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Geschichte der Pest Die großen Seuchen von der Antike bis zum Ende des 19. Jahrhunderts sind ein zentrales Thema der Medizingeschichte. Sie haben nicht selten die politische Landschaft durchgreifend verändert. Grundsätzliches Wenn im Folgenden von der Pest die Rede ist, dann sind die großen Seuchen gemeint, die bis in das 19. Jahrhundert Europa heimsuchten und allgemein mit der Bezeichnung “Pest” belegt werden. Ob es sich dabei um die von Yersinia pestis verursachte Krankheit handelte, und ob dieses Bakterium mit dem heute in Asien festzustellenden Bakterium identisch ist, ist nicht sicher. Eine Reihe von Forschern bestreiten, dass es sich bei diesen Seuchen um dieselbe handelt, die heute unter der Bezeichnung Pest geführt wird.[1] Sie stützen ihre Kritik auf die stark abweichende Ausbreitungsgeschwindigkeit der Pest im heutigen Indien zu der Ausbreitungsgeschwindigkeit in der Mitte des 14. Jahrhunderts. Unterschiede in der Krankheitsbeschreibung Letztendlich stammt das Wort, Pest vom lateinischen pestis und bedeutet wie auch das griechische loimós, nichts anderes als „Seuche“. Es steht darüber hinaus für Unglück, Verderben, verderbliche Person oder Sache, Scheusal, Unhold, Qual, Leiden, Hungersnot. Die klassischen Texte, vom altorientalischen Gilgamesch-Epos (um 1800 v.Chr.), über die Ilias und die Aeneis bis zur Bibel, bezeichnen daher alle großen Seuchen als Pest. Manche antiken und mittelalterlichen Pestbeschreibungen könnten auch auf Pocken, Fleckfieber, Cholera, Typhus und Masern passen. Auch Galens Beschreibungen der Antoninischen Pest, der 180 n. Chr. Marc Aurel zum Opfer fiel und die auch „Pest des Galen“ genannt wird, entspricht weniger der Beulen- oder Lungenpest, als vielmehr den Schwarzen Pocken.[2] Arabische Ärzte haben die Pest unter dem Namen „Ta un“ ebenfalls beschrieben. Avicenna nannte als wichtigstes Symptom die Beule, die in der Schamgegend, unter den Achseln oder hinter den Ohren erscheinen könne. Das heutige Verständnis von Krankheit unterscheidet sich fundamental von dem des Mittelalters und der frühen Neuzeit, das wesentlich von der Säftelehre Galens bestimmt war, so dass fraglich ist, ob es überhaupt möglich ist, die frühen Krankheitsbeschreibungen richtig aus der Zeit zu verstehen.[3] Weil man einen Satz in einer alten Quelle versteht, heißt das nicht, dass man davon dieselbe Vorstellung hat wie der Autor. Dass die Pest als einheitliche Krankheit mit einheitlicher Ursache verstanden wird, steht dem Verständnis der Krankheitsbeschreibungen des 18. Jahrhunderts entgegen. Die frühen Diagnosen gehen nur von den äußeren Symptomen aus, wobei Variationen des Krankheitsbildes sich noch im Rahmen der einheitlichen Beschreibung halten können, so dass sie dem damaligen Arzt nicht als erwähnenswert erschienen sind.[4] Eine bakterologische Überprüfung von 2623 Patienten mit der Diagnose „Diphtherie“ erwies zu 1/4 bis 1/3 die Diagnose als falsch. Umso höher ist das Risiko einer retrospektiven Diagnose an Hand von mittelalterlichen Krankheitsbeschreibungen.[5] Demographische Peststudien kamen zu dem Schluss, dass die mittelalterliche Pest nicht dieselbe Krankheit wie die moderne Pest sein könne.[6] Diese Schlussfolgerung beruht auf der Analogievorstellung, dass sich die Pest im Mittelalter genauso hätte verhalten sollen, wie die moderne Pest von 1890, und dass die mittelalterlichen Krankheitsbeschreibungen mit den heutigen Mustern verglichen werden können. Hinzu kommt die Voraussetzung, dass sich das mittelalterliche Krankheitsverständnis unproblematisch neben das heutige stellen lässt. Bei diesen Gleichsetzungen handelt es sich um Ferndiagnosen über Raum, Zeit und unterschiedliche erkenntnistheoretische Rahmenbedingungen hinweg. Wie eine Krankheit diagnostisch zu klassifizieren ist, hat sich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts geändert. Die Beschreibung „tödliche Blutkrankheit, unzweifelhaft ein adynamisches Fieber mit Intestinal- und anderen Blutungen“ für die frühneuzeitliche Seuche in einer historischen Zeitschrift von 1849 kann nicht ohne weiteres in das heutige Klassifikationssystem eingepasst werden. Ein prägnantes Beispiel bilden die Nachrichten über eine Pest in Island und Norwegen 1378/1379: Die norrøne Bezeichnung ist „bolna sott“, auf isländisch „bólusótt“ und wurde als Pocken gedeutet, indem die Pocken seit 1240 epidemisch aufgetreten seien. Aber die epidemische Pockenseuche, die durch Variola major ausgelöst wird, ist erst am Anfang des 16. Jahrhunderts durch den ausgeweiteten Kontakt mit Afrika oder China eingeschleppt worden.