht. Wahrlich, Er liebt die Maßlosen nicht.“

Der Gnadenvolle (55. Sure), 68: „In beiden werden Früchte sein, und Datteln und Granatäpfel.“

Kulturgeschichte

Die archäologischen Überlieferungsbedingungen für Granatäpfel sind schlecht, da die Frucht meist frisch verzehrt wird und die wasserreiche Schale beim Erhitzen explosionsartig zerbirst. Wie Versuche ergeben haben, haben lediglich alte Granatäpfel mit relativ ausgetrockneter Schale die Chance, zu verkohlen und so überliefert zu werden.[26] Ein verkohlter Granatapfel wurde in den frühbronzezeitlichen Schichten des Tel es-Sa'idiyeh in Jordanien gefunden.[27]. Auf Zypern und in Ägypten wurden in der späten Bronzezeit farbige Glasgefäße in Form eines Granatapfels hergestellt.[28] Das bei Kaş in der Türkei gefundene Ulu Burun-Schiff enthielt zyprische Vorratskrüge mit über 1000 Granatapfelsamen.[29] Es ist nach den geborgenen Gefäßen in die Periode SM IIIA2 zu datieren. Granatäpfel wurden als Grabbeigabe in einer Grabkammer eines hohen ägyptischen Beamten aus der Zeit Ramses IV. gefunden. Im jordanischen Tell Deir ʿAllā im Jordantal[30] wurden Granatäpfel in eisenzeitlichen Schichten geborgen. In Deutschland ist der Granatapfel etwa im mittelalterlichen Konstanz archäologisch nachgewiesen[31].

Der Granatapfel in der Symbolik

Der Granatapfel ist seit Urzeiten ein Symbol für Leben und Fruchtbarkeit, aber auch für Macht (Reichsapfel), Blut und Tod.

In der christlichen Symbolsprache kann der Granatapfel für die Kirche als Ekklesia stehen, als Gemeinschaft der Gläubigen. Er symbolisiert auch das Enthaltensein der Schöpfung in Gottes Hand bzw. Vorsehung.[32] Er ist außerdem auch Symbol des Priesterstandes, weil er in seiner harten Schale (= Askese des Priesterstandes) reiche Frucht trägt. Aufgrund dieser Symbolik taucht der Granatapfel in zahlreichen mittelalterlichen Tafelgemälden auf. So spielt zum Beispiel auf der von Matthias Grünewald 1517/1519 geschaffenen Stuppacher Madonna das Jesuskind mit dem Granatapfel, den ihm seine Mutter reicht. Damit ist die Frucht der Schlüssel zu der mit diesem Gemälde verbundenen Aussage, dass Maria die Mutter der Kirche sei.

Der Orden der Barmherzigen Brüder hat als Emblem einen Granatapfel mit Kreuz. Zum einen wurde der Orden in der spanischen Stadt Granada gegründet, die in ihrem Wappen den Granatapfel hat. Zum anderen gilt der Granatapfel bei vielen Völkern als Symbol der Liebe, der Fruchtbarkeit und Unsterblichkeit. In der katholischen Kirche wurde der Granatapfel schon bald zu einem Symbol für Jesus.

Der Granatapfel ist auch Bestandteil der Wappen der Stadt Granada, der gleichnamigen Provinz und vieler ihrer Orte, sowie Teil des Wappens von Spanien, wo es das alte Königreich Granada nach der Übernahme durch die christlichen Herrscher Spaniens repräsentiert.

In China gilt der Granatapfel wegen seiner vielen Kerne als Symbol für Fruchtbarkeit und Kinderreichtum.

Sonstiges

Der Granatapfel gab der Granate und dem scharlachroten Halbedelstein Granat den Namen, möglicherweise auch der spanischen Stadt Granada; die umliegende Landschaft ist heute noch ein wichtiges Anbaugebiet.

Der Schriftsteller Stefan Andres veröffentlichte 1950 einen Gedichtband mit dem Titel „Der Granatapfel“.

Der Philosoph Jacques Derrida verweist in einem seiner Texte [33] auf die religiöse Symbolik des Granatapfels.

Literatur

  • Michaela Döll: Heilfrucht Granatapfel. E. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München 2008. ISBN 978-3-7766-2548-6
  • Stephanie Grabhorn: Granatapfel – Frucht der Götter. Joy-Verlag 2007, Oy-Mittelberg, ISBN 978-3-928554-63-3
  • Erika Schermaul: Früchte aus dem Paradies. Jan Thorbecke Verlag 2006, Ostfildern, ISBN 978-3-7995-3523-6
  • Der Granatapfel - wirkungsvolle Gesundheitsfrucht für Herz, Gehirn, Prostata und allgemeine Zellgesundheit Verband für ganzheitliche Gesundheitsberatung e.V., 2008. ISBN 978-3981356199
  • Navindra P. Seeram, Risa N. Schulman, David Heber: Pomegranates: Ancient Roots to Modern Medicine (Medicinal and Aromatic Plants – Industrial Profiles), CRC Press Inc; Auflage 1 (2006), ISBN 978-0-8493-9812-4
  • Jacob, LM: Chemopräventive und ernährungstherapeutische Wirkung von Polyphenolen bei Prostatakarzinom mit Schwerpunkt: Granatapfel-Polyphenole. Dr. Jacob's Institut für komplementär-medizinische Forschung, 2010. ISBN 978-3000304040
  • Aviram et al.: Pomegranate juice consumption for 3 years by patients with carotid artery stenosis reduces common carotid intima-media thickness, blood pressure and LDL oxidation . Clinical Nutrition 23 pg116 (2004), 423–433
  • Ignarro et al.: Pomegranate juice protects nitric oxide against oxidative destruction and enhances the biological actions of nitric oxide; Nitric Oxide 15 (2006) 93–102
  • Lansky, RA Newman: Punica granatum (pomegranate) and its potential for prevention and treatment of inflammation and cancer, Journal of Ethnopharmacology 109 (2007) 177–206
  • Malik et al.: Pomegranate fruit juice for chemoprevention and chemotherapy of prostate cancer; PNAS 102 (2005); 14813–14818
  • Mertens-Talcott et al.: Absorption, Metabolism and Antioxidant Effects of Pomegranate (Punica granatum L.) Polyphenols after Ingestion of Standardized Extract in Healthy Human Volunteers; J. Agric. Food Chem. 54 (2006), 8956–8961
  • Neurath et al.: Punica granatum (Pomegranate) juice provides an HIV-I entry inhibitor and candidate topical microbicide; BMC Infectious Diseases 4 (2004); 41
  • Pantuck et al.: Phase II Study of Pomegranate Juice for Men with Rising Prostate-Specific Antigen following Surgery or Radiation for Prostate Cancer, Clin Cancer Res 12 (2006), 13
  • Rosenblat, T Hayek, M Aviram: Anti-oxidative effects of pomegranate juice (PJ) consumption by diabetic patients on serum and on macrophages, Atherosclerosis 187 (2006) 363–371
  • Afaq et al.: Anthocyanin- and Hydrolyzable Tannin-Rich Pomegranate Fruit Extract Modulates MAPK and NF-kB Pathways and Inhibits Skin Tumorigenesis in CD-1 Mice. Int. J. Cancer: 113 (2005),423–433
  • Sumner et al.: Effects of Pomegranate Juice Consumption on Myocardial Perfusion in Patients With Coronary Heart Disease; Am J Cardiol 96 (2005) 810-814

Einzelnachweise

  1. ↑ http://www.xxx
  2. ↑ Auswahl an Studien durch Pressetext
  3. ↑ Aviram M, Rosenblat M, Gaitini D, et al: Pomegranate juice consumption for 3 years by patients with carotid artery stenosis reduces common carotid intima-media thickness, blood pressure and LDL oxidation. In: Clin Nutr. 23, Nr. 3, Juni 2004, S. 423–33. doi:10.1016/j.clnu.2003.10.002 . PMID 15158307.
  4. ↑ Shukla M, Gupta K, Rasheed Z, Khan KA, Haqqi TM. May (2008a) Consumption of hydrolyzable tannins-rich pomegranate extract suppresses inflammation and joint damage in rheumatoid arthritis. Nutrition. 2008 May 17,Online-Publikation vor Druck.
  5. ↑ Aviram M et al.: Pomegranate juice consumption for 3 years by patients with carotid artery stenosis reduces common carotid intima-media thickness, blood pressure and LDL oxidation. Clinical Nutrition (2004) 23: 423–433. PMID: 15158307
  6. ↑ Esmaillzadeh A et al.: Cholesterol-lowering effect of concentrated pomegranate juice consumption in type II diabetic patients with hyperlipidemia. Int J Vitam Nutr Res (2006) 76:147–151. PMID: 17048194
  7. ↑ Davidson MH et al.: Effects of consumption of pomegranate juice on carotid intima-media thickness in men and woman at moderate risk for coronary heart disease. Am J Cardiol (2009) 104:936–942. PMID: 19766760
  8. ↑ Forest CP et al.: Efficacy and safety of pomegranate juice on improvement of erectile dysfunction in male patients with mild to moderate erectile dysfunction: a randomized, placebo-controlled, double-blind, crossover study. International Journal of Impotence Research (2007) 19:564–567. PMID: 17568759
  9. ↑ Rosenblat M et al.: Antioxidative effects of pomegranate juice (PJ) consumption by diabetic patients on serum and on macrophages. Atherosclerosis. (2006) 187(2):363–371. PMID: 16226266
  10. ↑ Sumner MD et al.: Effects of pomegranate juice consumption on myocardial perfusion in patients with coronary heart disease. Am J Cardiol. (2005) 96(6):810–814. PMID: 16169367
  11. ↑ Pantuck AJ et al.: Phase II Study of Pomegranate Juice forMen with Rising Prostate-Specific Antigen following Surgery or Radiation for Prostate Cancer. Clin Cancer Res. (2006) 12;13:4018–4026. PMID: 16818701
  12. ↑ Pantuck AJ et al.: Long term follow up of phase 2 study of pomegranate juice for men with prostate cancer shows durable prolongation of PSA doubling time. The Journal of Urology (2009) 181(4):295
  13. ↑ Comparison of Antioxidant Potency of Commonly Consumed Polyphenol-Rich Beverages in the United States - Volltext pdf
  14. ↑ Fischer-Zorn M & Ara V: Granatapfelsaft – Chemische Zusammensetzung und mögliche Verfälschungen. Flüssiges Obst (2007) 08:386-393.
  15. ↑ Kim ND et al.: Chemopreventive and adjuvant therapeutic potential of pomegranate (Punica granatum) for human breast cancer. Breast Cancer Res Treat. (2002) 71(3):203-17. PMID:12002340
  16. ↑ Kawaii S & Lansky EP: Differentiation-promoting activity of pomegranate (Punica granatum) fruit extracts in HL-60 human promyelocytic leukemia cells. Journal of Medicinal Food. (2004) 7: 13–18. PMID: 15117547
  17. ↑ Lansky EP et al. Possible synergistic prostate cancer suppression by anatomically discrete pomegranate fractions. Investigational New Drugs. (2005) 7: 13–18. PMID: 15528976
  18. ↑ Lansky EP et al. Pomegranate (Punica granatum) pure chemicals show possible synergistic inhibition of human PC-3 prostate cancer cell invasion across Matrigel. Investigational New Drugs. (2005) 23: 121–122. PMID: 15744587
  19. ↑ Pantuck AJ et al.: Long term follow up of phase 2 study of pomegranate juice for men with prostate cancer shows durable prolongation of PSA doubling time. The Journal of Urology (2009) 181 (4): 295.
  20. ↑ Pantuck AJ et al. (2006) Phase II Study of Pomegranate Juice forMen with Rising Prostate-Specific Antigen following Surgery or Radiation for Prostate Cancer. Clin Cancer Res. 12;13: 4018–4026.
  21. ↑ Hong MY, Seeram NP, Heber D. May (2008). Pomegranate polyphenols down-regulate expression of androgensynthesizing genes in human prostate cancer cells overexpressing the androgen receptor. J Nutr Biochem. Epub ahead of print - PMID 18479901
  22. ↑ Malik A et al.: Pomegranate fruit juice for chemoprevention and chemotherapy of prostate cancer. Proceedings of the National Academy of Sciences USA (2005) 102: 14813–14818. PMID: 16192356
  23. ↑ Albrecht M et al.: Pomegranate extracts potently suppress proliferation, xenograft growth, and invasion of human prostate cancer cells. Journal of Medicinal Food (2004) 7: 274–283. PMID: 15383219
  24. ↑ Sumner MD et al.(2005) Effects of pomegranate juice consumption on myocardial perfusion in patients with coronary heart disease. Am J Cardiol. 96 (6): 810–814. PMID 16169367
  25. ↑ Aviram M et al.: Pomegranate juice consumption for 3 years by patients with carotid artery stenosis reduces common carotid intima-media thickness, blood pressure and LDL oxidation. Clinical Nutrition. (2004) 23: 423–433. PMID: 15158307
  26. ↑ Caroline R. Cartwright, Grapes or raisins? An early Bronze Age larder under the microscope. Antiquity 296, 2003, 347
  27. ↑ Caroline R. Cartwright, Grapes or raisins? An early Bronze Age larder under the microscope. Antiquity 296, 2003, 345-348
  28. ↑ http://www.xxx
  29. ↑ C. Bachhuber, Aegean interest on the Uluburun ship. American Journal of Archaeology 110/3, 2006, 345-363; Cheryl Haldane, Direct evidence for organic cargoes in the Late Bronze Age. World Archaeology 24/3, 1993, 335
  30. ↑ R. Neef, Planten. Opgravingen te Deir Alla in de Jordaanvallei. Leiden, Rijksmuseum van Oudheden 1989, 30-37
  31. ↑ H. Küster: Mittelalterliche Pflanzenreste aus Konstanz am Bodensee. In: U. Körber-Grohne, H. Küster (Hrsg.), Archäobotanik. Dissertationes Botanicae 133, 1989, 201-216
  32. ↑ Z.B. bei Theophilus von Antiochien, Ad Autolyticum 1, 4
  33. ↑ Jacques Derrida: Glaube und Wissen - Die beiden Quellen der „Religion“ an den Grenzen der bloßen Vernunft. In: Jacques Derrida/Gianni Vattimo (Hg.), Die Religion. Suhrkamp, Frankfurt/M. 2001, S. 9-106, hier: S. 77 und 105.
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Natriumsulfat

Natriumsulfat (Na2SO4, veraltete Bezeichnung Schwefelsaures Natron) ist ein Natriumsalz der Schwefelsäure und setzt sich aus zwei Natriumkationen (Na+) und dem Sulfatanion (SO42-) zusammen. Das Dekahydrat (Na2SO4 · 10 H2O) wird nach dem Chemiker Johann Rudolph Glauber auch Glaubersalz genannt. Auch Karlsbader Salz, das durch Eindampfen von Karlsbader Mineralwasser gewonnen wird, besteht hauptsächlich aus Natriumsulfat-Dekahydrat und wird wie Glaubersalz als Abführmittel eingesetzt.

Geschichte

Natriumsulfat wurde 1625 von dem Chemiker und Apotheker Johann Rudolph Glauber als Bestandteil von Mineralwasser entdeckt und beschrieben. Dabei beschrieb Glauber den salzigen Geschmack des Stoffes, dass es auf der Zunge schmilzt und im Gegensatz zu Salpeter nicht brennt, wenn man es in Feuer bringt. Zudem erkannte er, dass das erhaltene kristallwasserhaltige Natriumsulfat beim Erhitzen leichter wird. Auch die wichtigste medizinische Wirkung als Abführmittel erkannte Glauber schon zu dieser Zeit.[3]

Ab 1658 experimentierte Glauber mit Kochsalz und Schwefelsäure und erhielt dabei neben Salzsäure (als Spiritus salis, Geist des Salzes bezeichnet) auch Natriumsulfat, das er nun genauer untersuchen konnte. Dabei entdeckte er insgesamt 26 verschiedene mögliche medizinische Anwendungen, aber auch Anwendungen in der Alchemie und Kunst.[3]

Nach Johann Glauber wurde das Sal mirabilis später in der Regel Glaubersalz genannt.

Vorkommen

Natriumsulfat kommt in der Natur als orthorhombisch kristallisierender Thenardit (α-Na2[SO4]) bzw. als Hochtemperaturmodifikation (> 271° C) als trigonal kristallisierender Metathenardit sowie als wasserhaltiger Mirabilit (Na2[SO4] • 10H2O) vor.

Gewinnung und Darstellung

Natürlich vorkommendes Natriumsulfat wird auf Grund der Seltenheit nur selten bergmännisch abgebaut, fällt jedoch häufig als Nebenprodukt in der chemischen Industrie bei Reaktionen an, bei denen Schwefelsäure mit Natronlauge neutralisiert wird. Eine weitere Möglichkeit zur technischen Darstellung besteht in der Umsetzung von Steinsalz (NaCl) mit Schwefelsäure zwecks Gewinnung von Salzsäure mit Natriumsulfat als Nebenprodukt:

    2 NaCl + H2SO4 →Na2SO4 + 2 Hcl

    Natriumchlorid und Schwefelsäure reagieren zu Natriumsulfat und Chlorwasserstoff.