[7] Die Variola-Varianten, die man für das Mittelalter in Europa annimmt, waren minor (alastrim) und Orthopoxvirus vaccinia (Kuhpocken) und waren bei weitem weniger virulent und kaum im Stande, Epidemien zu verursachen. Variola minor wird auch für das Mittelalter vor allem als Kinderkrankheit eingeschätzt. Außerdem scheinen die Ärzte der frühen Neuzeit große Schwierigkeiten gehabt zu haben, die Pocken von Windpocken und Masern zu unterscheiden. Die isländischen Annalen verwendeten für eine Seuche in Island im Jahre 1310 die Ausdrücke „Manndauðr mikill vm allt Skalaholtz byskups dæmi“, „Bólna sótt“, „kverka sótt“, „stinga sótt“, „Manndauðr micill“. Auf der anderen Seite kann auch Variola minor in einer isolierten und verstreut lebenden Bevölkerung in Island durchaus eine erhöhte Mortalität mit sich gebracht haben, weil keine Altersgruppe bei solch langen Zwischenräumen eine Immunität hatte ausbilden können. Daher ist es schwierig, den isländischen Annalen bei ihrer Bezeichnung zu trauen, aber eine gewisse Wahrscheinlichkeit für Pocken ist vorhanden. Am besten ist es, „Bólna sótt“ in der mittelalterlichen Terminologie als eine Krankheit aufzufassen, die Beulen oder andere deutliche Hautveränderungen erzeugt, so dass damit Pocken, Masern, Pest oder andere Krankheiten gemeint sein können. Im Sommer 1652 trat in Kopenhagen eine Epidemie auf, die der in jener Zeit berühmte Arzt Thomas Bartholin als „Kaltes Fieber“ beschrieb, von dem er und seine Familie angesteckt worden waren. Er verabreiche ein Mittel “unicornu groenlandicum“, und die Familie genas in kurzer Zeit.[8] Krankheit und Heilmittel stellen für die modernen Medizinhistoriker eine besondere Herausforderung dar. Manche meinen, es sei Malaria gewesen. Aber die Seuche entwickelte sich nach Bartholin weiter zu Diarrhö und Dysenterie, was dem heutigen Malariabegriff fremd ist. Bei einer Klassifikation, die von sichtbaren Zeichen ausgeht, konnten aus heutiger Sicht verschiedene Krankheiten ohne weiteres ineinander übergehen. Die eingenommene Medizin war offenbar Narwalhorn. Dass das Pulver gewirkt haben muss, war für Bartholin mit dem Erfolg der Gesundung bewiesen. Im 17. Jahrhundert wurden Krankheiten mit großer Gewissheit diagnostiziert, die nach heutiger Taxonomie und Nosologie nach den großen Fortschritten der Medizin sehr zweifelhaft geworden sind. In manchen Fällen ist es schwierig zu entscheiden, ob die Krankheit oder die Krankheitsbeschreibung sich verändert hat. Der sogenannte Englische Schweiß ist so eine Krankheit mit klarer zeitlicher Grenze. Er trat zwischen 1485 und 1551 auf und wurde als spezielle Krankheit mit eindeutigen Symptomen aufgefasst, die aber bis heute rätselhaft geblieben ist. Das Problem des Pesterregers Über Yersinia pestis als Auslöser der mittelalterlichen Pest konnte bislang keine Einigkeit erzielt werden. Einige Forscher behaupteten, die DNA von Yersinia pestis in Zähnen aus dem 14. Jahrhundert in Montpellier gefunden zu haben,[9] andere haben in Zähnen aus derselben Zeit nichts dergleichen finden können.[10] Abgesehen davon, dass das Argumentum ex silentio methodisch angreifbar ist, überwiegen gegenwärtig die Meinungen, dass die Seuche Yersinia pestis zuzuschreiben sei, insbesondere aufgrund neuerer Untersuchungsergebnisse.[11] Auf einen weiteren Gesichtspunkt weist O. G. Moseng hin: Das Pestbakterium sei ein sehr flexibler Krankheitserreger. In Zeit und Raum sei Pest nicht notwendigerweise gleich Pest. Die Pest im Spätmittelalter Europas sei nicht auf die gleiche Weise aufgetreten wie in Indien am Ende des 19. Jahrhunderts.[12] Sein Fazit ist: Es kann dieselbe Pest gewesen sein, wie die der Neuzeit. Möglich ist aber auch, dass es nicht dieselbe war, sondern eine Variante desselben Erregers, wenn nämlich die Voraussetzungen für die Pest damals nicht die gleichen waren, wie die in Indien im 19. Jahrhundert.[13] Wie groß die Veränderungen seit dem Mittelalter und der frühen Neuzeit gewesen sind, lässt sich ohne Funde von fossiler DNA nicht beurteilen. Aber es wirft gleichwohl die Frage auf, ob Yersinia pestis aus dieser frühen Zeit mit den heutigen Stämmen überhaupt vergleichbar und in jedem Fall wiedererkennbar ist. R. Devignant teilte die Pestbakterien in 3 Hauptvarianten nach den starken biochemischen Unterschieden ein: Variante 1) (später „Orientalis“ genannt) sollte ihren Ausgangspunkt in Indien, Burma und im südlichen China gehabt haben, für die Pandemie von 1890 verantwortlich und in wenigen Jahren über die ganze Erde verbreitet worden sein. Variante 2) (Antiqua genannt), die er für die älteste hielt, sollte in Zentral-Asien entstanden sein, sich über Zentralafrika verbreitet und die justinianische Pest im 6. Jahrhundert verursacht haben. Die 3. Variante („Medievalis“) stammte ebenfalls aus Zentralasien, verbreitete sich in Richtung Krim und die Umgebung des Kaspischen Meeres und löste dann den Schwarzen Tod in Europa und die folgenden Epidemien aus.[14] Diese Grundsicht war lange Zeit Standard für die Ausbreitungswege. Aber nun stellte sich heraus, dass beide Hauptvarianten Medievalis und Antiqua in Kenya auftraten und Orientalis und Medievalis zusammen in der Türkei gefunden wurden.[15] Es ist bei der hohen Variabilität des Genoms in Betracht zu ziehen, dass dieses sich seit den Pestwellen des Altertums verändert hat. Im Mittelalter und in der Neuzeit bis ins 19. Jahrhundert stellte sich die Frage nach einem besonderen Pesterreger nicht, da Miasma und Planetenkonstellationen ein nicht hinterfragtes Erklärungsmuster waren. Allerdings entdeckte bereits 1656 Athanasius Kircher, dass im Blut der Pestkranken sich kleine Lebewesen bewegten. „Das Pestmiasma ist nichts anderes, als eine Schar kleiner Würmelien, welche in der Luft herumfliegen, und wenn sie durch den Atem in den Leib eingezogen werden, dasselbe Geblüt verderben und die Drüsen zersetzen. Wenn sie nun wiederum aus einem so angesteckten Leib herausfliegen und von einem Gesunden aufgenommen werden, wird mit ihnen die Pest fortgepflanzt.