Natriumsulfat lässt sich im Labor durch folgende Reaktionen darstellen:

    Na2CO3 + H2SO4 → Na2SO4 + H2O + CO2

    Natriumcarbonat und Schwefelsäure reagieren zu Natriumsulfat, Wasser und Kohlenstoffdioxid.

    2 NaOH + H2SO4 → Na2SO4 + 2 H2O

    Bei der Neutralisation von Natronlauge mit Schwefelsäure entstehen Natriumsulfat und Wasser.

Eigenschaften

Das wasserfreie Natriumsulfat schmilzt bei 888 °C, ist hygroskopisch und gut in Wasser unter Erwärmung (Lösungswärme) löslich. Dagegen löst sich das Dekahydrat unter starker Abkühlung, bedingt durch den sogenannten Entropie-Effekt. Das Kristallwasser verlässt ab etwa 32 °C den Kristallverband, wodurch es scheint, als schmelze das Natriumsulfat, tatsächlich löst es sich aber im frei gewordenen Wasser. Aus dieser an wasserfreiem Natriumsulfat übersättigten Lösung scheidet sich das wasserfreie Salz ab.

Verwendung

Natriumsulfat wird in Waschmitteln als Füllstoff, in der Medizin als Abführmittel, bei der Zellstoffgewinnung (Sulfatverfahren) sowie in der Glas-, Textil- und Farbindustrie eingesetzt. Geglühtes, kristallwasserfreies Natriumsulfat wird im Labor zur Trocknung von organischen Lösungsmitteln verwendet. Das Natriumsulfat-Dekahydrat (Glaubersalz) wird als Abführmittel und als Latentwärmespeichermaterial verwendet.

In der Lebensmitteltechnologie dient es als Festigungsmittel, Säureregulator und Trägersubstanz. Natriumsulfat und Natriumhydrogensulfat sind in der EU als Lebensmittelzusatzstoff der Nummer E 514 ohne Höchstmengenbeschränkung (quantum satis) für Lebensmittel allgemein zugelassen.[4]

Quellen

  1. ↑ a b c d e f Eintrag zu Natriumsulfat  in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA, abgerufen am 25.4.2008 (JavaScript erforderlich)
  2. ↑ Natriumsulfat  bei ChemIDplus.
  3. ↑ a b James C. Hill: Johann Glauber's discovery of sodium sulfate - Sal Mirabile Glauberi. In: Journal of Chemical Education. 56, 1979, S. 593, doi:10.1021/ed056p593 .
  4. ↑ Natriumsulfate - Datenbank Zusatzstoffe

 

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Johann Rudolph Glauber

Johann Rudolph Glauber (* 10. März 1604 in Karlstadt; † 16. März 1670 in Amsterdam), Apotheker war ein Chemiker, der viele neue technische Verfahren zur Chemikalienherstellung (Gewinnung von Salpetersäure, Schwefelsäure, Salzsäure, Natriumsulfat (Glaubersalz)) entwickelte und als ein Begründer der frühen Chemieindustrie gilt.

Leben

Johann Rudolph Glauber wurde 1604 im fränkischen Karlstadt als Sohn eines Barbiers geboren. Seine Lebensbahn begann in einer unsicheren und kriegerischen Zeit. Er stammte aus einer kinderreichen Familie und verwaiste früh. In seiner Geburtsstadt besuchte er wahrscheinlich die Lateinschule und absolvierte eine Lehre als Apotheker. Als Einundzwanzigjähriger arbeitete er als Spiegelmacher, erkrankte an Typhus und wurde durch Quellwasser wieder gesund. Aufgrund dieser einschneidenden Lebenserfahrung beschloss er, die medizinische Heilkunst zum Wohle anderer Menschen zu erlernen. Er lebte und arbeitete unter anderem in Wien (1625), Salzburg, Gießen, Wertheim (1649-1651), Kitzingen (1651-1655), Basel, Paris, Frankfurt am Main, Köln und Amsterdam (1640-1644, 1646-1649, ab 1656). 1644 übernahm Glauber die fürstliche Hofapotheke in Gießen. Dann zog er nach Bonn und ab 1646 nach Amsterdam. Nach dem Westfälischen Frieden zog er im Jahr 1648 nach Frankfurt a. M.. Er richtete in Wertheim und Kitzingen Laboratorien ein und trieb Handel mit Weinprodukten. Er erhielt vom Kurfürsten ein Privileg der Weinessigherstellung und versuchte Heilpräparate zu verkaufen. Er verfasste eine große Zahl von Schriften, Büchern (ca. 40). Nach Streitereien verließ er 1654 Kitzingen und zog wieder nach Amsterdam. Dort hatte Glauber ein großes Labor mit sechs Mitarbeitern und einen Garten in dem er die Mineraldünger untersuchte.

Im Laufe seines Lebens trennte sich Glauber von seiner ersten Ehefrau, da sie ihm untreu gewesen war. Mit seiner zweiten Frau Helena Cornelius, die er 1641 heiratete, hatte er acht Kinder. Im Jahre 1656 ließ er sich endgültig in Amsterdam nieder. Glauber schrieb seine Bücher in lateinischer Sprache. Ich gestehe gern / dass ich niemahlen auf Hohen Schulen gewesen / auch niemahlen begert … Reuet mich also gantz nicht / dass ich von Jugentt auff die Hand in die Kohlen gestecket / und dardurch verborgen Heimblichkeiten der Natur erfahren …

Bereits seit langem (1660) litt Glauber an einer heimtückischen Krankheit, bei der es sich wohl um eine Vergiftung in Folge seiner Experimente handelte, vermutlich mit Arsen oder Quecksilber. Letztendlich musste der durch seine Krankheit zeitweilig gelähmte und erblindete Chemiker 1668 die Einrichtung seines Laboratoriums und Teile seiner Bibliothek verkaufen, um seiner Familie das Überleben zu sichern. Seit 1666 war Glauber bettlägerig und starb am 16. März 1670 in Amsterdam. In der Westerkerk von Amsterdam, seiner letzten Ruhestätte, erinnert eine Gedenktafel an sein Leben und Wirken.

Werk

Bedeutsame Erkenntnisse im Bereich der Chemie beschrieb Glauber im fünfbändiges Werk Furni novi philosophici, Amsterdam 1648 - 1650.

Wichtige Verfahren, die er entwickelt hatte, hielt er jedoch geheim und verkaufte sie nur gegen eine Vergütung an andere Nutzer.

Glauber stellte Schwefelsäure (vermutlich damals ca. 78 %ig) und schweflige Säure aus Eisen-, Zinksulfat und Alaun und glühenden Holzkohlen durch trockene, fraktionierte Destillation (die nur schwer destillierbare Schwefelsäure konnte von der leicht flüchtigen schwefligen Säure - die als Schwefeldioxid und Wasser (Spiritus volatilis vitroli) übergeht - abgetrennt werden) dar und erkannte die Gleichheit der damals noch nicht völlig geklärten destillierenden Stoffe. Durch das Verbrennen von Schwefel mit Luft erhielt Glauber vorzugsweise Schwefeldioxid, das jedoch erst im Jahr 1775 durch Joseph Priestley als Gasart aufgrund der Molekülmasse bestimmt wurde. Die Salzsäure (Spiritus Salis) ist erstmals von Glauber in größeren Mengen dargestellt worden. Er stellte die Salzsäure (vermutlich damals ca. 25% ig) aus Kochsalz oder Kochsalz und etwas Alaun durch starkes Erhitzen in glühenden Holzkohlen her. Glauber konnte auch Chlorwasserstoff und rauchende Salzsäure darstellen, die rauchende Salzsäure wurde bis ins 19. Jahrhundert als Spiritus salis fumans Glauberi bezeichnet.