“ – Scrutinium physico-medicum contagios ae luis quae dicitur pestis. Romae 1658. Wenn dies auch nicht die Pestbakterien sein konnten, die mit den damaligen Instrumenten nicht erkennbar waren, sondern eher Leukozyten, so kam er der Ursache doch schon sehr nahe. Ihm schlossen sich bald weitere Ärzte an, unter anderen Borelli, die bei Pest, Pocken und weiteren Krankheiten die gleiche Beobachtung gemacht hatten. Linné (1760) meinte, dass die Würmchen, die häufig mit Milben verglichen wurden, bestimmte Zeiten hätten, wo sie äßen, schliefen und sich vermehrten: Dadurch erklärte er die „periodischen Paroxysmen“ mancher Krankheiten.[16] Auf die Praxis hatten diese Entdeckungen allerdings keinen Einfluss. Das Problem der Rattenvorkommen Im Allgemeinen ging man davon aus, dass die Braune Ratte erst spät nach Norden gekommen sei. Sie wurde in England nicht vor 1727, in Paris nicht vor 1753 beobachtet.[17] Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass das 18. Jahrhundert die Zeit war, in der die Taxonomie entwickelt wurde und das Interesse an der Klassifikation entstand. Der Name Rattus rattus wurde zum Beispiel 1758 vom Vater der Taxonomie Carl von Linné vergeben. Dass diese Tiere in dieser Zeit als eigene Art wahrgenommen wurden, heißt nicht, dass sie nicht schon vorher dagewesen sind. Es wurde sogar vermutet, dass die Einwanderung der Braunen Ratte das Ende der Pestepidemie in Europa eingeleitet habe,[18] indem sie den Kulturfolger Schwarze Ratte, die Hauptquelle der Pestepidemien, verdrängt habe. Allerdings lebt die Schwarze Ratte eher im Haus und ist auch die klassische Schiffsratte, während die Braune Ratte eher im Keller und in Kloaken haust und von menschlichen Nahrungsmitteln weniger abhängig ist als die Schwarze Ratte. Daher ist diese These problematisch.[19] Der Historiker Vasold, der sich sehr intensiv mit der Pest beschäftigt hat, weist jedoch darauf hin, dass der Ausbruch in Moskau im Jahre 1771 zu einem Zeitpunkt erfolgte, als dort nur Wanderratten vorkamen. Oft wurde vorgebracht, dass es in Europa im Mittelalter nicht genügend Ratten gegeben habe, die eine solche Epidemie hätten auslösen können. Deshalb vermutete man, dass es sich bei der Seuche nicht um Pest, sondern um Milzbrand gehandelt habe. Auf Grund der klimatischen Bedingungen könnten die Verhältnisse in Indien nicht auf Europa im Mittelalter übertragen werden. Auch die Ausbreitungsgeschwindigkeit sei zwischen den beiden zu groß.[20] David E. Davis schloss aus dem Fehlen der Ratte in Text und Bild, dass im Mittelalter die Ratte nicht verbreitet gewesen sei. Obgleich er 15 Funde von Knochen von Ratten in Großbritannien für das 11.-15. Jahrhundert nachwies, hielt er daran fest, dass diese nicht die Seuche hätten verbreiten können.[21] Eine ausreichende Rattenpopulation habe sich erst nach 1450 entwickelt. Er akzeptierte die Ratte als Ursache daher erst für die Pestausbrüche von 1666 in Mailand und London. Für die Zeit davor postulierte er die Direktübertragung von Mensch zu Mensch. In Wirklichkeit finden sich vereinzelt doch Nachrichten über Ratten. Schon Avicenna beobachtete das der Pest vorangehende Rattensterben, ohne allerdings einen Zusammenhang zu erkennen. Im Qanun al-Tibb schrieb er: „Man sieht (vor Pestzeiten) Ratten und andere unterschiedliche Tiere auf die Oberflächen kommen und sich wie betrunken gebärden.“[22] Nachrichten anderer arabischer Ärzte sind nicht bekannt. Im Anschluss an Avicenna berichtet auch der christliche Arzt Joannes filius Mesuè (Pseudo Mesuè) († um 1015), dass Mäuse und Reptilien an die Oberfläche kämen und stürben.[23] Ein anonymer italienischer Chronist erwähnt das Vorkommen eines großen Rattenschwarms in Verbindung mit einer Pestepidemie in Arsizio zwischen Como und Mailand im Jahr 1630: Sie seien zu Hunderten in jedem Haus gewesen, und es seien so viele gewesen, dass es nicht gelang, sich vor ihnen zu schützen.[24] Die Überlieferung ist auf diesen Gesichtspunkt hin nicht ausreichend ausgewertet. Erst nach dem Schwarzen Tod im 14. Jahrhundert häuft sich die Pestliteratur. Soweit es sich um das Verhalten von Tieren handelt, wurde offensichtlich Avicenna rezipiert. Bemerkenswert ist dabei, dass das Verhalten der im Boden lebenden Tiere, Mäuse, Ratten, Maulwürfe und Schlangen nicht auf die Pest, sondern auf Fäulnisprozesse im Boden zurückgeführt wurde.[25] Offensichtlich entstammt keiner dieser vielen Berichte eigener Anschauung, sondern gelehrtem Literaturstudium. Keiner der späteren Autoren, von denen hier nur einige genannt sind, hat die Beobachtung Avicennas übernommen, dass die Nager wie betrunken umherlaufen. Hier spielten auch die alten Lehren der Physiologie von der „generatio spontana“ hinein, dass die niederen Tiere, zu denen man auch die Mäuse rechnete, sich im faulenden Boden entwickelten. Man meinte sogar, dass man im faulenden Nilschlamm bisweilen halbfertige Mäuse finden könne.[26] Die Zunahme der Fäulnis vertriebe dann die Tiere aus ihren Höhlen. Da das Miasma auch in der Luft gedacht wurde, berichtete man, dass auch Vögel von der Pest ergriffen worden seien und schleunigst flüchteten. Die Wissenschaft bestand eben noch nicht in eigener Beobachtung, sondern im fleißigen Kompilieren von Autoritäten. Für die Ausbreitung einer Pestepidemie muss die Rattenpopulation nicht besonders hoch sein, und der Ausbruch einer Epidemie muss nicht jedes Mal aufs neue von außen in die Population hineingetragen werden. Es gab ständig wiederkehrende Pestausbrüche in regelmäßigen Rhythmen von kurzer Dauer.[27] Eine hohe Todesrate über ein, zwei Jahre wurde von längeren pestfreien Perioden abgelöst. Dafür wurde der Begriff der „Metapopulation“, die mehrere lokale Populationen umfasst, die miteinander in Kontakt stehen, geschaffen. Rattengruppen können so für eine dichtbesiedelte Stadt als eine Metapopulation zusammengefasst werden. Rechenmodelle zeigten, dass die Pest unter Ratten viele Jahre aufrechterhalten werden konnte, bis sie recht schnell ein Niveau erreichte, in der die Reproduktionsrate der Ratten nicht mehr hoch genug war und das Infektionspotential für Menschen sich akut erhöhte, weil die infizierten Flöhe nunmehr gezwungen waren, Menschen anzugehen. Daraus ergibt sich, dass die Beulenpest innerhalb kleiner Rattenpopulationen überdauern kann. Eine Metapopulation von 50.000 Ratten kann jahrelang ein Pestreservoir bilden, auch wenn Einzelpopulationen zwischendurch aussterben. 3000 Ratten pro halbem Quadratkilometer sind ausreichend.[28] Als Pestreservoire kommen insbesondere Hafenstädte in Betracht, von wo aus mit Schiffsfracht die Ratten über weite Strecken verbreitet werden. Neueres archäologisches Material gab neue Einsichten: Bei 143 Fundstellen aus der Zeit zwischen dem 9. und 15. Jahrhundert zeigte sich, dass es viele große Rattenpopulationen gab: Bei der Hälfte der Fundstellen handelt es sich um 9 Ratten pro Fundstelle. 1/5 der Fundstellen beherbergte 10 oder mehr Ratten, und 12 der ergiebigsten Rattenfunde stammen aus dem 13. Jahrhundert und später.[29] Auf Grund dieser Ergebnisse ist die Annahme zulässig, dass die Pest im Mittelalter und in der frühen Neuzeit tatsächlich von den Ratten ausging, und zwar seit der Wikingerzeit auch in den Außenbereichen. Seit dem Hochmittelalter scheint die Ausbreitung umfassend gewesen zu sein. Da sich Ratten nur notgedrungen mehr als wenige 100 m bewegen, müssen sie sich über den Warentransport verbreitet haben. Das Problem der Flohart Bei Ausgrabungen wurde in der Zeit von der Jüngeren Steinzeit bis zum 16. Jahrhundert vor allem Pulex irritans gefunden. Dazu kamen Hunde- und Katzenflöhe sowie einzelne Exemplare von Nosopsyllus fasciatus in Funden aus der Römerzeit. Xenopsylla cheopis, der für die Pest Ende des 19. Jahrhunderts in Indien verantwortlich war, wurde nirgends und in keiner Periode gefunden. Die Gründe dafür, dass der Rattenfloh als Überträger in Europa nicht in Betracht kommt, sind im Artikel Rattenfloh erörtert. Die Autoren schließen Xenopsylla cheopis als Überträger der Pest in Europa aus. Stattdessen wird Pulex irritans als reichlich vorkommende Art erwogen.[30] Alternative Krankheitsmodelle Es wurden auch andere Krankheiten als Verursacher der vormodernen Seuchen vorgeschlagen. Eine davon war der Milzbrand.[20] Andere brachten die „haemorrhagische Pest“ = „Hämorrhagisches Fieber“ auf, verursacht von einer Form des Filovirus, das von Mensch zu Mensch übertragen wird, mit einer großen Ähnlichkeit zu Ebola oder Marburgfieber. Das war genaugenommen eine fiktive Epidemie. Sie meinten nicht, dass es sich um Ebola gehandelt habe, aber dass die Kennzeichen gleich waren.[31] Es wurde die These aufgestellt, dass dieses „haemorrhagische Fieber“ beim Schwarzen Tod in Europa aufgetreten und 1670 wieder verschwunden sei. Man entnahm dies den Unterschieden zwischen der mittelalterlichen Pest und der modernen Pest in Indien, die es ausschlössen, dass beide die gleiche Ursache hätten. Man meinte, das Bewegungsmuster der Ratten in Indien lasse eine solche Ausbreitungsgeschwindigkeit, wie sie für die Pest von 1347 in Europa in wenigen Jahren festzustellen sei, nicht zu, schon gar nicht eine Ausbreitung bis Island. Sie lehnten die Möglichkeit des Transportes der Ratten mit dem Warenstrom und der Fracht für das Mittelalter ab und akzeptierten diese nur für die Zeit der Dampfschifffahrt. Mit Island und Grönland wollten sie belegen, dass die Seuche in Klimazonen vorgedrungen sei, die mit der Pest unvereinbar seien. Allerdings begann die Pest 1347, kam nach Island erst 1400 und nach Grönland überhaupt nicht. Als eine weitere Krankheit wird alternativ der Milzbrand in Betracht gezogen.[32] Die Virus-Theorie wurde auch durch das signifikant häufiger auftretende Gen CCR5 bei den Nachkommen von Überlebenden der großen Seuchen gestützt. Dieses Gen verhindert das Eindringen von Viren in Zellen. Die Vertreter dieser Auffassung gehen davon aus, dass die Häufung des Gens CCR5 im Erbgut auf einen hohen Selektionsdruck vor etwa 700 Jahren zurückzuführen sei, der die Personen mit dem Gen CCR5-Delta-32 besonders begünstigte.