Glauber fand auch eine verbesserte Herstellungsmethode für die konzentrierte Salpetersäure, wobei er von konzentrierter Schwefelsäure und Kaliumnitrat (Salpeter) ausging. Er beschrieb die Gewichtsverhältnisse (2 Gewichtsteile Salpeter, 1 Teil Oleum) der beiden Stoffe, bei der ein sehr hoher Umsatz erfolgte. Neben der Synthese von Natriumsulfat (das nach ihm benannte Glaubersalz) um 1625, das als Abführmittel diente, stellte er Ammoniumsulfat, Eisensulfat, Kupfersulfat, Eisenchlorid, Goldchlorid, Zinkchlorid, Zinnchlorid, Kupferchlorid, Arsenchlorid aus den Metallen und den entsprechenden Säuren dar. Das Glaubersalz stellte er aus Natriumchlorid (Kochsalz) und Schwefelsäure her. Glauber selbst nannte das von ihm entdeckte Salz auch ‚Sal mirabilis‘ und ‚Mirabili‘. Heute wird Natriumsulfat als Streckmittel in Waschmitteln, bei der Gewinnung von Papier und Zellstoff, bei der Glasherstellung, sowie zur Herstellung von Ultramarinblau und Natriumsulfid verwendet. Wasserfreies Natriumsulfat dient im Labor zum Trocknen von organischen Lösungsmitteln.

Durch die Einwirkung von Schwefelsäure oder Salpetersäure auf Pflanzen konnte Glauber vermutlich erstmalig Alkaloide (Morphin, Brucin, Strychnin) gewinnen. Die Stoffe konnte er als weißes Pulver isolieren. Die chemischen Elemente und die Elementaranalyse waren jedoch in dieser Zeit noch unbekannt, so dass nur die Arbeitsbeschreibungen von Glauber Hinweise auf mögliche Stoffe geben können.

Durch fraktionierte Destillation von Salzen der Essigsäure erhielt Glauber wohl auch Aceton und Acrolein. Aus der Destillation von Steinkohle gewann er möglicherweise Benzol und Phenol. Für die letztere Substanz gab er eine antiseptische Wirkung an.

 Glauber gelang die Synthese verschiedener Metallchloride, zum Beispiel Antimontrichlorid, Zinntetrachlorid, Zinkchlorid und Arsen(III)-chlorid). Ferner entdeckte und beschrieb er 1646 einen chemischen Garten.[1] In diesem ersten Experiment brachte er Eisen(II)chlorid-Kristalle in eine Lösung von Kaliumsilikat (K2SiO3, Wasserglas) ein.

Glaubers wissenschaftliche Schriften (er verfasste etwa 40 Bücher) sowie die Herstellung von chemischen und pharmazeutischen Produkten bescherten ihm großen geschäftlichen Erfolg und eine beachtliche fachliche Reputation. In einem Buch beschrieb er auch Möglichkeiten zum Wohlstand in Deutschland (Des Teutschlands Wohlfarth). Glauber entwickelte neue verbesserte Öfen und wirksamere Destillationsanlagen, Rührwerke, Glastrichter und Glasstöpsel für Säuren, Scheidegläser zum Trennen zweier Flüssigkeiten, Verschlüsse (aus Quecksilber) für sehr flüchtige Stoffe. Glauber wird auch als erster "industrieller Chemiker" bezeichnet und als erster Chemiker, welcher von seinem Beruf leben konnte.

Schriften (Auswahl)

  • Dess Teutschlands Wohlfahrt (wichtigstes Werk), 6 Bde. 1656-1661
  • Operis mineralis Oder Vieler künstlichen und nutzlichen metallischen Arbeiten Beschreibung, 3 Bde. 1651-1652
  • Opera omnia (gesammelte Werke), 7 Tle. 1669
  • De Auri Tinctura sive Auro Potabili Vero: Was solche sey/ vnnd wie dieselbe von einem falschen vnd Sophistischen Auro Potabili zu vnterscheiden vnd zu erkennen … wozu solche in Medicina könne gebraucht werden. Beschrieben vnd an Tag gegeben Durch Joh. Rud. Glauberum 1646
  • Furni Novi Philosophici Oder Beschreibung einer New-erfundenen Distilir-Kunst: Auch was für Spiritus, Olea, Flores, und andere dergleichen Vegetabilische/ Animalische/ und Mineralische Medicamenten/ damit … können zugericht und bereytet werden, 2 Tle. 1646-1647
  • Miraculum Mundi, oder Außführliche Beschreibung der wunderbaren Natur/ Art/ vnd Eigenschafft/ deß Großmächtigen Subiecti: Von den Alten Menstruum Vniversale oder Mercurius Philosophorum genandt. . - an Tag geben/ vnd jetzo auff das newe corrigiret vnd verbesert Durch Iohann Rudolph Glaubern, 7 Tle. 1653-1658
  • Johann Rudolf Glauberi Apologia oder Verthaidigung gegen Christoff Farners Lügen und Ehrabschneidung, 2 Tle. 1655
  • Zweyte Apologia, oder Ehrenrettung gegen Christoff Farnern, Speyerischen Thom-Stiffts Schaffnern zu Löchgaw, unmenschliche Lügen und Ehrabschneidung 1656
  • Tractatus De Medicina Universali, Sive Auro Potabili Vero. Oder Außführliche Beschreibung einer wahren Universal Medicin: wie auch deroselben Wunderbahrlichen grossen Krafft und Wirckung. . - Der jetzigen blinden Welt … wolmeinend beschrieben und an Tag gegeben Durch Johan. Rudolph. Glauber, 2 Tle. 1657
  • Tractatus de natura salium, 2 Tle. 1658-1659
  • Tractatus de signatura salium, metallorum, et planetarum, sive fundamentalis institutio, evident. monstrans, quo pacto facillime non solum salium, metall., atque planetarum … supputari queant (1658)
    • Ausgabe von 1703: Digitalisierte Ausgabe  der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf
  • Opera chymica: Bücher und Schrifften, so viel deren von ihme bißhero an Tag gegeben worden; jetzo vom neuen übersehen und vermehret (gesammelte Schriften), 2 Tle. 1658-1659 - Digitalisierte Ausgabe
  • Explicatio oder Außlegung über die Wohrten Salomonis: In herbis, verbis, et lapidibus, magna est virtus, 2 Tle. 1663-1664
  • Libellus dialogorum, sive colloquia, nonnullorum Hermeticae medicinae, ac tincturae universalis 1663
  • Novum lumen chimicum: oder e. new-erfundenen u.d. Weldt noch niemahlen bekand-gemachten hohen Secreti Offenbarung 1664
  • Von den dreyen Anfangen der Metallen, alß Schwefel, Mercurio und Salz der Weisen 1666
  • Tractatus de tribus principiis metallorum, videlicet sulphure, mercurio et sale philosophorum, quemadmodzum illa in medicina, alchymia aliisque artibus associatis utiliter adhiberi valeant 1667
  • Glauberus Concentratus Oder Laboratorium Glauberianum: Darinn die Specification, vnd Taxation dehren Medicinalischen/ vnd Chymischen Arcanitäten begriffen; Sambt Aller dehren künstlichen Oefen vnd Instrumenten … Durch Den Authorem … obgedachter Raritäten … an tag gegeben 1668
  • De Elia artista 1667
  • De tribus lapidibus ignium secretorum: Oder von den drey Alleredelsten Gesteinen 1667
    • Digitalisierte Ausgabe von 1703
  • De lapide animali 1669
  • Libellus ignium: Oder Feuer-Buechlein, Darinnen von unterschiedlichen frembden und biß Dato noch gantz unbekandten Feuern gehandelt: Wozu sie dienen und was für unglaubliche Dinge und unaußsprechlicher Nutzen dem Menschlichen Geschlecht dadurch kommen und zu wegen gebracht werden koenne. Zu Gottes Ehre und Dienst deß Nechsten wolmeinend beschrieben und an Tag gegeben durch Joh. Rudoph. Glauberum 1663
    • Digitalisierte Ausgabe von 1703  der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf

Einzelnachweise

  1. ↑ Johann Rudolf Glauber, Furni Novi Philosophici. Amsterdam, 1646

Literatur (Auswahl)

  • Albert Ladenburg: Glauber, Johann Rudolph. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 9, Duncker & Humblot, Leipzig 1879, S. 221 f.
  • Kurt F. Gugel: Johann Rudolph Glauber, Leben und Werk. Würzburg 1955
  • Erich Pietsch: Glauber, Johann Rudolph . In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 6, Duncker & Humblot, Berlin 1964, S. 437 f.
  • Erich Pietsch: Johann Rudolph Glauber, der Mensch, sein Werk und seine Zeit, in: Deutsches Museum 24 (1956), S. 1-64
  • Paul Walden: Glauber, in: Günther Bugge (Hrsg.). Das Buch der großen Chemiker, Band I. Weinheim 1974, S. 151-172
  • Ernst F. Schwenk: Sal mirabilis Glauberi in: Sternstunden der frühen Chemie. München 2000, S. 13-22
  • Heinz Eschnauer, Georg Schwedt: Historisches Weinbuch von Johann Rudolph Glauber anno 1645. Clausthal-Zellerfeld 2006
  • Georg Lockemann: Geschichte der Chemie, Band 1, Walter de Gruyter Verlag 1950, S. 72 - 77

Werk- und Literaturverzeichnis

  • Gerhard Dünnhaupt: "Johann Rudolph Glauber", in: Personalbibliographien zu den Drucken des Barock, Bd. 3. Stuttgart: Hiersemann 1991, S. 1622-52. ISBN 3-7772-9105-6

 

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Robert-Koch-Institut

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Das Robert-Koch-Institut (Abkürzung: RKI) (in eigener Schreibweise: Robert Koch-Institut oder im Logo Robert Koch Institut) ist ein Bundesinstitut für Infektionskrankheiten und nicht übertragbare Krankheiten in Berlin und eine zentrale Überwachungs- und Forschungseinrichtung der Bundesrepublik Deutschland. Es ist dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) direkt unterstellt.