[33] Ein Argument gegen eine Seuche auf der Basis einer Direktübertragung von Mensch zu Mensch innerhalb einer Stadt ist das Ausbreitungsmuster derselben. In Amsterdam konnte in der Epidemie von 1617 eine ziemlich scharfe Abgrenzung der Gruppensterblichkeit entlang des Straßennetzes nachgewiesen werden.[34] Das Ausbreitungsmuster hatte keine Ähnlichkeit mit der Influenza-Epidemie 1918, die definitiv über Tröpfcheninfektion weitergegeben wurde und sich anders als die Pest gleichmäßig über die Stadt ausbreitete. Andere Forscher kamen zu dem Ergebnis, dass die Seuche nicht ausreichte, den unterstellten Selektionsdruck zu erzeugen, der die heutige Häufigkeit von CCR5-Δ32 erklären soll.[35] Es ist bislang auch keine sichere Erklärung dafür gegeben worden, warum die Selektion nur in Europa stattgefunden hat, während in Asien, dem Stammland der Pest, das Gen CCR5-Δ32 nicht festzustellen ist. Göttinger Forscher vermuten, dass die Mutation erstmals im Kaukasus aufgetreten sei und nach Europa gebracht wurde. Sie stellten überdies fest, dass sie nicht vor 700 Jahren, sondern sogar schon 900 v. Chr. in Europa weit verbreitet war. Sie meinen daher, dass der Selektionsdruck von einer anderen, noch unbekannten Krankheit verursacht worden sei.[36] Geschichtsverlauf Antike bis Frühmittelalter Im Alten Ägypten Vom Ausbruch großer Seuchen wird bereits in der Bibel berichtet: Die „Pest“ gehört zu den Plagen, die Ägypten heimsuchen, und sie löst auch das Massensterben der Philister aus, die sich der jüdischen Bundeslade bemächtigt hatten. In Griechenland In der griechischen Mythologie wurde die Pest durch göttliche Pestpfeile verursacht. So sandte Apoll vor Troja die Pest ins Lager der Griechen. Dass der Pfeil mit der Pest in Verbindung gebracht wurde, führte dazu, dass der Hl. Sebastian zum Pestheiligen erklärt wurde. Eine in den Jahren 430–426 v. Chr. in Athen wütende Epidemie zieht seit vielen Jahren das Interesse von Historikern und Medizinern auf sich. Unter anderem wird sie als Attische Seuche und – in einer missverständlichen Übertragung des lateinischen pestis (Seuche) – auch als „Die Pest des Thukydides“ bezeichnet. Viele Wissenschaftler unterstellten lange Zeit, dass es sich hierbei entweder um die Pest selbst oder um die Pocken handelte. Dass diese Seuche durch Pesterreger ausgelöst wurde, wird heute jedoch stark bezweifelt, da Thukykides die typischen Charakteristika wie Pestbeulen und schwärzliche Flecken auf der Haut nicht beschrieb. Nachdem die geschilderten Symptome in ihrer Gesamtheit auf keine heute bekannte Krankheit passen, werden von Historikern und Medizinern seit langer Zeit auch andere Erreger – inzwischen insgesamt 29 – als mögliche Auslöser diskutiert. Bei neuen Grabungen 1994/95 unter der Leitung des Archäologen Effie Baziotopoulou-Valavani und den nachfolgenden Untersuchung durch Manolis Papagrigorakis und Mitarbeiter wurde 2005 mittels DNA-Untersuchungen der Erreger Salmonella enterica serovar Typhi identifiziert. Welche Ursache die Seuche auch immer hatte – in Athen führte die Epidemie zu einem dramatischen Bevölkerungsrückgang und zum Zusammenbruch des sozialen Gefüges mit fatalen wirtschaftlichen Konsequenzen und einem militärischen und politischen Niedergang – durchaus vergleichbar mit den Auswirkungen späterer, eindeutig belegter Pestepidemien. Im Römischen Reich Das römische Reich wurde mehrfach von großen Epidemien getroffen. Als erste große Epidemie gilt die sogenannte Antoninische Pest zur Zeit des Kaisers Mark Aurel (161–180), die von den aus den Partherkriegen 166 zurückkehrenden Soldaten verbreitet wurde. Ob es sich bei dieser Epidemie um die Pest handelte, ist allerdings unklar. Pestwellen mit tiefgreifenden Auswirkungen auf das Römische Reich traten insbesondere in der Zeit zwischen 250 (Cyprianische Pest) und 650 n. Chr. auf. Die sogenannte Justinianische Pest zur Zeit Kaisers Justinians (527–565), die 542 in Konstantinopel ausbrach, trug möglicherweise zum Misserfolg der Restauratio imperii bei und gilt als die größte antike Pestepidemie Europas bzw. erste Pestpandemie. Sie brach zunächst im Orient aus, von wo aus sie sich rasant im ganzen Mittelmeergebiet ausbreitete.[37] Anhand der detaillierten Schilderungen des spätantiken Historikers Prokopios geht die Forschung zumeist davon aus, dass es sich bei dieser Seuche tatsächlich um die Beulenpest handelte, die möglicherweise zusammen mit anderen Krankheiten auftrat. Nach Prokopios starb ein Viertel der Einwohner von Konstantinopel in den Jahren 541 und 542.[38] 544 ließ Justinian, der selbst erkrankt gewesen war, aber überlebt hatte, das Ende der Pestepidemie verkünden. Diese brach jedoch 557 erneut aus, kehrte im Jahre 570 nochmals wieder und trat bis zur Mitte des 8. Jahrhunderts in etwa zwölfjährigem Rhythmus immer wieder in Erscheinung. In der Folge der Pest und ihren weitreichenden Auswirkungen auf die Bevölkerungszahlen entstand im Mittelmeerraum und Nahen Osten ein geopolitisches Machtvakuum. Persien war nach den Berichten Prokopios von der Pest besonders stark getroffen, was nach Ansicht einer Reihe von Historikern erheblich zur Islamischen Expansion beitrug. Ab 630 stand Bab al-Mandab, die rund 27 Kilometer breite Meeresstraße und einzige natürliche Verbindung des Roten Meeres mit dem Indischer Ozean, unter muslimischer Herrschaft. Für mehr als 1000 Jahre war es westlichen Schiffen nicht mehr möglich, diese alte Handelsstrecke zu nutzen. 