Aufgaben

Der dem Robert-Koch-Institut erteilte Auftrag umfasst sowohl die Beobachtung des Auftretens von Krankheiten und relevanter Gesundheitsgefahren in der Bevölkerung als auch das Ableiten und wissenschaftliche Begründen der erforderlichen Maßnahmen zum wirkungsvollen Schutz der Gesundheit der Bevölkerung. Dazu gehört auch die Entwicklung erforderlicher diagnostischer, experimenteller oder epidemiologischer Methoden, die nicht anderweitig verfügbar sind, sowie die Bewertung gentechnischer Arbeiten und umweltmedizinischer Einflüsse und Methoden.

Rechtsgrundlage des RKI ist § 2  des Gesetzes über Nachfolgeeinrichtungen des

Bundesgesundheitsamtes vom 24. Juni 1994. Demnach wird es insbesondere auf folgenden Gebieten tätig:

  1. Erkennung, Verhütung und Bekämpfung von übertragbaren und nicht übertragbaren Krankheiten,
  2. epidemiologische Untersuchungen auf dem Gebiet der übertragbaren und nicht übertragbaren Krankheiten einschließlich der Erkennung und Bewertung von Risiken sowie der Dokumentation und Information,
  3. Sammlung und Bewertung von Erkenntnissen und Erfahrungen zu HIV-Infektionen und AIDS-Erkrankungen einschließlich der gesellschaftlichen und sozialen Folgen,
  4. Gesundheitsberichterstattung,
  5. Risikoerfassung und -bewertung bei gentechnisch veränderten Organismen und Produkten, Humangenetik,
  6. gesundheitliche Fragen des Transports ansteckungsgefährlicher Stoffe,
  7. gesundheitliche Fragen des Transports gentechnisch veränderter Organismen und Produkte.

Weitere Aufgaben sind dem RKI durch § 4  des Infektionsschutzgesetzes vom 20. Juli 2000 übertragen.

Im Rahmen seiner Aufgabe der kontinuierlichen Beobachtung (Gesundheitsmonitoring) veranstaltete das RKI 2009 die telefonische Umfrage „Gesundheit in Deutschland Aktuell“ (GEDA) bei 21.000 Angerufenen als Ergänzung der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS) und der Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS).[2]

Das Robert-Koch-Institut ist

  • die zentrale Forschungs- und Referenzeinrichtung des BMG auf dem Gebiet der biomedizinischen Wissenschaften, insbesondere der Infektionskrankheiten,
  • die zentrale Einrichtung des BMG für die maßnahmeorientierte Analyse gesundheitsbezogener Daten,
  • die Referenzeinrichtung des BMG für Qualitätskriterien und Verfahrensstandards in der Gentechnologie und der Umweltmedizin,
  • die zentrale Einrichtung des BMG im Bereich des Öffentlichen (staatlichen) Gesundheitsdienstes.

Geschichte

Das RKI wurde 1891 als wissenschaftliche Abteilung des Königlich Preußischen Instituts für Infektionskrankheiten gegründet. Robert Koch leitete das Institut bis 1904. Ein Neubau des Forschungsinstituts in Berlin-Wedding wurde 1900 neben dem Neubau der Klinischen Abteilung im Rudolf-Virchow-Krankenhaus bezogen. Dort ist seitdem der Hauptsitz des Robert-Koch-Instituts.

Das Preußische Institut wurde 1935 zunächst dem Reichsgesundheitsamt angegliedert und 1942 Reichsanstalt. Einzelne Mitarbeiter des Instituts beteiligten sich an den inhumanen Menschenversuchen in Konzentrationslagern, andere hatten vergleichbar wichtige Positionen im (wehrwissenschaftlich orientierten) Wissenschaftssystem des Dritten Reiches wie andere medizinische Einrichtungen dieser Zeit inne.

Ab 1952 war das RKI Teil des neu gegründeten Bundesgesundheitsamtes, bis dieses 1994 wieder aufgegliedert wurde. Im Zuge der deutschen Wiedervereinigung wurden dem RKI 1991 mehrere ehemalige DDR-Behörden angegliedert.

Struktur und Leitung

Reinhard Kurth schied nach dem Erreichen der Altersgrenze zum 30. November 2007 aus und leitete das Institut noch bis zur Amtsübergabe an seinen Nachfolger kommissarisch.

Die Amtsübergabe an Jörg Hacker erfolgte am 29. Februar 2008 im RKI durch Ulla Schmidt, damalige Bundesministerin für Gesundheit. Jörg Hacker schied zum 28. Februar 2010 aus; kommissarischer Leiter wurde der Vizepräsident des Instituts Reinhard Burger.

Burger wurde am 19. August 2010 in einer Feierstunde vom Bundesminister für Gesundheit (Philipp Rösler) in sein Amt eingeführt.[3]

Das RKI gliedert sich in folgende Abteilungen:

  • Abteilung für Infektionskrankheiten
  • Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsberichterstattung
  • Abteilung für Infektionsepidemiologie
  • Zentrum Biologische Sicherheit
  • Zentrum Gentechnologie
  • Projektgruppen Infektionsbiologie und Epidemiologie
  • Leitungsbereich und Zentrale Verwaltung
  • Referat Rechtsangelegenheiten
  • Presse, Öffentlichkeitsarbeit, Bibliotheken
  • Forschungsangelegenheiten und Koordination

Literatur

  • Annette Hinz-Wessels: Das Robert-Koch-Institut im Nationalsozialismus. Kadmos, Berlin 2008, ISBN 978-3-86599-073-0.
  • zum Standort Berlin, General-Pape-Str.: Robert-Koch-Institut (Hrsg.): Verfolgte Ärzte im Nationalsozialismus. Dokumentation zur Ausstellung über das SA-Gefängnis General-Pape Straße. Robert-Koch-Institut, Berlin 1999, ISBN 3-89606-030-9.

Einzelnachweise

  1. ↑ a b c Das Robert-Koch-Institut im Überblick
  2. ↑ GEDA: Neue Daten zur Gesundheit in Deutschland. In: Medizinprodukte Journal, Jahrgang 18, Heft 1, 2011, S. 56
  3. ↑ Pressemitteilung 19. August 2010  vom Bundesministerium für Gesundheit

 

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Irrigator

Ein Irrigator ist in der Medizin ein Flüssigkeitsbehälter für hohe Einläufe (Darmspülungen), Scheidenduschen und ähnliche Anwendungen. Durch die Ausnutzung der Schwerkraft kann die Flüssigkeit mit einem kontrollierten Druck und einer regelbaren Fließgeschwindigkeit aus dem Irrigator in den Unterleib des Anwenders einfließen.

Es gibt becherartige Irrigatoren aus festem Material, die oben offen sind, und beutelartige Irrigatoren aus Gummi, die vom Aussehen her Wärmflaschen ähneln. Das Fassungsvolumen liegt gewöhnlich zwischen einem und zwei Litern. Zur Anwendung wird der Irrigator mit der vorbereiteten temperierten Flüssigkeitsmenge gefüllt und der Schlauch angesteckt. Dann wird der Irrigator zwischen 30 cm und 1 m oberhalb des Patienten aufgehängt und der Verschlusshahn geöffnet, so dass sich der Schlauch ganz mit Flüssigkeit füllt und keine Luft mehr enthält. Anschließend wird bei Einläufen das Darmrohr in den Anus eingeführt und der Verschlusshahn geöffnet, so dass die Flüssigkeit in den Darm einfließt. Die Einflussgeschwindigkeit kann jederzeit durch Höher- oder Niedrigerhängen des Irrigators geregelt werden.