636 siegten muslimische Heere über die Perser in der Schlacht von Kadesia und besetzten anschließend Mesopotamien.[39] Die Pest fand ihre Opfer zwar auch in islamischen Heeren. Einem Pestausbruch in Syrien fielen beispielsweise über 25.000 muslimische Soldaten zu Opfer.[40] Die Zahl der Opfer war im oströmischen Reich und in Persien jedoch höher. Über die nächsten Generationen konnte sich der Islam weiter in Richtung Osten ausdehnen und unterbrach auch die alten Handelsrouten der Seidenstraße. Er führte zur sogenannten Islamischen Quarantäne, die bis ins 14. Jahrhundert einen direkten Kontakt zwischen europäischen und asiatischen Händlern weitgehend verhinderte und damit auch eine Übertragung der Pesterreger. Die letzte Pestwelle wütete in Konstantinopel 622 und an der Peripherie von Byzanz bis ins Jahr 767. Erst die mongolischen Eroberungen gegen Ende des 13. Jahrhunderts leitete eine Ära erneut intensivierter Handelskontakte ein, durch die die Pestbakterien, die vor allem in wild lebenden Nagetierpopulationen Asiens vorkommen vor, erneut nach Europa eingeschleppt werden konnten.[41] Pestepidemien des Mittelalters und in der frühen Neuzeit Mittelalter Das Mittelalter ist durch eine verheerende Pandemie, die als „Schwarzer Tod“ bezeichnet wird, gekennzeichnet. Sie wird überwiegend für eine Variante der Pest gehalten. Sie breitete sich bis nach Norwegen aus und wurde dort als „Svarte Dauen“ und „Den store Mannfall“ bezeichnet. Man fasste die „Pest“ als Strafe Gottes auf. Das führte vielerorts dazu, dass man sich in sein Schicksal ergab und gar nicht erst versuchte, der heranrückenden Pest zu entkommen. Stattdessen wurden Bußpraktiken empfohlen, um Gott wieder zu versöhnen. Das führte zu einem Aufschwung der Geißlerumzüge. Außerdem wandte man sich an die Pestheiligen St. Rochus und St. Sebastian. Es gibt eine Anordnung des Bischofs von Bergen und des Domkapitels zur Bekämpfung einer nicht genauer beschriebenen Pestepidemie von 1445, deren Beginn unklar ist. Es handelt sich um Messen, Almosen, Prozessionen, Fasten und Altargang über 5 Tage.[42] Solche Maßnahmen waren zur Pestbekämpfung europaweit üblich. Besonders die Messen und Prozessionen trugen zur Verbreitung der Pest bei. Erst 1498 untersagte man in Venedig beim Auftreten der Pest alle Gottesdienste, Prozessionen, Märkte und Versammlungen.[43] 15. bis 19. Jahrhundert Nach der schweren Pestepidemie, die 1347 begann, dem „Schwarzen Tod“, endemisierte die Seuche: In lokalen Epidemien suchte sie in den nächsten drei Jahrhunderten in nahezu regelmäßigen Abständen verschiedene Gebiete Europas heim. Der gefährlichste Pestherd blieb in dieser Zeit Konstantinopel mit seinen vielen verschachtelten Fachwerkbauten und katastrophalen hygienischen Zuständen. Konstantinopel wurde als das „Königreich der Ratten“ bezeichnet.[44] Girolamo Fracastoro bezweifelte als erster die Miasma-Lehre und hielt Keime für die Überträger der Seuchen. Er trennte auch erstmalig die Pest von anderen Seuchen, wie Pocken und Typhus. Aber es dauerte noch lange, bis sich seine Sicht durchsetzen sollte. Ambroise Paré fiel zum ersten Mal der zeitliche Zusammenhang zwischen massenweisem Auftreten der sonst lichtscheuen Ratten infolge einer Rattenepidemie mit dem darauf folgenden Ausbruch der Pest auf.[45] Auch seine Vermutungen fanden kein Gehör. Die vermutlich erste medizinische Dissertation über die Pest verfasste der aus Nidda stammende Arzt Johannes Pistorius der Jüngere: De vera curandae pestis ratione (Über die rechte Art, die Pest zu behandeln), Frankfurt 1568. Christoph Schorer aus Memmingen veröffentlichte 1666 eines der ersten deutschsprachigen Handbücher zur Pestverhütung. Wirksame Therapien gab es nicht. Die Patienten wurden mit Essig besprüht. Die Pestgeschwüre ließ man durch Salben „reifen“ und schnitt sie dann auf, um Eiter und Blut abfließen zu lassen. Man ließ die Luft durch Feuer auf Straßenkreuzungen „reinigen“. Mancherorts sorgten Ärzte dafür, dass nach dem Tod alle Kleider und das Haus einer verstorbenen Familie verbrannt wurden. Bald kam auch die Quarantäne zum Einsatz, meist um die 40 Tage. Am 27. Juli 1377 beschloss der Stadtrat von Ragusa, dem heutigen Dubrovnik, alle Personen und Waren, die aus einer Gegend kommen, in der die Pest herrscht, einen Monat lang auf einer kleinen Insel vor der Stadt zu internieren. Im 17. Jahrhundert wurde die Quarantäne allgemein üblich. Demographische Analysen haben gezeigt, dass eine Sterblichkeitsrate, die die natürliche Sterblichkeit um mehr als das Vierfache übersteigt, nicht kompensiert werden kann und zur demographischen Krise führt.[46] Paul Slack veranschlagt für eine typische Pestepidemie eine Todesrate vom 4- bis zum 12-fachen der normalen Sterblichkeitsrate.[47] Die Pest als Dauerphänomen Als Beispiel dafür, wie sich die Epidemien zu einer Art Dauerproblem entwickelten, seien im Folgenden die Epidemien im nördlichen Teil Europas aufgeführt. Manche Seuchen sind direkt in Quellen erwähnt, andere wiederum werden durch eine signifikant ansteigende Zahl von Testamenten erschlossen.
Der genaueste Bericht über die Pest im 15. Jahrhundert stammt von Christian van Geren, ursprünglich von Lübeck, mit geistlicher Ausbildung und seit 1449/1450 Sekretär des hanseatischen Kontors in Bergen. Er hat eine verhältnismäßig umfassende Chronik hinterlassen. Für die 50er und 60er Jahre des 15. Jahrhunderts schrieb er über die Pest: „Anno 51 [1451] was grote pstilencie to Lubeke; anno 52 to Bergen, da storven 200 Dudessche in 1/2 jare; ok annao 59 to Bergen. Unde to Lubeke was pestilencie anno 64 …“ – Friedrich Bruns: Die Lübecker Bergenfahrer und ihre Chronistik. Hansische Geschichtsquellen, Neue Folge, 2, Berlin (1900.) S. 353. Die Pest von 1464 ist auch im Baltikum und in Teilen Norddeutschlands, in den Niederlanden, in Stockholm und anderen Stellen Schwedens und in England belegt.
Die letzten Pestepidemien trafen Europa im 18. Jahrhundert: Aus Sorge vor einem Ausbruch auch in Berlin ließ König Friedrich I. dort ein Pesthaus errichten, aus dem die Charité hervorging. Im Mai 1720 trat die Pest wieder in Marseille und in der Provence auf und verschwand erst wieder 1722. Nachdem 1771 in Moskau eine weitere Pestepidemie aufgetreten war, blieben weitere Pestepidemien in Europa aus. Die letzte Pandemie begann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Zentralasien und kostete während der nächsten 50 Jahre weltweit rund 12 Millionen Menschenleben. Während dieser Pestepidemie konnte der Erreger 1894 von dem französischen Arzt Alexandre Yersin identifiziert und der Übertragungsweg erklärt werden. Die beiden größten Lungenpestepidemien traten Anfang des 20. Jahrhunderts in der chinesischen Grenzregion Mandschurei auf.[79] Das Auftreten war vor allem an ein kaltes Klima geknüpft.[80] Die Epidemie in der Mandschurei 1910-1911 fand im Winter (September-April) statt und war an die Hauptverkehrswege geknüpft. Die Pest wurde über 2.700 km innerhalb von 7 Monaten transportiert. Es starben etwa 60.000 Menschen. Kulturelle Aspekte Gesellschaft Kaum eine andere Katastrophe prägte die kollektive Vorstellung von Machtlosigkeit, Untergang und Unglück so sehr wie die Heimsuchung durch die Pest. Die frühesten Seuchenberichte stammen von antiken Autoren wie Homer, Thukydides, Lukrez, Prokopios von Caesarea und Ovid. In Buch VII, 501–613 seiner Metamorphosen berichtet er sehr detailliert über die Pest von Aegina. Besonders Thukydides berichtet bereits von der demoralisierenden Wirkung und den sozialen Auflösungserscheinungen, die die Seuche begleiteten.[81] Das gleiche beklagte der Dichter Freidank anlässlich des Massensterbens in Akkon.[82] Die Seuchen hatten auch Einfluss auf politische Veränderungen. Die Bemühungen des oströmischen Kaisers Justinian, verlorene Gebiete in Italien zurückzuerobern, scheiterten an der Epidemie. Das Ostgotenreich wurde so geschwächt, dass die Langobarden 571 die Poebene erobern konnten. 628 wütete die Pest im byzantinischen Syrien und im sassanidischen Mesopotamien dermaßen, dass es den Arabern ohne besondere Schwierigkeiten gelang, das persische Kaiserreich im Osten und den Osten des byzantinischen Reiches zu erobern. 637 fiel dem Kalifen Omar das von der Pest verheerte Damaskus kampflos zu. Auch die Kreuzzüge wurden durch die Pest stark behindert, und es starben häufig mehr an den Seuchen als in den Kampfhandlungen. In China führte eine verheerende Pest im 14. Jahrhundert zur Vernachlässigung der Infrastruktur, insbesondere der Dämme, was verheerende Überschwemmungen der Ackerbaugebiete und Hungersnot zur Folge hatte. Die Mongolenherrschaft wurde derart geschwächt, dass sie von der einheimischen Ming-Dynastie abgelöst wurde.[83] Die Belagerung Caffas 1347 durch die Tartaren musste auf Grund der Pest abgebrochen werden. Die Ostkolonisation des Deutschen Ordens im 14. Jahrhundert geriet ins Stocken. Die Meinung, das Massensterben hätten die Juden durch Vergiftung von Brunnen verursacht, führte zu Judenpogromen. Die Auffassung, dass es sich um eine Strafe Gottes handele, ließ die Geißlerumzüge entstehen. Im Artikel Pestepidemien in Norwegen wird beschrieben, wie die Dezimierung der Bevölkerung durch die Pestseuchen mitursächlich für den vorübergehenden Verlust der Eigenstaatlichkeit wurde. Die Auffassung, dass schlechte Luft, das Miasma, die Pest verursache, führte zu vielen Maßnahmen in den Städten, die zwar zunächst lediglich den Gestank bekämpften, aber auch indirekt die hygienischen Zustände verbesserten. Häufige Brände befreiten die Städte zeitweise von der Rattenplage. Es wurde die Quarantäne eingeführt. Hinzu kam der Pestbrief, ein Gesundheitspass, der an der Grenze vorzuzeigen war und die Pestfreiheit des Herkunftsortes des Reisenden bescheinigte. Kunst Vor allem jedoch die Pestepidemie des 14. Jahrhunderts hat sich stark auf Kunst und Literatur ausgewirkt. Die Menschen erwarben sogenannte Pestblätter, um sich mit Hilfe der darauf abgebildeten Heiligen vor der