Neben der Irrigatoren, die ausschließlich mittels Schwerkraft funktionieren, gibt es auch Irrigatorpumpen. Diese bestehen aus einer elastischen, manuell verformbaren Flasche, einem Ventilsystem und einem Darmrohr. Aus dieser Kombination ergibt sich eine mechanische Pumpe, mit deren Hilfe sich auf einfache Weise Flüssigkeit transportieren lässt. Durch manuellen Druck auf die Flasche wird das Wasser in den Enddarm gepumpt. Die Pumpe kann aber auch durch die Schwerkraft aktiviert werden, indem die Flasche auf höherer Lage gehalten wird. Das Gerät weist den Vorteil auf, dass der Anwender die Flüssigkeitsmenge wie auch den zeitlichen Verlauf des Einlaufs entsprechend seinem subjektiven Empfinden selbst steuern kann. Ein Rückschlagventil verhindert zudem den Rücklauf von Spülflüssigkeit, die mit Stuhlpartikeln kontaminiert ist, so dass die Flasche vor Verunreinigung geschützt ist.

Als Flüssigkeit für den Einlauf verwendet man warmes Wasser, manchmal auch Kamillentee. Bisweilen wird auch Heilerde zugesetzt.

 

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Tannine

Die Tannine (von franz. tanin Gerbstoff; auch bekannt als kondensierte Proanthocyanidine) sind pflanzliche Gerbstoffe, die in dikotylen Stauden, Sträuchern und Baumblättern und anderen Pflanzenteilen besonders der Tropen und Subtropen weit verbreitet sind und von Pflanzen fressenden Säugetieren aufgenommen werden. Diese Verbindungen (C76H52O46) haben ein molekulares Gewicht von 500-3000 kDa.

Tannine gehören zu den so genannten quantitativen pflanzlichen Sekundärstoffen. Sie haben im Gegensatz zu qualitativen Wirkstoffen (Alkaloiden) ein weiteres Abwehrspektrum gegen Pflanzenfresser (Herbivore), da sie wahrscheinlich hauptsächlich die Verdauung beeinflussen, indem sie Proteine deaktivieren.

Zusammensetzung und Eigenschaften

Chemisch gesehen handelt es sich um Polyhydroxyphenole. Sie sind in Wasser, Ethanol und Aceton löslich und enthalten ausreichend phenolische ortho-Di-Hydroxygruppen, um Quervernetzungen zwischen Makromolekülen wie Proteinen, Cellulose und Pektin ausbilden zu können. Solche Vernetzungen können die Aktivität von Pflanzenenzymen und -organellen hemmen und sorgen in der Lederherstellung für Haltbarkeit und Schutz vor Mikroorganismen (Gerben).

Die pflanzlichen Tannine variieren deutlich in ihrer chemischen Struktur und biologischen Aktivität. Tannine mit starken Absorptionseigenschaften sind im Allgemeinen in den Vakuolen zu finden, separiert vom Protoplasma der Pflanzen. Die physiologische Aktivität resultiert aus der selektiven Bindefähigkeit der Tannine zu Proteinen, besonders zu großen und prolinreichen Molekülen mit offener Konformation.

Tannine werden aufgrund ihrer chemischen Eigenschaften in zwei Gruppen aufgeteilt

  1. hydrolysierbare und
  2. kondensierte Tannine.

Erstere können zu Glucose, andere mehrwertige Alkohole, Gallussäure oder Ellagsäure hydrolysiert werden. Als Beispiel für ein hydrolysierbares Tannin steht das Corilagin. Kondensiertes Tannin besteht aus miteinander polymerisierten flavonoiden Phenolen wie Catechin, Epicatechin, Anthocyane usw. Sie sind entsprechend Polymere, deren monomere Einheiten aus phenolischen Flavanen bestehen, meist Catechin (Flavan-3-ol).

Vorkommen

Tannine gehören zu den Anti-Nährstoffen, mit denen sich verschiedene nährstoffreiche Pflanzen, die auch in der menschlichen Ernährung verwendet werden (Leguminosen wie Limabohnen), vor Fressfeinden schützen.[1][2]

Man findet sie im Holz und der Rinde von Eichen, Birken und Kastanien, in der Fruchthülle der Walnuss, in den Hülsen des Divi-Divi-Baums (Caesalpinia coriaria), in Sumachgewächsen, in der Frucht des Kaki-Baums, Myrobalanen, Trillo, Valonea, Blutwurz, in Weintrauben sowie in Pflanzengallen. Diese Stoffe werden außerdem von Akazien wie der Verek-Akazie produziert, um potenzielle Fressfeinde abzuschrecken. Monomere Gruppen der Tannine sind auch im Hopfen sowie in schwarzem und grünem Tee enthalten. Im Tee zum Beispiel das Catechin.

Tannine in Lebensmitteln

Wein

Der Gehalt an Tanninen und ihre Struktur sind ein ausschlaggebender Faktor für die Qualität eines Weines. Teils wird irrtümlich angenommen, dass Rotweine abhängig vom Tanningehalt länger oder weniger lang haltbar seien. Tannin verhindert zwar die Oxidation des Weines, was heutzutage aber auch durch Zugabe von Kaliumdisulfit (Kaliumpyrosulfit) erreicht werden kann. Es verleiht dem Wein eine charakteristisch rauhe Note von Trockenheit, die sogenannte Adstringenz. Tannin wird auch aus Eichenfässern auf Wein übertragen (Barrique), wenn diese nicht weingrün gemacht wurden. Jedoch fördert die Sauerstoffzufuhr auch die Polymerisation mit Anthocyanen, so dass der Tanningehalt des Weines nach dem Barrique-Ausbau meist geringer ist als vorher. Der Tanningehalt eines Weines entscheidet weniger über die Lagerfähigkeit, als vielmehr über dessen Lagerbedürftigkeit: Im Laufe der Flaschenreife polymerisieren die Tannine mit Anthocyanen zu nicht adstringierend wirkenden, langkettigen Molekülen. Die Adstringenz des Weines geht dabei stetig zurück, wodurch sich der Wein angenehmer trinken lässt. Voraussetzung dafür ist das Vorhandensein einer ausreichenden Konzentration von Anthocyanen (Farbstoffen).

Die Önologie kennt heute über 30 verschiedene Tannine. Manche sind für die Qualität des Weines von Bedeutung, andere werden als ungünstig eingestuft. Grundsätzlich spielen Tannine bei Rotweinen eine größere Rolle als bei Weißweinen, da mit den Farbstoffen immer auch Gerbstoffe aus den Beerenhäuten extrahiert werden. Späte Weinlese und hohe physiologische Reife sorgen für reifere und als weich empfundene Tannine. Unreife Gerbstoffe hingegen schmecken grün, aggressiv und pelzig.

Tee

Schwarzer und mehr noch Grüner Tee enthalten ebenfalls Tannine, was deren herben Geschmack erklärt. Die Tannine werden erst nach einer gewissen Ziehzeit (mehr als zwei Minuten) freigesetzt.

Gesundheitliche Auswirkungen

  • Blähende und stopfende Wirkung
  • Behinderung der Resorption bestimmter Arzneistoffe (wie Digitalis) durch die Darmschleimhaut
  • Behinderung der Resorption von Eisen

Verwendung

Die technische Hauptverwendung der Tannine liegt in der Ledererzeugung (Gerberei), wo sie als Gerbstoffe zur Vernetzung der Kollagenmoleküle und damit zur Erhöhung der Haltbarkeit und dem Schutz vor Mikroorganismen eingesetzt werden. Tannine werden weiterhin als Rostumwandler eingesetzt, wobei die Wasserlöslichkeit und Umweltverträglichkeit gegenüber anderen Wirkstoffen vorteilhaft ist. In der chemischen Industrie werden Tannine zur Gewinnung von Gallussäure und Pyrogallol genutzt.[3]

Durch Kondensation mit geeigneten Vernetzungsmitteln (beispielsweise Formaldehyd) zu hochmolekularen Kondensationsprodukten lassen sich Bindemittel zur Verklebung von Holzwerkstoffen herstellen. Diese Bindemittel konnten sich jedoch technisch und wirtschaftlich gegenüber den Aminoplasten bislang nicht durchsetzen.

Als ausgeprägte Antioxidantien finden sie als Nahrungsergänzungsmittel Verwendung und werden auch zur Lebensmittelkonservierung eingesetzt. Sie wirken zudem antiviral und antibakteriell

In der Medizin werden Tannine wegen ihrer adstringierenden Wirkung als Hämostatikum, als Antiseptikum oder zur Behandlung des übermäßigen Speichelflusses (Sialorrhoe) verwendet.[4] In der Volksmedizin wird zudem die auswurffördernde Wirkung genutzt, durch Eichenrinde in Europa (für Bäder) und die Rinde der Verek-Akazie in Afrika.

Einzelnachweise

  1. ↑ Adeparusi Effect of processing on the nutrients and anti-nutrients of lima bean (Phaseolus lunatus L.) flour; PMID 11379294
  2. ↑ Antinutritive Inhaltsstoffe in Leguminosensamen
  3. ↑ Stichwort Tannins In: Hans Zoebelein (Hrsg.): Dictionary of Renewable Ressources. 2. Auflage, Wiley-VCH, Weinheim und New York 1996; Seite 300. ISBN 3-527-30114-3.
  4. ↑ Naumann. et al.; Oto- Rhino- Larygologie in Klinik und Praxis. Band 2, S. 414, Stuttgart 1992

 

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Bursera simaruba

Bursera simaruba, der Weißgummibaum oder Amerikanische Balsam, ist eine Pflanzenart, die zur Familie der Balsambaumgewächse (Burseraceae) gehört.

Beschreibung

Es ist ein laubabwerfender, mittelgroßer Baum, der Wuchshöhen von 6 bis 15 m und Stammdurchmesser von bis zu 90 cm erreicht. Der Stamm ist mit einer rötlichen, abblätternden Borke bedeckt. Die Äste sind lang und unregelmäßig und bilden eine runde Krone. Die gefiederten Laubblätter sind 10 bis 20 cm lang und bestehen aus drei bis sieben oder auch mehr ovale bzw. elliptische Blättchen von 2 bis 5 cm. Der Weißgummibaum verliert im Frühjahr seine Blätter kurz bevor die neuen Blätter erscheinen.

Er blüht im Winter in traubigen Blütenständen. Die wenig auffallenden Blüten besitzen aus drei bis fünf grünliche Kronblätter[1]. Die Art kommt in Florida, Mexiko, Mittelamerika, der Karibik, in Guyana, Venezuela, Brasilien und Kolumbien vor[2]. Er liefert das Gomartharz, das zur Herstellung von Firnissen verwendet wird. In Mittelamerika findet das Gomartharz Gebrauch in der Volksheilkunde.

Einzelnachweise

  1. ↑ floridata.com: Bursera simaruba  (englisch)
  2. ↑ GRIN

 

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Karl von Reichenbach

Carl (Karl) Ludwig von Reichenbach (* 12. Februar 1788 in Stuttgart; † 19. Januar 1869 in Leipzig) war ein Industrieller, Chemiker, Naturforscher, Philosoph und Freiherr.

Leben und Werk

Während seiner Studienzeit gründete Carl Ludwig Reichenbach 1806 in Tübingen eine Geheimgesellschaft zur Errichtung einer Kolonie auf Tahiti (Otaheiti) in der Südsee (Otaheiti-Gesellschaft). Ende 1808 wurde die Gesellschaft von der Polizei entdeckt und die meisten ihrer Mitglieder wegen des Verdachts auf Hochverrat verhaftet. Reichenbach wurde für einige Zeit auf dem Hohenasperg inhaftiert.

Nach dem Studium der Naturwissenschaften in Tübingen arbeitete er für die Eisenhammerwerke im badischen Hausach. Dort entwickelte und vermarktete er neuartige Öfen für die Holzverkohlung. Nach seiner Promotion siedelte er ins mährische Blansko über, um für den Grafen Salm in dessen Eisenhüttenwerken zu arbeiten. Während dieser Tätigkeit beschäftigte er sich mit den Bestandteilen des Holzteers. Dabei entdeckte von Reichenbach 1830 das Paraffin und 1832 das Kreosot, ein antiseptisches Phenolgemisch. Diese Entdeckungen brachten ihm bald ein beachtliches Vermögen ein und führten 1839 zu seiner Adelung als Freiherr.

Am 15. November 1833 ging in Blansko ein Meteorit nieder. Dieses Ereignis faszinierte von Reichenbach derart, dass er seine Arbeiter tagelang suchen ließ, bis der Meteorit gefunden wurde. In der Folgezeit nutzte er sein Vermögen auch dazu, eine bedeutende Meteoritensammlung anzulegen. Die Begriffe Kamacit, Taenit und Plessit für Bestandteile von Eisenmeteoriten gehen auf ihn zurück. 1869 schenkte er seine Kollektion der Mineralogischen Schau- und Lehrsammlung in Tübingen, wo sie heute noch zu begutachten ist.

1835 erwarb Reichenbach das Schloss Cobenzl bei Wien. Durch seine im Schloss durchgeführten Experimente erhielt er von den Wienern den Beinamen „Zauberer vom Cobenzl“.

Für seine Frau Friederike Louise geb. Erhard kaufte Reichenbach die um 1831 entstandene Liebesvase des Bildhauers Friedrich Distelbarth. Nach deren Tod 1835 schenkte er die Monumentalvase der Stadt Stuttgart, die ihn daraufhin 1836 zum Ehrenbürger ernannte.

Ab 1841 widmete sich von Reichenbach der Untersuchung wissenschaftlicher Grenzgebiete. Im Zentrum dieser Untersuchungen stand die von ihm postulierte Lebenskraft Od (von Odin). Od ist nach ihm eine dem Magnetismus ähnliche Kraft. In seinen Studien behauptete von Reichenbach, dass besonders begabte Menschen, er nannte sie Sensitive, in dunklen Räumen schwache Lichterscheinungen bei Magneten wahrnehmen können. Die Nähe zum Mesmerismus und die Tatsache, dass andere Forscher (unter ihnen Jöns Jakob Berzelius und Gustav Theodor Fechner) Reichenbachs Experimente nicht wiederholen konnten, brachte ihm herbe Kritik ein und ließ ihn in seinen letzten Jahren zunehmend verbittern.

1911 wurde die Reichenbachgasse in Wien-Favoriten nach ihm benannt.

Literatur

  • Literatur von und über Karl von Reichenbach  im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek

Werke

  • Karl von Reichenbach: Das Kreosot: ein neuentdeckter Bestandtheil des gemeinen Rauches, des Holzessigs und aller Arten von Theer 1833
  • Karl von Reichenbach: Geologische Mitteilungen aus Mähren Wien, 1834
  • Karl von Reichenbach: Physikalisch-physiologische Untersuchungen über die Dynamide des Magnetismus, der Elektrizität, der Wärme, des Lichtes, der Krystallisation, des Chemismus in ihren Beziehungen zur Lebenskraft (Band 1 + Band 2 ) Braunschweig, 1850
  • Karl von Reichenbach: Odisch-magnetische Briefe  Stuttgart 1852, 1856; Ulm 1955
  • Karl von Reichenbach: Der sensitive Mensch und sein Verhalten zum Ode Stuttgart und Tübingen (Band 1  1854 + Band 2 1855)
  • Karl von Reichenbach: Köhlerglaube und Afterweisheit: Dem Herrn C. Vogt in Genf zur Antwort  Wien, 1855
  • Freiherr von Reichenbach: Wer ist sensitiv, wer nicht  Wien, 1856
  • Freiherr von Reichenbach: Odische Erwiederungen an die Herren Professoren Fortlage, Schleiden, Fechner und Hofrath Carus  Wien, 1856
  • Karl von Reichenbach: Die Pflanzenwelt in ihren Beziehungen zur Sensitivität und zum Ode  Wien, 1858
  • Karl von Reichenbach: Odische Begebenheiten zu Berlin in den Jahren 1861 und 1862  Berlin, 1862
  • Karl von Reichenbach: Aphorismen über Sensitivität und Od  Wien, 1866
  • Karl von Reichenbach: Die odische Lohe und einige Bewegungserscheinungen als neuentdeckte Formen des odischen Princips in der Natur  Wien, 1867

Sekundärliteratur

  • Engisch, Helmut: Der Traum von Otaheiti und vom Od. In: Ders., Der schwäbische Büffelkönig und die Löwenmadam, 1998, S. 145–163
  • Erdbeer, Robert Matthias: Epistemisches Prekariat: Die qualitas occulta Reichenbachs und Fechners Traum vom Od, in Rupnow et al, Pseudowissenschaft, Suhrkamp 2008, ISBN 978-3-518-29497-0
  • Reichenbach, Karl Ludwig von , in Constantin von Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich, 25. Band, S. 169ff., Wien 1868.