Pest zu schützen. Boccaccio schrieb vor dem Hintergrund der Pest, die 1348 in Florenz wütete, seine Novellensammlung Il Decamerone: Sieben Damen und drei junge Männer fliehen vor der Pest aus Florenz auf einen Landsitz. In einem bemerkenswerten Kontrast zu der Düsterkeit und Dramatik der Pestschilderungen stehen hierbei die erotisch-heiteren Geschichten, die sich die zehn Florentiner zur Unterhaltung erzählen. Sie finden einen Ausweg aus der Katastrophe in einem leichteren Leben. Die außergewöhnliche Situation der Pest gibt ihnen die Möglichkeit, in ihren Erzählungen die mittelalterlichen Normen und Werte zu hinterfragen. Sehr oft wurde der „Schwarze Tod“ auf einem galoppierenden Pferd dargestellt. In Lübeck entstand 1350 unter dem Eindruck der verheerenden Pestepidemie das Gemälde „Totentanz“ in der neu erbauten Marienkirche. Im selben Jahr schuf Francesco Traini die Wandmalereien des Campo Santo von Pisa. Der Tod ist hier kein Knochenmann, sondern eine schwarz gekleidete, alte Frau, die mit wehenden Haaren und einer breitschneidigen Sichel in der Hand auf eine Gruppe sorgloser, junger Menschen herabfährt. Ein Meisterwerk der Sepulkralkunst, das auf das veränderte Bild des Todes in der spätmittelalterlichen Kunst hinweist, ist das gegen Ende des 14. Jahrhunderts entstandene Grabmal des Kardinals La Grange. Der Kardinal ist als fast nackter, verwesender Leichnam dargestellt, und die Inschrift mahnt alle noch Lebenden, wie nichtig das Leben sei: Was blähst du dich auf in deinem Stolz. Staub bist du und Staub musst du werden, ein verfaulter Kadaver, die Speise der Würmer. Die Schwere Pest in Paris 1348 gilt als Anstoß für die Darstellungen des Totentanzes. In Wien entstand 1679 der – als solcher heute oft gar nicht mehr erkannte – Gassenhauer O du lieber Augustin, alles ist hin. (vgl. Marx Augustin), der der Pest einen Galgenhumor entgegensetzt. Pestsäulen und Pestkreuze zeugen vom Gedenken an die Opfer der Pest. Die Pest (Arnold Böcklin, 1898) 1722 erschien in London Daniel Defoes Journal of the Plague Year (zu deutsch: Die Pest zu London). Die Erzählung wurde zu einem Zeitpunkt veröffentlicht, als ein Pestausbruch in Südfrankreich eine erneute Heimsuchung durch diese Krankheit befürchten ließ, und fand eine breite Leserschaft. Lange Zeit galt sie als Augenzeugenbericht des Pestausbruchs im Jahre 1665. Defoe war jedoch zum Zeitpunkt des Ausbruches noch ein Kind von vier oder fünf Jahren; die Erzählung aber schildert den Pestausbruch aus der Sicht eines erwachsenen Mannes, der in sachlichem Ton die Ereignisse beschreibt und mitleidsvoll und einfühlsam die Reaktionen seiner Mitbürger verfolgt. Gemeinsam mit Robinson Crusoe und Moll Flanders begründete diese Erzählung den Ruf von Daniel Defoe als Schöpfer der Kunstform des realistischen Romans. In den I Promessi Sposi schildert Alessandro Manzoni das Wüten der Pestepidemie im Mailand des Jahres 1630. Seiner Darstellung liegen Berichte mehrerer Zeitzeugen zugrunde, namentlich die Historiae Patriae des Historiografen Giuseppe Ripamonti (1573–1643) und die Pestchronik des Arztes Alessandro Tadino (Ragguaglio dell’origine et giornali successi della gran peste contagiosa, venefica et malefica, seguita nella città di Milano …), die 1648 erschienen war. Goethe – vermutlich der erste deutsche Leser von Manzonis Roman (dieser hatte ihm die Promessi Sposi gleich nach dem Druck des dritten Bandes 1827 zugesandt) – bemerkte zwar, der Autor stehe in den Pestkapiteln „als nackter Historiker“ da und bemängelte das „umständliche Detail“ bei Dingen „widerwärtiger Art“. Dessen ungeachtet gilt die erbarmungslos präzise Schilderung der Seuche in den Promessi Sposi heute als ein Glanzpunkt der italienischen Prosa. Mit Ereignissen in Mailand während des Pestjahrs 1630 beschäftigt sich auch Manzonis 1829 entstandene Storia della Colonna Infame. Edgar Allan Poe schuf 1835 die burleske Erzählung König Pest, in der die Titelfigur allegorisch den Schrecken aller Schrecken verkörpert, von zwei bezechten Seeleuten aber besiegt wird. Poes Erzählung Die Maske des Roten Todes von 1842 wurde durch seine Erinnerung an die Choleraepidemie in Baltimore angeregt, die er 1831 miterlebt hatte, zeigt aber Parallelen zu anderen Pesterzählungen. Obwohl eine Seuche (der Rote Tod, Red Death) Massen von Menschen dahinrafft, gibt Prinz Prospero, der auf sein Schloss geflüchtet ist, einen pompösen Maskenball. Die Flucht vor der Epidemie in Vergnügungen erinnert an die Rahmenerzählung von Boccaccios Decamerone, doch nimmt Poes Geschichte eine andere Wendung: Der Rote Tod kommt „wie ein Dieb in der Nacht“, dringt trotz der verschweißten Tore in das Schloss ein und tötet den selbstherrlichen Prospero und die gesamte Festgesellschaft. In der Rahmennovelle Die schwarze Spinne verarbeitete Jeremias Gotthelf 1843 alte Sagen über einen Handel mit dem Teufel zu einer gleichnishaften Erzählung über die Pest. Bekannte Opfer der Pest Den als „Pest“ bezeichneten Seuchen erlagen viele Millionen Menschen. Zu den Opfern dieser Krankheit zählen u. a. (in chronologischer Reihenfolge):
Einzelnachweise
Literatur
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