 

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Kreosot

Kreosot ist eine Mischung aus Guajacol und Kresolen, die durch die Destillation von Kohlenteer gewonnen wird. Es wird als Holzschutzmittel eingesetzt.[1] Da einige der Stoffe krebserzeugend sind, ist die Abgabe von Kreosot und damit behandelten Holzes seit dem 30. Juni 2003 verboten (Richtlinie der EU-Kommission). Allerdings darf Kreosot im Rahmen industrieller Verfahren, z. B. zur Behandlung von Bahnschwellen und Telefonmasten, Baumstützen für die Landwirtschaft und Rebpfählen, eingesetzt werden. Nach einem Beschluss zur Änderung der Richtlinie vom Juli 2011 wird ab 2013 jedoch auch die industrielle Verwendung mit strengeren Auflagen versehen. Sie wird dann nur noch möglich sein, wenn eine Ausnahmegenehmigung erteilt wird. Die Mitgliedsstaaten dürfen Kreosot im Ausnahmefall genehmigen wenn keine weniger umweltschädliche Variante zur Verfügung steht. [2]

Der Geruch des Mittels gab dem Kreosotbusch seinen Namen.

Einzelnachweise

  1. ↑ Otto-Albrecht Neumüller (Herausgeber): Römpps Chemie Lexikon, Frank'sche Verlagshandlung, Stuttgart, 1983, 8. Auflage, S. 2235, ISBN 3-440-04513-7.
  2. ↑ Verschärfte Auflagen für krebserregendes Holzschutzmittel Kreosot  Europa vor Ort, 27. Juli 2011.

 

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Kresole

Die Kresole (auch Hydroxytoluole bzw. Methylphenole) bilden in der Chemie eine Stoffgruppe aromatischer Verbindungen, die sich sowohl vom Phenol als auch vom Toluol ableitet. Die Struktur besteht aus einem Benzolring mit angefügter Hydroxy- (–OH) und Methylgruppe (–CH3) als Substituenten. Durch deren unterschiedliche Anordnung ergeben sich drei Konstitutionsisomere mit der Summenformel C7H8O. In erster Linie sind sie als methylsubstituierte Phenole anzusehen. Ferner spricht man bei den halogenierten Derivaten ebenfalls von Kresolen.

Vorkommen

Kresole und deren Derivate (z. B. Xylenole) sind in der Natur weit verbreitet. Man findet sie als Metaboliten in verschiedenen Mikroorganismen sowie im Urin von Säugetieren, im Steinkohlen- und Buchenholzteer.

Darstellung

Ursprünglich wurden die nicht derivatisierten Kresole aus Steinkohlen- und Buchenholzteer isoliert. Man erhält ein flüssiges, gelbbraunes Isomerengemisch, das so genannte Trikresol. Einmalige Destillation führt zur rohen Carbolsäure. Die Reinherstellung der drei Kresole erfolgt auf Grundlage von Carbolöl durch Extraktion mit Natronlauge. Alternativ wird das Phenoraffin-Verfahren durchgeführt, bei dem zur Extraktion eine Natriumphenolat-Lösung und Diisopropylether eingesetzt werden.

Synthetisch können Kresole durch Verkochung des jeweiligen Diazoniumsalzes der Toluidine dargestellt werden.

Eigenschaften

Kresole sind stark licht- und luftempfindlich. Bei Temperaturen oberhalb von 80 °C bilden sich mit Luft explosionsfähige Gemische. Sie sind in Wasser schlecht löslich und verbrennen unter starker Rußentwicklung. Kresole haben einen teerartigen Geruch. Mit Propen reagiert m-Kresol zu Thymol.

pKs-Wert

Die Methylgruppe übt einen (schwachen) +I-Effekt auf den Aromaten aus, wodurch die Elektronendichte im Ring erhöht wird. Dadurch wird u. a. die Acidität des phenolischen OH abgeschwächt. Die pKs-Werte sind daher etwas höher als die des Phenols (9,99[5]).

Reaktivität

Neben dem (schwachen) +I-Effekt der Methylgruppe ist jedoch der +M-Effekt der Hydroxygruppe entscheidender für die chemische Reaktivität. Beide Effekte erhöhen deutlich die Elektronendichte im Ring. Der −I-Effekt der Hydroxygruppe hat nur sehr wenig Einfluss auf die Eigenschaften der Kresole. Die Kresole gehen daher relativ leicht elektrophile aromatische Substitutionen ein.

Verwendung

Kresole wirken als Bakterizid, Insektizid und Fungizid. Sie sind deshalb vielfach Bestandteil von Desinfektionsmitteln wie zum Beispiel Lysol, Sagrotan oder Bacillol. m-Kresol findet als Fungizid in der Landwirtschaft Anwendung. 8 µl/g genügen, um Getreide 60 Tage lang bei einer Lagertemperatur von 30 °C frei von Pilzbefall zu halten.

Kresole werden auch verwendet, um daraus Kunst- und Farbstoffe, Kunstharze (Kresolharze) und Arzneimittel herzustellen. In der Homöopathie wird ein unter dem Namen Cresolum crudum bekanntes, aus Steinkohlenteer gewonnenes Rohkresol bei Entzündungen, Hautkrankheiten und Lähmungen eingesetzt.

Toxikologie

Kresol-Vergiftungen rufen recht unspezifische Symptome hervor. Anzeichen einer chronischen Vergiftung sind Kopfschmerzen, Husten- und Brechreiz, Appetitverlust sowie Mattheit und Schlaflosigkeit. Eine Aufnahme über die Haut durch Resorption erfolgt sehr schnell. Akute Vergiftungen mit Nierenschäden und Störungen des Zentralnervensystems wie Krämpfen, Bewusstlosigkeit und Atemlähmung können die Folge sein. Kresole gelten als kanzerogen.

Wie bei Phenolen allgemein kommt es bei oraler Einnahme zu (weißlichen) Verätzungen, welche schmerzlos sind, da Phenole anästhetisch wirken. Vergiftungserscheinungen treten beim Menschen ab etwa 3 g auf, ab etwa 10 g besteht die Möglichkeit eines tödlichen Schocks.

Darüber hinaus wirken Phenole und insbesondere Kresole stark eiweißzersetzend. Da sie stark ätzend sind, rufen sie bei Hautkontakt akute Hautschäden hervor, zerstören das Eiweiß der Hautzellen und überwinden den Schutzmechanismus der Haut, welche leicht sauer ist, beinahe sofort. Bei Kontamination offener Schleimhäute (Mundhöhle, Nase, After) gelangen sie direkt ins Blut, wobei sie im Körper rasch verteilt werden und zu multiplen Eiweißschädigungen der inneren Organe führen. Ohne sofortige Einleitung von Gegenmaßnahmen können Kresole auch in geringer Menge letale Wirkung haben.

Nachweis

Kresole können schon in Konzentrationen von wenigen Mikrogramm pro Kubikmeter Luft geruchlich wahrgenommen werden.

Einzelnachweise

  1. ↑ Eintrag zu CAS-Nr. 1319-77-3  in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA, abgerufen am 25. März 2008 (JavaScript erforderlich).
  2. ↑ a b Eintrag zu o-Kresol  in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA, abgerufen am 6. März 2008 (JavaScript erforderlich).
  3. ↑ a b Eintrag zu m-Kresol  in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA, abgerufen am 6. März 2008 (JavaScript erforderlich).
  4. ↑ a b Eintrag zu p-Kresol  in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA, abgerufen am 6. März 2008 (JavaScript erforderlich).
  5. ↑ a b CRC Handbook of Tables for Organic Compound Identification, Third Edition, 1984, ISBN 0-8493-0303-6.
  6. ↑ Eintrag zu CAS-Nr. 95-48-7  im European chemical Substances Information System ESIS (ergänzender Eintrag )
  7. ↑ Datenblatt Cresol mixture of isomers  bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 3. Mai 2011.
  8. ↑ Eintrag zu CAS-Nr. 95-48-7  im European chemical Substances Information System ESIS.
  9. ↑ Eintrag zu CAS-Nr. 108-39-4  im European chemical Substances Information System ESIS.
  10. ↑ Eintrag zu CAS-Nr. 106-44-5  im European chemical Substances Information System ESIS.

Literatur

  • Klemm, Elias: Direktsynthese von Phenol und Kresol. Vom Katalysator zum Verfahren, Shaker Verlag GmbH 2002, ISBN 3-8265-9896-2.
  • Autorenkollektiv: Organikum, 22. Auflage, Wiley-VCH, Weinheim, 2004, ISBN 3-527-31148-3.

 

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